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Die Geisterinsel: Tochter der Geister
Tochter der Geister
"Das Schwarze Schiff kommt zurück!" Der Ruf hatte früher das ganze Dorf auf die Beine gebracht, doch nun wurde das Ereignis nur von einigen Wenigen beachtet.
Das Schwarze Schiff war ein Einmaster, kaum größer als die Fischerboote aus dem Dorf. Es legte an dem selben Pier, wie die unzähligen Jahre vorher, an. Mit gekonntem Schwung wurden Taue über die Pfähle geworfen. Eine auffällige Gestalt sprang aus dem Boot, eine schlanke hochgewachsene Frau mit Kopf und Fell eines Panthers. Sie war ganz in Schwarz gekleidet; hautenge Hose, enge Bluse die die Form ihrer kleinen festen Brüste erkennen ließ, fast kniehohe geschnürte Stiefel, weiter Mantel und ein breitkrempiger Hut.
Der Schwarze Fährmann, wie die Pantherfrau genannt wurde, trug einen Holzpfahl unterm Arm. Sie ging den Schädelweg entlang, dabei wurde sie von ein paar Dorfbewohnern eher beiläufig gegrüßt. Am Ende des Schädelweges rammte sie, mit bloßen Händen, den Pfahl in den Boden, danach steckte sie einen Totenschädel auf den Pfahl. Der Schädelweg wurde von Dutzenden solcher Pfähle gesäumt, daher auch der Name.
Die Frau ging in ihre Stammtaverne, der Wirt kam ihr entgegen. "Willkommen," begrüßte er sie, dabei reichte der Wirt der Pantherfrau die Hand, "sie müssen entschuldigen, aber ihr Stammplatz ist leider besetzt. Ich konnte ja nicht wissen, das sie Heute zurückkommen. Ich werde sehen, was ich tun kann."
Der Schwarze Fährmann winkte ab. "Das mit dem Platz werd ich schon selbst regeln. Ist mein Zimmer frei?"
"Aber ja, meine Liebe," beteuerte der Wirt, "ich sage meiner Frau Bescheid, das sie es saubermachen und das Bett frisch beziehen soll."
Die Pantherfrau nickte kurz, dann ging sie zu ihrem Stammplatz, ein kleiner Tisch in einer Ecke. Von hier konnte man den gesamten Schankraum überblicken und war selber vor Blicken relativ geschützt. Der Schwarze Fährmann musterte den Mann, der am Tisch saß. Er war muskulös, hochgewachsen, sein Gesicht und sein Körper waren von den Narben vieler Kämpfe bedeckt, zwischen seinen Blonden Haaren waren schon die ersten grauen Haare zu sehen. Der Mann trug ein oftmals ausgebessertes Kettenhemd, einen Eisenhelm und ein Breitschwert hatte er neben sich auf den Tisch gelegt.
"Du bist nicht von hier," stellte der Schwarze Fährmann fest, "keiner der Dorfbewohner würde sich an diesen Tisch setzen, egal wie lange ich weg bin. Die meisten die aussehen wie du und ins Dorf kommen, wollen zu mir. Also?"
"Bring mich zur Geisterinsel," forderte der Fremde.
"Gut," antwortete die Pantherfrau, "sei Morgen Mittag um Zwölf beim Schwarzem Schiff. Sei pünktlich, ich warte nicht auf dich. Und jetzt such dir einen anderen Tisch."
"Bring mich sofort zur Geisterinsel!"
"Hier wird nach meinen Regeln gespielt," antwortete die Pantherfrau, "ich habe eine lange Fahrt hinter mir. Ich möchte jetzt ein paar Bier trinken, und dann endlich wieder eine Nacht an Land verbringen. Wenn du zur Geisterinsel willst dann warte gefälligst. Grade aus den Windeln und schon den Erwachsenen Vorschriften machen wollen. Das hab ich gern. Los verschwinde!"
"Sowas lasse ich mir von einem Weib nicht bieten," brüllte der Fremde sein Schwert schwingend. Doch der Hieb zerteilte nur Luft. Blitzschnell war die Pantherfrau zurückgewichen, und hatte ihr Schwert gezogen.
"Steck dein Schwert weg und verschwinde," warnte sie den Fremden. Die Reaktion des Fremden, auf die Aufforderung schien ihr ungewöhnlich. Er grinste breit, dabei sah er an ihr vorbei Richtung Tür. Doch dann dämmerte es der Pantherfrau, sie machte auf dem Absatz kehrt. Vier weitere Fremde, dem Aussehen nach Freunde ihres Gegners, waren gerade herein gekommen. Sie zogen ihre Waffen, um ebenfalls gegen den Schwarzen Fährmann zu kämpfen.
