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Die Halle
Knarrend öffnet sich die Tür. Ich werfe einen ersten Blick durch den Spalt. Licht des Mondes fällt auf den Marmorboden und zeichnet wundersam schöne Spiegelungen. Ich öffne die Tür ganz und trete ein paar Schritte vor. Meinem Blickfeld erscheint ein langer, hoher Gang mit großen Fenstern auf beiden Seiten, die eine gute Aussicht auf malerische Parkanlagen preisgeben. Leicht wankend nähere ich mich dem Glas. Die Bäume tragen kein Laub, es geht kein Wind der ihre dürren Äste hätte umherwiegen können. Das alles stimmt mich melancholisch.
"Das alles war einmal ganz anders," erinnere ich mich. Ich hebe meinen Blick. Die Sterne funkeln am Himmel und nehmen der Nacht etwas ihrer Einsmkeit. "Der Tag kann doch viel schöner sein," denke ich und schließe meine Augen. In meinem Kopf malt sich ein Bild aus. Vögel auf einem Ast. Sie zwitschern. Ihr Gesang dringt tief in mein Ohr.
Ich öffne meine Augen. Und erschrecke beinahe bei dem vielem Licht. Heftig blinzelnd und verwirrt versuche ich mich zu orientieren. Das Fenster ist geöffnet. Vor mir breitet sich eine Wiese voller Bäume, Blumen und Sträucher aus. Alles grünt und blüht. Auf den Kieswegen gehen Menschen, die meisten jung, einige älter mit Bärten und Brillen. Ein warmer Wind bläst mir ins Gesicht. Die Sonne strahlt Wärme wie im Sommer aus. Verwundert über all das drehe ich mich um. Der Gang ist nicht mehr dunkel und leer wie vorhin. Er ist gefüllt mit Menschentrauben die herumstehen und plaudern, lachen, streiten oder diskutieren. Kurz: Es ist alles voller Leben.
Ich wandere den Gang entlang, schaue mich um und höre zu. Hier und da erblicke ich bekannte Gesichter, von Freunden und Feinden. Doch ich bleibe nicht stehen um sie zu grüßen, um ihnen einen Witz zu erzählen, ich streiche weiter.
Schließlich, als ich mich gerade durch eine kleine Gruppe hindurchzwänge, was mit abschätzigen Blicken quittiert wird, stehe ich in einem gigantischem Torbogen. Er stellt das Ende des Ganges und den Anfang einer runden Halle dar. Drei weitere Gänge münden hier. Ich setze mich wieder in Bewegung. Immer noch von Leute umringt strebe ich direkt in die Mitte der Halle zu. Diese ist nicht schwer zu finden, ein mittelgroßer roter Stein im Boden markiert die Stelle. Dort angekommen bleibe ich erst stehen, dann blicke ich direkt in die Höhe. Ein ebenfalls roter Schlussstein ist in der Kuppel über mir eingearbeitet. Diese beiden Steine hatten mich schon immer fasziniert. Sie scheinen beide gleich zu sein. Beide rot. Beide Stein. Und dennoch ist der eine hier unten und der andere dort oben. So als ob ein und dieselbe Sache an zwei Orten gleichzeitig sein könnte. Nachdenklich fasse ich mir mit der Hand an mein glattes Kinn.
Nach einiger Zeit hatte ich mich von der Kuppel losgerissen und mich am Rand der Halle an eine der Marmorsäulen gelehnt. Jetzt sehe ich den Männern und Frauen nach und sehe mir genau an, wer aus welchem Gang kommt. Ich suche jemanden. Eine Frau. Eine sehr junge Frau. Etwa zwanzig Jahre alt. Aufmerksam lasse ich meinen Blick schweifen. Dann sehe ich sie. Braunes Haar, blaugraue Augen und einen selbstbewussten Gang. Ich löse mich von der Säule und suche mir meinen Weg. Mein Schritt wird schneller. Ich will zu ihr. Ich will sie umarmen!
