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"Die Gipsfigur", basierend auf "Der Gom" von relysium

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"Die Gipsfigur", basierend auf "Der Gom" von relysium

Gelangweilt lehnte Riccardo an der Mauer neben dem Eingang der ‚Starlight-Disco’. Innen war nichts los, aber hier draußen auch nicht. Die Saison war vorbei, nur selten kam noch ein Tourist, den er um sein Geld hätte erleichtern können.

Er ließ seinen Blick die Straße entlang schweifen, um an der Kathedrale hängen zu bleiben. Er konnte sich nicht erinnern, dass zu seinen Lebzeiten dort je eine Messe gelesen worden wäre. Statt dessen gab es schaurige Geschichten um das alte Gemäuer, die ihm als Kind erzählt worden waren, um ihn dazu zu bringen, vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Inzwischen lachte er darüber, aber es zog ihn auch nicht dorthin. Einst war dies der Bischofssitz gewesen, aber schon lang vor seiner Geburt war dieser verlegt worden, und die Kathedrale geriet außerhalb der Stadt in Vergessenheit. Eine kleinere Kirche bot wenige Straßen entfernt Ersatz, und schon lange waren die Portale mit Brettern vernagelt. Nicht einmal Riccardo war daran interessiert, sie abzureißen – was hätte er im Inneren schon finden sollen, außer mottenzerfressenen Altartüchern? Und wahrscheinlich gab es nicht einmal mehr die.

Sein Interesse wurde geweckt, als ein Taxi mit hohem Tempo die Straße hinunterfuhr, um mit quietschenden Reifen vor dem Seitenportal zu halten. Riccardo sah einen Mann im Regenmantel aussteigen, der abwartend stehen blieb und sich erst, nachdem das Taxi verschwunden war, sichernd umsah, um sich dann zu dem verschlossenen Eingang zu begeben.

Jeremiah Berger sah auf seine Uhr. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, er konnte nur hoffen, dass die Bretter leicht zu entfernen wären. Ohne sie abzusetzen wühlte er in seiner Reisetasche und holte einen Zimmermannshammer heraus, den er sofort ansetzte. Leichter, als er erwartet hatte, ließen die rostigen und verbogenen Nägel sich herausziehen, aber er erschrak, als das erste Brett mit hohlem Poltern auf die Pflastersteine fiel. Nur flüchtig sah er sich um, aber er konnte keine Menschenseele entdecken.
Nur ein weiteres Brett, dann wäre die Lücke groß genug, um hindurchzuschlüpfen – wenn die schwere hölzerne Tür nicht verschlossen war. Gewissenhaft achtete er darauf, das zweite Brett nicht ebenfalls fallen zu lassen, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Versuchsweise drückte er die kunstvoll geschmiedete Klinke herunter und setzte sein Gewicht ein, und zu seiner Erleichterung gab das Tor nach. Mit einem grässlichen Quietschen und Knarren schwang der Türflügel nach innen auf.
Berger verzichtete darauf, sie zu schließen, er würde nicht lange bleiben – wenn alles gut ging. Und wenn nicht ... Nun, darüber würde er sich wahrscheinlich keine Gedanken mehr zu machen brauchen.
Aus seiner Manteltasche holte er eine kleine Taschenlampe, um vor sich auf den Boden zu leuchten, da er mit abgesenkten Steinplatten rechnete. Die ganze großartige Dunkelheit dieser verlassenen Kirche hätte er ohnehin nicht erhellen können, aber ihre Ausstattung interessierte ihn jetzt auch nicht. Weder die abblätternden Fresken an den Wänden, noch das spitz zulaufende Kreuzrippengewölbe – wenn er Erfolg hatte, konnte er sie sich am nächsten Morgen ansehen.
Wenn.

Halb laufend näherte er sich dem Altar, stellte die Tasche ab und zog ein mit einem goldenen Kreuz besticktes Bündel aus dunkelrotem Samt heraus. Es fiel ihm schwer, die kleine Gipsfigur auszuwickeln, das schützende Tuch zu entfernen und in diese riesigen, hervorquellenden Froschaugen aus Glas zu blicken, die ihn anzusehen schienen, ihn mit ihren Blicken verfolgten, als ahnten sie seinen Plan. Erleichtert, den direkten Kontakt wieder lösen zu können, stellte er die Figur auf die Marmorplatte des Altars. Für einen Moment horchte er. War da nicht ein scharrendes Geräusch? Aber es wiederholte sich nicht, vielleicht hatte er sich getäuscht.
Nur fünf Minuten blieben ihm noch, um dieses Machwerk des Teufels – oder einer noch viel böseren, namenlosen Macht – zu vernichten. Entsetzen erfasste ihn beim bloßen Gedanken, was geschehen würde, falls er versagte ... So ungeheuer war sein Grauen, dass er nicht einmal in Gedanken den Namen dieser Gestalt zu formulieren wagte, aus Angst vor dem, was er auslösen könnte.

