Mitglied
- Beitritt
- 21.02.2002
- Beiträge
- 246
Die geheimnisvolle Frau
Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, vorerst aber frage ich euch, ob ihr wisst wie es ist Angst zu haben? Nicht die Angst vor etwas bestimmten, nach einem Film oder nach einer Geschichte, nein, was haltet ihr vom Verfolgungswahn? In jeder Ecke ist ein Schatten, jedes Geräusch könnte ein Schritt sein, jeder Schritt könnte der Schritt desjenigen sein, der euch auflauert, der euch womöglich töten will töten wird. Wer oder was wird dieser jene sein? Stellt euch vor, nachts, ihr steht auf weil der Durst euch wach hält. Aber ihr könnt nicht aufstehen. Die Angst fesselt euch. Nicht bewegen, keinen Mucks von sich geben. Stille. Das kleinste Geräusch lässt euch aufhorchen. Ihr habt Gänsehaut, euch ist kalt. Eisige Kälte, aber ihr könnt euch nicht zudecken, aus Angst, euch zu rühren. Ihr seit wie an euer Bett gefesselt. Euere Blicke gleiten durchs Zimmer, suchend nach irgendeinem Punkt, der euch beruhigt. Aber überall sind Schatten. Grässliche Schatten. Ihr wollt gar nicht genauer hinsehen, wollt nicht sehen, welche Silhouette dieser Schatten beschreibt. Ihr wollt euch nicht umdrehen. Etwas könnte euch im Nacken sitzen. Ihr wollt euch nicht vorstellen, wie es ist sich umzudrehen und nicht zu wissen, was euch erwartet. Aber ihr stellt es euch trotzdem vor. Es wird da sein Es könnte überall sein. Es. Was ist es? Derjenige, der diese Situation kennt, weiß, was Angst ist.
Ich weiß noch genau wie ich, damals 10 Jahre alt und ein verängstigtes Kind mit genau diesem Verfolgungswahn, versucht habe immer wieder wegzuhören. Keiner sollte etwas merken. Wie ich damals versucht habe mich abzulenken. Ich wollte die gruseligen Geschichten nicht hören, die erzählt wurden. zwei Freundinnen und ich sowie unsere Reitlehrerin, die uns an diesem Abend betreute, sollten auf dem Dachboden des Hauses schlafen, das zu einem sehr schönen und alten Reiterhof gehörte. Hier oben war es dunkel aber durch das Fenster drang Licht, wenn draußen eine Katze über den Hof lief und der Bewegungsmelder reagierte. Zu dieser späten Zeit konnten es nur Katzen sein, die dort draußen waren, oder einer von uns. Jeder andere auf dem Gehöft schlief.
Der Abend war recht schön. Nachdem wir die Pferde versorgt hatten, sahen wir den Film „Der Pferdeflüsterer“. Danach redeten wir noch eine ganze Weile. Eigentlich wollten wir nun versuchen zu schlafen, da wir morgen 3 Stunden lang durch die erbarmungslose Kälte reiten sollten, die in diesem Frühjahr an jedem Menschen nagte, der sich unter dem Wort Frühling etwas anderes vorstellten als Frost, Tau, Schnee und eisige Kälte. Aber auch für alle anderen war es hart. Der Winter wollte sich nicht geschlagen geben.
So sehr wir uns auch Mühe gaben, schlafen konnte keiner. Draußen tat sich ein Gewitter auf. Helle Blitze ließen den Himmel und auch den Raum für kurze Zeit hell werden. Es regnete heftig. Als wir uns gerade alle dazu bekannten, nicht schlafen zu können und als wir uns gerade aufrichten wollten, um doch noch ein wenig zu reden wurde es für längere Zeit hell.
Das auf dem Hof das Licht anging, störte uns wenig, zu diesem Zeitpunkt freute sich jeder gerade noch, nicht der einzige zu sei, der wach war. Auf einmal hörten wir ein Heulen. Es klang grässlich. Direkt unter unserem Fenster war der Hundezwinger. Nur wieso heulte der Hund? Gewöhnlich war er zu dieser Zeit still in seiner Hütte. Auch Hunde brauchten ihre Ruhe, ihren Schlaf. Doch der Hund heulte. Schnell dachte ich an die letzten Sekunden. Da war das Grollendes Donners, kurz danach das Blitz und in diesem Moment Licht. Die Katzen würden doch nicht bei diesem Wetter über den Hof rennen. Soweit ich mich erinnern konnte waren alle Katzen im Haus als wir schlafen gingen.
