Was ist neu

Die große Depression

Mitglied
Beitritt
10.11.2011
Beiträge
3

Die große Depression

Rom 06. November 2011

Nichts Besonderes. Heute Morgen entlassen worden. Als erstes ins Hotel, ein schnelles Frühstück zu mir genommen, dann geduscht.
Nachgelegt und raus. Der Leere entfliehen! Psychotisch und allein gefühlt. Eine schlimme latente Angst verspürt.
Irgendwie hatte ich immer im Hinterkopf, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde. Etwas könnte vom Himmel fallen und mich erschlagen, etwa ein Satellit, oder ein Meteor, oder Flugzeugteile. Ein Auto könnte mich anfahren, oder Marc David Chapman könnte aus dem Nichts erscheinen und mir in den Rücken schießen.
Die Chance bestünde zumindest. Keine Ahnung, wieso, aber diese Angst geht bei mir mit dem psychischen Kater einher.
Es gibt nichts schlimmeres als den psychischen Kater.
Der normale, körperliche Kater, ein gepflegtes Kopfweh, eine schöne leichte Übelkeit, er ist ein Morgenspaziergang im Frühling.
Ganz im Gegensatz zum herbstlich-bitterkalten Gefühl des psychischen Katers, wie ein Tiefdruck-Gebiet, das über meine Seele zog.
Das schlechte Gewissen höhlte mich von innen aus, wie eine Ratte.
Die Sonne schien. Ich überlegte, ob ich ans Meer abreisen sollte. Nach Biarritz etwa. Dort war ich vor drei oder vier Jahren fast einmal ertrunken. Ich dachte dran, und irgendwie mußte ich drüber lächeln.
Ich ließ mich treiben und kam nahe beim Termini an der Santa Maria Maggiore heraus. Eine der schönsten Kirchen der Stadt. Es war fünf vor zwölf und ich kam gerade richtig zur Mittagsmesse. Es roch nach Weihrauch, alles war friedlich und schön. Der Pfarrer sprach in breitem Italienisch, ich verstand fast nichts, aber mir gefiel die Stimmung. Ich besah mir die Leute um mich herum, Witwen und Touristen, alte Männer und Soldaten, Paare mit Kindern, der Pfarrer predigte und ich wurde leicht schläfrig. Zu meiner Linken befanden sich Beichtstühle, und die Schar der armen Teufel, die auf Erlösung hofften und sich dem Beichtvater offenbarten, riss nicht ab, seit Jahrhunderten nicht, sie würde niemals abreißen. Ich sah dem Treiben zu und bekam wieder ein schlechtes Gewissen.
Der Pfarrer hatte mittlerweile aufgehört und der Chor setzte ein. Sie sangen ein uraltes Lied, ein Lied über Vergänglichkeit und Zeit, über Versuchung und Sünde, über straucheln und widerstehen und wieder über Zeit und Vergänglichkeit. Ich verstand kein Wort, aber ich dachte mir den Text dazu.
"…und so geht es dahin, der Herr gibts, der Herr nimmts /
ein kommen und gehen, so war und wird es immer sein /
vom Anbeginn der Tage bis ans Ende der Zeit…
"
Und als sich das Sopran des Solisten mit dem tiefen Bass der Orgel vermischte, war es mir, als ob etwas an meiner Seele rührte, etwas kratzte an meinem Ich, so wie der Bogen über die Saiten des Kontrabasses gleitet. Es war ergreifend. Die Witwen zu meiner Rechten weinten, das Pärchen vor mir schnäuzte sich und hielt Händchen. Und auch ich wollte weinen, weinen um Familie, die ich verloren hatte, um Dinge, die in mir drin verloren gegangen sind, wollte darüber weinen, was aus mir hätte werden können, was aus mir geworden ist. Aber da, wo normalerweise die Tränen sind, verspürte ich nur ein leises unbestimmtes Ziehen, ein Phantomschmerz, eine kleine Erinnerung, zwei Finger hinterm Sonnengeflecht. Wie ein klitzekleiner Tumor, ein tiefschwarzes Blutgerinsel. Ein Wutgerinsel. Wieso bin ich so, wie ich bin? Dort wo andere Menschen ihr Herz hatten, saß bei mir nur ein sterbender Stern.
Mein Gesicht war taub und so war es mein Herz auch. Ich gehörte hier nicht hin. Ich stand auf und stahl mich davon. Etwas musste sich ändern.
Keine Ahnung, was ich später noch mache, vielleicht trinke ich mal nichts.
Macht euch keine Sorgen um mich. Ich werde ans Meer fahren.
Ich stand ganz allein vor der schönsten Kirche des Landes, und stellte mir vor, ich wäre nicht da, ich wäre jemand ganz anderes, jemand, der gut ist, jemand der glücklich ist.
Und die Sonne schien.

