Die Geschichte von Koko
Koko war nicht so wie die anderen Elefanten. Das fing schon bei seinen Namen an. Koko! So konnte man einen Affen nennen, keinen Elefanten!
Koko war ein Tollpatsch. Ein Elefantenkind das irgendwie nicht so richtig auf den Beinen stehen wollte. Und wenn es mal auf den Beinen stand, nahm es jede Möglichkeit wahr um zu über irgendetwas zu stolpern. Die anderen Kinder lachten über ihn. Er sprach nicht viel. Manchmal hörte man tagelang nichts von ihm und wenn er dann sprach, dann benutze er meistens nicht mehr Worte als nötig. Er hatte nur noch seine Mutter. Vater war schon lange nicht mehr da. Koko hatte ihn nie kennen gelernt. Kurz nach seiner Geburt war er spurlos verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Das machte ihn traurig und manchmal schaute er in die Sterne und fragte sich wer Vater war und was er jetzt wohl gerade machte. Doch Koko weinte nie, denn große Jungs hatten nicht zu weinen. Die anderen Kinder in der Herde waren nicht sehr nett zu Koko. Sie hänselten ihn weil er so anders war und Koko wusste, dass er nie so sein würde wie die anderen Elefanten. Aber das machte Koko nichts. Er war sowieso viel lieber alleine.
Der Tag hatte wie jeder andere begonnen. Als Koko aufstehen wollte um unten am Fluss etwas trinken zu gehen, war er erstmal auf seinen Po geklatscht. Als er beim zweiten Anlauf dann auf allen Vieren stand und das Gelächter der anderen in seinen Ohren schallte, ging er langsam und schweigsam zum Fluss runter, so wie er es jeden Morgen tat.
Die Gegend in der die Herde diesen Sommer hauste, mochte Koko besonders gerne. Überall grün, die schönsten Pflanzen die er sich vorstellen konnte und mitten drin ein Fluss, der mehr als genug Wasser für alle bot. Als kleine Zugabe gab es noch einen kleinen Wasserfall, der in der Sonne einfach nur magisch aussah. Eigentlich gab es hier alles was er sich wünschen konnte und doch fehlte ihn irgendetwas.
Koko suchte sich seine Lieblingsstelle. Er genoss die morgendliche Ruhe. Niemand da um ihm zu urteilen, niemand da ums sich über ihn lustig zu machen. Er tauchte seinen Rüssel ins kalte Wasser und wühlte ein wenig herum. Dann saugte er mit ihm etwas Wasser auf und blies es in seinen Mund. „Hallo“, sagte eine Stimme hinter ihn. Er drehte sich um. Koko hatte noch nie eine Giraffe gesehen. Seine Mutter hatte ihm einmal eine beschrieben, aber seine Vorstellungskraft war anscheinend nicht in der Lage gewesen sich ein passendes Bild zu machen.
„Du hast aber einen langen Hals“, sagte Koko verblüfft. Die Giraffe gab ein lautes Kichern von sich. Sie war etwa in Kokos Alter und noch lange nicht ausgewachsen.
„Ich bin Ivy“, sagte sie, „und wie heißt du?“
„Ich bin Koko“, antwortete er schüchtern
Wieder kicherte Ivy. „Du bist süß“, sagte sie.
Wenn Elefanten rot werden könnten, hätte Koko jetzt ausgesehen wie eine der roten Beeren, die die anderen Kinder immer aßen um sich aufzuheitern, stattdessen plumpste er nach hinten in den Fluss.
Ivy nutzte ihren langen Hals um Koko aufzuhelfen. „Danke“, sagte Koko verlegen.
„Keine Problem.“ Bei jedem Wort das aus ihren Mund kam schien sie zu lächeln. Koko gefiel das, denn es was kein boshaftes Lächeln. Es war ein Lächeln, das bei jeden Mal den langen Weg über ihren Hals hoch direkt aus ihren Herzen zu nehmen schien. Es hatte etwas Natürliches an sich und zum ersten mal fühlte sich Koko durch ein Lächeln nicht bedrängt.
„Lebst du mit deiner Herde schon länger hier?“, fragte Ivy.
„Ja“
„Möchtest du mich etwas herumführen? Wir sind neu hier“. Ivy lächelte ihn hoffnungsvoll an.
