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Die Geister, die ich nicht rief
Bis zu jenem schicksalhaften Tag vor einigen Jahren habe ich nie an Geister geglaubt. Dann aber geschah etwas, das mir auf einen Schlag die Tomaten von den Augen nahm. Seitdem werfe ich jede Nacht, bevor ich mich schlafen lege, noch einen Blick in den Kleiderschrank und unter das Bett – ein Ding aus einer anderen Welt könnte zwischen den Socken stecken oder sich in den Staubfusseln unter meiner Ruhstatt wälzen.
Zu jener Zeit, als sich die Ereignisse zutrugen, arbeitete ich an einem universitären Lehrstuhl für Betriebswirtschaft; ich war ein junger Mann in der Blüte seines Lebens, voller Ideale und ohne Falten.
Meine kleine bescheidene Arbeitswelt drehte sich um Formeln, Kausalitäten, Marktbeobachtungen und den Mensafraß um 13.00 Uhr. Abgesehen von der Weizenschnitte Hubertus, die hin und wieder auf dem Speiseplan erschien, hatte ich in der Realität keine Erfahrungen mit rational nicht erklärbaren Phänomenen gemacht. Ich hatte nie an spirituellen Sitzungen mit medial veranlagten Hausfrauen teilgenommen. Ebenso waren mir das Tischerücken und die Wahrsagerei höchst suspekt. Nahtoderfahrungen konnte ich auch keine aufweisen – ausgenommen die bangen Minuten nach dem Verzehr einer weiteren Weizenschnitte Hubertus.
Geister, Dämonen und das ganze Kroppzeug gab es im Kino und in Büchern, aber nicht in der Realität. Dessen war ich mir absolut sicher.
Doch ich irrte. Es gibt Geister. Ich schwöre. Ich war nämlich dabei, ich hab´s erlebt.
Freitag, 24. Dezember 1999
Heiligabend ohne Geschenke ist so wie Heiligabend ohne Wham – undenkbar. Mit Wham hatte ich keine Probleme – Last Christmas quäkte aus den 3-Watt-Boxen des Ghettoblasters, den ich vor Jahren bei ALDI für fünfzig Mark erstanden hatte.
Meine Probleme bestanden darin, daß mir immer noch die Geschenke für Mutter und Oma fehlten. Als vielbeschäftigter Mann, dem sich der Inhalt des Handbuchs Zeitmanagement für Dummies einfach nicht erschließen wollte, hatte ich mal wieder bis zur absoluten Deadline gewartet. Jetzt war ich in eine üble Zeitfalle geraten, und die Angst vor einer Spontanenterbung unter´m Weihnachtsbaum trieb mir den Schweiß auf die Stirn.
Geschenke mußten her, und zwar fix. Zu diesem Zweck war ich zu einer äußerst ungesunden Morgenstunde aufgestanden und zur Uni gefahren, weil sich dort genau die Ausstattung befand, die ich für meine Gaben benötigte – ein Farblaserdrucker.
So hockte ich nun in meinem Büro und starrte auf das geöffnete Worddokument, dessen blinkende Einfügemarke mich höhnisch anzulächeln schien. Glücklicherweise war ich aber nicht völlig planlos. In der Nacht zuvor hatte ich so ein Art Erleuchtung gehabt – eigenhändig zusammengepfriemelte Gutscheine sollten es sein. Für Mutter ein Gutschein über ein paar Aktien aus meinem Depot, für Oma ein Essensgutschein. Der Chefredakteur der Zeitschrift Schenkideen für Sie&Ihn hätte mir dafür wahrscheinlich in den Arsch getreten, aber der wußte ja nicht, wo ich wohnte.
Die Alternative, mich zwischen all die anderen Bekloppten in den Geschäften zu zwängen, schied diesmal aus. Ideenlos wie eh und jeh hätte es wohl doch wieder nur zu einem Buch von Rosamunde Pilcher und Moments, dem Duft für Frauen von Priscilla Presley, gereicht. Mit den Jahrzehnten nutzt der gewünschte Überraschungseffekt beim Auspacken da schon mal leicht ab.