"Haltet ihr euch raus," rief die Pantherfrau ihnen zu, "das ist eine Sache zwischen euren Freund und mir."
Der Befehlston in der Stimme des Schwarzen Fährmanns lies die Vier zögern. Einige der einheimischen Gäste nutzten dieses Zögern, um die vier mit geschickten Griffen zu entwaffnen.
Der Gegner der Pantherfrau war mindestens genauso verblüfft, wie seine Freunde. Der Schwarze Fährmann wand sich wieder ihm zu. "Ich warne dich noch einmal: Steck dein Schwert weg und verschwinde, sonnst ist das dein Ende," drohte sie ihm.
"Du wirst jetzt verschwinden." Mit diesem Ruf griff der Krieger die Pantherfrau an.
Diese verteidigte sich nur. "Letzte Warnung!" Sagte sie dabei, "hör auf, oder du wirst vernichtet."
Lachend führte der Krieger seine nächste Attacke aus. "Du hast es so gewollt," stellte die Pantherfrau fest. Sie wehrte die Attacke ab. Dann machte sie drei sehr schnelle Finten. Der Krieger hatte Mühe die Finten zu parieren. Der Schwarze Fährmann machte einen halben Schritt vor, dabei eine Bewegung mit dem Schwert, lässig aus dem Handgelenk, schon flog das Schwert des Kriegers durch den Schankraum. Der nächste Hieb der Pantherfrau zerschnitt die Kehle ihres Gegners.
Der Schwarze Fährmann verbeugte sich kurz vor der Leiche, dann setzte sie sich an ihren Stammplatz. Die Freunde des Toten wurden von den anderen Gästen hinausgedrängt.
Fünf oder sechs Bier später ging die Pantherfrau auf ihr Zimmer. Sie zog sich aus. Mit geübten Bewegungen bürstete sie ihr Fell. "Ich weis selbst nicht, was mich an den Sterblichen fasziniert," überlegte sie, "vielleicht sind es ihre Bemühungen aus ihrem kurzem Leben etwas zu machen. Die meisten von ihnen wollen das was ich habe: Unsterblichkeit." Sie gähnte. "Wenn die wüßten... Ich bin jetzt seit über zweitausend Jahren der Schwarze Fährmann, und keiner hat es bisher geschafft, auf der Geisterinsel zu überleben. Alle die es versuchten sind spätestens am Thron gescheitert. Manchmal ist es schon langweilig. Die Männer die versuchen die Geisterinsel zu erobern sind sich im Grunde sehr ähnlich. Sie sind alle Gierig, Gierig nach Geld und Macht. Diese Idioten, sie werden es niemals schaffen.
Andere werden wenigstens in den Gedanken anderer Unsterblich. Wie Razift, der allein die Brücke von Monor gegen die fast dreihundert Männer aus Rilirt verteidigt hat. Oder Genot, der den bösen Drachen Qu-T'zent erschlagen hat. Oder Parfal, der das Mikroskop erfand und so die Ursache der Schwarzflecken entdeckte. Das sind die wahren Unsterblichen der Sterblichen.
Mal sehen wie lange es diesmal dauert, bis der Nächste kommt, der die Geisterinsel besiegen will. Ich hab selten mehr als zehn Tage meine Ruhe."
Nach einem ausgiebigen Frühstück sah sich die Pantherfrau im Dorf um. Es waren wenige Männer im Dorf, die Fischer waren draußen auf See, die Bauern auf dem Feld. Vor dem Haus eines Händlers stand eine Kutsche, der gerade ausgeladen wurde. Aus der Schmiede drang rhythmisches Hämmern. Eine Gruppe alter Männer saß auf einer Bank und beobachtete das Treiben auf dem Dorfplatz.
Eine Gruppe Kinder spielte Fangen. Der Junge, der von den Anderen gejagt wurde paßte einen Moment nicht auf. Die Pantherfrau taumelte ein paar Schritte zurück, als der Junge in sie hinein lief.
"Lass dir von einer alten Kriegerin einen Rat geben," belehrte sie den Jungen, "egal wie dicht dir die Verfolger auf den Fersen sind, achte darauf wo du hinläufst. Das ist jetzt nur ein Spiel, aber in einem echten Kampf kann ein Stolpern dein Tot sein. Oder stell dir vor, du siehst dich um und merkst dabei nicht, das du auf einen Abgrund zuläufst... Mit ein wenig Übung kannst du ohne dich umzusehen merken wie dicht dir die Verfolger auf den Fersen sind. Das gilt auch für euch," wandte sie sich an die anderen Kinder.
"Stimmt es was meine Eltern über euch sagen?" wollte der Junge von der Pantherfrau wissen.