Offenbar habe ich Aufmerksamkeit erregt. Es ist still geworden. Das Einzige was noch zu hören ist sind meine und ihre, unsere, Schritte. "Starrt mich nicht so an," will ich rufen, doch die Worte bleiben in meinem Kopf gefangen. Ich befehle mir die Menschen zu vergessen, ihre Blicke zu ignorieren. Mein Ziel ist sie. Sie geht am anderen Ende der Halle, geradewegs auf einen anderen Gang zu. Plötzlich bekomme ich Angst sie zu verpassen, vielleicht sogar zu verlieren. Ich beschleunige. Panik steift in mir auf und macht sich in meinem Kopf breit. Sie drängt alle Geräusche in den Hintergrund, das Geräusch meiner Schritte wird dumpfer, mir wird schwummrig.
Da bleibe ich abrupt stehen. Nicht freiwillig. Drei Männer versperren mir den Weg. Wild entschlossen weiter zu gehen mache ich einen Schritt vor. Keine Reaktion des Trios. Schnell werfe ich einen Blick am Kopf des mittleren vorbei, um sicherzugehen, dass sie noch da ist. Sie ist es nicht. Statt Panik kocht Wut in mir hoch. Ich merke förmlich wie das Blut durch meine Adern pocht. "Lasst mich durch!"
Mein Schrei bleibt ein Gedanke.
Ich stürze vor und stoße gegen den Ersten. Ein dumpfes Geräusch sagt mir, dass ich in umgeworfen habe. Ich kann mit ein Gefühl der Befriedigung nicht verkneifen. Schnell raffe ich mich auf und werfe einen Blick in die Runde. Alle Mensche in der Halle stehen um mich, wie bei einem Hexenkreis. Ihre Blicke treffen den meinen. Da packt mich jemand bei der Schulter. Ich werde brutal umgedreht. Zwei Augen. Braun. Große Nase. Befriedigendes Lächeln. Kein Zweifel. Das ist der Kerl den ich umgeworfen habe.
Ich will meine Faust zum Schlag ausholen lassen, da wird sie von einem weiteren Mann aufgehalten. Selbes passiert mit meiner zweiten Hand und meinen Beinen. Ich werde hochgehoben. Mein Wut schlägt in Angst um. Was passiert jetzt? Diese Frage brennt sich in mein inneres Auge. Dann werde ich losgelassen. Schwerelosigkeit. Der Fall. Dann, der Aufschlag.
Verwirrt drehe ich mich in alle Richtungen. "Was ist los, was ist passiert," schießt es mir durch den Kopf. Dann fällt schwummriges Licht auf den Boden. Er ist immer noch aus Marmor, weist aber Brüche auf und ist an manchen Stellen leicht ausgehöhlt. Die Fenster sind zumeist zerbrochen, die Pflanzen wieder ohne Grün. Die Wände und die Säulen bröckeln, Risse ziehen sich quer durch den Stein. Ich blicke nach oben. Die Kuppel ist weg. Statt ihr sieht man dunkle Wolken am Himmel. Der Mond lugt durch ein kleines Loch hervor. Wird aber schlussendlich wieder verdeckt. Schlagartig ist es erneut stockdunkel.
Ich trotte umher. Es regnet. Mein Haar klebt mir im Gesicht. Den Blick habe ich auf den Boden gesenkt. Nicht wissend wo ich hin soll, wandle ich umher. Da fällt mein Blick auf einen roten Stein. Ich bleibe stehen. Direkt neben dem Stein ist der Boden schwer beschädigt. Ich staune nicht schlecht. Inmitten einer großen Pfütze liegt ein Brocken von gut vier Metern Durchmesser. Es ist der Schlussstein. Fast stolz liegt er hier neben seinem kleineren Äquivalent. "Auch wenn es so scheint können zwei Dinge nicht dasselbe sein," denke ich mir. Langsam knie ich mich neben das Wasser. Die Oberfläche wird von den Wellen der auftreffenden Regentropfen gebrochen. Ich konzentriere mich. Zwischen dem Marmor entdecke ich ein Gesicht. Mein Gesicht. Langes, ungepflegtes Haar, braune Augen. Aber vor allem, einen großen, grauen Bart.