Die Geschichte vom Kummer
Vor einiger Zeit begann seine Reise. Eines Tages, es war mitten in der Nacht, beschloss er diese Reise anzutreten. Hals über Kopf, er nahm nur die Sachen mit die er am Leibe trug, machte er sich auf, um das Abenteuer zu beginnen. Er verließ jegliche Menschen um ihn herum, welche ihm zuvor nahe standen, um ein Arrangement mit der Natur einzugehen. Manche Menschen waren sehr enttäuscht von ihm, da er keine Zeit mehr für sie hatte. Doch er hatte nur noch Augen für sein neues Leben. Er zog in Zweisamkeit mit der Natur umher und durchquerte Landschaften, welche sich arg von seiner vorigen Welt unterschieden. Schon einige Wochen später wusste er schon gar nicht mehr, wie sein altes Leben war. Auf die Frage, wie er so lange davor leben konnte, war er nicht mehr in der Lage eine Antwort zu erzeugen. Denn bald nach seinem Aufbruch hatte ihn das Abenteuer gänzlich ergriffen. Anfängliche Zweifel, die tief in seinen Gedanken noch verborgen waren, waren schon nach kurzer Zeit wie aufgelöst. Er sah das Leben nun von einer ganz anderen Seite. Er überquerte Lichtungen, die auch ihn endlich erleuchteten. Ihm offenbarte sich die Natur in ihrer vollkommensten Schönheit. Er machte Erfahrungen für die er keine Worte fand. Er dachte er habe seinen Platz im Leben gefunden. Er zog umher, nur mit den Wichtigsten Sachen ausgestattet und bereiste die Natur. Schlafen tat er dick eingepackt in seinem Schlafsack, manchmal auf offenen Lichtungen und manchmal aber auch tief verborgen hinter Sträuchern. Dann lag er noch lange da mit dem Gesicht gen Sternenhimmel, solange bis ihm seine Augen zufielen. Es war schon ironisch. Hier abseits der ganzen Menschen, vollkommen auf sich allein gestellt, spürte er vollkommene Geborgenheit. Diese Erfahrung mit der Natur nahm er als Bereicherung für sein Leben war. Er hatte endlich den für ihn vorbestimmten Platz im Universum gefunden. Auch die Zukunft schien ihm jetzt klar zu sein. Er schien sein Glück noch gar nicht erfasst zu haben. Die Zeit verging und er erlebte viele wunderbare Augenblicke. Immer mehr wurde er eins mit der Natur. Sein Leben bestand aus vollkommener Harmonie. Doch irgendwann im Laufe der Zeit kam es wie kommen musste.
Zuerst bemerkte er es noch gar nicht. Es war ein schleichender Prozess. Doch die intensiven Momente wurden spärlicher. Auch dieses Gefühl der Vertrautheit mit der Umgebung ließ ihn langsam los. Als er merkte, wie ihm passierte, hatte es sich schon aus seinen Armen entrissen. Wie eine Löwin, die ihr Junges verloren hatte, sprang er umher. In seiner Verzweiflung versuchte er alles Mögliche, um das Gefühl wiederzuerlangen und vergaß dabei sich selbst. Er hatte sich verirrt in den Tiefen der Natur und hatte auch sich selbst dabei verloren. Hätte zufällig ein jemand aus seinem früheren Leben, ähnliche Situationen sollten durchaus schon vorgekommen sein, dieser jemand hätte ihn nicht mehr wiedererkannt. Schließlich wurde aus seiner Verzweiflung, die jedoch nur Schein seiner Enttäuschung war, tiefe Trauer. Ihm wurde das Fundament seines Lebens entrissen. Wie er früher noch an den schönsten Bächen der Natur rastete, so irrte er nun auf der Suche nach einem Sinn in seinem Leben und besagten Orten umher und verlor sich immer tiefer in der Entfremdung. Er versuchte die Orte wiederzufinden. Doch die Zeit schritt voran und so wurden die Erinnerungen blasser. So lebte er schließlich in den Wäldern ohne sich daran wirklich erinnern zu können, weshalb er dies tue. Manchmal jedoch, es kam selten vor, glaubte er eine Lichtung aus den tiefen seiner Erinnerungen wiedererkennen zu können. Dann kamen ihm wieder die alten Gefühle hoch, die er einst mit der Natur teilte. Diese Gefühle rissen wieder die alten Wunden der Enttäuschung auf. Aus diesem Zyklus zwischen Erinnern, Schmerz und Verblassen bestand nun sein Leben. Allzu lange hing er in dieser Schleife fest. Eines Tages, eine Erinnerung hatte gerade wieder eine besonders tiefe Wunde in sein Herz gerissen, sah er einen reißenden Fluss.