"Was sagen sie den über mich?"
"Sie sagen, das ihr schon sehr alt seid. Meine Eltern sagen, ihr seid so alt wie das Dorf."
"Vor ungefähr fünfhundert Jahren wurde hier das erste Haus gebaut," erzählte der Schwarze Fährmann, "Da war ich schon über tausend Jahre hier. Aber ich begann erst vor zweihundert Jahren die Schädel aufzustellen. Ich habe schon viermal mehr Leute zur Geisterinsel gebracht, als jetzt im Dorf leben. Ich weis selber nicht genau wie alt ich bin, aber es sind weit mehr als zweitausend Jahre."
Nachdenklich zogen die Kinder weiter. Die Pantherfrau kaufte sich ein paar Äpfel, die sie im weitergehen aß.
Plötzlich kam eine Frau auf sie zugerannt. Vor der Pantherfrau fiel sich auf die Knie und umfaßte die Beine der Unsterblichen. "Ihr müßt mir helfen," flehte die Dorfbewohnerin, "meine Mutter ist schwer krank, heilt sie! Bitte!"
Der Schwarze Fährmann beugte sich zu der Frau hinunter. "Steh auf," sagte sie dabei im sanften Ton, "bring mich zu deiner Mutter. Ich werde für sie tun was ich kann. Aber wisse: Auch meine Macht hat Grenzen."
"Ich danke euch," weinte die Dorfbewohnerin, "bitte kommt mit." Wenig später betraten sie das Haus der Frau. In einem dunklen Zimmer lag die alte Frau auf einem Bett. Sie hustete und stöhnte abwechselnd. Die Pantherfrau trat an das Bett und untersuchte die Kranke. "Ich kann sie nicht heilen," stellte sie nach kurzer Zeit fest, "deine Mutter ist sehr alt, und die Krankheit ist schon sehr weit fortgeschritten. Sie hat nur noch wenige Tage zu leben. Sie muß unter großen Schmerzen leiden. Ich kann nur ihr Leiden verkürzen."
Die Dorfbewohnerin wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. "Ich bitte euch, helft meiner Mutter," flehte sie wieder.
"Komm her," forderte die Pantherfrau im sanften Ton, "nimm die Hand deiner Mutter. Sie soll spüren, das du sie in ihren letzten Momenten nicht allein läßt."
Die Unsterbliche berührte kurz Stirn, Lippen und Brust der Schwerkranken. Die Alte Frau richtete sich in ihren Bett halb auf, sie umarmte ihre Tochter. "Meine Zeit ist um," flüsterte sie dabei, "hab keine Angst Tochter. Ich liebe dich! Leb wohl, Tizia." Mit einem letzten Seufzen verschied die alte Frau.
Weinend brach Tizia neben den Bett ihrer toten Mutter zusammen. Die Pantherfrau umarmte sie. "Ich weis es ist schwer für dich," sagte sie dabei, "aber mehr konnte ich für euch wirklich nicht tun. Für deine Mutter ist das Leiden vorbei und sie konnte sich von dir verabschieden.
Ja, wein dich aus. Die Trauer wird danach nicht vorbei sein, aber es wird nicht mehr so sehr weh tun."
Später saß die Pantherfrau auf einem Stein im Hafen, sie dachte nach. Sie war unsterblich, sie war eine Göttin, man nannte sie 'die Herrin des Todes'. Aber gab ihr das das Recht, das Leben der alten Frau zu beenden? Gut, die Alte war schwer krank, aber sie hätte sie heilen können. Doch die Pantherfrau wußte selbst nach der Heilung hätte die Frau nur noch wenige Tage zu leben gehabt. Dem Schicksal konnte selbst eine Unsterbliche nicht ins Handwerk pfuschen. Der Schwarze Fährmann war nur ein Teil des Todes, selbst wenn sie sich 'Herrin des Todes' nannte. Sie wußte genau, wann die Kerze des Lebens für jeden einzelnen abgebrannt war, aber Kerzen können umfallen oder von einem plötzlichen Windstoß gelöscht werden. Das Lebenslicht der Alten Frau war fast abgebrannt gewesen, doch gab ihr das das Recht, die Kerze auszublasen? Nach einer Heilung hätte die Frau noch drei oder vier Tage zu leben gehabt. Hätten die Tage ihr noch etwas gebracht? Vielleicht hätte sie noch einige glückliche Momente gehabt, vielleicht aber auch nur Ärger. Die Pantherfrau wußte wie lange ein Leben normalerweise währte, aber sie wußte nicht, wie die Zeit aussah, oder ob die Kerze durch ein Unglück vorher erlosch. Sie seufzte, egal wie sie sich entschied, jede Endscheidung konnte falsch oder richtig sein. Ihre Fähigkeit in die Zukunft zu sehen war sehr stark eingeschränkt. Die Gedanken der Sterblichen oder den Zufall konnte sie nicht voraussehen.