Außerdem fand man an einem solchen Tag sowieso nur schlecht einen Parkplatz.
Es verging wertvolle Zeit, bis ich endlich vor dem Produkt meiner gestalterischen Kreativität saß:
Monströse Buchstaben prangten wie satanische Zeichen auf einem tiefroten Hintergrund, eingekesselt von der militärisch perfekten Formation einer Division Tannenbäumchen.
Da konnte Mutter ja wohl nicht meckern.
Rasch speicherte ich das Werk unter Geschenk Mutti ab, dann überarbeitete ich den Text geringfügig, und schon hatte ich auch das Geschenk Oma.
So, nur noch schnell zu Papier bringen, dann konnte die Post abgehen. Zunächst druckte ich zwei Probeexemplare in meinem Büro aus. Ja, sah schon mal ganz ordentlich aus. Jetzt nur noch das ganze Gedöne auf dem qualitativ besseren Farblaserdrucker des Chefs raushauen, und fertig war das Meisterwerk.
Mal gut, daß ich alleine war. Meine drei Kollegen, die Sekretärin und der Chef waren in Urlaub. Der Alte hatte es eben gerne, wenn das Büro zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen blieb.
Ich hastete aus meinem am hintersten Ende des Lehrstuhl gelegenen Büro in dasjenige des Chefs, schaltete den Drucker ein, rannte zurück, wählte in Word den Drucker des Alten aus, rannte wieder in sein Büro – und machte ein dummes Gesicht.
Das Gerät spuckte nichts aus. So ein Mist! Es kam häufiger vor, daß das Netzwerk einige Druckaufträge einfach auf Nimmerwiedersehen verschluckte. Ausgerechnet heute war das natürlich denkbar schlecht. Mein Kollege Frank, der für das Netzwerk zuständig war und als einziger Ahnung davon hatte, weilte im Süden der Republik. Nichts zu machen.
Aber wenigstens blieben mir die akzeptablen Versionen der Gutscheine, die mein Drucker ausgespuckt hatte. So wirklich schlecht waren die nun auch nicht.
Ich packte meinen Kram zusammen und verließ das Büro.
Heiligabend war gerettet.
Oh, du Fröhliche...
Montag, 27. Dezember 1999
Um 11.30 Uhr rauschte ich erholungsverachtend im Büro an. Irgendwann zwischen einer Hühnersuppe mit obszön starrenden Fettaugen, knusprig gebratener Putenbrust an Rotkohl, meinen Schwiegereltern und dem römischen SadoMaso-Epos Ben Hur – in dem es sich Charlton Heston mal so richtig mit der Peitsche geben ließ, während er mit einem antiken Minirock bekleidet durch den Circus Maximus kutschte – war mir siedendheiß eingefallen, daß ich einen gar wichtigen Brief nicht abgeschickt hatte; was nicht weiter verwunderlich war, weil ich ihn nicht einmal erstellt hatte. Der Chef hätte mir die Ohren langgezogen, zumindest aber aufmunternde Formulierungen wie I´m not amused oder Ich bin sowas von pissed off, das kann ich Ihnen sagen zum Besten gegeben.
Geschwind suchte ich mir die Informationen aus den verstaubten Akten zusammen, hackte das Schreiben in den Rechner, versah es mit Datum und meinem Namenskürzel und gab das Dokument zum Druck frei. Nichts geschah. Mein Fluch muß Gott erzürnt haben, aber in diesem Moment war mir das schnuppe. Dann fiel es mir ein. Die Druckerauswahl war noch vom letzten Freitag auf das Gerät des Alten eingestellt. Ich fummelte in dem Menü herum, wechselte den Drucker, und da kam es dann auch schon, das Schreiben. Puh!
