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Die Geschäftsreise
Die Geschäftsreise
Er fuhr auf der S45 Bundesstraße Richtung Süd-Westen. Vorbei an den Ausfahrten „Bulgare“ und „Triest“ immer in Richtung „Venezia“, die aufgehende Sonne im Rücken. Er liebte Italien und selbst jetzt als Erwachsener empfand er immer noch diese erregende Vorfreude, die er als Kind immer verspürt hatte, wenn er auf der Rückbank gelegen, aus dem Fenster gesehen und sein Vater einen italienischen Radiosender auf voller Lautstärke eingeschalten hatte. Ihn verband sehr viel mit Italien und in seiner beinahe rührenden Freude, ließ er sich auch nicht von einem italienischen Auto, das ihn rechts, hupend überholte, aus der Ruhe bringen.
Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte 5:37 Uhr an. Links und rechts der Bundesstraße befanden sich Felder, auf denen Mais wuchs. Die Sonne tauchte sie in das Rot-Orange des neu geborenen Tages. Er atmete tief ein und beschleunigte. Bald würde er da sein.
Er fuhr bei der Ausfahrt „Caorle“ von der Autobahn ab und folgte den Schildern auf denen „Jesolo“ geschrieben stand. Er fuhr vorbei an Feldern und Hügeln und je weiter er sich von der Bundesstraße entfernte, desto mehr Schilder konnte er sehen, auf denen Hotels und Bungalows angeboten wurden.
Menschen tummelten sich bereits auf den Straßen, eilten zu den Fischmärkten, Bäckereien und den Hotels in denen sie arbeiteten. Er sah zwei Italiener die sich wild gestikulierend wahrscheinlich über das Wetter unterhielten. Er liebte das Temperament dieses Landes. Wohl wusste er, dass es in den Städten wahrscheinlich anders war, aber die Ferienorte im Norden Italiens hatten ein gewisses Flair, bei dessen Gedanken Tränen in seinen Augen zusammenliefen. Sie strahlten das Gefühl aus, zu Hause zu sein, jeder war hier willkommen und keine Sorgen der Welt wurden hier hereingelassen.
Nach etwa zwei Stunden Fahrt kam er an dem Ort Jesolo an. Es war 7:49 Uhr und die ersten Frühaufsteher gingen bepackt mit Sonnenschirm und Klappbett zum Strand. Er lächelte. Sie hatten einen Tag vor sich, der nur aus Eincremen, Füße in den Sand Stecken, und alle halben Stunden der Sonne die andere Hälfte des Körpers zuwenden, bestand. Er fuhr etwa zehn Minuten auf der Einkaufsstraße, deren Geschäfte erst um 18:00 Uhr aufsperrten, und bog anschließend auf den Parkplatz seines Hotels ab, das sich genau am Strand befand.
Er hatte nicht viel Gepäck bei sich, lediglich einen schweren Rucksack. Er nahm ihn aus dem Auto und betrat die Rezeption. Die junge Frau am Schalter lächelte ihm freundlich zu und obwohl er wusste, dass es ein professionelles Lächeln war und nicht viel mit ihm als Person zu tun hatte, spürte er die Hitze im Gesicht, die ihn rot werden ließ und blickte schüchtern zu Boden. Er liebte die italienischen Frauen und sein Testosteronspiegel schwoll während seiner Italienaufenthalte immer bis zum Zerplatzen an. Trotzdem oder gerade deshalb war er unfähig zwei Wörter mit einer Italienerin zu wechseln.
Er musste zweimal schlucken, bevor er der Frau am Schalter, die ihr langes braunes Haar ständig nach hinten und ihr Kleid dauernd nach unten strich, seinen Namen sagen konnte.
„Zimmer Nummere 118“, hauchte sie lächelnd mit italienischen Akzent und wäre er nicht der, der er war, hätte er sie gefragt, ob sie nicht Lust hatte, nach ihrer Schicht mit ihm essen zu gehen. Doch auch er konnte aus seiner Haut nicht heraus und so lächelte er schüchtern und ging mit dem Blick zu Boden gerichtet in Richtung Aufzug, hoffend, dieser würde bald kommen.