Gedankenversunken näherte sie sich wieder der Taverne. Dort angekommen setzte sie sich wieder an ihren Stammplatz. Schweigend trank sie ihr Bier. Nach einer Weile stand sie auf. "Ich brauch ein wenig Ablenkung," überlegte sie.
Sie sah sich im Schankraum um, dabei entdeckte sie einen jungen Mann, der gerade dabei war erwachsen zu werden. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Komm mit auf mein Zimmer," forderte sie ihn auf.
"Aber..." der junge Mann schien völlig durcheinander.
"Tu was sie sagt," riet ihm ein anderer Mann, der an dem Tisch saß, dabei strich er sich über die vier fast parallelen Narben, die er im Gesicht hatte, "sie kann sehr wütend werden."
Die Pantherfrau nahm dem zögernden jungen Mann mit auf ihr Zimmer. "Wovor hast du Angst?" wollte sie von ihm wissen, "wie heißt du eigentlich?"
"Mein Name ist Thorn," antwortete der junge Mann leise, "ich habe noch nie mit einer Frau geschlafen. Ich bin erst vierzehn. Ich... Ich weis nicht, was ich tun soll. Ich habe Angst vor dir. Ich weis nicht ob - ob ich deine Erwartungen erfüllen kann."
"Ist schon gut, Kleiner," die Pantherfrau nahm Thorn in die Arme, "da ist nichts wovor du Angst haben mußt. Du wirst sehen, wenn du dich entspannst wird es sehr schön werden. Du darfst dich nur nicht verkrampfen. Übrigens: Nenn mich Panthera."
"Panthera? Ein ungewöhnlicher Name," stellte der junge Mann fest, "ist das dein richtiger Name?"
"Nein, mein Junge. Ich habe viele Namen, aber meinen wirklichen Namen werde ich dir nicht sagen. Kein Unsterblicher wird seinen wirklichen Namen einfach so verraten. Den wahren Namen zu kennen heißt auch Macht über die Sache oder die Person zu haben. Ich weis, das du tief in dir noch einen anderen Namen trägst, aber ich werde dich nicht danach fragen, das währe unfair."
Der Wirt hatte, wie von der Pantherfrau gewünscht, eine Karaffe Wein und zwei Gläser aufs Zimmer gestellt. Panthera goß zwei Gläser ein, eines reichte sie Thorn. "Trink erstmal einen Schluck," riet sie ihm, "dann bist du nicht mehr so verkrampft. Du mußt dich mehr entspannen, sonnst haben wir beide nichts davon."
Geschickt öffnete sie sein Hemd. Dann lotste sie ihn aufs Bett und zog ihm die Schuhe aus. Thorn richtete sich wieder auf, er streifte Pantheras Bluse von ihren Schultern. Die Pantherfrau kniete sich hin, um den jungen Mann die Hose auszuziehen. Danach schnürte er langsam ihre fast kniehohen Stiefel auf. "Es ist wie bei einem Geschenk," stellte Thorn fest, "das Auspacken ist der halbe Spaß." Panthera legte sich auf Bett, Thorn zog ihr die Hose aus.
Sie liebten sich zweimal, müde und befriedigt schliefen sie danach ein.
Als Thorn am nächsten Morgen aufwachte schlief Panthera noch leise schnurrend in seinen Armen. Sobald er sich bewegte stockte ihr Schnurren, sie wachte auf. Lächelnd sah sie ihn an. "Guten Morgen," sagte sie, "ich hab's dir doch gesagt, du darfst dich nur nicht verkrampfen."
Die Pantherfrau streckte sich, sie stand auf. Sie goß etwas Wasser aus dem Krug in die große Schüssel auf der Konsole und wusch sich. Anschließend schüttete sie das Wasser aus der Schüssel, mit elegantem Schwung durchs Fenster auf die Straße.
"Verdammt noch mal, guck vorher," schimpfte jemand von unten. Panthera und Thorn kicherten.
Thorn wusch sich, er sah nach, bevor er das Wasser aus dem Fenster schüttete. Danach zogen die Beiden sich an. "Du hattest Recht, Panthera," stellte Thorn fest, "da war nichts, wovor ich Angst haben mußte." Er lächelte. "Es war sehr schön. Ich danke dir."
Panthera küßte ihn. "Wenn ich nicht weg muß, und du noch willst, können wir heute Abend wieder das Bett teilen," sagte sie.
"Wir werden sehn," antwortete er.