Rubbeldiekatz war es eingetütet. Rechner aus, Licht aus. Dann ab ins Büro des Alten. Drucker an. Warten... Warten... Warten... Nichts. Na gut, dann gab es wenigstens keine Spuren, die es zu vernichten galt. Sollte der Kram doch in den Ewigen Datengründen auf ewig verschimmeln.
Jetzt noch schnell den Brief runter ins Dekanat bringen, dann konnte mein Urlaub endlich beginnen.
Ich verließ den Lehrstuhl. Es war fast auf die Sekunde 12.15 Uhr.
Montag, 03. Januar 2000
Am ersten Arbeitstag nach meinem einwöchigen Urlaub schleppte ich mich zur Uni. Alles war wie immer. Der Jahreswechsel hatte die Welt nicht in ein Chaos gestürzt. Die Sekretärin war freundlich. In meinem Büro roch es nach kaltem Rauch. Auf dem Schreibtisch stand meine Kaffeetasse mit Diddel-Maus-Motiv und einem Bodenbelag, der mich an die Flöze im Bergbaumuseum in Bochum erinnerte.
Ich ließ mich in den Bürostuhl fallen und tat, wofür ich spärlich entlohnt wurde. Nach und nach trudelten auch die Kollegen ein. Vom Alkohol noch lädierte Stimmbänder raunten sich das übliche „Frohes Neues“ zu, dann tauchten alle ein in die wunderbare Welt der Forschung.
Fehlte nur noch der Chef. Oftmals bemerkten wir in den hinteren Räumen sein Erscheinen gar nicht, bis dann irgendwann sein Anruf den wohlverdienten wissenschaftlichen Schlummer störte und das unmotivierte Keifen des Alten förmlich aus der Hörermuschel spritzte.
An diesem Montag kam es aber völlig anders.
Es war noch vor der Mittagspause – in der es gnädigerweise diesmal keine Weizenschnitte Hubertus gab – und ich döste gerade so vor mich hin, als ich aus den Augenwinkeln bemerkte, wie eine Gestalt mein Büro betrat. Ich blickte auf und sah – den Alten.
Aha, jetzt kriegste ein ‚Frohes Neues‘ um die Ohren, und zusammen mit verbalen Geburtstags- und Weihnachtsaufmerksamkeiten muß das dann aber auch genug der jährlichen Motivation sein.
Es war nicht die Regel, daß sich der Chef auch einmal zu seinen Vasallen bequemte, aber es war auch keinesfalls ungewöhnlich. Daß er aber die Tür zu meinem Büro hinter sich schloß, das war ungewöhnlich.
Schnell drehte ich den Ghettoblaster leiser, nahm einen Zug aus meiner Zigarette und pustete den Qualm wie einen schützenden Nebel Richtung Professor. Seltsam – er machte nicht einmal die übliche Bemerkung über die stinkende Diskothek, wie er mein Büro oft nannte.
Ich scannte sein Äußeres. Ein schlecht sitzender Anzug schlabberte um seine hagere Gestalt, schiefgeknotete Krawatte, strubbelige Haare, ein flusiger Oberlippenbart und ein kleiner Stoß Papiere in seiner Hand. Hm, das Ergebnis der optischen Unterschung war eindeutig – völlig normal.
Ja, bis auf sein Grinsen. Jetzt fiel es mir auf. Es war nicht überheblich oder zynisch, es war so... hm, so... gelöst. So befreit irgendwie.
Potzblitz, hatte er etwa einen Dreh gefunden, mir zu kündigen? Unser Verhältnis war nicht gerade von gegenseitiger Zuneigung geprägt. Ich mochte den Alten ungefähr so, wie ein Hase einen Bluthund mag. Umgekehrt war ich wohl nichts weiter als Hubba Bubba unter seinem Schuh – ehemals wohlschmeckend, jetzt nur noch lästig und klebrig.
Warum nur hatte er die Tür geschlossen und grinste so blöde?
