Die geheimnisvolle Lichtung am Waldrand
Es war an einem strahlend schönen Sommertag, als ich mit meiner Schwester Lina zum Brunnen im Zentrum der Stadt unterwegs war. Als wir dort ankamen, ließen wir uns am Brunnenrand nieder. Ich streckte mein Gesicht der Sonne entgegen und sie kitzelte mich an der Nase. Es hatte bestimmt 30 Grad und ich liebte das einfach. „Antonia. Ist das nicht herrlich hier!“, sagte meine Schwester Lina. Ich wendete meinen Blick zu ihr und nickte. „Ja, das ist es wahrhaftig!“ Meine Schwester hatte braune Haare und blaue Augen. Ich selbst hatte braune Haare und braune Augen. Lina meinte, wenn man mir in die Augen sah, dachte man ich sei ein Löwe. Und ich erwiderte immer darauf: „Ja, das will ich auch hoffen. Jeder, der mir zu nahekommt, wird sein blaues Wunder erleben!“ Und dann lachten wir.
Ich sah mich um. Der Platz, auf dem wir uns befanden, war umgeben von Cafés, Kleidungsgeschäften, Restaurants und einer Sport-Arztpraxis. Als mein Blick zur Arztpraxis fiel, fiel mir etwas auf. Mehrere Menschen standen dort Schlange. „Was ist denn da los?“, fragte ich Lina. Lina zuckte mit den Schultern: „Ich schau mal hin!“ Als Lina wiederkam, strahlte sie übers ganze Gesicht. „Da ist eine Informationsveranstaltung über Sport, Muskelaufbau und Fett. Wollen wir da auch hin?“ Ich stimmte zu.
Als wir nach langem Anstehen endlich im Vorlesungssaal saßen, stand eine Ärztin vorne. Es war eine Frau mit blonden Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. „Herzlich Willkommen meine Damen und Herren zu meinem Vortrag über Sport!“, begann sie. „Zu Beginn möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich jedem von Ihnen eine Spritze geben werde. Durch diese Spritze werden sich für die nächsten zwei Stunden Ihre bereits vorhandenen Muskeln verdoppeln. Das benötige ich für die Sportexperimente, die ich mit Ihnen vorhabe! Wer das nicht möchte, kann gehen, der Rest kommt jetzt bitte nach vorne!“
Die meisten Leute gingen. Am Schluss waren außer uns nur noch drei Leute da. Lina war im Begriff nach vorne zu gehen. Völlig entgeistert rief ich: „Lina, was machst du da? Wir verschwinden von hier. Wir lassen das nicht mit uns machen. Wir wissen gar nicht, wie schädlich diese Stoffe sind!“ Noch während ich das sagte, hatte die Frau allen drei Personen die Injektionsnadel in den Arm gerammt. Sie sagte: „Merkt ihr schon was? Ich habe euch vergiftet!“ Sie lachte bösartig auf und lehnte sich gegen das Vorlesungspult. Der Erste kippte um. Nun kam die Frau mit ihrer Spritze auch auf uns zu. Ich konnte mich nicht rühren vor Angst. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Lina reagierte schneller. Sie nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Raum hinaus. Wir liefen über den Brunnenplatz und kamen beim Brunnen zum Stehen. Ich zückte mein Handy, rief Polizei und Krankenwagen. Als ich fertig war, kam die Frau schon wieder auf uns zu. Wir begannen wieder zu rennen bis zum Ende der Stadt. Nun standen wir auf einem Feldweg, völlig außer Puste! Als wir wieder Luft bekamen, sagte Lina: „Das war knapp. Hoffentlich hat die Polizei die Frau schon gefasst. Du hattest recht, wir hätten ihr nicht trauen dürfen!“ Vorsichtshalber sahen wir uns nach allen Seiten um. War die Frau uns gefolgt? Erleichtert stellte ich fest, dass wir alleine waren.
Wir gingen weiter. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag. Irgendwann standen wir an einem Waldrand. Es war herrlich still hier. Ich schloss die Augen und genoss das Zwitschern der Vögel. Eine sanfte Windbrise streifte mein Gesicht. Ich öffnete die Augen wieder und betrachtete den Wald mit seinen vielen Fichten und Laubbäumen. In der Ferne sah ich ein Reh davonlaufen. Ich lächelte. Rehe waren faszinierende Geschöpfe.
Doch plötzlich wurde die Stille durch einen Schrei unterbrochen. Ich zuckte zusammen und brauchte eine Weile, bis ich erkannte, woher der Schrei kam. Von Lina. Ich sah zu ihr. Mit zitternder Hand wies sie auf eine Wiese vorm Wald. Dort steckten zwei kleine Kinder in einem Erdloch fest, ein Mädchen und ein Junge, ca. 6 Jahre alt. Ich traute meinen Augen nicht. Ich ging auf die Kinder zu. Lina folgte mir. Plötzlich zog Nebel auf und die kleinen Kinder kamen als geisterhafte Erscheinung aus dem Wald. Die Kinder gab es zweimal im Erdloch und als Geist Hand in Hand. Die Kinder kamen vor uns zum Stehen. Meine Haare stellten sich zu Berge. Der kalte Schweiß brach mir aus. Ich war unfähig zu schreien. Ich sah zu Lina, sie war kreidebleich. Ich nahm allen meinen Mut zusammen und sagte: „Was ist denn mit euch passiert?“ und wies auf die Erdlöcher. Das Mädchen lächelte traurig und die Kinder verschwanden. Ich sah zu den Kindern in den Erdlöchern. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie wusste ich, dass wir den Kindern nicht mehr helfen konnten. Ich sah in die verzweifelten Augen des kleinen Mädchens. Das Mädchen sagte: „Bitte hilf uns!“ Obwohl ich schon wusste, dass das nichts bringen wird, fasste ich das Mädchen an seinen kleinen Händen und versuchte es aus dem Erdloch zu ziehen. Doch in dem Moment als ich sie berührte, wurde ich von einem elektrischen Schlag erfasst, in die Luft geschleudert und landete unsanft auf meinem Po. Dann wachte ich auf und stellte erleichtert fest, dass ich nur geträumt hatte. Der Schreck saß mir noch tief in den Knochen und ich fing an zu weinen. Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, sah ich nach meiner Schwester. Sie lag in ihrem Bett. Alles war gut.