 

Hallo David

Ein grosser Titel für ein inhaltliches Nichts scheint mir dein Text. Du sagst es, Nichts Besonderes. Vielleicht ist es eine Innensicht, die dir vorschwebte, konfus und teilweise sehr salopp. Ein November-Tagebucheintrag meinetwegen. Doch ich vermisse die Geschichte mit Handlung. Gib deiner Figur Konturen, lass sie lebendig zu ihrer Umwelt auftreten, und streiche die unsinnigen Formulierungen über psychischen Kater oder anstelle der Tränen der Solarplexus und Ähnliches. So wie es dasteht, wirkt es mir wie ein rohes, wirres Bild, wäre es gemalt, vielleicht ein Werk aus dem Gebiet der Art brut. Doch eigentlich gibt es bei diesen Bildern sehr viel mehr herauszulesen.

Bin gespannt, ob du deinen Weltschmerz literarisch doch noch lesbar umsetzen wirst.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo David Winter, willkommen auf KG.de!

Dein Text hat mich enttäuscht, denn Titel und Anfang weckten Hoffnung auf eine Geschichte, die mir gefallen könnte. Auf ein kurzes, wüstes Ding mit krauser Handlung und kaputtem Helden, aber als ich bis hierhin gelesen hatte

Die Chance bestünde zumindest. Keine Ahnung, wieso, aber diese Angst geht bei mir mit dem psychischen Kater einher.
Es gibt nichts schlimmeres als den psychischen Kater.
und merkte, dass der Held danach ans Jammern geht und seine Kater beschreibt, dachte ich: Das wird wohl nichts. Und so wurde es dann auch, zumindest für mich.
Ich habe über den Helden erfahren: Er wurde gerade entlassen (woraus?), ist in Rom, wohnt im Hotel und hat, bevor er das Zimmer verlässt, mindestens zweimal irgendwas konsumiert, denn er hat nachgelegt. Das Wort assoziiere ich mit Pulver, dachte also erstmal an Speed oder Koks, aber weiter erklärt oder gezeigt wird das nicht. Sowas wär aber schonmal wichtig, denn es ist ja schon ein Unterschied, ob man Koks nachlegt oder noch eine Beruhigungstablette nimmt.
Tiefdruck-Gebiet
Zusammenschreiben ftw: Tiefdruckgebiet.
Das schlechte Gewissen höhlte mich von innen aus, wie eine Ratte.

