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Die Geschichte mit der Ente

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06.08.2014
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Die Geschichte mit der Ente

Ich öffne die Tür meines Kühlschranks und mir flattert eine quakende Ente entgegen. Es wundert mich durchaus, was die Ente da zu suchen hatte. Viel beunruhigender finde ich allerdings die Tatsache, dass sich in diesem Kühlschrank, bis auf ein paar Entenfedern, nichts weiter als ein großes Glas sauerer Gurken befindet.Ich hole es heraus und esse eine saure Gurke. Sie befriedigt meinen Appetit keineswegs. Also esse ich noch eine. Irgendwie ist das nicht das Richtige. Ich stelle das Gurkenglas mitsamt des restlichen Inhalts wieder in den Kühlschrank.

Die Ente watschelt in der Küche herum, schnattert und hinterlässt einen Kothaufen. Das reicht. Ich packe sie und stecke sie in die Waschmaschine, zu meinen noch ungewaschenen Unterhosen und Socken. Davon habe ich eine ganze Menge. Nichts verliert man lieber, als Unterhosen und Socken.

Als nächstes stelle ich etwas überaus seltsames fest. Da steht ein Glas, gefüllt mit Orangensaft, auf dem Küchentisch. Wie kommt ein Glas Orangensaft auf den Küchentisch? Ich habe es nicht dort hingestellt. Vielleicht hat es eine tiefere Bedeutung. Langsam nähere ich mich dem Glas, bis meine Nase nur einen Zentimeter davon entfernt ist. Nichts gefährliches zu entdecken. Mir bleibt keine andere Wahl. Ich packe das Glas und trinke es mit ein paar Zügen leer. Ah, das tut gut. Es ist, als hätte jemand, oder etwas, den Orangensaft genau für diesen Moment dahingestellt.

Ich setze mich hin, hole eine blaue Zigarettenpackung aus meiner Hosentasche, nehme die letzte Zigarette heraus und stecke sie mir in den Mund. Da sich in meinem Blickwinkel gerade kein Feuerzeug befindet, belasse ich es dabei. Eine Viertelstunde Ruhe. Eine Viertelstunde dasitzen und an den herrlichen Moment denken, den der Orangensaft mir bereitet hat. Genau das mache ich. Dann ist die Zeit um und ich stecke die Zigarette zurück in die leere Packung. Diese schmeiße ich in den Mülleimer.

Ich ziehe Mantel und Gummistiefel über und begebe mich nach draußen. Es regnet nicht, aber es könnte bald regnen. Es könnte immer bald regnen. Während ich die Straße entlang schlendere, kommt mir Herr Johann mit seinem Rasenmäher entgegen. Er fährt mit dem Mäher über den gepflasterten Gehsteig, so wie jeden Tag. Der Motor ist brüllend laut. „Wieder mal Zeit, den Gehsteig zu pflegen?“, rufe ich ihm entgegen. „Wie sehn die Wetterprognosen aus?“, ruft er zurück. „Es könnte regnen“, ist meine Antwort. „Dann werde ich mich lieber mal beeilen.“ Er geht weiter, ich gehe weiter.

Nach ein paar Metern wechsle ich die Straßenseite. Es ist nicht gut, immer auf derselben Seite zu gehen. Da könnte Langeweile aufkommen. Prompt sehe ich eine Nacktschnecke vor mir auf dem Boden liegen. Na sieh mal einer an. Kaum die Seite gewechselt, schon passiert etwas. Die Schnecke macht sich auf den Weg in Richtung Straße. Ich bleibe stehen und blicke auf die Uhr. Ein Uhr.

Ein Auto tuckert vorbei. Mein Blick fällt wieder auf die Schnecke. Sie ist weitergekommen. Ein paar Zentimeter. Zehn Minuten lang beobachte ich ihren Marsch, bei dem sie eine schleimige Spur hinterlässt. Währenddessen tuckern zwei weitere Autos vorbei. Dann ist sie an der Straße angekommen. Ich hatte genügend Zeit zu überlegen, was nun zu tun ist. Die Entscheidung ist getroffen. Also beuge ich mich hinab, nehme die Schnecke auf und setze sie behutsam in den Garten zurück, aus dem sie gekommen ist.

