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Die Geschichte eines Weckers - Teil 1
Komm schon!... komm schon! Nur noch ein Stück!... verdammt! Und schon wieder an mir vorbei. Dabei hat sie mich doch angesehen. Ja, ich hab’s genau gesehen sie hat mich angesehen! Vielleicht habe ich ja einen Kratzer? Hmm dabei habe ich doch versucht so toll wie möglich auszusehen. Das Ziffernblatt hat geglänzt, die Aussenhülle wirkte sogar fast wie ein Spiegel. Ich habe es sogar fertig gebracht, lauter zu Ticken als sonst… aber nichts hat funktioniert. Und wieder habe ich gegen einen dieser kitschigen, übertrieben süssen, rosa Hello-Kitty Wecker verloren. Mein Gott, kennen die Menschen von heute gar kein Stil mehr?
Klar, ich bin vielleicht nicht das neuste Modell und bestimmt bereits seit 3 Jahren aus der Mode… na gut, vielleicht sind es auch 4. Aber der Retro-Stil sei ja wieder modern hiess es einmal.
Es wird still in den Gängen. 7 Uhr – Ladenschluss. Na toll, und ich bin immer noch da. Wie lange schon? Ich weiss es nicht mehr. Meiner Meinung nach zu lange.
Bernhard – mein Bruder, wurde vor knapp 2 Jahren verkauft. Was hatte er bloss was ich nicht habe?? Fragen über Fragen…
Das Licht geht aus – Stille.
Ich finde es Seltsam wie ein so grosses Geschäft sich ändert, wenn die Menschen weg sind. Vom hellen, farbenfrohen und lebhaften Raum, gefüllt mit Stimmen, Schritte, Lacher und weinenden Kinder zum kalten, düsteren Gefängnis.
Und ich weiss einfach nicht woran es liegt. Tausendmal habe ich mir die anderen Jungs angesehen, welche hier mit mir unter einem Dach leben. Die TV Familie wird oft angeschaut und auch gekauft – aber ich kann leider keine bewegenden Bilder zeigen (wie machen die das bloss??). MP3-Player kommen ebenfalls ab und zu weg – doch auch singen kann ich leider nicht und meine Laute hört sich keiner länger als eine Minute lang an. Liegt wahrscheinlich daran, dass es ein wenig… na ja, monoton ist was ich von mir gebe.
Nicht dass ich nicht versucht hätte so auf mich aufmerksam zu machen, wäre da nicht Rodney gewesen. Rodney. Er gehörte der Marke Atlanta an. Eine ziemlich noble Familie wenn ihr mich fragt – jedenfalls waren die Zahlen auf seinem Preisschild um einiges grösser als auf meinem – doch das lassen wir hier mal lieber aus…
Um zurück zum Thema zu Kommen, Rodney ging es ähnlich wie mir. Auch er hatte etwas Schwierigkeiten die Blicke der Menschen auf sich zu ziehen und da kam er einmal auf die Idee, den Leuten zu zeigen was in ihm steckte. Seine Idee einfach darauflos zu schrillen um Aufmerksamkeit zu erlangen fand ich natürlich eine absolut blöde Idee und habe alles getan, ihn davon abzuhalten… na gut, das war gelogen… im Gegenteil – ich hatte ihn dabei auch noch unterstützt, schliesslich war Rodney auf die andere Art und Weise ja auch ein Konkurrent von mir.
Wenn ich daran zurückdenke wie der kleine Rodney plötzlich anfing zu Läuten, muss ich ein bisschen grinsen. Es war so laut gewesen, dass viele das Läuten mit einem Feueralarm verwechselt hatten und schreiend raus gerannt sind. Mann o mann war das ein Chaos. Und er hörte nicht auf damit bis einer der Arbeitermenschen ihm den Saft nahm.
*seufz* …schlussendlich wurde Rodney dann als „defekt“ abgestempelt und entsorgt. Er hat mir noch zugerufen er würde mir ne Karte schreiben… der arme, dachte wohl seine Aktion hätte Erfolg gezeigt. Was für ein dummer, kleiner Wecker.
Aber genug von alten Sachen (und ich gehöre da definitiv nicht dazu!) – was zählt ist das Hier und Jetzt! Ich muss mich mehr anstrengen. Ich muss herausfinden, was die Menschen mögen und wie ich sie in meinen Bann ziehen kann… es ist erbärmlich. Denn ausser ticken und gutes Aussehen, kann ich den Menschen nicht viel bieten… Dabei ist es doch mein Traum irgendwann einmal bei einem – nein bei meinem Menschen im Schlafzimmer zu stehen und ihm meine Dienste zu erweisen. Nämlich, dafür zu sorgen, dass er rechtzeitig ist. Rechtzeitig sein ist nämlich wichtig: Rechtzeitig arbeiten, essen, sich mit der Freundin treffen, den Zug erwischen und und und. Das Leben der Menschen ist voll mit Rechtzeitigkeit. Und weil es den Menschen schwer fällt, rechtzeitig zu sein, haben sie uns erschaffen – die Wecker. Aber wofür ist man denn ein Wecker wenn man niemanden wecken darf? Hmmm…
Dennoch, ich gebe die Hoffnung nicht auf! Ich werde es schaffen, noch bevor man mich zum alten Eisen zählen kann...