Diesen Vergleich finde ich kraus und unfreiwillig komisch, denn Vergleiche sollen ja veranschaulichen, verdeutlichen. Es ist aber eher unnormal, daß Menschen durch Ratten von innen ausgehöhlt werden. Brauchst Du hier überhaupt einen Vergleich?
In der Kirche bekam ich wieder Hoffnung, es werde etwas passieren. Müßte ja nicht gleich jemand von hinten erschossen werden, aber ... egal. Ich hab jedenfalls gehofft. Aber:
ein uraltes Lied, ein Lied über Vergänglichkeit und Zeit, über Versuchung und Sünde, über Straucheln und Widerstehen und wieder über Zeit und Vergänglichkeit. Ich verstand kein Wort, aber ich dachte mir den Text dazu.
"…(Abstand fehlt)und so geht es dahin, der Herr gibts, der Herr nimmts /
ein Kommen und Gehen, so war und wird es immer sein /
vom Anbeginn der Tage bis ans Ende der Zeit(Abstand fehlt)… "
Und als sich der Sopran des Solisten mit dem tiefen Bass der Orgel vermischte, war es mir, als ob etwas an meiner Seele rührte, etwas kratzte an meinem Ich, so wie der Bogen über die Saiten des Kontrabasses gleitet. Es war ergreifend.
Ich fand es nicht so ergreifend, sondern wieder unfreiwillig komisch durch einen in meinen Augen ganz kaputten Vergleich. Es kratzt, wie es gleitet! Warum schreibst Du nicht gleich: Es zerquetschte mir den Kehlkopf, als ob ein Federchen über meinen nackten Rücken streichelte? :D
Und dann: An meinem Ich! Da will ich immer lachen. Das ist so ... heideggerig. Das seiende Sein, mein eigentliches Selbst und Co. als solches ... Meine Innere Makita kann das mit ihrem ihr eigenen Innenernst nicht innerlich ernstnehmen.
Der Bass ist immer tief, sonst wär er nicht der Bass, und ich mußte hastig den Kontrabaß ins Bild zerren, denn der gehört ja nicht zur Standardbesetzung des Religionsorchesters solcher Messen. Die ganze Szene fand ich eher wirr und darum wenig fesselnd. Hätte da einfach nur gestanden "war es mir, als kratzte etwas an meiner Seele", hätt ich das sofort gefressen. So half auch die Zusatzerklärung (ergreifend) nicht. :)
Und auch ich wollte weinen, weinen um Familie, die ich verloren hatte, um Dinge, die in mir drin verloren gegangen sind, wollte darüber weinen, was aus mir hätte werden können, was aus mir geworden ist.
Heiliger Strohsack! Klar, sowas kenn ich, das kennt ja fast jeder von solchen Tagen und war darob in bestimmten Momenten schon übelst ergriffen, aber ich hab doch gar keine Ahnung, mit wem ich hier in der Kirche stehe. Ein Macho im sentimentalen Stadium des Koksrauschs? Ein sedierter Depressiver? Eine Partyleiche auf dem Weg zum Suizid in Biarritz (beim zweiten Anlauf klappt es auch mit dem Ertrinken)?
Solche Gefühlspassagen nehm ich einem Helden, über den ich nichts weiß, nicht ab. Von einem Fremden wirkt das distanzlos, als weine einem irgendein Besoffener in den Kragen. Da müßte ich ihn schon näher kennen, um mitzufühlen, denn sowas fühlt man ja nicht mit einem x-beliebigen, auf unbekannte Weise intoxikierten Menschen mit, das muß schon Gründe haben, die man nachempfinden kann, was Greifbares. Ich weiß nicht einmal, was er als letztes Schlimmes erlebt hat, geschweige denn, was aus ihm hätte werden können und warum und wie.

Aber da, wo normalerweise die Tränen sind, verspürte ich nur ein leises, unbestimmtes Ziehen, ein Phantomschmerz, eine kleine Erinnerung, zwei Finger hinterm Sonnengeflecht. Wie ein klitzekleiner Tumor, ein tiefschwarzes Blutgerinnsel. Ein Wutgerinnsel. Wieso bin ich so, wie ich bin? Dort, wo andere Menschen ihr Herz hatten, saß bei mir nur ein sterbender Stern.

Wutgerinnsel ist putzig, aber irgendwie kommt bei mir hier alles zu spät. Kraus ist der Satz auch, ich fände den Phantomschmerz besser, wenn er auch im Akkusativ wär wie sein Kumpel, das Ziehen, und wenn es hieße zwei Fingerbreit, denn sonst denk ich: Ist das jetzt wieder so ein seltsamer Vergleich? Zwei Finger, die ihn hinterm Sonnengeflecht kitzeln? :confused:
Den Ich bin, wie ich bin-Satz würd ich ersatzlos streichen. Die Frage ist doof, denn ihre korrekte Antwort wäre: Weil ich so bin, wie ich bin. Und das alles zusammen sagt nichts, aber auch gar nichts aus. Stell Dir den Mathelehrer vor, der an die Tafel schreibt: x=x, weil x=x.
Quod erat wie & wo demonstrandum?
Den letzten Satz würd ich ins Präsens setzen, sonst hätte er ja dieses Problem nicht mehr, und so, wie es aussieht, hat er gerade nichts anderes.

Dafür würde ich das hier

Keine Ahnung, was ich später noch mache, vielleicht trinke ich mal nichts.

ins Präteritum setzen, das fänd ich viel stärker.
Und dann den Gegenwartssatz mit dem Meer: Nimm den doch als Schlußsatz. Ich meine: Wenn schon dieses Pedal, warum dann nicht gleich durchdrücken? Wenn das Meer am Ende stht, denkt man noch viel eher, der ginge jetzt zum Ertrinken nach Biarritz. Oder laß das auch weg, laß ganz viel weg, dann kriegt der Schluß einen anderen Schwung, guck mal:

(...) Ein Wutgerinnsel.
Mein Gesicht war taub. Ich stand ganz allein in der schönsten Kirche des Landes und stellte mir vor, ich sei nicht da. Etwas musste sich ändern.
Ich stand auf und stahl mich davon. Keine Ahnung, was ich später noch machte, vielleicht trank ich mal nichts.