Ich überlegte fieberhaft. Ich hatte keinen Kratzer in seinen sündhaft teuren Benz gezogen. Ich hatte keine Studentin auf meinem Schreibtisch gevögelt. Ich hatte meine Vorlesungen nicht in Jeans, sondern im Anzug – mit perfekt geknoteter Krawatte – gehalten. Ich hatte nicht einmal den Kardinalsfehler begangen, aus der Schublade der Sekretärin Twix und Gummibärchen zu entwenden, die der Alte so gerne in sich hineinstopfte – man durfte ihm vielleicht noch ungestraft die Frau ausspannen und das Haus wegnehmen, aber wer an seine Gummibärchen ging, der bekam ordentlich auf die Finger.
All das hatte ich nicht getan. Ich war mir keines Fehlers bewußt – ein Forschungsknecht mit weißer Weste.
Es kam Bewegung in die Szenerie. Der Alte durchschritt die wabernden Nikotinschwaden wie ein untoter Seemann aus The Fog – Der Nebel des Grauens und setzte sich auf den abgewetzten Besucherstuhl. Sonst saßen dort nur Studenten, was insbesondere im Sommer ganz angenehm war, denn je kürzer die verbleibende Zeit bis zu den Klausuren, desto kürzer wurden die Röcke der Mädels – Klausurlösungen habe ich trotz optischen Genusses dennoch nie rausgerückt.
Der Alte dagegen hatte dort noch nie zuvor gehockt.
Das wurde ja immer besser. Erst die Tür zu. Jetzt setzte er sich tatsächlich auch noch zu mir; uns trennte nur eine mit eingetrockneten Kaffeeflecken und Tassenrändern besudelte Tischplatte.
„Frohes Neues“, grinste er mich an.
Da war Hohn in seiner Stimme.
„Frohes Neues, Chef.“
„Na, wie läuft die Arbeit?“
Wenn du meine Doktorarbeit meinst – bescheiden. Deine wichtigen Statistiken über den Zusammenhang zwischen Mobilfunkteilnehmerzuwachsraten in Deutschland und dem Paarungsverhalten australischer Windhunde mit amputiertem linkem Hinterlauf, die mich wirklich – jetzt ganz ohne Scheiß, Chef – kaum Zeit kosten, da gerade Informationen zur zweiten Variablen im Internet quasi an jeder digitalen Ecke zu bekommen sind – nun, die Statistiken fluppen. Kein Problem. Meine Dissertation ist sowieso nur ein klitzekleines Hobby von mir. Die hat Zeit. Das war bestimmt nicht der Grund, warum ich hier angefangen habe. Neiheinnn!
Aber das konnte ich nicht sagen.
„Ich bin schön fleißig, Chef. Ergebnisse dann am Nachmittag.“
„Prima.“ Er räusperte sich. „Sagen Sie mal, waren Sie eigentlich während Ihres Urlaubs im Büro?“
Immer schon zu blöde, brenzlige Situationen frühzeitig zu erfassen, log ich fröhlich drauflos.
„Nein, Chef, ich hab die Woche mal ausgespannt.“
„Hm...“
Er nahm von dem Stoß Papier, den er so hielt, daß ich keinen Blick darauf werfen konnte, das erste Blatt und legte es auf den Schreibtisch.
Ach du Scheiße, das Dekanatsschreiben.
„Das hier wurde heute morgen bei mir ausgedruckt, nachdem Frank das Netzwerk wieder tiptop in Schuß gebracht hat. Haben Sie das geschrieben?“
Blöde Frage. Der Weihnachtsmann war es bestimmt nicht gewesen.
Da stand mein Kürzel drauf, und natürlich auch das Datum: 27. Dezember 1999.
„Ach so... ach ja, stimmt ja... das Schreiben. Ja, da war ich doch tatsächlich am Montag noch mal kurz hier. Hatte ich ja ganz vergessen. Hab nur dieses eine Schreiben aufgesetzt, weil´s mir blöderweise vorher durch die Lappen gegangen ist. War ja wichtig.“
„Ja, war wichtig. Gut, daß Sie es nicht vergessen haben. Prima.“
Irgendwie fühlte ich mich durch den Ton in seiner Stimme leicht verarscht.
