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Die Gier
Es war die reine Gier, die den Zwerg Rado tief in den alten Stollen getrieben hatte. Gier, ein Gefühl, ein Verlangen der einfachsten Sorte. Eigentlich bestimmte die Gier nach Gold und Reichtum so gut wie immer Rados Handeln. Umso mehr ärgerte Rado sich in diesem Moment, dass ihn genau diese Gier wieder einmal in solche Schwierigkeiten gebracht hatte. Immer tiefer und tiefer hatte sie ihn in das Erdreich getrieben. Immer schmaler und niedriger wurde der Stollen. Sogar für einen Zwerg war hier unten wenig Platz. Hinzu kam Rados stattliche Figur. Kräftig, aber auch ein wenig dick. In der Linken hielt er eine rußende Fackel, in der Rechten seine wuchtige Axt. Sie diente mehr der Beruhigung als der Verteidigung. In dieser Enge war sie unbrauchbar. Draußen war sie ihr Gewicht in Gold wert, doch für hier unten waren es genau dieses Gewicht und ihre Größe, die sie nutzlos machten.
„Warum nur?“ brummte Rado immer wieder, während er sich dennoch unaufhaltsam weiter durch diesen schmalen Tunnel schob. Der Schweiß quoll unter seinem Helm hervor und suchte sich seinen Weg über das vernarbte Zwergengesicht um dann wieder in dem dunkelroten, am Ende zum Zopf geflochtenen, Vollbart zu verschwinden.
Plötzlich stolperte Rado. Er konnte in dem engen Stollen zwar nicht stürzen, rammte jedoch die Schneide seiner Axt in die grobe und steinige Wand des Stollens. Fluchend inspizierte er im Schein der Fackel die Kratzer in der Schneide.
„Gestern erst geschliffen!“ Rados Wut und Unwohlsein stieg fast bis ins unerträgliche an. An seiner Hose reinigte er die Klinge und zündete dabei versehentlich seinen Bart an.
„Jetzt reicht es mir gleich.“ schnaubte es durch den Stollen. Rado setzte sich wieder in Bewegung. Weiter nach unten. Plötzlich traf ihn etwas hart an der linken Schulter. Die Wucht ließ ihn die Fackel verlieren, die nun vor ihm auf dem Boden lag und nur noch wenig Licht spendete. Rado blickte zu seiner Schulter und sah voller Überraschung einen Pfeil in seinem Körper stecken. Der unbekannte Schütze hatte ihn zielsicher zwischen Brust- und Schulterplatte seiner Rüstung platziert.
„Ein Pfeil? Hier unten?“
In diesem engen Schacht gab es nichts wohinter er sich verstecken konnte. Rado konnte sich nicht einmal an die Wand drücken, denn eigentlich drückte er sich bereits an beide Wände und auch an die Decke. Schützend hob Rado das Blatt seiner Axt vor sein Gesicht. Angespannt wartete er auf den zweiten Pfeil, oder vielleicht sogar einen Dritten oder Vierten. Langsam wurde es feucht und warm in seiner Achsel. Sein Körper hatte den ersten Schock überwunden und sich zum bluten entschlossen. Rado beachtete das Brennen in seiner Schulter nicht und wartete angespannt. Die Flamme der Fackel vor seinen Füßen wurde langsam immer kleiner. Doch ein zweiter Pfeil kam nicht.
Langsam nahm Rado die Axt herunter und versuchte angestrengt etwas in dem dunklen Stollen zu erkennen. Kurz bevor die Fackel gänzlich erlosch, hob er sie auf und hielt sie in die Dunkelheit vor ihm. Zögerlich flammte die Fackel wieder zur gewohnten Stärke auf und erleuchtete ein paar Meter des Stollens.
„Du feiges Schwein. Zeig dich!“ brüllte Rado wütend in die Dunkelheit. Unter großen Schmerzen brach er den hölzernen Schaft des Pfeils kurz über der Wunde ab. Tränen schossen ihm in die Augen und erschwerten das Sehen in der Dunkelheit enorm. Gerade als er aufgrund der Tränen am wenigsten sah, hörte er ein schnelles Schnaufen in der Dunkelheit. Es war schnell und hektisch. Rado spürte die Panik in ihm hochsteigen, was er in diesem Moment nun wirklich nicht brauchen konnte. Er riss sich zusammen und unterdrückte seine Gefühle. Sein Körper funktionierte wieder wie der eines Kriegers. Seine Atmung beruhigte sich und die Tränen versiegten.
Rado konnte zwei rote Augen im Schein der Fackel ausmachen. Langsam kamen sie aus der Dunkelheit und näherten sich ihm.
„Ein Zwerg!“ schnatterte es aus der Dunkelheit. Die roten Augen blinzelten hektisch. Endlich konnte Rado den Goblin in der Dunkelheit ausmachen. Er war einen Kopf kleiner als Rado und wahrscheinlich nur ein Drittel der Masse des wuchtigen Zwergenkriegers. Was hier unten eindeutig von Vorteil sein könnte. Rado reagierte und warf die Fackel nach seinem Gegner. Die Fackel traf dem Goblin an der Brust bevor sie funkensprühend zu Boden fiel. Hektisch schlug der Goblin auf den alten Lumpen an seinem Körper ein.
Rado und der Goblin standen sich gegenüber. Zwischen ihnen lag Rados Fackel auf dem Boden und spendete flackerndes Licht.
„Hattest wohl nur einen Pfeil.“ stellte Rado fest und nickte mit dem Kopf in Richtung des Bogens, den der Goblin in seiner Rechten hielt.
„Und du nur eine Fackel.“ zischte der Goblin zurück. In Rado regten sich wieder die Gefühle, die wenige Augenblicke zuvor unterdrückt hatte.
„Wir wissen beide warum du hier bist. Aber daraus wird nichts. Geh wieder in die Taverne und schütte Bier in deinen Wanst.“ Der Tonfall des Goblins war arrogant. Er fühlte sich Rado überlegen. Schließlich hatte er ihn auch schon verwundet, während Rado im lediglich die Kleidung angesengt hatte.
„Gehen? Du hast mir einen Pfeil in die Schulter geschossen.“ Rados Stimme war deutlich aggressiver.
„Und du wolltest mich anzünden.“ stellte der Goblin nun etwas energischer fest. „Ich denke wir sind quitt.“
Rado musste über die Unverschämtheit des Goblins lächeln. Dieser erwiderte sogar sein lächeln und deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der Rado gekommen war. Mit einem Grinsen im Gesicht stieß Rado mit Akt gerade nach vorne. Auch wenn die Schneide den Goblin nicht berührte, so zerschmetterte das runenverzierte Axtblatt aus schwerem Metall das Gesicht des Goblins.
„Jetzt sind wir quitt.“ Rados Stimme war ruhig und gelassen, während der Goblin nach hinten fiel. Es war nicht die Gier, die Rado getrieben hatte. Es war ein noch viel einfaches Gefühl. Ein Verlangen. Rado hatte dem Goblin aus Rache den hässlichen Schädel zertrümmert.