Das, finde ich, wär fast ein cooler Schluß. :gelb:

Hoffentlich kannst Du mit meiner Kritik was anfangen. Hört sich immer schnell nach Komplettverriss an, aber ich denke, Du könntest mit Deiner Sprache und mehr Routine viel stärkere Texte schreiben. Wenn aber der Held so einfarbig ist und so wenig passiert, bleibt alles allgemein. Die größten Worte verpuffen, wenn Bezüge fehlen.
Arbeite doch noch weiter an dem Text, mach eine starke Geschichte draus, notfalls was dazuerfinden!

Gruß,
Makita.

 

Hallo,

dazu geb ich jetzt auch einfach mal meine Meinung ab, auch wenn ich hier in letzter Zeit eigentlich nur zum kommentarlosen Lesen reingeschaut habe, also kein "geübter Kritiker" bin ;)

Ich finde den Ansatz deiner Geschichte gut. Allerdings hätte es mir persönlich irgendwie besser gefallen, wenn du den Leser die Depression irgendwie ein Stück weit selbst hättest erfahren lassen. Durch die große Ankündigung im Titel wird ja schonmal ganz deutlich darauf hingewiesen, worum es geht. Da finde ich Erklärungen wie

Psychotisch und allein gefühlt. Eine schlimme latente Angst verspürt.
Irgendwie hatte ich immer im Hinterkopf, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde. Etwas könnte vom Himmel fallen und mich erschlagen, etwa ein Satellit, oder ein Meteor, oder Flugzeugteile. Ein Auto könnte mich anfahren, oder Marc David Chapman könnte aus dem Nichts erscheinen und mir in den Rücken schießen.
Die Chance bestünde zumindest. Keine Ahnung, wieso, aber diese Angst geht bei mir mit dem psychischen Kater einher.

irgendwie als störend. Hatte die Hoffnung gehabt, unmittelbar reinzufühlen in die Depression. Durch diese Art "Selbstanalyse" ensteht bei mir aber eher eine Distanz zu den Gefühlen deines Protagonisten. Wie wäre es, wenn du statt "psychotisch und allein gefühlt" irgendwie lieber beschreibst, was der Mensch so sieht und damit verbindet. Beispielsweise könnte er allein durch die Straßen gehen, die Liebespaare irgendwie sehnsüchtig anschauen, sein Blick könnte panisch den Himmel absuchen, er mit geducktem Nacken gehen und dazu könnten Gedankenfetzen auftauchen, die mit dem Meteor zusammenhängen und die Einsamkeit deutlich machen. Damit kann der Leser selbst ENTDECKEN, dass die Person sich alleine fühlt und psychotisch ist und bekommt das nicht einfach so aufgetischt.

Die Idee des psychischen Katers finde ich gut, kenne das Gefühl. Aber auch das ist mir zu genau erläutert und wird irgendwie breitgetreten. Man könnte dem Leser das irgendwie anders näherbringen. So wirkt es tatsächlich ein wenig wehleidig. Vielleicht könntest du anders versuchen deutlich zu machen, dass es der Alkohol ist, der diese Gefühle intensiviert/hervorruft. Eine kurze Randbemerkung ähnlich dem "vielleicht sollte ich heute Abend mal nichts trinken"-Satz, die eine Verbindung zwischen Angst und Kater herstellt würde völlig ausreichen.

Genau das selbe mit dem schlechten Gewissen. Es wird hier einfach behauptet, ein schlechtes Gewissen tauche auf. Aber es wird nicht beschrieben, wie sich das für den Protagonist bemerkbar macht.. Vielleicht eher etwas schreiben wie "plötzlich spürte ich eine schwere Last auf meinen Schultern" (okaaay, das ist jetzt auch nicht der Wahnsinn ;) oder irgendwelche Erinnerungen hervorkommen lassen, die ein schlechtes Gewissen vermuten lassen...

Insgesamt denke ich schon, dass man sehr viel aus deiner Geschichte machen könnte, wenn man eben die leeren Behauptungen durch Beschreibungen und kleine Hinweise ersetzen würde. Viel Spaß weiterhin :)

Gruß,

eine wie Alaska

 

ähm... was?

Das sagt meiner Meinung schon aus, dass du deine Geschichte sehr spontan geschrieben hast, ohne auch auf das Umfeld der Geschichte geachtet zu haben und auch nicht ausgearbeitet hast. Auch wenn ich ehrlich sagen muss, dass in deiner Geschichte die Story fehlt.

MfG

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom