Die Geschichte vom Wolf, dem Hasen und dem Jäger
Es war einmal
- und es kann sein, daß dem immer noch so ist, aber die meisten Geschichten fangen so an, also -
Es war einmal ein Wolf.
- nur zur Anmerkung: Es war ein sibirischer Wälderwolf, der einen langen Stammbaum hatte und in direkter Linie...
Ach so, die Geschichte -
Dieser Wolf lebte in einem großen Wald. Es war noch ein junger Wolf, also keiner mit verkrüppelter Pfote und lauter Narben, nein, er war jung und stark und hübsch. Er war tiefschwarz mit blauen Augen.
Unser Wolf war sehr knurrig und abweisend. Das hatte zwei einfache Gründe: Erstens hieß der Wolf Benjamin und haßte seinen Namen.
Zweitens war der Wolf unglaublich einsam.
Es war keineswegs so, daß es keine anderen Tiere im Wald gegeben hätte, oh nein, es gab mehr als genug, es gab Rehe und Wildschweine und Füchse und Eichhörnchen und Hirsche und Eichelhäher und Amseln und Spechte und Käfer und Igel und Mäuse und...
Okay, es gab viele Tiere, aber nur einen einzigen Wolf. Und das machte Benjamin unheimlich einsam.
In diesem Wald
- voller Rehe und Wildschweine und Füchse und Eichhörnchen und Hirsche und Eichelhäher und Amseln und Spechte und Käfer und Igel und Mäuse und... -
In diesem Wald gab es auch einen Hasen. Dieser Hase war klein, grau und knuffig, mit weichem Fell und großen dunklen Augen, wie die meisten Hasen.
Dieser hier jedoch unterschied sich in einem wichtigen Punkt von den anderen: Er hatte keine Angst.
Nein, er war sogar ein ausgesprochen mutiger Hase.
Außerdem war er ein leidenschaftlicher Maler, deshalb hieß er Cezanne, nach den großen Künstler.
- Hey! Halt! Hasen können nicht malen! Womit denn?! Die können ja noch nicht mal den Pinsel halten! Lüge! -
Dieser Hase war ein Maler! Er malte mit seinen Pfoten auf große Blätter wertvolle Kunstwerke.
Weil er aber so ein komischer Hase war, hatte er keine Freunde, denn alle hatten Angst vor einem mutigen Hasen und so war Cezanne auch sehr einsam.
Seinen Namen dagegen mochte er sehr gern.
Neben dem Wald
- wo der Hase und der Wolf und Rehe und Wildschweine und Füchse und Eichhörnchen und Hirsche und Eichelhäher und Amseln und Spechte und Käfer und Igel und Mäuse und... äh... lebten -
Neben dem Wald wohnte ein Jäger. Er war einnettter Jäger, der die Tiere fütterte, sie verarztete und Wilddiebe fern hielt. Er mochte sowohl die Tiere wie seinen Beruf sehr gern, er mochte es nur nicht, so fern ab von anderen Menschen zu leben.
Deshalb fühlte er sich auch manchmal etwas allein. Die Tiere wußten nichts sonst über den Jäger, auch seinen Namen kannten sie nicht, sie nannten ihn nur den Jäger. Der Jäger wußte genau, daß es einen Wolf im Wald gab und beobachtete ihn immer von seinem Hochsitz aus. Er hoffte, daß der Wolf nicht irgendwann mal Blödsinn machte und zum Beispiel kleine Angsthasen jagte, denn wenn man allein ist, neigt man zu manch sonderbaren Gehabe.
Eines Tages
- es war ein sonniger Tag mit zwitschernden Lärchen und Amseln, die Blümlein steckten ihre Köpfchen zwischen den Zweiglein der Blätter hervor, die Häslein hüpften, die Wölfe... ach, es gibt ja nur einen. -
Eines Tages war Benjamin besonders schlecht gelaunt und mürrisch und streifte knurrend und hungrig durch den Wald.
Wie es der Zufall so wollte
- oder die Schriftstellerin, pah! -
Wie es der Zufall so wollte, traf er auf Cezanne, der auf einer Blümchenwiese saß uns sich inspirieren ließ. ‘“Woarrr!“ brüllte Benjamin und stürmte auf Cezanne zu, um ihn zu fressen.
Nun, Cezanne mag ein mutiger Hase sein, aber er war kein dummer Hase und jeder weiß, wenn ein schwarzer Wolf auf einem zu stürmt, mit der offensichtlichen Absicht, einem zu fressen, dann nimmt man besser die Hasenbeine in die Hand und flieht.
Und das tat auch Cezanne. Er sprang zwischen den Steinen und Wurzeln durch, über Äste und Pilze und wetzte über hübsche Wiesen, Benjamin direkt hinter ihm.
Plötzlich blieb der Hase stehen und der Wolf stolperte vor Schreck über seine eigenen Füße und schlug erschrockene Purzelbäume.
“Du mußt fliehen!“ beschwerte sich der Wolf.
“Muß ich nicht!“ triumphierte der Hase.
“Warum nicht?“ Vor Überraschung vergaß Benjamin ganz seinen Zorn und seinen Hunger.
“Weil du mich nicht fressen wirst!“
Verwirrt betrachtete Benjamin den flauschigen, lieben, kleinen Hasen, dem man unmöglich etwas antun konnte.
- Unsinn! Der Wolf frißt den Hasen nur deshalb nicht, weil dann die Geschichte schon zu Ende wäre! -
Wie auch immer.
Benjamin konnte Cezanne unmöglich fressen.
“Ich habe aber Hunger!“ beschwerte der Wolf sich.
“Na gut, komm mit!“ nickte Cezanne und führte den schwarzen Wolf bis zum Rand des Waldes, wo der Jäger wohnte. Dieser hatte, wie es der Zufall so wollte, immer einen Kasten Hundefutterdosen im Keller und so kam es, daß Cezanne, Benjamin und der Jäger sich kennenlernten.
Der Leser mag sich nun fragen, wie es dazu kam, daß die drei Freunde wurden, wo Tiere und Menschen nicht die gleiche Sprache sprechen?! Nun, das liegt ganz einfach an Cezanne, der statt zu sprechen Bilder malte, die den Jäger nicht nur gut gefielen, sondern ihm auch sagten, was der Hase und der Wolf wollten.
Die anderen Tiere wunderten sich natürlich darüber, daß der Jäger so zutraulich war, wo er sich doch sonst immer ganz scheu in seinem Hochsitz versteckte, aber sie näherten sich nicht den Haus. Sie wollten ihn ja nicht verschrecken.
Eines Tages
- es war ein sehr heißer Tag und die Sonne brannte unbarmherzig auf jeden, der sich bewegte -
Eines Tages lagen Cezanne und der Wolf im Garten des Jägers und dösten, als der Hase anfing zu kichern.
“Was lachst du?“ fragte Benjamin.
“Ich habe mir überlegt, daß wir im Weiher schwimmen gehen könnten.“
- Das ist ja völlig unmöglich! Hasen können nicht schwimmen! -
“Na, komm schon, Benjamin! Laß uns schwimmen gehen!“ Und Cezanne sprang davon.
Nun wird es Zeit, den vierten Hauptdarsteller in dieser Geschichte vorzustellen und das ist Clautilde, die lila Gans.
Clautilde war als kleines graues Gänslein auf die Welt gekommen und hatte sich eigentlich ganz normal entwickelt, bis zu dem Tag, an dem Gänsen normaler Weise ihr flauschig weißes Federkleid wächst.
Dieses war bei Clautilde lila. Clautilde war aber auch ansonsten keine stink normale Gans. Bevor sie in den Wald am Weiher gezogen war, hatte sie als Kampffliegerente für die Befreiung der gemeinen See- uns Hausgans gekämpft und zwar indem sie im Tiefflug über die Häuser der Menschen geflogen war und dort Stinkbomben in Form von Gänsekot abgeworfen hatte.
Nach dem Untergang des Bundes zur Befreiung der gemeinen See- und Hausgans hatte sie eine Weile im Lager der Graugänse spioniert, war aber auf Grund ihres auffälligen Federkleides enttarnt worden.
Danach zog Clautilde sich aus den aktiven Spionagedienst zurück und langweilte sich ganz furchtbar. Und wo? Natürlich auf dem kleinen Weiher am Rande des Waldes.
Als an diesem Nachmittag
- diesem sehr heißen Tag, an dem die Sonne unbarmherzig brannte und zwar auf jeden, der sich bewegte -
Als an diesem Nachmittag Benjamin und Cezanne fröhlich springend den Berg runter kamen, über die Planken des Bootsanlegestegs hüpften und direkt ins Wasser sprangen, traute Clautilde ihren Augen kaum. Sie hatte noch nie einen Wolf und einen Hasen in friedlicher Eintracht im See schwimmen sehen!
“Hey ihr!“ quakte sie den spritzenden, prustenden und schwimmenden Gestalten zu: “Was treibt ihr da?“
“Wir schwimmen.“ Schrie Cezanne vergnügt.
“Das seh ich!“ schnaubte Clautilde:“Wer um alles in der Welt seid ihr?“
- Es versteht sich von selbst, daß normale Gänse nichts mit Wölfen und Hasen zu tun haben wollen, vor allem nicht, wenn diese wie die Blöden im See rumplanschen, aber Clautilde war ja nicht normal -
Cezanne und Benjamin stellten sich höflich vor und kletterten zu Clautilde auf ihr schwimmendes Entenhaus. Es quietschte, knarrte und gluckerte, ging aber nicht unter. Dann pokerten sie eine Runde, wobei Clautilde Geschichten aus ihrem Gänse-Agentenleben zum Besten gab.
Es versteht sich von selbst, daß Clautilde die Partie gewann, aber trotzdem kehrten Benjamin und Cezanne am nächsten Tag zurück zum Weiher, um ihre neue Freundin zu treffen.
- So ein Unsinn! Gänse können doch gar nicht pokern! Mit was wollen die denn die Karten halten? Mit den Flossen etwa?! -
Und dann, eines Tages,
- es war wieder einer dieser sonnigen, schönen Tage, wo man sich glatt in die Gänse auf dem Weiher verlieben könnte, wenn dort welche wären, aber da traut sich ja keiner hin, weil da immer ein Wolf, ein Hase und eine lila Gans sitzen -
Und dann, eines Tages, erzählte Clautilde ihren Freunden, wie es dazu gekommen war, daß sie lila Federn bekam. Das war nämlich kein Zufall.
“Also,“ begann sie und plusterte sich ein bißchen auf.
“In meiner Jugend lebte ich auf dem Ententeich westlich vom Wald, der der neben der großen Fabrikanlage liegt. Und eines Morgens, während die anderen Gänse im Formationsflug unterwegs waren, leitete diese Fabrik ganz furchtbar stinkendes Wasser in den Teich. Die anderen Gänse suchten sich einen neuen Teich, aber ich blieb und protestierte mit einem Sitzstreik auf dem Wasser.
Das hatte allerdings den einzigen Effekt, daß meine Federn lila wurden.“ Clautilde schnaubte:“Eine tragische Wendung des Schicksals.“
“Oh je, oh je!“ machte Cezanne und Clautilde, die glaubte, er bedauere sie, nickte zustimmend. Aber Cezanne meinte etwas anderes und Benjamin wußte auch was: “Der Jäger! Er wollte heute darin baden gehen!“
“Wir müssen schnell zu ihm!“ stimmte Cezanne zu.
Also warfen die beiden sich vom Entenhaus ins Wasser und graulten ans Ufer. Dort jagten sie quer über die Wiese, flankiert von Clautilde, die im Tiefflug über ihnen segelte.
“Jäger!“ schrie Cezanne.
“Nicht schwimmen!“ schrie Benjamin.
“Du kriegst lila Federn!“ schrie Clautilde.
Doch es war zu spät.
Der Jäger war schon im Wasser.
Und so geschah es denn,
- daß an diesem sonnigen, schönen Tage, wo man sich glatt in die Gänse auf dem Weiher verlieben könnte, wenn dort welche wären, aber da traut sich ja keiner hin, weil da immer ein Wolf, ein Hase und eine lila Gans sitzen -
Es geschah aber mitten in der Nacht.
- Ach so. Na dann. Es geschah also in der dunklen, nebelverhangenen Nacht, wo die Hexen sich aus ihren Lebkuchenhäusern wagten, die Eulen den Wald beherrschten und kleine Hasen besser zu Hause blieben -
Und so geschah es denn, daß sich der Jäger verwandelte.
- Er bekam nämlich lila Federn! -
Nein, der Jäger verwandelte sich in eine Gazelle.
In eine männliche wohlgemerkt.
Namens Gabriel.
Und was machte Gabriel als erstes, nachdem er nun zur Gazelle mutiert war? Richtig! Er ging zu Benjamin, Cezanne und Clautilde!
Es bleibt nicht aus, anzumerken, daß
- es keine männlichen Gazellen namens Gabriel gibt! -
Es bleibt nicht aus, anzumerken, daß eine Gazelle, selbst in einem dichten Wald ohne Jäger, ein wenig Aufmerksamkeit erregt.
Besonders wenn sie ständig mit einer lila Gans, einem malenden Hasen und dem einzigen Wolf zusammen ist.
Also übermalte Cezanne die auffälligen Gazellenmerkmale, so daß Gabriel bald eher wie ein Rehbock aussah.
- Oder eine Gazelle, bei der ein verrückter Hase das Fell übermalt hat -
“Ich bin so froh, daß ich endlich jemand habe, mit dem ich reden kann!“ freute Gabriel sich. Er war die netteste und freundlichste Gazelle, die die drei je getroffen hatten. Nicht, daß sie überhaupt jemals eine Gazelle getroffen hätten.
Allerdings hatte Gabriel auch ein Anliegen: “Ich finde, diese Fabrik muß weg!“
Und darin waren sich alle einig.
“Wir brauchen einen Plan!“ bemerkte Benjamin: “Einen guten Plan!“ “Wir könnten die Fabrik von oben bombardieren!“ schlug Clautilde vor.
“Entschuldige, wenn ich das so sage, aber Gänsekot ist nicht sehr gefährlich!“ warf Gabriel ein. “Wir müssen die ganze Bude abbrennen!“
“ABBRENNEN?!“ schrien die anderen drei entsetzt. Tiere haben nämlich Angst vor Feuer, es sei denn sie waren in ihrem früheren Leben Menschen.
“Vielleicht könnten wir doch etwas harmloseres machen!“ warf Cezanne ein. “Vielleicht alles unter Wasser setzen!“
“Nein, es muß schon etwas sein, das die Fabrik für immer unbrauchbar macht!“ erwiderte Gabriel. “Vielleicht können wir sie einstürzen lassen.“
“Wir sollten uns als erstes den Ort des Grauens ansehen!“ schlug Clautilde vor. Also zogen die vier los, quer durch den Wald, bis zum verseuchten Ententeich und der Fabrik. Die Fabrik war nicht sehr groß, einige Chemiebehälter standen neben dem roten Backsteinbau, dabei die Autos der Arbeiter, die gerade Pause hatten. “Ich habe einen Plan!“ strahlte Gabriel. “Also hört zu...“
Nur wenige Minuten später
- die Arbeiter saßen noch immer draußen auf dem Fabrikhof und aßen ihre Brötchen und tranken ihren Kaffee -
Nur wenige Minuten später bekamen die armen Arbeiter den Schreck ihres Lebens. Auf dem Hof tauchte nämlich ein bösartiger schwarzer Wolf auf, in Begleitung einer zischenden und fauchenden lila Gans, neben der stand ein grauer Hase mit roter Kriegsbemalung und außerdem war da noch eine Gazelle, die sich ganz offensichtlich Rehbock tarnte. Die Arbeiter taten das einzig vernünftige, das man in so einer Situation tun kann - se flohen ins Innere der Fabrik und verbarrikadierten die Tür.
“Sehr gut!“ schnaubte Clautilde. “Soweit hätten wir sie schon mal.“
“Okay!“ nahm Gabriel die Leitung in die Hand. “Clautilde und ich nehmen den linken Chemietank, ihr beide den rechten.“ Also liefen Cezanne und Benjamin zu dem rechten Chemietank und drehten die Öffnung ganz weit auf, damit alles ins Innere der Fabrik floß. Die Arbeiter schrien überrascht und auch der große Chef floh aus seinem Büro, aber es war bereits zu spät, alle waren naß geworden. Clautilde, Cezanne, Benjamin und Gabriel jubelten über ihren Sieg und bewachten den ganzen Nachmittag die Ausgänge der Fabrik, so daß niemand fliehen konnte.
“Sie werden alle mutieren!“ freute sich Gabriel, als sie sich gegen Abend zurückzogen und einen Beobachtungsposten auf einem Baum einnahmen.
Die Zeitung von Klein- Habichtsheim
- dem Ort, der neben der Chemiefabrik, dem großen Wald und den verseuchten Ententeich lag -
Die Zeitung von Klein- Habichtsheim
- die an diesem Morgen nur von vier alten Leuten gelesen wurde, weil alle anderen in der Fabrik arbeiteten -
Die Zeitung von Klein- Habichtsheim berichtete am nächsten Morgen ganz groß vom verschwinden aller Arbeiter in der Stinko Chemiefabrik
- wo praktisch das ganze Dorf arbeitete -
und dem Auftauchen von ziemlich komischen Tieren im Wald. Die Redakteure zählten
8 Rehe in den Farben ultraviolett, schwefelgelb, kariert, gepunktet, gestreift, dunkelrot, grün und schwarz
1 afrikanischen Elefant (der Chef der Firma Stinko)
2 Braunbären in marineblau und hellblau
1 Känguruh
10 südafrikanische Langschwanzäffchen
4 Krokodile im Ententeich
4 rot weiß gestreifte Polarfüchse
und eine als Rehbock getarnte Gazelle.
Die rund 20 verschiedenfarbigen Wühlmäuse, Packratten, Maulwürfe, Bisamratten und Biber entdeckten sie nicht.
Außerdem berichtete die Zeitung von Klein- Habichtsheim, daß die Kinder im Ententeich schwimmen waren und nun auch verschwunden seien. Also packten die vier alten Leute ihren Koffer, nahmen die Zeitung unter den Arm und verließen Klein- Habichtsheim auf schnellstem Wege.
So kam es denn, daß Klein- Habichtsheim
- ein beschauliches Dörfchen mit rund 60 Einwohnern -
So kam es denn, daß Klein- Habichtsheim ganz schnell zur Geisterstadt wurde und der Wald
- in dem - außer den normalen Tieren - nur ein seltsamer Wolf, ein malender Hase und eine lila Gans lebten -
mit seltsamen Tieren nur so bevölkert war.
Clautilde, Cezanne, Benjamin und Gabriel zogen durch das verlassene Dorf und befreiten sämtliche Haustiere, wobei Benjamin sich vorsorglich sämtliche Hundefutterdosen unter den Nagel riß.
- HA! Wölfe haben keine Nägel! -
Dann halt unter die Kralle.
Als nächstes erklärtes Ziel wählten die vier Freunde
- sie nannten sich selbst inzwischen “die vier Unschlagbaren“ -
Als nächstes erklärtes Ziel wählten die vier Freunde den Zoo von Groß- Habichtsheim. Groß- Habichtsheim war die nächste größere Kreisstadt
- dort wurde auch die Zeitung von Klein- Habichtsheim (- dem ehemaligen Klein- Habichtsheim -) gedruckt -
und Gabriel hatte seinen Freunden vom Zoo dort erzählt.
“Dort werden ganz viele Tiere gegen ihren Willen festgehalten!“ erklärte Gabriel.
“Dann müssen wir was dagegen tun!“ war Benjamins Meinung: “Am besten befreien wir sie.“
“Da gibt es nur ein Problem!“ warf Cezanne ein: “Der Zoo ist mitten in der Stadt!“
“Wir werden Auffallen!“ bemerkte auch Clautilde.
“Deshalb müssen wir nachts hin!“ entschied Benjamin.
Und so kam es denn,
- wie es nicht anders zu erwarten war -
Und so kam es denn, daß die vier Freunde in einer düsteren, nebelverhangenen Nacht aufbrachen und durch die Felder zur Stadt Groß- Habichtsheim eilten. Benjamin, mit der besten Nase, eilte voran, Clautilde sicherte von oben, Cezanne saß locker auf Gabriels Rücken und bildete die Nachhut.
Ein des Nachts umherstreifender Jäger sah das seltsame Trio: Eine fliegende Gans, ein komischer Rehbock mit einem Hasen auf dem Rücken; den Wolf entdeckte er in der Dunkelheit nicht. Der Jäger, statt zu schießen, trat den taktischen Rückzug an. Er floh.
Als die vier Groß- Habichtsheim erreichten, brannten nur noch die resistentesten Lampen, alle anderen Lichter waren aus. Benjamin hob die Nase in die Luft und roch außer Abgasen, Menschenausdünstungen und Autos auch noch fremde Tiere, denen er zum Teil noch nie begegnet war. “Hier lang!“ keuchte er und schlich sich an kleinen Vororthäuschen vorbei in die Seitenstraße. Zum Glück für die vier
- und zum Pech aller zukünftigen Zoobesucher -
Zum Glück für die vier war nur eine Meute betrunkener Jugendlicher unterwegs, die ihre Aufmerksamkeit eher den halbvollen Pushkin Red Flaschen schenkten, als den vier Eindringlingen.
Sie erreichten den Zoo also unbehelligt und fanden auch ein Loch in dem Zaun, der das Gelände umgab.
Gabriel, der gerade so durch die Öffnung paßte, kam das komisch vor.
“Das Loch ist nicht natürlichen Ursprungs!“ erklärte er. “Das hat irgendwer hier rein geschnitten!“
Nun wird es Zeit, die Bösen in dieser Geschichte vorzustellen. Sieht man mal von den Arbeitern in der Chemiefabrik ab, die ja auch nur Opfer der Umstände sind und die ja notgedrungen zu den Guten übergewechselt sind, haben unsere vier Freunde noch gar keine Feinde.
Natürlich sind da noch die Graugänse, gegen die Clautilde einst spionierte, aber Tatsache ist, daß die sich schon vor Jahren mit den Haus- und Seegänsen versöhnt haben, weil sich keiner mehr an den Grund des Streite erinnern konnte.
Nun, außer den erwähnten Feinden gab es da noch die “Liga zur Ausrottung aller Zoo und Vivariumstiere“, eine Splittergruppe der “Liga zur Erhaltung aller Zoo- und Vivariumstiere“, die irgendwas falsch verstanden hatten. Bei der Liga handelte es sich nur um zwei Menschen, die sich zusammen einen IQ von 90 teilten und zwar Tumb Müller und Lobert Remke.
Der geneigte Leser mag es erraten haben: Die Beiden befanden sich im Moment im Zoo und am Affenkäfig.
Tumb Müller fürchteten die Affen kaum
- er sah ihnen einfach zu ähnlich -
aber Lobert Remke war ein ganz gerissener Bursche, der kleine, mit Schlafmittel versetzte Apfelstücke in die Käfige streute.
“Das Fleisch auch?“ fragte Tumb.
“Unsinn, das ist für die Löwen!“
“Ich könnte es aber auch dem netten Hundchen hier geben!“
“Was für einen Hund?“
Erschrocken fuhr Lobert herum und sah direkt in die blauen Augen von Benjamin, der ihn böse anknurrte.
“Elender Mist!“ keuchte er und wandte sich zur Flucht.
Tumb folgte vorsichtshalber, während Benjamin locker hinterher trabte und die beiden vor sich her scheuchte.
Clautilde beobachtete sie von oben.
Inzwischen hatte Cezanne die Affenhäuser erreicht, warnte die Bewohner, also die Affen, vor den Apfelstücken und öffnete die Türen.
“Hey, wer bist du überhaupt?“ fragte der Oberaffe - er hieß Nathaniel Goldenblink - und gesellte sich zu dem Hasen. “Wir sind hier, um euch zu befreien!“ strahlte der Hase.
“Oh -! Na gut! Jungs - ihr lauft los und öffnet alle Türen - ich bleibe bei dem Hasen hier.“ befahl der Oberaffe rasch und wandte sich dann wieder Cezanne zu, den er vertrauensvoll fragte: “Was ist mit den Löwen und Tigern? Es sind zwar nur vier Stück, aber wenn wir die frei lassen, machen die Jagd auf uns.“
“Hmmm - das stimmt! Am besten lassen wir die Fleischfresser hier.“
“Kluger Hase!“ strahlte Nathaniel und begleitete Cezanne zum nächsten Gatter.
Gabriel hatte inzwischen etwas ganz anderes entdeckt - und das ließ sein Herz deutlich schneller schlagen. Genauer gesagt war es eine sie. Es war die einzige Gazelle im ganzen Zoo und ihr Name war Maggie. Behauptete sie zumindest.
“Wie kommst du hierher, du stattliche, als Rehbock verkleidete Gazelle?“ fragte Maggie und ihre Stimme klang himmlisch in Gabriels Ohren. Aufgeregt sprang er am Gitter entlang:“ Ich bin hier, um dich zu retten!“
“Mein Retter!“ flötete Maggie und diese himmlischen Worte betörten Gabriel so sehr, daß er erst in letzter Sekunde Lobert und Tumb bemerkte.
Diese hatten Benjamin und Clautilde im Unterwasserhaus abgehängt und hatten sich von hinten an die beiden betörten Gazellen herangeschlichen. Tumb nahm Maggie als Geisel, Lobert packte Gabriel und drückte ihm eine Waffe an den Kopf.
“Hey, ihr verrückten Tiere!“ schrie Lobert: “Macht euch weg von hier, oder ich töte den Rehbock!“
Die Tiere bildeten einen großen Kreis um Lobert, Tumb und ihre Geiseln und Cezanne bedauerte sehr, daß er nicht die Menschensprache konnte, um den beiden Dummbatzen mitzuteilen, daß sie genau das vorhatten.
“Laßt Maggie laufen!“ drängte Gabriel, doch leider beherrschte er auch nicht mehr die Menschensprache, obwohl er mal ein Mensch gewesen war. Benjamin behielt als einziger einen kühlen Kopf.
“Nathaniel!“ rief er dem Oberaffen zu: “Folgen sie Clautilde und führen sie alle befreiten Tiere hier weg. Clautilde - flieg’ voran und zeig ihnen den Weg!“
“Okay!“ schrie die Gans und flog auf das Loch im Zaun zu.
Die Affen, Zebras, Lamas, Kamele, Flamingos, Steinböcke, Gorillas, Vögel, Hasen, Schildkröten, Hirsche, Rehe, Wüstenfüchse, Enten, Schwäne und Koalabären folgten Nathaniel und Clautilde, so daß nur Benjamin, Cezanne und die Männer mit den Gazellen zurückblieben.
“Du lenkst sie ab!“ sagte der Wolf zu Cezanne, nachdem die Tierkolonne in einer Seitenstraße verschwunden war: “Ich hole die Löwen.“
“Die Löwen?!“ keuchte Cezanne. “Denen entkommen wir nie!“
“Doch!“ erwiderte Benjamin: “Ich mache das Loch im Zaun so weit zu, daß nur noch du durch paßt, Cezanne! Wir drei -“ Er sah zu Maggie und Gabriel: “müssen darüber springen.“
“Viel Glück!“ sagte Gabriel.
“Paß auf dich auf!“ fügte Cezanne leise an.
Der Wolf nickte, trollte sich und Cezanne packte seine Farben aus und begann zur großen Überraschung von Tumb und Lobert zu malen.
Benjamin hatte das Loch im Zaun erreicht und schloß es soweit, daß nur noch Cezanne durch paßte, dann schluckte er schwer und sah in Richtung Löwenkäfig. Vorsichtig trabte er den Weg runter und blieb davor stehen.
“Hey Jungs!“ grinste er schief.
“Oh, Abendessen!“ knurrte der Löwe.
“Ein kleiner Snack zwischendurch!“ fügte die Löwin an. Benjamin wurde immer mulmiger zumute.
“Ähm - ihr versteht da was falsch... Ich bin euer Retter.“
“Oh ja!“ keuchte die Löwin ironisch. “Ich wollte schon immer von einem Wolf gerettet werden.“
Benjamin wagte sich näher an die Gittertür heran und die Löwen hielten auch Abstand. Wahrscheinlich warteten sie darauf, ob er dumm genug war, die Tür zu öffnen. Benjamin sah abwechselnd zwischen den beiden scheinbar ruhigen Löwen, der Tür und seinem Fluchtweg, dann sprang er vor, öffnete die Tür und erstarrte, als die Löwen los jagten. Ein leises Keuchen entrang sich seiner Kehle, dann drehte Benjamin sich um und raste davon.
Er war noch nie gejagt worden und glaubte den Atem der Verfolger schon im Nacken zu haben. Als er sich umdrehte, sah er, daß dem auch so war.
Während dessen hatte Cezanne die Mona Lisa - mit Hasenzähnen - vor Lobert und Tumb gemalt und die waren so verblüfft, daß sie erst aufsahen, als ein schwarzer Wolf im Gefolge zweier Löwen auftauchte.
Cezanne ließ die Farben fallen und floh durch den Zaun. Gabriel nutzte die Ablenkung und trat Lobert gegen das Schienbein und Tumb in den Magen, so daß er und Maggie freikamen. Rasch wandten sich beide dem Zaun zu, galoppierten an und sprangen darüber.
Auf der anderen Seite blieben sie stehen und beobachteten mit Cezanne die weiteren Geschehnisse. Benjamin war zwischen Lobert und Tumb durch und gewann etwas Vorsprung, als die auf die Löwen feuerten.
Er nahm Anlauf, galoppierte auf den Zaun zu, sprang und prallte voll gegen den Maschendraht und fiel zurück. Cezanne, Gabriel und Maggie schrien entsetzt auf. Die Löwen hatten inzwischen die Männer entwaffnet, aber nun sah die Löwin zu dem Wolf, der benommen vor dem Zaun lag. “Benjamin!“ schrie Cezanne entsetzt. Der Wolf rappelte sich hoch und sah die Löwin anspringen. Rasch duckte er sich unter ihr weg und rannte wieder los. Er mußte irgendwie hier heraus kommen! Das Schreien von Lobert und Tumb verriet ihm, was mit ihm passieren würde, wenn er nicht entkam. Cezanne, Maggie und Gabriel warteten angespannt, konnten aber nichts hören oder sehen. Der Löwe ließ irgendwann von Lobert und Tumb ab und grinste die drei an: “Jetzt hole ich mir meinen Nachtisch!“
Damit trabte er in die Richtung davon, wo Benjamin und die Löwin verschwunden waren.
“Ich muß ihm helfen!“ keuchte Cezanne und wollte wieder durch das Loch in den Zoo.
“Nein!“ Gabriel stellte sich vor ihn: “Auf gar keinen Fall! Die Sonne geht gleich auf und außerdem kannst du sowieso nichts mehr für Benjamin tun.“
Cezanne sah hoch zu Gabriel: “Aber er ist mein Freund.“
“Ich weiß!“ seufzte die Gazelle und hob den Hasen auf ihren Rücken: “Es tut mir leid.“
Damit trabten die drei davon und ließen Groß- Habichtsheim hinter sich.
Wie das Leben so spielt
- und es nimmt tragische und komische Formen an -
Wie das Leben so spielt, war Benjamin der Löwin entkommen.
- Was auch sonst?! -
Er war den Weg runter gerannt, als er plötzlich einen großen Entenweiher vor sich sah. Mit einem Satz sprang der Wolf ins Wasser und kraulte bis zum Entenhaus. Löwen allerdings können nicht schwimmen und mögen auch kein Wasser, so daß die Löwin nur den See umkreiste und verärgert fauchte. Es dauerte zwei Stunden
- in denen Benjamin Todesängste ausstand und die Löwen sich heißer brüllten -
Es dauerte zwei Stunden dann tauchte plötzlich Clautilde in Begleitung von zwölf anderen Gänsen auf. Clautilde, als echte Agentengans, wußte natürlich immer, wann sie dringend gebraucht wurde und hatte den Wald gleich wieder verlassen, nachdem sie die Zootiere dort abgeliefert hatte.
Auf dem Rückweg nach Groß- Habichtsheim traf sie auf ein paar befreundete Agentengänse, die natürlich auch immer wußten, wann sie gebraucht wurden. Sie schnappten sich ein großes Netz, knoteten es an das Entenhaus, auf dem Benjamin saß, während dieser sie noch ganz begeistert begrüßte. Die Löwen brüllten verärgert, aber das half nichts, die Gänse schnappten sich das Netz mitsamt Entenhaus und Wolf und erhoben sich hoch in die Luft. Benjamin rief den Löwen noch ein paar beleidigende Schimpfwörter zu, dann verließ er Groß- Habichtsheim auf dem Luftweg.
Es versteht sich wohl von selbst und braucht nicht weiter erwähnt zu werden, daß Cezanne und Gabriel sich sehr freuten, Benjamin wieder zu sehen, als der samt Entenhaus auf dem Weiher landete.
“Benjamin, du alte Hasenpfote!“ schrie Cezanne glücklich. “Cezanne!“ schrie Benjamin und die beiden hüpften glücklich über die Wiese. Gabriel stand ganz nah bei Maggie und schnaubte ihr sanft ins Ohr:
“Ist das nicht ein schönes Happy End, mein Schatz?“
“Sicher, Zuckerschnute!“ seufzte Maggie verliebt. Clautilde nahm auf dem Häuschen im Weiher Platz und verfolgte das fröhliche Hüpfen und Springen rund um sie.
“Ende gut - alles gut!“ schnaubte sie.
- Wer hätte das auch anders erwartet? -