Mitten im Frühstück sprang die Pantherfrau erschrocken auf. "Mein Schiff," rief sie, "jemand ist auf meinem Schiff." Sich im Laufen Hut und Mantel anziehend verließ sie hastig die Taverne.
Kurze Zeit später rannte sie den Schädelweg hinunter. Vor dem Schwarzem Schiff stand eine Gruppe ratloser Kinder. Ein Mädchen war auf dem Deck des Schiffes und versuchte verzweifelt wieder an Land zu kommen.
"Was ist passiert?" wollte der Schwarze Fährmann wissen.
"Wir haben hier Ball gespielt," antwortete eines der Kinder, "der Ball flog auf euer Schiff. Kitty sprang hinterher um ihn zu holen. Jetzt kommt sie nicht mehr zurück. Und wir kommen nicht zu ihr um ihr zu helfen."
Die Pantherfrau wand sich an den Jungen: "Weist du, wo Kittys Eltern sind?"
"Ja."
"Dann hol sie, so schnell du kannst."
Der Junge lief los. Wenige Minuten später kamen die Eltern des Mädchens, ihnen folgte das halbe Dorf. "Katarine, mein Kind." So schnell sie konnte lief die Mutter auf das Schwarze Schiff zu. Sie wollte vom Anleger aufs Schiff springen, aber auf halber Strecke wurde ihr Sprung gestoppt. Hilflos und entsetzt landete die Frau im Wasser.
Die Pantherfrau half ihr heraus. "So leid es mir tut, du kannst nicht zu deiner Tochter," sagte sie. Laut genug, das alle Anwesenden sie hören konnten erklärte der Schwarze Fährmann: "Mein Schiff wurde mit Magie gebaut. Es kann jederzeit von einem Sterblichen betreten werden, egal wie alt er ist oder ob er Mann oder Frau ist. Nur ein Sterblicher kann das Schwarze Schiff betreten. Und er kann es nur auf der Geisterinsel wieder verlassen. Wenn deine Tochter nicht auf dem Schiff verhungern soll muß ich sie zur Geisterinsel bringen. Das ist ihre einzige Möglichkeit zu überleben."
Der Schwarze Fährmann sprang auf das Schiff. "Ich bring das Kind zur Geisterinsel. Sie kann überleben, aber ich kann für nichts Garantieren."
Erst als sie auf See wahren sah sich die Pantherfrau das Mädchen genauer an. Das Mädchen war sechs oder sieben Jahre alt, hatte eine auffallend helle Haut, grüne Augen und kupferrote gelockte Haare.
Die Pantherfrau hockte sich neben das Mädchen. "Du machst dir bestimmt vor Angst fast ins Kleid," stellte die Pantherfrau ruhig fest.
"Ja," antwortete das Mädchen zögernd.
Panthera reichte Kitty die Hand, "das kann ich verstehen Kleines. Du hast keine Ahnung was dich erwartet. Du kennst die Geisterinsel nur aus Erzählungen. Du kennst den Schädelweg, vielleicht hast du auch gesehen, wie ich dort einen neuen Pfahl aufgestellt habe. Jeder hätte da Angst. Ich kann dir auch nicht sagen, das du keinen Grund zur Angst hast; Die Geisterinsel ist gefährlich. Trotzdem bitte ich dich: Hab keine Angst, du kannst es schaffen."
Das Mädchen schien sich zu beruhigen. "Gibt es auf der Geisterinsel auch Monster?" wollte sie wissen.
"Kommt darauf an, was du darunter verstehst," antwortete die Pantherfrau, "es gibt dort Harpyien und Greife, und noch anderes, was für Menschen sehr erschreckend sein kann. Aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat...
Ich finde das schlimmste Ungeheuer, das es gibt ist der Mensch." Kitty sah Panthera erstaunt an. "Die Menschen bringen sich immer wieder gegenseitig um," erklärte die Unsterbliche, "und wofür? Meistens geht es dabei nur um die Macht- oder Geldgier einzelner, oder sie streiten sich, wer den nun den wahren Glauben hat, manche morden sogar nur aus Spaß." Die Pantherfrau seufzte. "Wer weis wieviele dabei schon gestorben sind, die wirklich großes geleistet hätten. Wenn ich sehe wieviele Lebenslichter vor der Zeit gelöscht werden, da wird mir manchmal schlecht. Am schlimmsten ist es, wenn es Kinder trifft. Viele sind noch jünger wie du, andere sind noch nicht einmal geboren, da wird ihr Leben schon beendet.
Manchmal, wenn ich rechtzeitig merke was los ist greife ich ein. Wenn's sein muß töte ich auch einige Leute um andere zu retten. Schon oft hat der Tot eines einzelnen einen Krieg verhindert. Manchmal muß ich es tun, auch wenn ich es nicht gern tu."
