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Die geschenkten Träume
Stille.
Mit geschlossenen Augen, war für ihn nicht auszumachen, ob es bereits Tag war. Eine Weile wollte er sie jedoch noch geschlossen halten, um das eben erlebte nicht verblassen zu lassen. Diesmal hat es sich anders angefühlt. Lebendiger. Doch konnte das sein? Es waren schließlich nur Träume. Er war mächtig gewesen, hatte viel bewirken können. Oder zerstören. Beides machte ihm in seinen Träumen Spaß, aber da es nicht echt war, machte ihn das ja nicht zu einem schlechten Menschen.
Er öffnete die Augen, Tag. Zu schön wäre es gewesen, wenn er sich noch hätte umdrehen und wieder in den Traum gleiten können. Er stand auf, ging über den Holzboden an einigen leeren Betten vorbei und öffnete die Fensterläden. Der Geruch von verbranntem Holz stieg ihm in die Nase. Schon wieder. Es passierte in der Regel sehr selten, außer im Sommer, wenn es für eine lange Zeit sehr trocken war. Doch seit vergangenem Winter brannte es dauernd. Von den Erwachsenen schien sich niemand darum zu kümmern, doch den Kindern ist es sofort aufgefallen. Zumindest denen, die noch da waren.
Während er sich umzog, dachte er darüber nach, was er heute alles zu erledigen hatte. Er war mit seinen 10 Jahren der jüngste Lehrling beim Schmied. Richtige Schmiedekunst lernten nur die älteren, aber der Schmied sagte er macht sich gut und deshalb durfte er schon bei einigen Arbeiten zuschauen, wenn er mit seinen fertig war. Als er durch die Küche ging bemerkte er, dass seine Mutter nicht da war. Sein Vater war natürlich schon auf der Arbeit, aber seine Mutter ist eigentlich noch da, wenn er aufsteht und selbst losgeht. Wahrscheinlich war heute ein besonderer Tag bei Familie Meyer und sie musste früher los, um mit den anderen Angestellten alles vorzubereiten.
Auf dem Weg zur Schmiede wurde der Geruch schlimmer. Er konnte an mehreren Häusern sehen, dass die Dächer gebrannt hatten. Wieso haben die Häuser dann nicht komplett Feuer gefangen? Die Dächer sind aus Stroh und geregnet hatte es zuletzt vor einer Woche. Normalerweise hätten auf seinem Weg fünf Häuser verbrennen müssen, von denen jedes jedoch nur einen leichten Schaden am Dach aufweist. Etwas ganz hinten in seinem Kopf begann zu arbeiten, noch konnte er sich aber keinen Reim daraus machen.
„Johann, wo willst du denn hin? Hast du für heute etwa andere Pläne? Ist dir meine Schmiede nicht mehr ausreichend?“, hastig drehte er sich um. Das war Paul, der Schmied. Mit einem Lachen drehte er sich um „Tut mir leid, ich war in meine Gedanken vertieft. Natürlich habe ich für heute keine anderen Pläne.“ Paul war nicht nur der Schmied im Dorf, sondern auch Johanns Onkel. Er hatte sich aussuchen dürfen, ob er Müller, wie sein Vater, oder Schmied werden wollte. Er hatte sich für den Beruf des Schmieds entschieden, da Paul ganz allein war. Seine Frau war dem schwarzen Tod zum Opfer gefallen und seine beiden Söhne gehörten zu den ersten Kindern, die verschwunden waren. Zu dem Zeitpunkt hatte ein verschwundenes Kind noch Angst im Dorf ausgelöst, mittlerweile schien es kaum noch jemandem aufzufallen.
Heute bekamen alle Lehrlinge über den Mittag frei, da Paul ein wichtiges Gespräch mit einem neuen Kunden hatte und er dann, auch immer die Werkstatt zeigte. Sie saßen alle zusammen auf einer Bank und aßen ihr Brot. Einer der älteren erzählte, dass trotz der Feuer in der letzten Nacht, wohl niemand verschwunden sei. Das wunderte Johann und er hörte dem Gespräch genauer zu. „Ich habe von meinem Bruder gehört, dass es ein Drache ist. Jeder weiß, dass Drachen nicht nur Feuer spucken, sondern auch jede ihrer Berührungen ein Feuer entfachen kann, wenn sie es so wollen. Deshalb sind nicht alle Häuser verbrannt. An diesen Stellen ist der Drache über die Häuser gestiegen und offenbar ist es einer, der auf den Geschmack von Kindern gekommen ist.“ Alle anderen sahen ihn ungläubig an und Johann wusste, dass sie das selbe dachten wie er. Ein Drache? Hier? Seit über einhundert Jahren gibt es keine Drachen mehr.
