Die gefallene Heldin
Ihre blutunterlaufenen Augen zuckten unruhig hin und her. Sie schien keine Ruhe zu finden, dennoch griff ihre zittrige Hand erneut nach dem halbleeren Weinglas, das vor ihr auf dem Tisch stand. Ein Seufzen entfuhr ihr, sobald sie das Glas wieder abstellte. Ein weiterer schmieriger Abdruck ihres Lippenstiftes war nun darauf zu erkennen.
Ein Baby schrie, doch sie nahm es nicht wahr. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, was vor ihr war. Oder besser gesagt wer.
Mia stand da, mit zusammengesackten Schultern und Tränen in den Augen. Sie trug ihr blaues Nachthemd und ihre Haare waren zerzaust.
“Er hört nicht auf zu schreien. Bitte hilf mir.”, flehte das kleine Mädchen.
Sie strich sich eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Es misslang ihr.
“Geh schlafen. Geh zurück ins Bett.”, grummelte sie und in ihrem Kopf klangen ihre Worte klar und deutlich. Doch Mia hörte etwas anderes, ein schreckliches Geräusch wie von einem Monster, das fauchte und schrie. Sie schluckte ihre Angst herunter und trat dem Monster entgegen. Entschlossen wischte sie ihre Tränen von der Wange, drückte ihr Kuscheltier so fest wie möglich und holte Luft, um es endlich zu sagen, es endlich laut auszusprechen.
“Du bist nicht mehr meine Heldin.”
Mia hatte ihre Augen zusammengekniffen, ihr Herz klopfte viel zu schnell. Sie atmete tief ein und wieder aus, es war still geworden, viel zu still. Er schrie nicht mehr. Dann öffnete sie ihre Augen wieder, mit einem Ruck, als würde sie ein Pflaster abziehen und blickte in das Gesicht ihrer Mutter. Zusammengesackt, lag sie auf dem Tisch, ihre Arme hielten ihren schweren Kopf, ihre Augen waren geschlossen. Das Monster war eingeschlafen. Vorsichtig ging Mia einen Schritt auf sie zu.
Ruhig lag sie da, atmete ein und wieder aus. Plötzlich hatte sie keine Angst mehr vor ihr.
Nein, sie fühlte sich gut, stark irgendwie.
Sie hatte das Monster besiegt.
In dieser Nacht war eine Heldin gefallen und eine neue aus der Asche emporgestiegen.