"Aber, meine Eltern sagen immer, du bist der Tot?"
"Damit haben sie nur zum Teil Recht. Wenn ich will kann ich alles und jeden nur durch eine Berührung zu Staub zerfallen lassen. Aber eigentlich hole ich nur die, deren Zeit abgelaufen ist. Die Ausnahme sind diejenigen die zur Geisterinsel wollen um die Götter herauszufordern, diese Idioten haben's nicht besser verdient."
Am nächsten Morgen fuhr das Schiff auf eine Nebelwand zu. Ängstlich drängte sich Kitty an Panthera. "Der Nebel ist unheimlich. Was ist das?" fragte das Mädchen.
"Das ist die Grenze zwischen der Welt der Sterblichen, deiner Welt, und der Welt der Alten, meiner Welt. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zu meiner Heimat, der Geisterinsel."
Kaum zwei Stunden später kamen sie an eine Küste aus zerklüfteten Felsen. Wie von selber fuhr das Schwarze Schiff zwischen zwei Felsen hindurch in einen natürlichen Hafen. In der sandigen Bucht war nur ein einfacher Holzsteg zu erkennen.
Nachdem Panthera das Schiff festgemacht hatte, gingen sie und Kitty an Land. Die Unsterbliche ließ das Mädchen vorangehen. Ein schmaler Sandweg wand sich zwischen den Felsen hindurch ins Innere der Insel.
Plötzlich war ein schrilles Kreischen zu hören. Kitty erschrak. Eine Gruppe seltsamer Wesen stieß aus der Luft zu ihr herab. Die Wesen waren nur wenig größer wie das Mädchen, sie hatten Köpfe und Oberkörper wie Frauen, aber Beine Unterkörper und Flügel von übergroßen Krähen. "Harpyien," flüsterte Kitty entsetzt.
Die Harpyien umringten Kitty, sie schienen das verängstigte Mädchen genau zu mustern. Das Mädchen wagte es nicht sich zu rühren, da merkte sie wie es ihr warm die Innenseite der Beine runterlief. "Jetzt hab ich mich auch noch naß gemacht." Nach einer Weile zogen die Harpyien wieder ab, scheinbar hatten sie ihre Neugierde befriedigt.
Das Mädchen brauchte einige Zeit um sich wieder zu beruhigen. "Was wollten die von mir?" fragte sie die Pantherfrau, "was passiert wenn ich weitergehe? Kann ich zurück? Warum hast du mir nicht geholfen?"
"Eins nach dem Anderen, Kleines," antwortete Panthera, "du kannst noch nicht zurück. Du mußt den Weg bis zum Ende gehen. Ich darf dir nicht Helfen. Auch für mich gibt es Regeln, an die ich mich halten muß. Mehr darf ich dir nicht sagen. Noch nicht."
Kitty war den Weg nur wenige Meter weitergegangen, da stießen wieder seltsame Wesen auf sie nieder. Diesmal waren es Löwinnen mit Adlerflügeln. "Greifen," stellte das Mädchen entsetzt fest.
Doch die Begegnung mit den Greifen verlief ähnlich wie die Begegnung mit den Harpyien. Nachdem sie das Mädchen gründlich beschnuppert hatten, zogen die Greifen wieder ab.
Panthera und Kitty gingen ungefähr eine halbe Meile weiter, ohne das etwas geschah. Doch dann sprang jemand von den Felsen, und blieb wenige Schritte vor dem Mädchen stehen. Es war eine Bewohnerin der Geisterinsel, eine Katzenfrau. Ihr Fell war grau mit unregelmäßigen schwarzen Streifen. Sie trug hautenge grüne Hosen und eine zerschlissen wirkende Lederrüstung. An ihrem Gürtel hatte sie zwei schmale Degen. Leicht vorgebeugt, die Hände an den Griffen ihrer Waffen, stand sie da und schien abzuwarten.
"Gu - Guten Tag," grüßte Kitty ängstlich zögernd die Katzenfrau. Die Frau lies ihre Waffen los, lächelnd verbeugte sie sich, "sei gegrüßt, junge Dame. Willkommen auf Kantzora, oder der Geisterinsel, wie ihr Sterblichen unsere Wellt nennt."
Panthera legte eine Hand auf Kittys Schulter. "Ich heiße dich ebenfalls auf Kantzora willkommen. Sie dort ist Sara, eine unserer Kriegerinnen. Hättest du unsere Welt nicht in friedlicher Absicht betreten, hätte sie dich getötet, wenn das nicht schon die Harpyien oder die Greifen gemacht hätten. Doch jetzt laß uns weitergehen Kitty. Ich will dich meiner Schwester vorstellen: Die Wächterin des Lebens."