Dann gehe ich weiter und beschließe, wieder die Straßenseite zu wechseln. Von hinten höre ich Geräusche. Ich drehe mich um und sehe, dass es eine Frau mit Kinderwagen ist. Sie geht schnell. Schneller als ich. Deshalb stelle ich mich an den Rand des Weges. Das ist höflich. Diese Frau kenne ich nicht. „Was machen Sie hier?“, frage ich, als sie auf meiner Höhe ist. Sie bleibt stehen und zieht die Augenbrauen zusammen. „Entschuldigung, kennen wir uns?“, fragt sie daraufhin. Komische Frage. „Nein. Drum frage ich ja.“ Daraufhin scheint sie verärgert zu sein, schüttelt den Kopf und geht weiter. Dabei murmelt sie etwas, das ich nicht verstehe. Unhöfliche Frau, finde ich. Also wechsele ich wieder die Straßenseite.

Nach einer Weile biege ich nach links ab. Da steht sie auch schon, meine grüne Bank. Ich setze mich hin und schaue, ob es neue Kritzeleien gibt. Nein, alles beim Alten. Meine Gedanken kommen auf den Orangensaft zurück. Herrlich! In diesem Moment kommt ein blauer Müllwagen vorbei und leert seinen gesamten Inhalt neben mir auf der Straße aus. Ein undefinierbarer Geruch steigt mir in die Nase. Es hat noch nie ein Müllwagen seinen Inhalt neben meiner Bank ausgeleert. Eigentlich, so überlege ich weiter, soll der Müll doch in den Wagen kommen, und nicht aus ihm heraus. Zum ersten mal frage ich mich, was mit dem Müll passiert, sobald er sich im Wagen befindet. Damit, dass er jemals wieder herauskommt, habe ich nicht gerechnet.

Ich stehe auf und gehe weiter. Schließlich habe ich noch etwas zu tun. Ein paar Schritte später beginnt der Kies unter meinen Schuhen zu knirschen. Das liegt daran, dass ich mich im Park befinde. Meine grüne Bank allerdings, neben der jetzt der Müll liegt, befindet sich nicht im Park, sondern kurz davor. Deshalb ist es auch keine Parkbank. Ich durchquere den Park, vorbei an einem leeren Teich. Leer, weil es hier keine Enten gibt. Aber in meiner Waschmaschine gibt es eine Ente.

Jedenfalls stehe ich nun am anderen Ende des Parks. Neben mir steht eine Frau, die eine Uhr an der Leine führt. Es ist eine Wanduhr aus Plastik, die man problemlos über den Boden schleifen kann. „Verzeihung,“ spreche ich sie an, „wie spät ist es?“ Sie blickt mich einen Moment lang an. „Ist das ne philosophische Frage?“, fragt sie zurück. Darüber muss ich eine Weile nachdenken. Meine Antwort lautet: „Ja.“ Schließlich habe ich selbst eine Uhr. Zwar nicht an der Leine, dennoch kann sie mir sehr gut die Zeit anzeigen. „Zu spät“, erwidert sie. Sie geht weiter. Ihre Antwort gibt mir zu denken. Meint sie, dass es für sie zu spät ist, oder für mich? Ich will sie fragen, aber sie ist bereits fort. Nun denn.

Noch einmal nach rechts einschwenken, dann bin ich da. Es ist ein kleiner Ausläufer des Parks. Zwischen einem mittelgroßen Busch und einem großen Baum steht mein Ziel. Es ist ein Eichelbaum, der mir bis zum Knie geht. „Hallo, Freund“, begrüße ich ihn. „Hallo, Freund“, begrüßt der Eichelbaum mich zurück. „Hast du Durst?“, frage ich. Er schüttelt seinen Kopf.
Da fällt es mir ins Auge. Oh je! Es liegt ein Zweig zu seinen Füßen, mit drei vertrockneten Blättern dran. Eichenblätter. „Eichelbaum,“ sage ich, „du hast einen Zweig verloren!“ Er nickt traurig. Er erklärt mir, dass dies der Lauf der Dinge sei. Blätter fallen runter und sterben.
Dann fragt er nach meinem Tag.

Also erzähle ich: „Es hat mit einem herrlichen Orangensaft begonnen. Ich habe eine Zigarette ohne Feuer geraucht. Ich habe Regensachen angezogen. Ich habe Herrn Johann beim Mähen des Gehsteigs getroffen. Ich habe die Straßenseite gewechselt.
Ich habe eine Schnecke beobachtet und sie in den Garten zurückgesetzt. Ich habe die Straßenseite gewechselt. Ich habe eine Frau mit Kinderwagen angesprochen, aber sie hat mir nicht geantwortet. Ich habe die Straßenseite gewechselt. Ich habe mich auf die grüne Bank gesetzt, die keine Parkbank ist. Ich habe gesehen, wie neben mir Müll aus einem Müllwagen gekippt wurde. Ich bin durch den Park gegangen. An dem leeren Teich vorbei. Ich habe eine Frau mit Uhr an der Leine getroffen. Ich habe drei tote Blätter gefunden.“