Als der Aufzug im ersten Stock die Türen öffnete, sah er ein Paar, Mitte 40, das verärgert aussehend an die Tür der Nummer 117 klopfte.
„Jaqueline!“, schrie der Mann und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. „Merde!“
Das mussten die Duvals sein, dachte er und ging an ihnen vorbei. Und wenn er sich nicht sehr täuschte, dann lag auf Zimmer 117 ihre Tochter.
„Das ist nur, weil sie immer bis in die Morgenstunden in der Bar hockt!“, sagte der Mann auf französisch und stapfte trotzig davon. Seine Frau schüttelte den Kopf, verschloss die Tür Nummer 116 und folgte ihrem Mann.
Dieser Vorfall erinnerte ihn wieder daran, dass er sich hier nicht in den Ferien befand, sondern der eigentliche Grund für seinen Aufenthalt eine Geschäftsreise war. Er seufzte und betrat sein Zimmer.
Dieses roch, wie jedes frisch gereinigte Zimmer roch, nach Meer und Putzmittel. In der Mitte stand ein großes Doppelbett. Er war zwar allein, aber sein Boss hatte ihm ein Doppelzimmer bestellt.
„Wer weiß, wofür es gut sein kann“, hatte er gesagt und übertrieben schmutzig gelacht. Er hatte zurückgelächelt mit einer Mischung aus Hoffnung und nüchterner Verzweiflung.
Nun zog er die schweren Jalousien der Terrasse hoch und sah, dass er ein Zimmer mit Blick aufs Meer hatte. Ein paar Möwen kreischten, doch sonst war nur das Rauschen der Wellen zu hören.
Er ließ sich auf das Bett fallen und schlief beinahe sofort ein. Er hatte eine lange Fahrt hinter und eine lange Nach vor sich.
Das Scheppern von Geschirr weckte ihn schließlich. Er stand auf und ging zu seiner Terrasse. Viele Leute gingen wieder vom Strand in ihr Hotel, einige Kinder weinten, da sie ihre Sandburgen verlassen mussten und es roch nach Pasta des gerade zubereiteten Nachtmahls. Er blickte auf seine Rolex. Es war 18:12 Uhr. Er zog sich kurze Hosen und ein Hawai-Hemd an und ging hinunter in den Speisesaal.
Er war der erste Hotelgast und nahm an dem Tisch mit der Nummer 118 Platz. In der Mitte des Runden Tisches, an dem er wohl oder übel alleine sitzen würde, stand ein Behälter mit Grissini. Er nahm eins heraus und knabberte daran während er aus dem großen Panoramafenster blickte, das die ganze Längsseite des Speisesaals ausfüllte und direkt auf die Strandpromenade zeigte. Kinder mit Sonnenbrand liefen lachend daran vorbei, Männer trugen schwere Sonnenschirme wieder auf ihre Hotels, gefolgt von ihren Frauen in bunten Kleidern, die Kühltaschen trugen. Eine Gruppe junger Frauen stolzierte vorüber, alle herausgeputzt für den abendlichen Diskobesuch. Eine der Diskogängerinnen zwinkerte ihm zu und er hätte sich am liebsten hinter seiner Grissinistange verkrochen. Nun setzte er sich so hin, dass er nicht mehr aus dem Fenster sehen konnte. Er musste sich sowieso auf etwas anderes konzentrieren.
Mit der Zeit kamen weitere Hotelgäste im Speisesaal an und verströmten einen Geruch von Sonnencreme, Duschgel und Rasierwasser, der sich mit den Düften der Küche vermischte und zu einer traumhaften Komposition anschwoll. Die Leute lachten und kicherten und die meisten sahen glücklich aus, während sie auf das Abendessen warteten.
Das ist das wirkliche Leben, dachte er, während er ein zweites Grissini auspackte. Weit weg von den Kriegen der Welt, von Politik und Geschäften, vom Stress der Straße und der Hektik des Alltags. Hier multiplizierte sich ein einzelnes Glück mit der Freude der anderen Menschen und breitete sich spürbar auf den ganzen Ort aus. Hier wird ein Lächeln beantwortet und weiter getragen und schließlich gibt es wohl nichts schöneres als zu Leben und zu Sein weit weg von Hektik, Grant und Tod.
