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Die Gastfamilie

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16.03.2013
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Die Gastfamilie

Im Bus war es ruhiger geworden. Man konnte die Anspannung der Schülerinnen und Schüler der Collége des Bons-Enfants spüren, als sie die letzten Kilometer ihrer Reise zurücklegten. Auch Anne, welche die meiste Zeit mit ihren Freundinnen herumgealbert hatte, saß nachdenklich da und versuchte jedes Detail der Umgebung durch die angelaufene Scheibe des Reisebusses zu erhaschen. Dies sollte also für die nächsten zwei Wochen der Ort des Schüleraustauschs sein. Ein bergiges Waldgebiet in Süddeutschland zog mit seinen dunklen Wäldern und verschlafenen Dörfern schon eine ganze Weile an den Jugendlichen vorüber und erweckte in ihnen nicht gerade die Aussicht auf aufregende Partys, vielmehr auf hochgeklappte Gehsteige nach Sonnenuntergang.

Anne war das erste Mal allein von zu Hause weg und sollte bei wildfremden Menschen zwei Wochen verbringen. Zwar hatte sie mit dem Mädchen, sie hieß Annegret, einen kurzen Briefwechsel unterhalten, doch waren die Briefe knapp und oberflächlich gewesen. Das beiliegende Foto zeigte ein dürres Mädchen mit Zöpfen. Ihre Hornbrille und der dämliche Gesichtsausdruck hatten bei Anne den Eindruck einer langweiligen Streberin hinterlassen. Nach längerer Betrachtung hatte sie aber ein wenig Mitleid empfunden.

Endlich kamen sie an der Schule an. Erwartungsvolle Gesichter blickten ihnen entgegen. Anne wäre am liebsten wieder nach Hause gefahren. Als Letzte stieg sie missmutig die Treppe des Busses herab, um sich dann durch das Menschengewühl hindurch zu drücken. Wo war ihr Koffer? Der Fahrer hatte in Windeseile sämtliches Gepäck aus dem Laderaum geworfen und dadurch für viel Chaos gesorgt.
Endlich gefunden, zog sie ihn hinter sich her und schaute zu, wie sich die Austauschschüler begrüßten und die Mädchen umarmten.

„Hallo, Kleine! Hier bin ich!“
Ein Mann mit Halbglatze kam lächelnd auf sie zu. Annegret kam hinterher geschlichen.
„Salut! Freud misch, Sie kennen zu lernen!“ Anne machte einen Knicks.
„Nun schau dir mal dieses gut erzogene Mädel an, Annegret! Ihr werdet bestimmt gute Freundinnen werden. Na los, begrüße sie doch!“
Annegret reichte schüchtern die Hand.
„Ich bin übrigens Dieter, dein neuer Papa.“
Dies war also die Gastfamilie. Anne seufzte nach der knappen Begrüßung. Neidisch blickte sie ihren Freundinnen nach.

Dieter lud den Koffer in den Kofferraum eines alten Kombis und sie stiegen ein. Anne saß auf der Rückbank zusammen mit ihrer neuen Freundin, die sie vor lauter Schüchternheit nicht anzublicken wagte. Gut zehn Minuten später fuhren sie auf einer kleinen Straße, die in den Wald hinein führte.
„Bei uns wird es dir gefallen, es gibt hier Rehe und Wildschweine“, sagte Dieter.
Anne, das Mädchen aus der Großstadt, versuchte zu lächeln.

Endlich bog das Auto in eine von mannshohen Hecken gesäumte Einfahrt. Das schmucklose Flachdachhaus erinnerte Anne an einen Bunker. Die Fenster waren mit geschwungenen Gittern versehen.
Sie stiegen aus, Dieter holte den Koffer und schloss schwer atmend die Haustür auf. Anscheinend war die Außenbeleuchtung defekt. Annegret huschte hinein und ein Junge von vierzehn, fünfzehn Jahren erschien lachend an der Tür. Er klatschte erfreut in die Hände und hüpfte dabei.
„Mach dass du reinkommst!“, brüllte Dieter.
Anne zuckte zusammen.
„Das ist unser Uwe. Keine Sorge, er ist ganz harmlos.“
Anne nickte.