Eine dunkle Vermutung tat sich in mir auf. Ich wollte es nicht aussprechen. Ich hatte Angst. Und ich hörte immer wieder den Hund jaulen. „Der wird doch gequält!“ Worte die ich jedes Mal wieder hörte, wenn ein Hund auf diese Weise heult. Unsere Erzieherin, die eigentlich mehr so etwas wie eine erwachsene Freundin für uns war, sprang auf, zog sich schnell etwas Wärmeres an und rannte nach draußen um zu sehen was dort unten geschah. Ich merkte dass auch die anderen, sowie sie selbst Angst hatten. Trost konnte ich also nicht erwarten.
Sekunden die uns vorkamen wie eine Ewigkeit vergangen. Langsam begannen wir uns Sorgen zu machen. Was passierte dort unten? Keiner wollte sich rühren und zum Fenster hinaus sehen. Vielleicht wollte es auch keiner genauer wissen?! Als die Tür sich öffnete zuckten wir zusammen. Wir hatten nicht gehört wie unsere erwachsene Freundin wieder den Flur betreten hatte. „Nichts!“ Wir waren ein wenig beruhigter. Ich redete mir ein dass es doch eine Katze war. Unwahrscheinlich.
Mein Herz pochte, ich war aufgeregt und konnte jetzt erst recht nicht mehr schlafen.
„Wisst ihr, was jetzt cool kommen würde? Wie wäre es, wen ich ein paar alte Geschichten erzähle?“
Um abgelenkt zu werden willigten wir gern ein. Sie erzählte Geschichten aus ihrem Dorf. Sie erzählte uns von verschiedenen Festen aber auch von Sagen, die immer wieder neu zum Leben erweckt wurden. Von Menschen, die verschwanden, zufällig dann, wenn Gewitter war. Von Tieren, die von Blitz erschlagen wurden und trotzdem noch lebten.
So etwas hatte uns jetzt gefehlt. Wir hatten schon Angst und dann noch diese Geschichten! Keiner wusste, dass ich die Schlimmste von allen war, dass ich die meiste Angst hatte, dass ich mich nicht mehr rührte oder rühren konnte. Ich versuchte an etwas anderes zu denken. Ich wollte nicht zuhören. ‚Dumme Neugierde’ dachte ich. Ich lauschte doch immer wieder zu.
„Die krasseste Geschichte erzähle ich euch jetzt. Meine Großmutter hat sie mir erzählt. Ich war damals ungefähr in euerm Alter. Wenn ihr sie gehört habt, könnt ihr euch sicher vorstellen, was mir bei dieser Geschichte so Angst gemacht hat. Ich versuche sie euch so zu erzählen, wie auch ich sie erzählt bekommen habe.“ Ohoh, jetzt sollte ich wirklich weghören. Doch ich konnte nicht. Diese Geschichte sollte mich in meinem damals naiven Alter in ihren Bann reißen, mich faszinieren. „Meine Ur-urgroßmutter fuhr damals mit 5 anderen Frauen aufs Feld raus, zur Maisernte. Als der Himmel sich verdunkelte, packten sie ihre Sachen zusammen und fuhren mit der Kutsche Richtung heimwärts. Es begann zu regnen. Die Frauen banden sich also Kopftücher um. Sie wollten nicht, dass ihre Haare nass wurden. Jede Kraft wurde gebraucht, wenn auch nur eine von ihnen einen Schnupfen bekäme, würde es verdammt schlecht aussehen, die Ernte noch heil und vor allem rechtzeitig nach Hause zu bringen. Und das Geld, das beim Verkauf für jeden einzelnen heraussprang, wurde dringend gebraucht zu dieser damaligen Zeit. Die Kutsche fuhr schneller. Meine Urgroßmutter lenkte diese Kutsche. 4 andere hatten sich neben sie auf den Kutschbock gezwängt. Die Kutsche war zwar alt, aber sie hielt noch einiges aus. Die letzte Frau, sie war neu im Dorf, saß auf der Ladefläche der Kutsche zwischen dem Mais. Nun setzte auch das Gewitter ein und der Regen wurde stärker.“
„Die Situation kennen wir ja, von wegen Gewitter. Guck dir mal draußen das Wetter an. Und die Geschichte vorhin, mit der abgebrannten Heuscheune, die war ja auch nicht schlecht.“ Jule kam auf den Punkt zu sprechen, den auch ich im Hintergedanken hatte. Draußen wütete ein Gewitter. Tolle Atmosphäre um eine Gruselgeschichte zu erzählen.