Er bestellte Wein und Spaghetti bei der Kellnerin und nahm bereits das dritte Grissini aus der Papierverpackung, als die Duvals den Saal betraten. Zuerst kam der Vater mit erhobenen Kopf herein, ein Mann, der abgehärtet von allen Mächten der Welt, wie ein Fels in der Brandung des Lebens stand. Dahinter folgte ihm seine Frau, deren unterwürfiger Gang und eingezogenen Schultern erkennen ließen, dass sie oft als das Opfer seiner Machtdemonstrationen herhalten musste. Sie nahmen auf dem Tisch neben ihm Platz.
Dann betrat ihre Tochter den Saal. Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem Zopf geflochten, der ihr bis tief ins Kreuz reichte. Ihre Augen strahlten ein Selbstbewusstsein aus, das sie bestimmt von ihrem Vater geerbt hatte. Sie trug ein rotes, ärmelloses Sommerkleid, das weit über ihren Knien aufhörte. Ihre Art, wie sie die Hüften beim Gehen bewegte, würde in jedem Gefängnis lebensbedrohende Umstände hervorrufen. Und ihre Füße flossen anscheinend endlos hinab und mündeten schließlich in einem Paar Sandalen.
Er lächelte sie an und sie lächelte zurück und senkte ihren Blick. Jaqueline Duval, dachte er und begann seine Spaghetti zu essen.
Während des Mahls ließ er sie nicht aus den Augen und sie bemerkte seine Blicke mit Freude. Sie war vielleicht siebzehn Jahre alt, hatte sich mit ihren Eltern aufgrund von Liebesangelegenheiten zerstritten und war nun wild entschlossen, als Frau nach Frankreich zurückzukehren. Man sollte sich nicht mit jungen Mädchen anlegen, vor allem nicht, wenn es um Liebe ging, dachte er und beeilte sich seine Spaghetti zu essen. Er musste schließlich noch arbeiten.
Nachdem er sich bei der Kellnerin für das Essen bedankt hatte, holte er den schweren Rucksack aus seinem Zimmer und ging zum Strand. Er war verlassen. Die Sonne war schon fast unter gegangen und das Meer schillerte rot und violett. Er musste wohl noch ein wenig warten, bis es ganz dunkel werden würde und so zog er seine Schuhe aus und beschloss am Rande des Meeres ein wenig spazieren zu gehen.
Während er ging, ließ er sich von dem rhythmischen Rauschen des Meeres, dem warmen Wind, der seinen Körper streichelte und von dem Geruch von Fisch und Salz berauschen. Es war ein gewisses Gefühl der Unwirklichkeit, der surrealen Schönheit, das ihn befiel. Er schloss die Augen und ging einfach nur gerade aus, während die Sonne unterging, die Flut den Sand in Schlamm verwandelte und das Rot und Violett des Meeres schließlich ganz dunkel wurde. Dann kehrte er um.
Langsam kamen die Leute an den Strand zurück. Junge Leute, die sich hinsetzten um gemeinsam zu Gitarrenmusik zu singen, Paare, die das berauschende Gefühl, das dieser Ort ausströmte, in erotisierende Ekstase umsetzen wollten und Romantiker, die den Mond betrachteten. Doch niemand war so wie er, einzigartig in seiner Absicht und doch beherrscht von dem Zauber Jesolos.
Er sah aufs Meer. Mehr als die Hälfte des Mondes war bereits über dem Meer aufgegangen und die Spiegelung am Wasser sah wie eine Straße aus, die direkt über das Wasser zu dem Himmelskörper führte, der in Wirklichkeit gar kein Himmelskörper sondern die Tür zum Himmel war.
Er schlenderte weiter und lachte ein wenig über sich und seine romantischen Ergüsse. Dann war er angelangt, beim Sonnenschirm seines Hotels mit der Aufschrift „116“.