Auf dem Weg gingen die Felsen mehr und mehr zurück, dafür wurde der Weg nun von Büschen und Bäumen gesäumt. Nach ungefähr einer weiteren Meile hörte der Wald abrupt auf. Sie kamen auf einen großen Platz. Auf dem Platz waren rund Tausend weitere Katzenfrauen. Sie bildeten vor Kitty und Panthera eine Gasse, die zur Mitte des Platzes führte.
Dort erwartete das Mädchen ein ungewöhnlicher Anblick. Drei Stufen aus blutrotem Rubin führten auf ein großes Podest aus grüner Jade. Auf dem Podest waren zwei Throne. Einer aus nachtschwarzem Obsidian und einer aus glasklarem Kristall.
Der Obsidianthron war leer. Auf dem Kristallthron saß eine Katzenfrau in wallenden goldenen Gewändern und mit schneeweißem Fell.
Die weiße Katzenfrau streckte ihre Arme aus. "Komm zu mir, Kleines," forderte sie Kitty auf. Das Mädchen schwankte zwischen Angst und Neugier. Schließlich siegte die Neugier, sie ging auf die Katzenfrau zu und ließ sich von ihr in die Arme nehmen.
"Willkommen, Kitty," sagte die Katzenfrau, "werde eine von uns." In dem Moment veränderte sich etwas. Es fiel dem Mädchen erst einige Augenblicke später auf, was es war. Das Podest war nun nur noch ein grasbewachsener Hügel, auf dem zwei elegante Korbstühle standen. Kitty rieb sich erstaunt die Augen. "Der Rubin, der Thron?"
"Das Auge eines Sterblichen läßt sich leicht täuschen," erklärte die weiße Katzenfrau, "du siehst nicht nur mit den Augen sondern auch mit den Geist. Vieles, was du nicht verstehst setzt du in anderes um, was du verstehen kannst, oder du siehst das, was deinen Vorstellungen entspricht, das geschieht automatisch, ohne das du es merkst. Du siehst immer nur einen Teil der Wahrheit.
Ich weis, das ist jetzt sehr kompliziert für dich, aber du wirst bald verstehen. Denn du wirst eine Weile bei uns bleiben, du wirst bei uns lernen. Sachen von denen du in deiner Heimat niemals erfahren hättest, wirst du bei uns lernen. Du wirst viele unserer Geheimnisse erfahren. Eines Tages wirst du in deine Welt zurückkehren, aber du wirst nicht mehr die Selbe sein, du wirst eine von uns sein."
Mit weit aufgerissenen Augen sah Kitty die Katzenfrau an. "Wie lange werde ich bei euch bleiben?"
"Das kommt darauf an," lautete die Antwort.
Zwei Wochen später zeigten Panthera und Lavenya, wie die weiße Katzenfrau hieß, Kitty einen besonderen Teil der Geisterinsel.
In einer spiegelglatten Felswand war ein perfekt halbkreisförmiger Höhleneingang. Die Schritte der Drei hallten unheimlich von den Wänden wieder, als sie die Höhle betraten. Der Gang war lang und düster, Kitty wußte nicht, wie weit sie gegangen waren, als sie vom Ende des Ganges ein helles Licht sehen konnte.
Sie betraten einen großen Saal. Nachdem sich Kittys Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah sie woher das Licht kam. Durch den Saal floß langsam ein breiter Fluß. Auf dem Fluß waren unzählige kleine Flöße, so dicht beieinander, das man das Wasser kaum sehen konnte. Auf jedem Floß war eine Kerze. Es waren Kerzen in allen Größen, manche waren sehr hoch und brannten hell, andere waren kaum mehr als ein Wachsfleck auf dem eine Flamme schwach flackerte. An den Wänden der großen Höhle waren noch etliche Laternen.
"Die Höhle ist das Weltenherz," begann Lavenya zu erklären, "der Fluß ist der Strom der Zeit. Die Kerzen sind die Lebenslichter der Menschen, die hohen Kerzen sind jung und haben noch viele Jahre vor sich, die kleinen Kerzen sind alt und haben nur noch kurze Zeit. Die Laternen, das sind wir, die Bewohner der Geisterinsel, wir Unsterbliche sind außerhalb der Zeit."