Die Kurzfassung reicht aus, finde ich. Man muss nicht jedes Detail erwähnen.
Der Eichelbaum schüttelt sich. „Nein, das stimmt nicht“, sagt er schroff. Es stimmt nicht? Ich überlege. Er hat recht. „Ach ja!“, fällt es mir ein, „Die Ente! Es hat alles mit der Ente begonnen.“

 

Hallo Himalaya,

herzlich willkommen! Du lieferst hier im wahrsten Sinne des Wortes einen wirklich seltsamen Einstand. In meinen Augen zumindest. Im Gegensatz zu Morphin konnte ich leider an keiner Stelle deiner Geschichte schmunzeln. Das heißt aber absolut nicht, dass ich sie schlecht finde. Dein Schreibstil nämlich gefällt mir.
Ok, vielleicht hast du mir damit sogar ein klitzekleines Schmunzeln entlockt:

Es regnet nicht, aber es könnte bald regnen. Es könnte immer bald regnen.

Auch deine letzte Passage fand ich gut, mal abgesehen davon, dass er mit einer Eiche spricht. Zu meiner Verteidigung möchte ich aber vorbringen, dass ich "Alice im Wunderland" auch nie mochte.

Es hat mit einem herrlichen Orangensaft begonnen. Ich habe eine Zigarette ohne Feuer geraucht. Ich habe Regensachen angezogen. Ich habe Herrn Johann beim Mähen des Gehsteigs getroffen. Ich habe die Straßenseite gewechselt.
Ich habe eine Schnecke beobachtet und sie in den Garten zurückgesetzt. Ich habe die Straßenseite gewechselt. Ich habe eine Frau mit Kinderwagen angesprochen, aber sie hat mir nicht geantwortet. Ich habe die Straßenseite gewechselt. Ich habe mich auf die grüne Bank gesetzt, die keine Parkbank ist. Ich habe gesehen, wie neben mir Müll aus einem Müllwagen gekippt wurde. Ich bin durch den Park gegangen. An dem leeren Teich vorbei. Ich habe eine Frau mit Uhr an der Leine getroffen. Ich habe drei tote Blätter gefunden.

Und jetzt zu dieser Nacktschnecke: Abstrakt genug, dass er sie rettet (Menschen mit eigenem Garten würden solche Nacktschneckenretter im heurigen Sommer lynchen), aber warum um Himmels Willen nimmt er sie denn nicht der Ente mit? Ach, ich weiß, ich habe einfach zu wenig Fantasie.

Also Himalaya, diese Kategorie hat zwar meinen Geschmack nicht getroffen, ich bin aber dennoch gespannt auf weitere Geschichten von dir. Mir gefällt, wie du schreibst.

Viel Spaß weiterhin und viele Grüße,
rehla

 

Hallo Morphin,
vielen Dank für deinen netten Kommentar. Es freut mich, dass mein erster Beitrag jemandem gefällt, dass ist genau die Motivation, die ich brauche. Denn bis jetzt habe ich mich nie getraut auch für andere zu schreiben. Dein Willkommensgruß freut mich wirklich sehr!
Liebe Grüße an "Richard den III"!
Übrigens wollte ich schon eher antworten, aber mein Computer liebt es, mich zu ärgern

 

Hallo rehla,
ich freue mich auch über deinen Kommentar. Bestimmt werde ich auch noch andere Geschichten schreiben, vielleicht ist ja auch mal was für dich dabei. Diese hier ist mir einfach aus der Hand geflossen und ich habe nicht besonders viel darüber nachgedacht.
Liebe Grüße zurück

 

Hallo Himalaya,
also ich fand die Geschichte von Anfang an ziemlich komisch und Du hast mich dann bis zum Ende nicht enttäuscht. Kategorie "Humor" fände ich absolut angemessen.
Anfangs war ich etwas skeptisch z.B. wegen

Ich stelle das Gurkenglas mitsamt des restlichen Inhalts wieder in den Kühlschrank.

...doch eher 3.Fall! Z.B. "mitsamt Restinhalt"

und

Nichts verliert man lieber, als Unterhosen und Socken.

ohne Komma.

Aber dann hat mich doch deine schroffe Art mitgerissen, Dinge von profaner Alltäglichkeit hervorzuheben und so unverhofft mit Surrealem zu mischen, so dass man immer wieder verblüfft ist!
Mir hat es großen Spaß gemacht, das zu lesen.

Liebe Grüße
Cleng

 

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