Später saß die ganze Familie am Esszimmertisch beim Abendessen. Annegret hatte neben Uwe noch einen achtjährigen Bruder namens Kevin. Silke, ihre Mutter, brachte den Eintopf aus der Küche. Sie war hager und hatte eine Schürze umgebunden. Die gräulichen Haare waren sorgfältig hochgesteckt.
„Anne ist ein hübsches Mädchen, Anne ist ein hübsches Mädchen!“ Uwe klatschte bei seinem Reim in die Hände.
„Uwe ist verliebt. Bald wird seine Hochzeit sein!“, stimmte Kevin mit ein.
„Beim Essen ist Ruhe, verdammt noch mal!“ Dieter schlug seinem Sohn auf den Hinterkopf. Dies schien den aber wenig zu beeindrucken.
„Dieter, bitte! Also, Anne, warst du schon mal in Deutschland?“, versuchte die Mutter die Stimmung zu retten.
„Nein, ist erste Mal.“
„Anne ist ein hübsches Mädchen“, sagte Uwe wieder und grinste. Sie lächelte zurück.
„Letzte Warnung, Uwe“, sagte Dieter ruhig.
„Uwe ist ein Volldepp. Bald bekommt er Dresche!“, reimte wieder Kevin, und das Gebrülle startete von neuem. Schließlich wurde das Abendessen mit einem Nachtisch beendet.
„Komm, ich zeig dir dein Zimmer“, sagte Annegret.

Sie stiegen die Treppe in den Keller hinunter. Gelbes Licht erhellte den Gang. An den Wänden hingen gemalte Landschaftsbilder. Es roch nach altem Teppich und Heizöl. An seinem Ende angekommen, gingen sie durch die dunkelbraune Tür des Gästezimmers. Mit offenem Mund blickte sich Anne um. Außer dem Bett mit geblümter Decke stand nur ein großer, schwarzer Schrank in der Ecke. Ein kleines Waschbecken befand sich auf der anderen Seite. Das Kellerfenster würde auch am Tage nicht viel Licht herein lassen.
Annegret stand wie angewurzelt neben Anne. Ihr ganzer Körper war verkrampft, der starre Blick auf das Bett gerichtet. Schließlich sagte sie:
„Morgen früh weck' ich dich und Vater wird uns zur Schule fahren. Gute Nacht!“
„Halt, warte!“ Anne packte ihren Arm. Sie wollte jetzt noch nicht allein gelassen werden.
„Wo ist eigentlich dein Zimmer?“
„Oben.“
„Kannst du es mir zeigen?“
„Morgen.“
„Komm, setz disch, isch möchte disch kennenlernen!“
Annegret starrte wieder auf das Bett. Dann sagte sie energisch:
„Ich muss jetzt schlafen gehen.“
Die beiden Mädchen sahen sich ernst in die Augen. Anne merkte, dass ihr Griff fester geworden war. Sie ließ die Bluse los.
Annegret trat einen Schritt zurück. Ihre Augen wanderten unsicher im Raum. Dann drehte sie sich um und rief „Gute Nacht !“, bevor sie die Tür hinter sich schloss.


„Merde, merde, merde“, murmelte Anne kopfschüttelnd vor sich hin. Sie kam sich vor, wie in einem schlechten Film. Schließlich ließ sie sich auf das quietschende Bett fallen. Sie holte ihr Handy aus der Tasche, um ihre Eltern anzurufen. Unter Tränen schilderte sie ihrer Mutter von den unsymphatischen Menschen hier und wie sehr sie sie vermisse. Ihre Mutter beruhigte sie, meinte, sie solle den nächsten Tag abwarten. Anne schniefte, hörte Mutters Worte und wusste, dass sie keine andere Wahl hatte.
Nachdem sie sich die Zähne geputzt und ihren Schlafanzug angezogen hatte, lag sie nun im Bett, starrte an die Decke. Dann drehte sie sich zur Seite. Die Tür ließ sich nicht abschließen. Was, wenn der Vater hereinkäme?
„Unsinn!“, sagte sie sich. Sie wollte jetzt stark und erwachsen sein. So wie es Mutter gesagt hatte. Irgendwie würden die zwei Wochen schon vorbeigehen. Langsam legte sich der Schlaf über sie.

Durch eine sanfte Berührung wurde sie geweckt. Sie öffnete verschlafen ihre Augen und erblickte das lächelnde Gesicht von Uwe. Anne kreischte. Rutschte in die Ecke und zog die Bettdecke schützend an sich. Uwe hatte sich nicht weniger erschrocken. Nach einer kurzen Irritation führte er seinen Finger zum Mund.
„Schhh, Anne, nicht schreien! Uwe ist brav“, versuchte er sie zu beruhigen.
Anne saß mit rasendem Herzen da. Ihre Furcht schlug mehr und mehr in Zorn um.
„Raus hier!“, schrie sie Uwe an. Dieser zeigte einen enttäuschten, fast wehmütigen Gesichtsausdruck und meinte:
„Aber Uwe ist brav. Uwe ist nicht böse!“

„Was hast du hier unten verloren?“ In der Tür stand auf einmal Dieter. Uwe zog das Genick ein und wandte sich ihm ängstlich zu. Der Vater kam herein, packte Uwe am Arm und schlug ihn mit der flachen Hand auf den Kopf. Uwe winselte.
Anne begann laut zu weinen und rief: „Aufhören! Aufhören!“
Der Vater blickte sie kurz an, dann stieß er seinen Sohn aus dem Zimmer.
„Lass dich hier unten nicht mehr blicken, sonst schlag ich dich tot!“

