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Die Hand
Man hat immer dieses Wunschdenken: So etwas passiert mir nicht. Das gibt es nur in Filmen. Solch ein Schicksal ereilt nur andere Menschen. Es ist sowas von naiv und das wissen wir auch, dennoch halten wir uns genau daran fest. Aber genau das ist auch der Grund, weshalb uns Ereignisse wie der Tod oder die Krankheit so aus der Bahn werfen können. Wir wollen es nämlich nicht wahr haben. Versuchen uns dagegen zu sträuben und uns grundsätzlich davon abwenden. Experten bezeichnen es als Schutzmechanismus und die normal sterblichen entweder als Normalität oder als feige und unrealistisch. Doch eines Tages klingelt der Postbote an deiner Tür, um ein Pakte abzuliefern, das du nicht angefordert hast. Du stellst es vorsichtig auf den Küchentisch. Nichts verrät den Inhalt des Paketes und du siehst ein, dass kein Weg am Öffnen vorbei führt. Mit einem Messer durchtrennst du das Klebeband oben und an den Seiten. Du hältst die Luft an und hebst den Deckel an. Eine Bombe kann man ausschließen, da sonst schon das ganze Gebäude in Schutt und Asche liegen würde. Die Fracht ist mit einem weißen Tuch bedeckt und dir steigt langsam ein sehr intensiver Geruch in die Nase. Plötzlich ahnst du, was dich nun erwartet. Trotzdem legst du das Tuch zu Seite, um Sicherheit zu haben.
Es ist eine abgetrennte Hand. Das Blut am Ende ist getrocknet, das heißt der Besitzer war beim Abtrennen noch am Leben. Trotz der Brutalität und des Ekels von Geruch und Bild, blieb ich erstaunlich ruhig. Nur ein Gedanke zog durch meinen Kopf: „Irgendwann musste es ja passieren.“ Ich griff zum Hörer und rief die Polizei an, setzte mich an die Küchentheke trank meinen Kaffee und las die Tageszeitung bis es schließlich an der Tür klingelte. Ich bat die zwei Beamten in die Wohnung. Ein Mann packte den Karton mit der Hand in einen Indizienbeutel und sah sich etwas um, während die blonde Beamtin mich befragte. Zwanzig Minuten später waren beide verschwunden und ich ging ins Büro.
Ich machte mir wenig Gedanken darüber und erwartete auch nicht, dass die Polizei etwas herausfinden würde, selbst wenn, wäre es nicht großartig relevant für mich. Meine Exfrau würde meinen, dass ich abgehärtet, stumpfsinnig und kalt bin. Woher ich das weiß? Sie hat es mir an dem Abend, an dem sie gesagt hat, dass sie die Scheidung will, sehr detailliert und mit großer Lautstärke, sodass es selbst die Nachbarn im Erdgeschoss gehört haben, mitgeteilt. Ich wusste damals schon, dass wir kurz vor der Trennung waren, deshalb hat mich diese Botschaft auch nicht weiter schockiert. Wir haben uns auseinander gelebt. Das Feuer war erlöschen nach drei Jahren Ehe. Wir waren nur noch Mitbewohner, kein Liebespaar. Mittlerweile ist Marie glücklich verheiratet mit einem Finanzberater und erwartet ihr zweites Kind. Sie konnte sich schon als wir uns kennengelernt haben nie mit meinem Beruf anfreunden. Sie wollte, dass ich einen normalen Bürojob anfange wie ihr jetziger Ehemann. Doch das war eindeutig gegen meine Natur und ich hatte mir geschworen, dass ich niemals das Privatleben vor meine Karriere stelle.
Meine Eltern haben mit allen Kräften und Nöten mein Jurastudium finanziert und ich liebe meinen Job auch wenn das bedeutet, dass ich per Post neben Stromrechnungen und Werbeprospekten, auch abgetrennte Gliedmaßen zugesandt bekomme. Mir ist durchaus bewusst, dass mich viele Menschen in bestimmten Anstalten nicht wirklich gut leiden können, doch aus solchen Dingen habe ich mir noch nie sehr viel gemacht. Soziale Kontakte pflege ich so gut wie keine und das macht mir eben überhaupt nichts aus. Ich lebe für die Arbeit. Ich gebe zu, dass es durchaus ein Problem der Einsamkeit geben kann, wenn ich in Rente gehe, aber das ich dieses Alter überhaupt erreiche war nie wirklich für mich vorgesehen. Alle meine Vorgänger sind früh gestorben, zwar wurden nicht alle von Straftätern ermordet, aber dieser Posten als Richter scheint wie verflucht zu sein. Wenn man nicht getötet wird, ist es die Gesundheit – der Schlafmangel, die schlechte Ernährung oder einfach die Bilder, die man Tag ein Tag aus immer wieder sehen muss.
Kinderleichen, Vergewaltigungsbilder, Verstümmelung. Die Liste ist endlos und grausam, dennoch lernt man damit irgendwie zu leben. Mit einfach allem.
Jeden verdammten Tag, denn das ist nun mal unser Leben, der ständig wiederkehrende Alltag.