„Ehm… Ich weiß nicht“, sagte Koko, der sich am liebsten in den Boden gegraben hätte.
„Ach komm schon“.
„Aber…“
„Bitte!“
„Ok Ok“, gab Koko nach.
„Yay!“
„Yay?“, fragte Koko verdutzt.
„Juchu?“
„Huh?“.
„Ach vergiss es, lass uns losziehen.“
Koko hatte selten mit anderen Kindern gespielt, weil er einfach nicht dazugehörte. Er war überrascht das Ivy sich von ihm die Gegend zeigen wollte. Sie gingen den Fluss entlang.
„Gefällt es dir hier?“, fragte Ivy.
„Es ist ganz nett.“
„Ganz nett?“
„Ich mag es hier. Es ist grün, es gibt viel Wasser, einen Wasserfall und es ist sicher hier.“
„Es gibt einen Wasserfall“, fragte Ivy aufgeregt.
„Ja“.
„Cool! Bringst du mich dort hin?“
„Ok“. Koko verstand nicht, wie jemand so viel Reden konnte, aber irgendwie mochte er Ivy. Sie war nicht so wie die Elefantenkinder, sie war anders und das nicht nur weil sie eine Giraffe war. Außerdem brachte sie ihn zum reden. Es war nicht so als wenn Koko vorher keine Lust gehabt hätte zu reden. Er hätte nur nicht gewusst mit wem und über was.
Er führte sie vorbei an den wunderschönsten Bäumen. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er tatsächlich etwas zu tun und das genoss er.
„Das da drüben ist mein Lieblingsbaum“, sagte Koko und zeigte mit seinen Rüssel auf einen riesigen alten Baum.
„Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“, fragte Ivy neugierig.
„Ich weiß nicht… Er hat so was Mystisches. Ich finde ihn irgendwie inspirierend. Wenn ich alleine sein will, komme ich meistens hier hin“. Koko bemerkte gar nicht wie die Worte flossen.
„Warum willst du denn unbedingt alleine sein? Was ist denn mit deinen Freunden“.
„Ehm… eigentlich habe ich keine Freunde…“
„Oh“, sagte Ivy verlegen. „Ach, das macht nichts. Dann bin ich halt ab jetzt deine Freundin.“ Zum ersten Mal sah Ivy, Koko lächeln. Doch mit dem nächsten Schritt landete er wieder auf den Boden. Ivy lachte. „Du bist so knuffig. Warum bist du denn so nervös?“
„Na ja, ich bin es nicht gewohnt das andere Kinder nett zu mir sind. Ich glaube sie lachen über mich, weil ich mich ständig hinlege.“
„Dann sind die anderen Kinder blöd“, sagte Ivy und setze eine ernstere Miene auf.
„Hör zu, Koko. Versuch es mal so wie ich. Anstatt dauernd so ernst drein zu schauen, schenkst du der Welt einfach mehr von deinem Lächeln.“
„Aber die anderen Kinder mögen mich doch gar nicht.“
„Dann ist das deren Problem, Koko. Das Lächeln das du verschenkst ist deins. Sie können es dir gar nicht kaputt machen. Und wenn sie es nicht akzeptieren ist das ihr Fehler, weil sie etwas verpassen, nicht du.“
Koko schwieg.
„Komm schon, versuch es mit mir“, sagte Ivy, „immer schön lächeln.“
Sie grinste ihn freundlich an. Koko zwang sich zu einen Lächeln.
„Nicht so. Du siehst ja aus, als hättest du was Falsches gegessen“, sagte sie und zog eine Grimasse.
Er versuchte es noch einmal.
„Nein so auch nicht. Du siehst aus, als hättest du dir was eingeschmissen. Komm schon!“ Ivy stupste ihn an.
„Hör auf das kitzelt“, sagte Koko.
„Nicht so verkrampft“, erwiderte sie und stupste weiter.
Er versuchte sich zu wehren, doch Ivy ließ ihm keine Wahl. Erst fiel er auf seinen Po, dann verfiel er plötzlich in ein Gelächter, das ihm selbst am meistens überraschte.
Eigentlich war der Ort an den sie hausten nicht sehr groß, doch sie brauchten den halben Tag bis sie am Wasserfall angelangt waren. Dort plantschen einige Elefantenkinder im Wasser. Koko kannte sie und wäre am liebsten wieder gegangen. Doch Ivy hielt ihn zurück.