Es war 23:27 Uhr als er in den Speisesaal seines Hotels zurückkam, der mittlerweile in eine Bar umfunktioniert worden war. Er sah bekannte Gesichter, Gesichter, die Stunden zuvor Spaghetti verschlungen und Wein getrunken hatten. Auch die junge Frau von der Rezeption war da, die nun, wie der Speisesaal zur Bar, von einer Rezeptionistin zur Barkeeperin umfunktioniert worden war. Mit hochrotem Gesicht ging er zur Theke und bestellte ein Bier, was ihn unglaubliche Überwindung kostete. Es war warm in dem Raum, es roch leicht nach dem Salz des Meeres und etlichen Cocktails und das beständige Murmeln der Gäste wirkte auf ihn beinahe hypnotisch.
Und dann sah er sie, Jaqueline. Sie sah noch genauso aus wie beim Abendessen, nur mit dem Unterschied, dass ihre Augen vom Rauch ihrer Muratti und vom Alkohol leicht gerötet waren. Sie wirkte noch immer wütend und verärgert über ihre erste große Liebe, die sie aufgrund ihres stupiden Vaters nie mehr wieder sehen würde.
Er merkte kaum, dass er lächelte, während er sie ansah und er schenkte auch der Barkeeperin, die ihm sein Bier brachte, keine schamvolle Beachtung mehr. Geschäft war Geschäft.
Schließlich erblickte Jaqueline ihn und der Zorn fiel von ihrem Gesicht und machte dem entschlossenen Willen Platz, nur noch als Frau zurück nach Frankreich zu fahren.
Er nahm sein Bier und setzte sich zu ihr. Manchmal konnte es so leicht sein.
„Bon soir“, hauchte sie und er konnte Tequilla in ihrem Atem riechen. Er grüßte.
Im Laufe der nächsten Stunden tranken sie einige Cocktails und sprachen viel über Urlaub, Frankreich, die faulen Deutschen und schließlich über die Liebe. Er hätte sich gewünscht viel früher zu dem Thema zu kommen, aber er durfte es nicht erzwingen.
„Ich habe ihn geliebt“, schluchzte sie auf französisch und er tat so, als wüsste er nichts von der ganzen Tragödie. „Mein Vater ist ein... ein...“ Er ergänzte das fehlende Wort. Sie lachte und stimmte zu.
Irgendwann ergriff sie seine Hand und ließ nicht mehr los und irgendwann berührte er sie mit dem Knie am Oberschenkel und streichelte sie immer wieder vor und zurück. Hemmungen hassen die warmen Urlaubsnächte in Italien und so meiden sie diese auch.
„Ich muss jetzt aber schlafen gehen“, sagte Jaqueline, die angesichts seiner Knie zwischen ihren Schenkel immer nervöser auf ihren Stuhl auf und ab gerutscht war. Er stand auf und hielt ihr den abgewinkelten Ellenboden entgegen. Sie war froh über die Hilfe und hing sich ein. Die Franzosin hätte es wohl kaum alleine in ihr Bett geschafft.
Sie verließen die Bar und begaben sich zum Aufzug. Sie waren allein in der Empfangshalle des Hotels.
Sie lehnte sich etwas wankend gegen die Wand und lächelte ihn herausfordernd an. Er roch ihr Parfum und gemischt mit ihrem erregten Schweiß empfand er sie noch hübscher als zuvor. Sie stützte sich mit den Händen an der Wand über ihren Kopf ab und ihr rotes Kleid schmiegte sich enger an ihren Körper. Ja, er liebte diese Arbeit sehr.
Er umfasste ihre Hüfte sanft, streichelte sich seinen Weg hinauf, sodass er mit seinen Daumen ihren Brustansatz berühren konnte. Sie bewegte sich etwas quälend, anscheinend war sie kitzelig.
Dann küsste er sie und als wäre es die Erlösung von dem Bösen, umfasste sie ihn mit einem plötzlichen Stöhnen, küsste ihn, verschlang ihn, wand sich mit ihm und drückte ihn so fest an sich, als wollte sie ihre Atome dazu bringen, sich miteinander zu vereinen.
Als sie den ersten Stock erreichten sprachen sie kein Wort und gingen ruhig nebeneinander her, nur ihre Gedanken überstürzten sich.