Am späten Nachmittag fegte Johann die Werkstatt. Alle anderen Lehrlinge waren schon weg, denn aufräumen war die Aufgabe des jüngsten Lehrlings. Die Geschichte über den Drachen ging ihm nicht mehr aus Kopf. Aber das konnte einfach nicht sein. Er wollte schnell seine Arbeit zu Ende bringen und dann mit seinen Eltern darüber sprechen. Während er hastig Ordnung auf der Werkbank herstellte, hörte er ein Flüstern hinter sich. Hastig drehte er sich um. Niemand zu sehen. „Paul? Bist du das?“, fragte er in den Raum hinein. Keine Antwort. Zurück an die Arbeit, dachte er sich und wandte sich wieder der Werkbank zu. „Kleiner, tritt näher.“ Diesmal hörte er das dunkle Flüstern ganz klar und es war nicht Pauls Stimme. Er drehte sich langsam um und schaute in den schattigen Raum. Er glaubte zu wissen, dass die Stimme aus Richtung des Feuers kam. Aber dort war niemand. „Wer ist denn da?“ Auch seine Stimme, war nicht mehr als ein Flüstern. „Kleiner, ich wiederhole mich ungern. Also tritt näher und lass dich anschauen!“ Aus dem dunklen Flüstern ist ein donnerndes Grollen geworden.
Starr vor Angst wurde Johann klar, dass die Stimme nicht nur aus Richtung des Feuers kam, sondern aus dem Feuer selbst. Er zwang seine Beine näher heran, obwohl diese ihn nur aus aus der Werkstatt heraus tragen wollten. Etwa zwei Meter vor dem Feuer blieb er stehen und fragte „Wer bist du und was willst du von mir?“ „Ich habe viele Namen, aber keinen davon würdest du verstehen. Nun sage ich ein letztes Mal, tritt näher!“ Wider jeder Vernunft, ging er noch näher an das Feuer heran. Nun konnte er eine verschwommene Gestalt im Feuer erkennen. „So ist es gut. Aus dieser Entfernung kann ich dich schon viel besser betrachten. Nun, zuletzt nannte man mich Sunog. Ich beobachte dich schon eine ganze Weile. Wie gefallen dir die Träume, die ich dir geschenkt habe?“ Erschrocken ging Johann ein paar Schritte zurück „Woher weißt du davon? Bist du es, der mir diese Albträume schickt?“ Mit einem Lachen antwortete die Stimme „Albträume? Ich kann dich in deinen Träumen sehen, weißt du. Dir hat es gefallen, deshalb habe ich dir mit jedem Traum ein bisschen mehr meiner Kraft geliehen. Du bist jetzt an einem Punkt, an dem aus Traum Wirklichkeit werden kann. Lange habe ich hier nach jemandem wie dir gesucht. Jemandem, der dieser Macht gewachsen ist und nicht an ihr zerbricht. Bist du interessiert? Ich kann dich zu einem wie mich machen. Zusammen könnten wir einiges anstellen und eine Menge Spaß haben. Bedenke aber, dass dies ein einmaliges Angebot ist und es kein Zurück nach deiner Entscheidung gibt, also?“
Die Gedanken rasten in seinem Kopf. Seine Träume könnten Wirklichkeit werden? Bevor er wirklich nachdenken konnte, antwortete sein Mund schon. „Ja! Wie kann ich so werden wie du?“ Die Gestalt lachte erneut und das Feuer formte eine Hand. „Du musst mir nur die Hand reichen. Von da an, bist du wie ich. Nur zu, hab keine Angst.“ Er ging vorsichtig nach vorn und streckte seine Hand aus. Die Feuerhand schnellte vor und umschloss die seine. Er spürte sofort eine unglaubliche Hitze in seinem Körper. Vor seinen Augen begann die Umgebung zu flirren und er sah, dass alles um ihn herum zu brennen begann. Seine Kleidung war blitzschnell nur noch Asche und er hörte weiter das gackernde Lachen der Gestalt.
Am nächsten Tag standen die Lehrlinge vor der Ruine, die gestern noch die Schmiede war. Mitten drin stand der Schmied, blickte sie alle an und sagte „Es hat gebrannt, aber zum Glück war niemand mehr drin. Geht nach Hause, ich sage euch Bescheid, wenn wir mit dem Wiederaufbau beginnen.“ Doch alle wussten, dass Johann nicht bei Ihnen war. Ein weiteres Feuer, ein weiteres verschwundenes Kind.