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Die große Stadt

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10.10.2015
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Die große Stadt

In Tokio

Ich schlage die Augen auf und fühle mich leer. Ich fühle mich als würde ich in einem Augenblick der Zeit feststecken, wo es kein Vor und Zurück mehr gibt. Mein Zuhause sind zwei Quadratmetern, in einer Box eines Internetkaffees. Ich fühle mich schlecht, weil ich seit Monaten nichts anständiges mehr gegessen habe und zünde mir erst einmal eine Zigarette an. Der Rauch vergiftet meine Lunge, das weiß ich, aber es ist mir egal. Wie jeden Morgen frage ich mich: Wie um alles in der Welt bin ich hier gelandet? Wie konnte es so weit mit mir kommen?
Aber es macht keinen Sinn darüber nachzudenken. Und eigentlich macht überhaupt nichts einen Sinn. Ich will nicht darüber nachdenken, aber an diesem Morgen fühle ich mich besonders schlecht; so schlecht wie schon seit Monaten nicht mehr. Eine Frage jagt mir durch den Kopf: Warum Existiere ich überhaupt?
Nur nicht darüber nachdenken. Es bringt nichts. Eine Antwort werde ich nicht finden, also weshalb mein Energie dafür verschwenden?
Ich stemme mich auf. Meine Beine fühlen sich schwach und zittrig an, weil ich ständig nur herumliege und sie so selten gebrauche. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal wirklich gerannt bin. Auf der Toilette trinke ich etwas Leitungswasser, mein Spiegelbild will ich nicht ansehen – es würde mich nur schockieren –, aber wen kümmert schon gutes Aussehen, am Ende ist man doch nur einer von Millionen. An einem Automaten lasse ich mir eine Packung Reis heraus und schütte sie in mich hinein, auch wenn ich kein Hungergefühl habe. Ich gehe vor die Türe um etwas frische Luft zu schnappen, aber es riecht nach Abgasen und gebratenem Tintenfisch. Die Luft hängt wie eine wabernde Wolke in der Stadt und mir wird schlecht davon. Ich muss mich in einen Mülleimer übergeben – niemanden stört es. Die Passanten laufen einfach an mir vorbei ohne mich eines Blickes zu würdigen, als würde ich nicht existieren.
Wodurch definiert sich Existenz? Nein, nicht darüber nachdenken. Ich muss mir eine Ablenkung suchen, aber in das enge Internetkaffee will ich nicht zurück. Es fühlt sich so an als würde ich kurz vor einer Panikattacke stehen. Mein Herz rast und mein Kopf flüstert mir Dinge zu die ich nicht hören will.
Vielleicht bist du ja gar nicht existent, vielleicht bildest du dir das alles ja nur ein. Woher willst du wissen, dass das alles real ist? Ich schlage mir die Hände vors Gesicht und knie mich auf den Boden, vor meinen Augen dreht sich alles, aber mein Kopf hört nicht auf, er ist wie ein Stein der ins Rollen gekommen ist: nicht mehr aufzuhalten.
Wer bin ich überhaupt? Warum bin ich hier? Was bin ich? Was ist das hier alles? Vor meinen Augen sehe ich das Universum: Millionen Planeten, die durch den Raum fliegen; und dazwischen absolute Leere. Ich sage meinem Kopf er soll gefälligst die Fresse halten ansonsten bringt er uns noch beide um. Uns beide? Was für eine Scheiße!
Ein Mann stößt mich mit dem Fuß an, ob aus Versehen oder Absicht weiß ich nicht, aber es holt mich wieder ein Stück zurück in die Wirklichkeit. Ich lehnte mich an eine Hauswand und starrte auf meine Digitaluhr, das hilft mir mich zu beruhigen. Die Ziffern zeigten an, dass es schon später Abend war. Mein Schlafrhythmus hatte sich völlig verschoben: Ich bin nachts wach und schlafe Tagsüber, manchmal auch gar nicht.
Ich taumle durch die Straßen und werde ständig angerempelt. Aus einer Seitengasse dröhnt das Wummern von Musik – harte, elektronische Musik, vielleicht genau das, was ich jetzt brauche.
Es ist ein billiger Laden, der nach Zigaretten stinkt. Ich kaufe mir einen Whiskey und setze mich auf einen der abgewetzten, schwarzen Ledersessel. In der Mitte des Raumes ist ein Podest mit einer Tanzstange. Eine Frau tanzt dort, ihren Körper hat sie mit Öl eingerieben und ihre Haut glänzt, im Licht das sie anstrahlte. Sie trägt rote Nylonstrümpfe an Armen und Beinen und ihr Tanga war so knapp beschnitten, dass ich ihre Schamhaare sehen konnte. Ich bekomme einen Ständer und für einen Moment vergesse ich alles in meinem Kopf. Es gibt nur sie und mich und ich will nur noch eins: mir ihr ficken. Von mir aus sofort, hier, vor allen. Es würde mir nichts ausmachen. Mein fängt an weh zu tun und ich gehe in Richtung der Toiletten um mir einen zu wichsen. In dem Moment an dem ich an der Frau vorbei gehe, wirft sie mir einen flüchtigen Blich zu und ich kann in ihre Augen sehen. Sie sind trüb, leblos, als wäre sie schon tot. Mein Schwanz zieht sich wieder in seine Vorhaut zurück, der Moment ist verflogen. Gefickt hätte ich sie aber trotzdem noch: Einfach um herauszufinden, wie es ist, mit so einer Frau zu schlafen.
Ich verlasse den Laden, aber kaufe mir noch einen Drink für unterwegs. Ohne ein Ziel wandere ich durch die Straßen und der Himmel wird dunkel. Ich sehe nach oben, aber wegen der Lichtverschmutzung kann ich keine Sterne sehen. Plötzlich überkommt mich das dringende Bedürfnis, die Sterne sehen zu wollen. Alles würde besser werden, wenn ich nur die Sterne sehen könnte. Der Gedanke treibt mich an. Ich gehe schneller durch die Straßen und sehe immer wieder nach oben, aber egal wo ich bin, dass Licht der Stadt lässt mich nur einen schwarzen Himmel sehen. Ich muss raus aus der Stadt oder zumindest über das Licht der Stadt. Ich fahre mit der Bahn und suche nach einem erhöhten Punkt. Da, ein Hügel! Ich laufe, ja, renne beinahe schon. Das erste mal seit Monaten, dass ich renne.
Eine Treppe führt den Hügel hinauf. Es ist eine Parkanlage, die mitten in der Stadt steht. Auf dem halben Weg die Treppe hinauf muss ich anhalten und mich über das Geländer ergeben. Mein Herz klopft so stark als würde es versuchen meinen Brustkorb zu sprengen. Mein ganze Lunge brennt und meine Seiten stechen, aber ich muss weiter gehen. Nichts würde mich jetzt mehr erfüllen als den Sternenhimmel zu sehen. Die letzten Stufen sind die schwersten und ich huste den Dreck und Teer der letzten Jahre aus mir heraus als ich oben ankomme. Ich lasse mich an einer dunklen Stelle ins Gras fallen und starre in den Himmel. Nur die hellsten Sterne sind am Himmel zu erkennen, aber immerhin etwas. Mein Herz schlägt unregelmäßig und sticht. Hier oben ist die Luft besser, es riecht nach Gras und ein leichter Wind streift meine Haut. Zwischen den Sternen wartet die große Leere. Noch einmal hole ich tief Luft und dann sterbe ich.
Die große Leere wartet nicht, sie ist allgegenwärtig.