Lavenya nahm eine hohe Kerze aus dem Strom der Zeit, in dem Moment durchlief Kitty ein heißkalter Schauer. "Das bin ich," fuhr es ihr durch den Kopf. Mit Kittys Lebenslicht in der Hand, ging die Katzenfrau langsam auf eine Laterne zu, in der noch kein Licht brannte. Kitty wußte nicht, ob die Laterne vorher schon da war oder gerade erst erschienen war. Vorsichtig öffnete Lavenya die Laterne und zündete sie mit der Kerze an. Wieder durchlief ein Schauer das Mädchen. "Jetzt gehöre ich wirklich zur Geisterinsel." Sobald die Laterne brannte, löste sich die Kerze auf.
Panthera nahm Kittys Hand. "Komm mein Kind," forderte die Pantherfrau das Mädchen auf, "es wird wieder Zeit für deinen Unterricht."
Cat stand wieder einmal am Ufer vom Fluß der Zeit. Die junge Frau dachte an all die Menschen deren Lebenslichter auf dem Fluß trieben. Nach einiger Zeit wanderte ihr Blick über die Laternen an den Höhlenwänden. Langsam ging sie auf eine der Laternen zu, vorsichtig, fast zärtlich strich sie über das Licht. "Es scheint jetzt eine Ewigkeit her zu sein, das Lavenya die Laterne für mich angezündet hat. Mit der Kitty von damals hab ich nicht mehr viel gemeinsam." Sie seufzte. "Was mag aus meinen Eltern und meinen Geschwistern geworden sein? Leben sie überhaupt noch? In zehn Jahren kann viel passieren. Das Dorf, meine Freunde..."
Sie verließ die Höhle, ungefähr auf halben Weg zur Siedlung der Katzenfrauen begegnete ihr Panthera. "Was ist mit dir los, mein Kind?" wollte die Pantherfrau wissen, "du siehst so bedrückt aus. Hast du wieder Heimweh?"
"Ja. Ich mach mir Sorgen um meine Familie und meine Freunde. Ich muß immer wieder daran denken, wie es ihnen wohl geht."
"Ich weis," sagte die Pantherfrau, "deine Zeit bei uns muß für dich schwer gewesen sein. Meine Schwester und ich sind uns einig geworden, das es für dich Zeit wird, in die Welt der Sterblichen zurückzukehren. Morgen werde ich dich in dein Dorf zurückbringen."
Cat zitterte am ganzen Körper. "Ich - ich weis nicht. Ich hab Angst. Es ist lange her, ich bin jetzt eine von euch, eine Unsterbliche. Werden die Menschen mich noch akzeptieren? Inzwischen seid ihr wie eine Familie für mich geworden. Dort werde ich eine Fremde sein. Ich - Ich - Ich werde fahren."
Seit zehn Tagen stand Kasita, Kittys Mutter, immer wieder von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, am Hafen und wartete auf das Schwarze Schiff. Sie wartete auf den Schwarzen Fährmann. Würde die Pantherfrau ihre Tochter zurückbringen, oder würde sie einen neuen Pfahl am Schädelweg aufstellen?
Am Mittag des zehnten Tages ertönte wieder der bekannte Ruf: "Das Schwarze Schiff kommt zurück." Das Ganze Dorf schien sich am Holzsteg zu versammeln.
Das Schwarze Schiff glitt an den Steg, Leinen wurden über die Pfähle geworfen. Das Schiff hatte angelegt, endlose Sekunden rührte sich nichts. Dann stiegen endlich zwei Personen vom Schiff an Land.
Zuerst kam der Schwarze Fährmann an Land, die Pantherfrau sah sich kurz um, sie schien abzuwarten.
Die Zweite war mindestens genauso auffällig, wie der Schwarze Fährmann. Ungefähr eins achtzig groß, bekleidet mit einem knielangen Rock aus braunem Leder, Sandalen, die fast bis zum Knie geschnürt waren und einem vergoldeten Harnisch. Das mähnenähnliche Haar der grünäugigen Frau floß in kupferroten Locken über ihren Rücken fast bis zu den Kniekehlen. An ihrem Gürtel hing ein Armlanges Schwert mit gebogener Klinge.
Alle Anwesenden schienen den Atem anzuhalten, als die geheimnisvolle Frau auf Kasita zuging. "Mutter, erkennst du mich? Ich bin’s, deine Tochter."
Kasita sah sich die Fremde genau an, dann nahm sie sie in die Arme. "Kitty meine Tochter, du bist es wirklich. Du bist erwachsen geworden. Wie ist es dir ergangen? Wie konntest du dich in der kurzen Zeit so verändern?"
"Auf der Geisterinsel läuft die Zeit anders," mischte Panthera sich ein, "für Cat wahren es zehn Jahre."
"Es stimmt was sie sagt, Mutter," bestätigte Cat, "für mich waren es zehn Jahre. Die Zeit hat mich verändert, ich bin kein Mensch mehr, ich bin jetzt ein Wesen der Geisterinsel."