Er griff wieder auf den Stoß Papier. In meinem Schädel schrillte ein Alarm. Zurecht.
„Können Sie mir das hier erklären?“
Grundgütiger! Ich wäre am liebsten vor Scham in den Boden versunken. Da lagen sie – meine Weihnachtsgutscheine.
Liebe Mutti, ab heute bist du stolze Besitzerin von fünf Aktien der... und
Liebe Oma, das ist ein Gutschein für ein gemütliches Essen bei...
Tannenbaumgerahmt. Nicht gerade wissenschaftliches Schriftgut.
„Oh, die... ja...“
Mein Wortschatz reduzierte sich auf Tele-Tubby-Niveau.
Er lächelte mich an, und ich las es in seinen Augen: Du arme Sau... du willst promovieren? Hahaha...
Ich legte ein umfassendes Geständnis ab. Es war peinlich, aber nicht arbeitsplatzgefährdend. Gut, vielleicht war ich ein wenig großzügig mit der roten Farbe gewesen, aber wen juckte das schon. Meine Gutscheine waren längst nicht so farbenfroh wie die lustigen Comics, die der Alte vor wenigen Wochen für seine Blagen ausgedruckt hatte.
Komm mir nicht auf die krumme Tour, Chef, ich hab dich in der Hand. So´n bißchen jedenfalls... glaub ich...
Innerlich stellte ich mich darauf ein, für die nächsten Wochen als Vollidiot dazustehen. Für seine Schweigsamkeit in solchen Dingen war der Alte nämlich nicht gerade bekannt.
Okay, Chef, steh auf, zieh von dannen und verkünde die spinnerte Nachricht. Trag es in die Welt hinaus. Nutze Konferenzen und Fachartikel, aber hau bloß ab.
Er blieb sitzen. Irritierenderweise hatte er immer noch Blätter in der Hand, drei oder vier an der Zahl, das konnte ich nicht genau erkennen.
Der Alte zog erneut ein Papier hervor. Der Spuk begann.
„Und können Sie mir dann vielleicht auch DAS hier erklären?“
Ich starrte auf den Farbausdruck, der auf meinem Schreibtisch lag. Was zum Teufel...? Ich blickte den Chef an. Der nickte nur auffordernd mit dem Kopf in Richtung Ausdruck.
Vor mir lag eine Blondine. Splitterfasernackt. Mein Gott, hatte die Brüste. Und wie akrobatisch sie erst ihr Beine spreizen konnte.
Der Tinky Winky in mir brachte nun gar kein vernünftiges Wort mehr hervor.
„Öööhmmm...“
Wortlos landete das nächste Bild auf dem Tisch. Diesmal eine Brünette. Natürlich auch mit Riesentitten. Sie hatte wie ihre skandinavische Vorgängerin kein Höschen an. Ihr rechter Zeigefinger zog die Unterlippe lasziv nach unten. Der linke Zeigefinger steckte zwischen den anderen Lippen – ganz tief drin.
Himmel, ich bekam echt Angst. War das sowas wie Universitäts-Report IX – Vom Chef verführt? Wollte der Alte mich etwa geil machen? Hatte er nur deswegen die Türe geschlossen, um mich ungestört vernaschen zu können?
Im Geiste sah ich schon, wie er aufstand, sich die Hose runterzog und mir seine professorale Erektion präsentierte.
‚Los, du unrasiertes Assistenten-Luder, nimm ihn in den Mund!‘
‚Für Vaterland und Ehre?‘
‚Nein, für Forschung und Lehre.‘
Ich starrte ihm irritiert in die Augen.
Es kamen noch zwei weitere Bilder. Allesamt nicht mein Geschmack. Zu perfekt, wie lebendige Beate-Uhse-Puppen mit drei Öffnungen. Aber was wußte der Alte schon von meinem Geschmack.