 
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Hallo Semba,
Willkommen bei uns Wortkriegern.

Ich weiß leider nicht, ob du erst anfängst zu schreiben oder ob du schon Erfahrung hast. Manchmal wär das ganz schön, das zu wissen, um sich darauf beziehen zu können.
Mit deiner Geschichte ist es so: Ich schätze 75 % aller Geschichten fangen damit an, dass einer die Augen aufschlägt und in einer für ihn fremden und bedrohlichen Situation erwacht. Ich wollte, es wäre einfach mal anders. Aber wenn du noch nicht lange schreibst, dann weißt du natürlich nicht, dass du da auf sehr breit getretenen Pfaden wandelst.
Dein Held hier wacht jetzt in Tokio auf (sagt der Titel) und fühlt sich da halt naja, nicht gut eben. Du begleitest den Mann ein bisschen, lässt ihn sich ein wenig fremd und sinnlos fühlen, und dann stirbt er halt einfach mal so, als er endlich die Sterne sehen kann.

Das ist noch keine echte Geschichte mit einer Spannungsentwicklung oder einem Konflikt, in den sich die Hauptfigur hineinbegibt. Klar, es gibt auch "Geschichten", die eher auf einem Punkt bleiben und den Schwerpunkt auf eine innere Entwicklung legen, die Gedanken des Helden zeigen. Aber da müsste man viel intensiver auf diesen Protagonisten eingehen. Ihn den Lesern nahe bringen. Auch die Gedanken, die dein Held da mit sich herumdenkt, das ist leider nichts Weltbewegendes, nichts Neues. Es ist viel zu allgemein und von daher würd ich mir sowas ganz schnell abgewöhnen. Ich glaub, ich schreib mal einen Schreibratgeber, auf dem steht ganz vorne drauf: Nie nach dem Sinn des Lebens fragen.
Zum Glück beschränkst du dich nicht nur auf diese Frage, sondern lässt deinen Helden ein bisschen herumtappen, bevor du ihm den literarischen goldenen Schuss setzt. Aber auch dieses Sterbeende käm in meinem Schreibratgeber vor. Lass deinen Prot nie sterben, bevor er nicht innerlich und/oder äußerlich ordentlich was erlebt hat.
Du beschränkst dich in deinem Schreiben einfach zu sehr auf die selbstquälerische Sicht deines Protagonisten. Dabei enthält deine Geschichte schon Anteile, aus denen sich was machen ließe. Aber so allein mit dieser Miniaturhandlung wirst du es schwer haben.