Nach seiner langen wirren Reise des Irrens wurde ihm anfangs gar nicht klar, welch Besonderheit ihm sich hier bot. Er schob sich mit seinem nun abgemagerten Körper an einigen Büschen vorbei und stand nun am Ufer. Viel wichtiger war jedoch was er auf der anderen Seite des Ufers sehen konnte. Gänzlich anders als seine jetzige Welt, ließ das andere Ufer ihn erstaunen. Es waren keine Sträucher, Büsche oder einzelne Bäume zu sehen. Er sah eine Häusersiedlung, die nahe dem Ufer gelegen war. Während es auf seiner Seite in jeder Hinsicht ruhig war, herrschte auf der anderen Seite reges Treiben. Er vernahm lautes Geschrei von einer Gruppe kleiner Kinder, die heiter am Ufer spielten. Diese zwei verschiedenen Welten wurden getrennt von einem reißenden Fluss, welcher eine immense Kraft ausstrahlte und ihm unheimlich vorkam. Doch als er noch am Ufer stand, schien ihn bereits der Strom des Flusses mitgerissen zu haben. Er taumelte direkt auf den Fluss zu, bis bereits seine Knöchel im eiskalten Wasser standen. Sofort spürte er die geballte Energie des Flusses. Doch die andere Seite des Ufers zog ihn nun noch stärker an. Als bereits seine Knie im Wasser standen, erspähte er zu seiner Linken einen Baumstamm, der tief im Uferboden verankert war und wie ein Arm der Natur ins Wasser ragte. Sofort umklammerte er mit letzter Kraft diesen Stamm. Das schien ihm Halt zugeben. Langsam mit beiden Händen am Holz, bahnte er sich seinen Weg durch das Wasser. Glücklicher Weise war der Fluss nicht allzu tief, sodass das Wasser nicht über seine Oberschenkel ragte.
Doch dann traf es ihn wie ein Schlag. Als er sich nur kurz umdrehen wollte, der Festigkeit der Stammes sich vergewissernd. Kamen wieder diese süßlichen Erinnerungen der Vergangenheit hoch, die er so schmerzlich vermisste. In diesem alten Baumstamm spiegelte sich auf einmal alles wieder, als würde er direkt in die Vergangenheit blicken. Seine erste Reaktion war, sich noch stärker wieder an den Stamm zu klammern. Doch dann geschah es. Urplötzlich löste sich der massive Klotz aus Holz und zog ihn in die Fluten. Der Stamm wurde von der Strömung ergriffen und nahm Fahrt auf. In seiner Verzweiflung, sich mit letztem Willen am Baum haltend, bemerkte er all das nicht. So wurde er mitgerissen. Die glitschige Oberfläche des Stammes tat ihr übriges. Die Finger des Mannes bohrten sich in das Holz. Doch das reichte nicht. Letztendlich konnte er sich den Kräften der Natur nicht entwinden. Sie drückte sein Gesicht unter Wasser. Er hatte nun jegliche Orientierung verloren und wusste nicht wo oben und unten ist. Hier sollte es also enden. Resignierend trieb er daher, im Begriffe von der Natur begraben zu werden. Er hatte sein Schicksal anerkannt.
Aber wie es die Fügung des Schicksals nun manchmal will, kam es anders als gedacht. Während sein Körper wild umher geschleudert wurde, war es eher Zufall, dass sein Kopf für einen kurzen Augenblick aus dem Wasser ragte. Eigentlich sollte unter normalen Umständen dies der letzte Moment sein, den er von der Außenwelt vernehmen würde. Doch in dieser kurzen Zeit sah er einen der kleinen Jungen, die am Wasser spielten direkt ins Gesicht. Er konnte ein gewisses Lebensglück in seinen Augen sehen. Es war ein Glück, fernab von jeglichen unbefriedigten Sehnsüchten. Es ließ ihn sich an sein früheres Leben erinnern, wo auch er dieses Gefühl, einhergehend mit Freiheit, in sich gespürt hatte. Auch wenn sein rationales Denken situationsbedingt jegliche Funktion verloren hatte, so kam nun ein Wille tief aus seinem Bauch heraus, der nach dieser Freiheit strebte. Sein Instinkt zeigte ihm auf, dass jegliche Rettung durch das Klammern an den Stamm eine Utopie war. Blitzartig ließen seine Finger den Stamm los. Sein einziges Ziel galt erst einmal dem Erlangen der Orientierung. Seine vorige Panik hatte sich gelegt. Mit aller Kraft versuchte er zielorientiert zu denken, auch wenn sich Kälte des Wassers dagegen stemmte. Auf einmal sah er den Boden des Flusses und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er sich um die eigene Achse drehen müsste. So riss er sich mit den Armen rudernd herum, ehe er auf einmal wieder die Oberfläche sah. Mit einem letzten Stoß schoss er nach oben und schnappte sofort nach Luft. Sich seines Zieles nähernd, versuchte er nun in der Position bleibend nach Halt zu suchen. Er war endlich auf den Boden der Tatsachen angekommen. Auf diesem Wege bahnte er sich langsam, aber fokussiert seinen Weg ans andere Ufer des Flusses. Als er es erreicht hatte, halfen ihm die Gruppe spielender Jungen schließlich aus dem Wasser. Er hatte es geschafft. Völlig entkräftet ließ er sich auf den Boden fallen. Es dauerte ein Wenig bis er feststellte mit welchem Kraftakt er gerade das vernichtende Schicksal abgekehrt hatte. Als er sich eine kurze Zeit am Ufer erholt hatte, stand er auf und erkundete diese Gesellschaft, die er durch Zufall entdeckt hatte. Er lief zwischen den Häusern durch und grüßte einen Jeden strahlend, der ihm entgegenkam, als wäre er nie weg gewesen.