„Warum zeigen Sie mir das?“ wurde ich der deutschen Sprache wieder ansatzweise mächtig.
„Das wurde von Ihrem Rechner ausgedruckt.“
„Von meinem Rechner?“
Er nickte.
„Ja... und? Sie glauben doch wohl nicht, daß ich...“
„Am 27. Dezember, um 12.05 Uhr!“ unterbrach er mich.
„Woher wissen Sie das?“
„Logfile!“
Oh, wie ich die Häme in seiner Stimme haßte.
Er zeigte mir ein weiteres Blatt. Da war alles aufgelistet – unter einem Ordner mit meinem Namenskürzel standen die Druckaufträge.
27. Dezember, 11.59 Uhr, AnschreibenXY.doc.
27. Dezember, 12.05 Uhr, Monica.jpg, Ramona.jpg... und so weiter.
„Das kann nicht sein, Chef. Da war ich doch hier.“
„Ja, genau...“ grinste er.
Die Gerüchte kamen mir wieder in den Sinn. Gerüchte von Wachmännern, die sich dank Universalschlüssel nächtens an Rechner hockten und ihre ganze Aufmerksamkeit vom Gummi- auf den Fleischknüppel lenkten, während sie unbekleidete Mädchen in eindeutigen Posen aus dem Internet in die keusche Welt der Universität downloadeten.
Aber in meinem Fall hätte der Täter auf meinem Schoß sitzen müssen. Ein echter, wahrhaftiger Geist. Du lieber Himmel! 12.05 Uhr, da war ich noch hier gewesen. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Meine Knie begannen zu schlottern.
Dann riß ich mich zusammen. Mann oder Memme? Ich gab alles. Beteuerte, versicherte, verwies auf meinen einwandfreien Leumund, war entrüstet – und während der ganzen Zeit schrie eine Stimme in meinem Schädel, wie verdammt unglaubwürdig sich das alles anhören mußte angesichts der enthüllend-enthüllten Beweise auf meinem Schreibtisch.
Schnauze da oben!
Nach einer knapp zehnminütigen Diskussion stand es Unentschieden. Ich blieb bei meiner Version – besten Gewissens, weil es die Wahrheit war. Der Alte meinte dann irgendwann, da er es nicht wirklich beweisen könne, würde er mir wohl oder übel glauben und die Sache unter den Tisch fallen lassen.
Tat er natürlich nicht. Recht schnell waren die Kollegen informiert. Es gab ein großes Hallo, für wochenlangen Spaß im Lehrstuhl war gesorgt. Für einige Zeit bekam ich einen Spitznamen: Porno-Rolf.
Scherzhaft gemeint – natürlich!
Und weil es so natürlich scherzhaft gemeint war, gab es ja auch immer wieder Situationen wie die bei der Preisverleihung für besonders hervorragende Diplomarbeiten. Wir mit alle Mann im Audimax. Links neben mir saß der Alte. Auf der Bühne wurde soeben eine hochgewachsene Blondine mit bemerkenswerten Kurven für ihre schriftliche Leistung ausgezeichnet. Sie trug ein bodenlanges Kleid, das seitlich bis fast zur Hüfte hinauf geschlitzt war und wohlgeformte Beine zeigte.
„Na“, zwinkerte mir der Alte zu und stieß mich mit dem Ellbogen kumpelhaft an, „das ist doch genau Ihr Kaliber, was?“
Ja, klar.
Die Sache wurde nie aufgeklärt. Ich richtete mir einen Zugriffsschutz auf meinem Rechner ein. Etwas Ähnliches ist nie wieder geschehen.
Aber seit dieser Zeit glaube ich an Geister. Jede Nacht, bevor ich schlafen gehe, werfe ich noch einen Blick in den Kleiderschrank und unter das Bett – ein Ding aus einer anderen Welt könnte sich dort versteckt halten. Oder ein transparenter Wachmann mit Erektion.