Viele Jahre der Suche, wochenlanges Wälzen staubiger Folianten hatte er benötigt, um den Ursprung und Daseinszweck dieser Gipsplastik zu entschlüsseln. Und als er das Geheimnis endlich aufgedeckt hatte, war es schon beinahe zu spät gewesen.
Aber jetzt war er kurz vor dem Ziel.
Jeremiah bückte sich erneut, um einen schweren goldenen, mit geschliffenen Edelsteinen besetzten Kelch aus seiner Tasche zu nehmen. Vorsichtig platzierte er ihn neben der Figur. Es war nicht der Originalkelch – dieser wäre die bessere Lösung gewesen -, aber er würde seinen Zweck erfüllen. Jetzt noch die Wasserflasche, die kein gewöhnliches Wasser enthielt.
In diesem Wasser, in diesem Kelch musste er den ... Nein, er würde ihn nicht nennen! ... auflösen, um das Unheil abzuwenden.
Er atmete tief durch, einmal, zweimal, bevor er begann, die Flasche aufzuschrauben, und erstarrte in der Bewegung, als er etwas hörte: Er war nicht allein!

Was wollte der Alte in der Kirche?, fragte Riccardo sich, wobei ‚Alter’ für jeden Mann stand, der die Zwanzig hinter sich hatte. Getrieben von Langeweile und Neugier wollte er doch sehen, was in dem Gemäuer vor sich ging. Auch er fuhr erschrocken zusammen, als das Brett zu Boden fiel, aber er verbarg sich schnell genug im Schatten eines Hauseingangs, um von dem Fremden nicht gesehen zu werden.
Geschickt und lautlos folgte er Bergers Weg in den Innenraum. Im ersten Moment konnte er nichts sehen, fühlte sich erdrückt von der lastenden Dunkelheit, aber dann erkannte er das Lichtschwert der Taschenlampe vor dem Altar und schlich näher.

„Na, das ist ja was Schönes!“, sagte er halblaut, den Blick auf den kostbaren Kelch geheftet.
Jeremiah fuhr herum, ließ den Flaschendeckel fallen und stellte sich schützend mit ausgebreiteten Armen vor den Altar, vor die Opferstätte, denn das sollte sie jetzt in des Wortes ursprünglichster Bedeutung werden, wenn auch nicht für den christlichen Gott.
„Du wirst nichts dagegen haben, wenn ich das mitnehme?“, fügte Riccardo hinzu und griff nach dem Pokal.
„Nein!“, schrie Berger und fiel dem jungen Mann in den Arm. „Das dürfen Sie nicht!“
Unwillig und kräftemäßig weit überlegen schüttelte Riccardo ihn ab. „Und warum nicht?“, fragte er und griff nach der Gipsfigur. „Das bringt sicher auch noch was!“
Verzweifelt stürzte Jeremiah sich auf ihn in dem aussichtslosen Versuch, ihm die beiden Gegenstände zu entwinden. „Wir werden sterben, alle werden ster...“ Schlagartig brach er ab, als Riccardos Messer sich zwischen seine Rippen bohrte, sank langsam, wie in Zeitlupe, in die Knie. Nur ganz leise vernahm er die Glocke der neuen Kirche, als sie begann, für Mitternacht zu schlagen. Und er vernahm noch etwas anderes.

Riccardo hörte es nicht sofort, und als er es hörte, verwuchsen seine Füße mit den Granitplatten des Bodens, er fühlte sich nicht mehr imstande, auch nur einen Schritt zu tun.
Es war ein nasses, schweres Schmatzen, als ob etwas sehr Großes, sehr Schweres sich langsam schleifend auf ihn zu bewegen würde. Für einen Sekundenbruchteil hatte Riccardo das Bild eines Walrosses vor Augen, das gerade aus dem Wasser gekommen war, aber das, was sich ihm jetzt näherte, musste viel größer sein.
Hektisch ergriff er die Taschenlampe, welche Berger fallen gelassen hatte, und versuchte, die Schwärze des Kirchenschiffes zu durchdringen, ließ ihren Strahl von rechts nach links schwingen.
Und dann sah er ... Im ersten Moment rang er nach Atem, konnte keinen Laut hervorbringen, aber dann zerriss ein abgrundtiefer Schrei der Todesangst die Stille, schraubte sich immer höher, hin zu hysterischem Kreischen, um abrupt zu enden.