„Jedenfalls wurde die Frau die zwischen dem Mais saß immer als ein wenig merkwürdig angesehen. Keiner wusste woher sie kam. Sie hatte immer schon eine merkwürdige Art an sich. Ihre grünen Augen hatten etwas Geheimnisvolles. Angeblich war sie stumm. Außerdem hatte sie eine Narbe kurz unter der Augenbraue.
Das Gewitter kam immer näher das hörten die Frauen. Bald war es genau über ihnen. - Ihr wisst, man erkennt das daran, dass der Donner sofort auf den Blitz folgt. - Die Kutsche fuhr also immer schneller. Man hoffte heil nach Hause zu kommen. Die Frauen waren nass bis auf die Haut. Der nächste Blitz sollte ein Unheil mit sich bringen...“
„Was ist mit dem nächsten Blitz, schlug er neben ihnen ein?“
„Nein er schlug nicht neben ihnen ein. Er traf die Frau, die auf der Ladefläche saß. Ihr wisst schon die Unbekannte. Die schrie auf, Ihre Haare fingen Feuer, das Wasser leitete den Strom, es war ein schreckliches Bild. Der Regen konnte die nun brennende Frau nicht löschen. Das Geschrei und das Gestöhne dieser Frau waren furchtbar. Die anderen Frauen sprangen von der Kutsche aber niemand konnte die Brennende retten. Sie stand lichterloh in Flammen. Immer noch schrie sie vor Qualen. - Wenn man verbrennt, wird man entweder ohnmächtig wegen den Schmerzen und Qualen, oder man erlebt alles mit. Man erlebt jede Sekunde bis zum Tod. Furchtbar wie brutal diese Art des Sterbens war. -
Ohne jede Hoffnung die Frau retten zu können rannten die anderen 4 ins Dorf. Es war eine Reaktion, die auf den Schock folgte und über das was sie gesehen hatten, aus eigener Todesangst. Die Schreie waren weit zu hören. Im Dorf hatten sich ihrer Männer daraufhin versammelt, aus Sorge ihnen könnte etwas zugestoßen sein. Die Überlebenden erzählten die grausame Geschichte.
Am nächsten Tag machten sich die Einwohner des Dorfes auf den Weg. Sie wollten schauen, ob noch irgendetwas zu retten war oder ob die Flammen alles gefressen hatten. Als sie zu der Stelle kamen, an dem sich das Schicksal zugetragen hatte, trat grausame Stille ein. Sie sahen nur noch ein Häufchen verwehter Asche auf einer Kutsche, die den Brand wie durch ein Wunder fast unversehrt überstanden hatte. Nur ein wenig verkohlt war sie an der Stelle, an der die Frau gesessen hatte. Auf der Asche lag etwas, dass den Dorfbewohnern einen Schrecken einjagte. Das schwarze Tuch, was die Frau an diesem Tag getragen hatte, war unversehrt. Es hatte überlebt.“
„Was war mit der Frau?“
„Sie ist verbrannt. In den Flammen qualvoll ums Leben gekommen.“
„Und das Tuch?“
„Die Dorfbewohner sagen, sie ist nur verbrannt weil sie eine Hexe war. Denkt mal an die Kutsche, an das Tuch...alles wurde rechtzeitig vom Regen gelöscht....nur die Frau nicht. Und denkt an noch etwas…diese Geschichte ist wirklich wahr!“
In dieser Nacht bekam ich kein Auge zu. Noch oft musste ich an die Frau denken. War sie wirklich eine Hexe? Ich hatte Angst. Und ich habe immer noch Angst. Jedes Mal, wenn der Donner sofort auf das Zucken des Blitzes folgt….
[Beitrag editiert von: ['instin(c)t] am 06.03.2002 um 13:12]