Die gescheiterte Ehe
Man solle ja nicht behaupten, ich sei auf irgendeine Weise verrückt oder wahnsinnig oder total krank im Kopf, wie es bei der Jugend heißt. Denn das stimmt nicht. Zugegeben, meine Tat war etwas bizarr, aber betrachte man die Lage in der ich mich befunden habe, wird man es verstehen und einsehen, dass es keinen anderen Weg gab. Außerdem habe ich keine Furcht vor dem Gefängnis. Ich bin ein alter Mann. Meine Strafe wird vermutlich durch Anzeichen von Senilität oder durch eine andere rechtsverdreherische Vertracktheit abgeschwächt und dazu bräuchte ich noch nicht einmal einen guten Verteidiger.
Es begann alles mit den Worten: ,,Ja, ich will!“ bei meiner Hochzeit. Nachdem ich dies ausgesprochen hatte und bereit war sie zu küssen, blickte ich in das Antlitz .... nein, in die abscheuliche Fratze einer Ratte. Ich schloss die Augen, wurde unruhig und hatte einen Anflug von Kurzatmigkeit. Dieses widerwärtige Bild brannte sich in mein Bewusstsein und als ich wieder die Augen öffnete, erschien mir das liebreizende und anmutige Gesicht der Frau, die ich heiraten wollte, jedoch bestückt mit einem diabolischen Lächeln.
Die Hochzeitsfeier klang allmählich aus und ich tanzte mit jener wunderschönen Frau zu ihrem Lieblingslied. Da fiel mir auf, dass sich die Form ihrer Nase verändert hatte und sich zu einer Spitznase entwickelte.
Die folgenden Jahre wurden zur Hölle. Ich stellte weitere Veränderungen an ihr fest, beispielsweise dass ihre Stimme heller wurde und dass sie erhöhten Haarwuchs an Rücken und Beinen aufwies. Signale der Wechseljahre, dachte ich zuerst, aber verdrängte den Gedanken wieder. Sie mutierte, daran gab es keine Zweifel mehr. Es war zu offensichtlich. Ich vermutete auch, dass sie mir irgendwelche Medikamente in das Essen rührte, deren Wirkung es war, meine Muskeln abzubauen. Denn mit jedem Tag wurde ich schmächtiger und sie irgendwie stärker, das fühlte ich.
Sie will mit ihrer Beute spielen, dachte ich.
Ich war auch nicht imstande mit ihr über das, was sich hier abspielte, zu reden. Dazu machten mir die Konsequenzen viel zu viel Angst. Sie spielte ihre Rolle und ich spielte die Rolle des Unwissenden. Natürlich konnte ich einfach abhauen, aber davor hatte ich noch mehr Angst, denn wohlmöglich folgte sie mir und lauerte in der Dunkelheit , um sich auf mich zu stürzen. Nein, sie muss sterben, dachte ich.
Und jetzt sitze ich hier auf der Couch neben ihr und halte ihre Hand. Ich schaue sie an und kämpfe mit einem unwohlen Gefühl. Mit dem Gefühl, dass mein ganzer Hass, meine ganzen spitzfindigen Vermutungen, die mein Verstand als Tatsachen hinstellte, gegen diese Frau vielleicht gar nicht real waren. Vielleicht mutierte sie gar nicht zu einer Ratte. Vielleicht waren meine Sinne getrübt. Aber das war jetzt gleichgültig. Ich blickte von ihrem liebreizenden und anmutigen Gesicht, das so einzigartig schön war, wie an dem Tag, wo ich sie das erste Mal gesehen hatte, auf den Griff des Messers, das bis zum Anschlag in ihrem Hals steckte. Blut tränkte ihr Kleid und ich wusste nicht, wie lange ich dort saß und ihre kalte Hand hielt.
Die gescheiterte Ehe