Die Zeitungen berichteten, dass Apsis und Chor der Kathedrale von St. Milo eingestürzt wären. Verwunderlich wäre dabei, dass keiner der Bewohner der umliegenden Häuser etwas gehört hätte. Nur an einen einzelnen Schrei meinten einige sich nach genauerem Nachfragen zu erinnern. Damit blieb nur der Abriss.

Wochen später, nachdem der Schutt abgetragen und die verbliebenen Mauern geschleift waren, entdeckte man zwei blanke menschliche Skelette. Dass die meisten Knochen gebrochen waren, war nicht weiter erstaunlich, angesichts der Tonnenlast, die auf ihnen geruht hatte. Aber für die tiefen Furchen, die auf jedem einzelnen zu sehen waren, fand sich keine Erklärung.

Gepostet mit Einverständnis von relysium

 

Interessante Variante.

Mir gefällt besonders der Anfang aus Ricardos Perspektive.

Weniger gefällt mir der Gebrauch von Klischees:

>Statt dessen gab es schaurige Geschichten um das
>alte Gemäuer, die ihm als Kind erzählt worden waren

>als ein Taxi mit hohem Tempo die Straße hinunterfuhr,
>um mit quietschenden Reifen vor dem Seitenportal zu
>halten

>Mit einem grässlichen Quietschen und Knarren schwang
>der Türflügel

Na gut, drei Stück davon kann man noch ertragen... ;)

Das Walroß fand ich gut!

r

 

Danke für die Anerkennung, relysium!

Die "schaurigen Geschichten" sind genau so gemeint, denn aus heutiger Sicht empfindet Riccardo sie als "Schauergeschichten" seiner Kindheit.

Der Türflügel ... Naja, da ist mir auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen, um klarzumachen, wie sich diese Tür anhört, und dass sie ziemlich laut ist beim Öffnen.

Das Taxi könnte ich ändern, stimmt.

LG
Aragorn

 

Hi Aragorn,

nun, wesentliche Unterschiede bzw Verbesserungen habe ich bei deiner Geschichte hier nicht feststellen können. Das du das Geschehen nun vornehmlich aus der Sicht des "Gangsters" schilderst ist zwar an sich eine nette Idee, nur leider nimmt die Geschichte nach dem ersten Absatz quasi die gleiche Handlung an wie das Original von Relysium...

Die Herkunft des Monsters ungeklärt, das Ende bleibt das gleiche...mhhhh bleibt noch zu erwähnen das ich das Walross auch ganz gut fand *gg*

Der Stil war soweit ok...einige künstlerische Freiheiten haste dir auch genommen was (auf einmal doch kein Mineralwasser? Fand das cooler!)

Ich würd sagen, wer Relysiums Geschichte gelesen hat muss diese nicht unbedingt lesen. Anders herum ist es aber das gleiche...

schönen gruß
Christian

 

Hi Anima,

vermutlich trifft Dein Schlusssatz genau zu ... Ich sollte besser dabei bleiben, meine eigenen Geschichten zu schreiben!

LG
Aragorn

 

Hey.. Gefällt mir. Nicht sooo schrecklich furchteinflössend, aber spannend und interessant.

Einige stilistische Schnitzer; das 'Lichtschwert' zum Beispiel finde ich- 'netter Versuch. leider daneben...'
"Innen war nichts los, aber hier draußen auch nicht." ist ein hässlicher Satz.

Auch relysiums Klischeevorwurf möchte ich mich anschließen... Lovecraft, sag ich da nur ganz leise. Furchtbar grausigst.

Auch schade, dass die Plastikflasche nicht mehr drin war. Das Walross gleicht das dann natürlich immerhin bedingt wieder aus...

Alles in allem gefällt mir 'Der Gom '03' ob der angenehmen Struktur und der neuen, interessanten Perspektive gut.
Nabend, All-Apologies

 

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