„Wenn sie etwas sagen, schenken wie ihnen einfach ein Lächeln. Egal was sie sagen, wir werden nicht drauf eingehen. Ok, Koko?“
Koko schwieg, „Das nehme ich als ein ja“, sagte Ivy.
Die beiden stellten sich unter den Wasserfall. Die Elefantenkinder schauten verdutzt drein. Damit hatten sie nicht gerechnet.
„Hey, seht mal“, sagte ihr Anführer. „Das ist ja unser Trottifant und er hat einen Langhals mitgebracht“.
Die anderen Elefanten lachten höhnisch. Koko stieg die Wut bis zum Hals, doch dann passierte etwas Magisches. Ivy drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an. Er wusste nicht wie ihm geschah. Es war fasst so, als hätte man ihn verzaubert. Er fing an zu lächeln und er musste sich nicht einmal dazu zwingen. Ivy stellte sich an seine Seite und drehte sich wieder um. Sie schauten den anderen Elefanten jetzt genau in die Augen und lächelten sie an.
„Hey, was grinst ihr denn so blöd?“
Keiner von den beiden gab ihnen eine Antwort.
„Ich habe eine Frage gestellt“, schrie er und stellte sich drohend vor sie.
Doch wieder, gab es keine Antwort. Stattdessen fingen Koko und Ivy plötzlich an wie wild zu lachen. Verwirrt schauten die Elefanten sie an.
„Lasst uns gehen“, sagte ihr Anführer, „die sind zu behämmert.“ Er lachte und verschwand mit seiner Bande.
Koko hatte noch nie einen solchen Spaß gehabt. „Das war toll, Ivy“.
„Siehst du. Sag ich doch. So macht das Leben viel mehr Spaß“.
Sie verbrachten den Nachmittag am Wasserfall. Sie sprachen eine Menge, lachten viel. Noch nie hatte Koko an einen einzigen Tag soviel geredet und es tat ihn wirklich gut. Der Tag neigte sich langsam gen Ende, als Ivy ihn fragte:
„Du, Koko. Warum bist du eigentlich so traurig? An was denkst du den ganzen Tag?“
Koko wusste, das es jetzt persönlich wurde.
„Weißt du, ich bin ohne Vater aufgewachsen. Er ist kurz nach meiner Geburt spurlos verschwunden.“
„Das tut mir wirklich Leid, Koko“.
„Ach was, du kannst ja nichts dafür. Ich würde so gerne wissen wo er jetzt ist, wie es ihn geht.“
„Weißt du, vor einen Jahr, ist mein großer Bruder losgezogen um in einer anderen Herde zu leben und zu seinen Abschied hat er mir etwas gelehrt.“
„Was denn“, fragte Koko neugierig.
„Jedes Lebewesen kehrt nach seinen Tod in den Himmel zurück und lebt dort als Stern weiter. Wenn wir wollen können wir so mit ihnen kommunizieren, wir müssen nur daran glauben. Egal wo du bist, egal was du tust, dein Vater wird immer bei dir sein. Niemand kann dir sagen, wo genau er jetzt ist. Wenn er hier noch lebt wird er dort oben jemanden beauftragt haben um nach dir zu schauen. Wenn er hier unten gestorben ist, wird er dort oben auf dich warten. Dort oben wird immer ein Stern für dich leuchten, ganz egal was passiert, Koko.“
Koko schwieg. Dann tat er das, dass er neben den fehlenden Lächeln und Reden in den letzten Jahren auch viel zu selten getan hatte, Koko weinte.
Sie setzten sich unter den Baum den Koko so sehr liebte. Zusammen schauten sie wie die Sonne langsam im Fluss unterging. Koko liebte es wenn sich der Himmel erst Rosa, dann Rot färbte. Die Welt legte sich schlafen. Alles war friedlich. Feurig, rot-orange entfachte der Himmel wie eine Flamme. Wie ein letztes Feuer das sie nach Hause leitete bis es die Welt schließlich mit Mond und Sternen alleine lies. Und heute Abend hatte Koko die Stille besonders gern. Denn heute Abend wusste Koko, er war nicht alleine. Und mit einen letzten Blick in die Sterne, legten sie sich schlafen.