Die gleichen Menschen
Anm. des Autors: Die überarbeitete Version findet ihr auf Seite zwei, oben
Es war einmal eine Mauer, die trennte die schwarzen Menschen von den weißen. Es war eine sehr lange Mauer, sie umzog das gesamte Grenzgebiet zwischen den beiden Staaten und stammte aus der Zeit, in der die schwarzen Mensch schwarz und die weißen Menschen weiß geworden waren. Zu dieser Zeit waren beide Staaten so verschieden, dass es gar keiner Grenze bedurft hätte, denn die Unterschiedlichkeit ihres Denkens hinterlegte die Mauer wie ein unsichtbarer Schutzwall. So kam es, dass nur sehr wenige in das jeweils andere Land kamen.
Und obwohl man immer wieder sagte, dass einen die von da drüben nicht interessierten, wurde erstaunlich viel über sie geredet.
Die Weißen sagten, die Schwarzen würden auf dem Boden essen und ihren Reis mit Staub mischen.
Die Schwarzen erzählten, die Frauen der Weißen wären über den ganzen Körper behaart, so dass ihnen sogar zwischen den Zähnen Haare wüchsen.
Die Weißen glaubten, die Schwarzen würden nicht arbeiten und den ganzen lieben langen Tag herumsitzen und faulenzen.
Die Schwarzen wiederum wussten, dass alle Weißen geizig waren, Geld in ihren Gärten vergruben, damit es niemand stahl und dabei ihre eigenen Eltern beraubten.
So ging das Ganze hin und her und schon längst war das Bild der Schwarzen und Weißen in den Augen der jeweils Anderen ein ganz anderes, als man es auf der anderen Seite der Mauer hätte betrachten können. Über Generationen und Generationen.
Irgendwann beschlossen zwei Staatsmänner beider Länder, dass es vernünftig wäre, die Mauer abzuschaffen und fortan miteinander statt voneinander abgegrenzt zu arbeiten. Sie unterschrieben einen Vertrag und veranlassten den Abriss der Mauer.
Es vergingen Jahre und Jahrzehnte. Der Handel blühte auf. Der eine profitierte mehr davon, der andere weniger, doch das störte niemanden. Die Politiker trafen sich nun zum Diner mit Frau und Kind und schwätzten über die künftige Infrastruktur und Probleme bei der Bewässerung ihrer Gärten. Es war erfreulich, zu sehen, wie gut man miteinander arbeitete. Sogar die Uhren tickten im gleichen Rhythmus.
Doch wenn die Menschen unter sich waren, erzählte man die gleichen alten Geschichten, obgleich man wusste, dass keine von ihnen stimmte. Und manchmal in den späten Abendstunden wehte ein kalter Wind, der den Duft der unsichtbaren Mauer mit sich trug, durch die dunklen Straßen der Städte.