Ich nenn mal den Abschnitt, der mich echt fast rausgekickt hätte:

Wie jeden Morgen frage ich mich: Wie um alles in der Welt bin ich hier gelandet? Wie konnte es so weit mit mir kommen?
Aber es macht keinen Sinn darüber nachzudenken. Und eigentlich macht überhaupt nichts einen Sinn. Ich will nicht darüber nachdenken, aber an diesem Morgen fühle ich mich besonders schlecht; so schlecht wie schon seit Monaten nicht mehr. Eine Frage jagt mir durch den Kopf: Warum Existiere ich überhaupt?
Das strotzt wirklich von Verallgemeinerungen. Dabei könnt das richtig gut werden, wenn du nicht diese allgemeinen Platitüdenfragen stellen würdest. Sondern dir mal Rechenschaft abgibst, was ihn denn wirklich nach Tokio gebracht hat, damit meine ich nicht die Fluggesellschaft, sondern den Grund, was hat er sich versprochen, was wollte er in Tokio erreichen? Warum fühlt er sich an diesem Morgen besonders schlecht, was ist an diesem Morgen wirklich anders als sonst?
(Wenn er sich an diesem Morgen übrigens schlechter als seit Monaten fühlt, dann kann er auch nicht jeden Morgen dieselben Fragen und Gefühle haben.)
Also irgendwas ist anders. Aber was? Und die Frage, warum einer existiert. Ebenso die Klage, dass nichts mehr Sinn macht. Echt, auf diese Weise gestellt, gehört das einfach verboten.


Du schreibst angenehm, aber auch da gibts so einiges zu sagen.
- Rechtschreibung, Kommasetzung. Überarbeitung nach Tippfehlern.
- Nicht einfach grundlos in eine andere Zeit stolpern.
Machst du hier zum Beispiel: Sie trägt rote Nylonstrümpfe an Armen und Beinen und ihr Tanga war so knapp beschnitten, dass ich ihre Schamhaare sehen konnte.
- könntest auch manchmal ruhig ein paar zupackendere Verben einflechten. Nicht so viele "ist"s.
Ich habe auch den Eindruck, dass du ruhig noch direkter schreiben könntest, als du das schon tust, ich könnte mir auch vorstellen, so das Harte, Direkte könnte dir liegen vom Stil her.

Mehr möchte ich heute nicht schreiben, ich weiß ja nicht, ob du überhaupt Interesse an einem so direkten Feedback hast.
Mein Fazit ist: Von deinem Stil her und wenn du seine Gedanken mit äußerer Handlung verbindest, wie du das ansatzweise auch getan hast, dafür aber die direten Sinnfragen lässt, dann wird das was, aber ich würde einfach mal versuchen, mich viel, viel mehr in so einen Menschen wie deinem Japanbesucher hineinzuversetzen, sein Leben vor mir innerlich aufzuzeigen, und selbst wenn du dann nur sehr wenig davon in die Geschichte einfließen lässt, ist das dann viel mehr als die doch sehr allgemeinen Gedanken und Zustände deines Protagonisten.
Viel Erfolg noch und liebe Grüße

 

Hi Semba,
Ich glaube, ich verstehe, was du damit ausdrücken willst, allerdings fällt auch mir schwer, einen richtigen Bezug zum Protagonisten herzustellen. Wie wärs wenn du auch mal einen Perspektivwechsel versuchst, um die Situation anfangs besser zu erklären. Ist nur ein Vorschlag :)
L.G. Gilgaesch

 

Hi

Danke für die ganze Rückmeldung, das wird mir bestimt helfen. Ich werde versuchen beim nächsten mal mehr auf den Protagonisten eingehen. Es stimmt schon, jetzt, im Nachhinein, kommt die Geschichte auch etwas unschlüssig vor. Eigentlich wollte ich die Einsamkeit, die man in einer Großstadt wie Tokio verspüren kann, obwohl so viele Menschen um jemanden herum sind, vermitteln. Ich bin dann wohl ein bisschen ins komische abgerutscht :D

Nochmals vielen Dank
Liebe Grüße Semba

 

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