Jaqueline sperrte ihr Zimmer auf, zeigte der Tür Nummer 116 triumphierend den Mittelfinger und nahm ihn bei der Hand. Sie stieß ihn aufs Bett und in halb liegender, halb sitzender Position nahm er den Geruch ihres Zimmers wahr. Ein Frauenzimmer, das nach Haarspray, Deodorant und Marillen, die es zum Abendessen als Nachspeise gegeben hatte, roch.
Etwas unsicher auf den Beinen sah sie ihn mit einer Mischung aus Angst, wilder Entschlossenheit und erregendem Rausch an. Er liebte es, betrunkene Frauen zu lieben und während er nichts weiter hörte, außer das rhythmische Rauschen des Meeres und das Rascheln von Jaquelines Kleid als sie es sich abstreifte, dachte er, dass für ihn statt dessen auch ein Traum in Erfüllung hätte gehen können.
Am nächsten Tag war das Meer grau und der Sand nahm ein dunkleres Braun an als sonst. Es nieselte und beinahe dachte er, sein Plan würde nicht aufgehen. Er hatte in dieser Nacht nichts geschlafen und saß nun auf der Terrasse des Zimmers 117, blickte auf den Strand und rauchte Jaquelines Muratti. Es war eine anstrengende Nacht gewesen und die Wolken bedeckten den Himmel gleichsam wie seine Urlaubsstimmung. Es war 6:59 Uhr.
Er rauchte die Zigaretten immer vollständig bis zum Filter, alles andere hielt er für Geldverschwendung. Er inhalierte tief und mit jedem Atemzug war es so, als zöge er einen Teil von Jaqueline in sich ein. Ihre Weiblichkeit, ihre Jugend, ihre Lust, ihr Leben. Er dachte an die italienische Rezeptionistin, die in der Nacht als Barkeeperin fungierte und überlegte, ob er je Chancen bei ihr gehabt hätte. Sie hatte ihn freilich angelächelt, aber hätte sie ihn auch geküsst? Hätte sie sich genauso hingegeben wie Jaqueline? Hätte sie ihre Hüften so stark gegen seine gepresst, wie die Französin es getan hatte? Nein, dachte er, sie hätte ganz andere Sachen mit ihm gemacht. Sie war schließlich Italienerin.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Als niemand antwortete klopfte es noch einmal, diesmal stärker. Er sah aufs Bett und sah den Saum von dem roten Kleid das Jaqueline anhatte. Eine dritte Klopfattacke ertönte und schließlich schrie jemand auf französisch: „Dieses kleine Biest! Treibt sich nachts in Bars herum und kommt morgens nicht aus dem Bett! Möchte nicht wissen, wem sie ihren kleinen Arsch schon gezeigt hat. Da hätte sie gleich bei diesen Verbrechersohn Mario bleiben können! Diese Nutte!“
Die Stimme wurde leiser und er verzog anerkennend die Mundwinkel. Dieses Temperament hätte er einem Franzosen gar nicht zugetraut. Nach kurzer Zeit erschienen die Duvals vor seinen Augen in Richtung Strand gehend. Monsieur Duvals stapfte etwa drei Meter vor seiner Frau durch den feuchten Sand. Sie folgte ihn unterwürfig, beladen mit Strandtasche und Luftmatratze. Sie litt wohl sehr unter der Fuchtel ihres Mannes, dachte er und überlegte sich, dass er doch eigentliche in Wohltäter war. Er würde sie erlösen.
Als Monsieur Duval bei seinem Sonnenschirm mit der Nummer 116 ankam und ihn öffnete, gab es eine Explosion, die den Sand aufwirbelte und die ganze Szenerie bedeckte.
Er ging schnell in das Zimmer und schloss die Jalousien, bevor zu viel aufgewirbelter Sand in das Zimmer eintreten konnte. Erleichtert nahm er das Jausensäckchen von Jaquelines Nachtkästchen, dachte daran, dass sie zumindest nicht durch eine Strandbombe ums Leben kommen musste und schritt aus dem Zimmer, durch das Hotel und schließlich ins Freie.
Jesolo hatte sich verwandelt. Es war nicht mehr der idyllische Badeort, sondern war zu einem Abklatsch des großstädtischen Alltags mutiert. Leute liefen nervös durcheinander, strömten alle in eine Richtung um zu sehen was passiert war und niemand beachtete mehr den anderen.
Er beeilte sich zu seinem Wagen.
Um 8:43 Uhr befand er sich wieder auf der S45 Bundesstraße, diesmal in Richtung Österreichische Grenze. Er hasste es, vom Urlaub in Italien wieder nach Hause zu fahren, aber alles Schöne hat einmal ein Ende. Die Scheibenwischer seines Autos wischten rhythmisch den prasselnden Regen von der Windschutzscheibe. Zumindest hatte er seinen Auftrag erfüllt.
Er nahm sein Handy und wählte eine Nummer.
„Hallo?“, meldete sich eine Stimme. Es war Enrico Fernandez, der Vertraute seines Bosses. Er meldete sich mit Namen und sagte sofort dazu, dass er seinen Auftrag erfolgreich beendet hatte.
„Gut, die Duvals sind also tot, ja?“, sprach Enrico ruhig mit der Stimmer eines Rechtsanwaltes, der nur Gutes im Sinn hatte. Er bejahte.
„Und du hast das, wonach der Boss dich gebeten hatte?“ Wieder bejahte er.
„Hast du sie in dieser Nacht angerührt? Sag’s mir, wenn du sie gefickt hast, dann ist nämlich alles umsonst gewesen, das weißt du!“ Er verneinte wahrheitsgemäß. Eine Pause folgte und schließlich entschloss sich Enrico, dass er den jahrelangen Handlanger seines Chefs trauen konnte.
„Sie war hübsch, nicht wahr“, erwähnte er beiläufig und er bejahte, diesmal etwas gleichgültig. Er fuhr vorbei an der Abfahrt Caorle und blickte wehmütig auf die Maisfelder. Er dachte immer wieder an die Rezeptionistin. Das war immer so nach einem Italienurlaub, immer suchte er sich ein Mädchen aus, das unerreichbar war und immer trauerte er noch Wochen nach seinen Urlaub. Er seufzte.
„Jaja, es war wohl nicht leicht“, sagte Enrico, der wohl seine wehmütige Art vernommen hatte, „Aber mach dir nichts draus. Sie sind selbst schuld. Hätten sie ihre Tochter nur dem Sohn des Bosses überlassen, dann hätte große Hochzeit gefeiert werden können und alle wären glücklich gewesen. Nun ja, bis auf dich, denn du hättest sie dann wohl nie nackt gesehen, nicht wahr?“ Enrico lachte das schmutzige Lachen, das er sich seinem Boss abgeschaut hatte.
Er lächelte traurig und fragte sich, ob sich die Rezeptionistin wohl auf ihn eingelassen hätte.
„Aber sie sagten: ,Nein, mit einem Gangsterboss legen wir uns nicht an’ und ,Fickt euch selbst, ihr scheiß italienischen Schwuchteln’ und ,Bevor er das Herz unserer Tochter bekommt, sterben wir lieber!’ Ha! Jetzt haben wir beides.“ Enrico stoppte kurz und fragte dann besorgt: „Du hast ihr Herz doch nicht vergessen, oder?“
Er sah auf das Jausensäckchen, das auf dem Beifahrersitz stand, und verneinte genervt. Er wollte nicht mehr mit diesem Enrico sprechen. Er wollte lieber an sie denken. Er sagte, dass er in einigen Stunden sowieso bei ihnen wäre und legte auf.
Nun da der Regen gegen die Windschutzscheibe schlug und die Felder an ihm vorbei zogen, kamen ihm beinahe die Tränen. Er bereute seine Tat und das, was er war. Wie konnte er so etwas nur tun? Er wollte doch nur in einem Haus leben, mit einem Hund, einer wunderschönen Frau und Kindern. So könnte er all das nie erreichen.
Er wischte sich die Tränen von der Wange und fasste neuen Mut. Er würde sich ändern, dachte er. Ganz bestimmt, ein anderer Mensch würde er werden. Das nächste Mal wird alles anders. Er dachte: Das nächste Mal spreche ich sie an!