Dieter rieb sich die Hände und schloss die Tür. Er drehte sich um und hatte sein schönstes Lächeln aufgesetzt.
„Hab doch keine Angst! Ich hab dir doch gesagt, dass er harmlos ist“, sagte er im väterlichen Ton. Anne saß noch immer zusammengekauert in der Ecke.
Schließlich setzt er sich auf die Bettkante.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Er wird nicht mehr herein kommen. Versprochen!“, sagte Dieter. Er schob mit dem Zeigefinger die Brille hoch. Wartete auf eine Reaktion von ihr.
Anne wagte nicht zu atmen.
„Weißt du was in einer solchen Situation am besten hilft? Eine Umarmung! Na komm her!“, sagte er und öffnete seine Arme.
Anne roch die Alkoholfahne. Von diesem Mann umarmt zu werden, war das Letzte, was sie jetzt wollte. Sie schüttelte schnell den Kopf und zog die Decke noch etwas höher.
Dieter wich etwas zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen.
Schließlich holte er einen Schlüssel heraus und hielt ihn so, als wäre er ein Hauptgewinn.
„Wie wär' s wenn ich die Tür abschließe?“
Anne blickte abwechselnd von der Tür zu Dieter. Was meinte er damit? Wollte er sie einsperren?
„Nein.“, sagte Anne schnell.
„Na gut. Wie schon gesagt, es kann dir ja nichts passieren. Ich pass' schon auf dich auf.“ Er steckte den Schlüssel wieder ein.
„Wie wär's dann mit einem Gutenachtkuss?“
Anne schüttelte den Kopf und versuchte dabei zu lächeln. Sie sah aber dabei aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
„Na los, komm zu Onkel Dieter!“, flüsterte er und bewegte sich langsam in ihre Richtung. Plötzlich riss er ihr die Bettdecke weg.
Anne begann zu schreien. Er packte sie fest an den Armen und hatte einige Mühe, das zappelnde und störrische Mädchen unter seine Kontrolle zu kriegen.
„Sei still du Schlampe! Ich werd dir gleich zeigen was passiert, wenn du nicht parierst!“ Er ohrfeigte sie einige Male. Dann drückte er sie mit seinem Körper auf die Matratze. Anne kreischte so laut sie nur konnte.

Ein dumpfes Geräusch ließ Dieter überrascht innehalten. Er drehte sich langsam um, wobei er sich den Hinterkopf hielt. Anne sah, wie Blut aus seinen Fingern rann. Der zweite Schlag traf seine obere Zahnreihe. Dieter schrie laut auf und hielt sich den blutverschmierten Mund. Anne sah Uwe hinter ihm stehen. In seiner Hand hielt er zitternd einen Baseballschläger, bereit wieder auszuholen.
Er lächelte ihr zu und sagte: „Anne, nicht weinen! Uwe hilft dir.“
Dieter begann zu brüllen und stürzte sich auf Uwe. Anne zog kreischend die Decke über den Kopf. Sie hörte, wie die beiden miteinander kämpften. Dann heulte Uwe auf. Einen Moment später krachte jemand an die Schranktür. Dieter fluchte und schimpfte. Wieder dieses dumpfe Geräusch. Dieter schrie vor Schmerz.
Immer und immer wieder drangen jetzt die Schläge in ihr Ohr. Bei jedem Mal fuhr Anne zusammen. Dieter jammerte und winselte noch eine Weile, dann konnte man nur noch die gleichmäßig aufeinanderfolgenden Schläge hören. Die klatschenden Geräusche wurden zunehmend knirschend und matschig. Uwe stöhnte. Endlich schien er den Schläger auf den Boden geworfen zu haben. Er keuchte vor Anstrengung. Anne hörte wie er näher kam. Jetzt bewegte sich die Matratze. Ihr Herz pochte in den Ohren. Sie spürte Uwes vorsichtige Berührung an ihrem Arm. Dann zog er langsam die Decke weg.
Sein verschwitztes und mit Blut verspritztes Gesicht war nun über ihrem. Sie blickte in seine Augen. Das eine war halb zugeschwollen. Sie war wie gelähmt.
„Anne, sei nicht traurig, Papa ist tot!“, sagte er leise.

Anne wollte nur noch weg von diesem Ort. Wie ferngesteuert schob sie Uwe zur Seite und stand neben dem Bett. Vor ihr lag, was von Dieter übrig geblieben war. Mit halb geschlossenen Augen versuchte sie aus dem Zimmer zu gelangen. Sie stolperte über den Baseballschläger.

Endlich im Gang angekommen, hörte sie die Mutter von der Treppe runter rufen:
„Was is denn da unten für ein Krach ? Kann man hier nich in Ruhe schlafen?“ Sie hörte sich alkoholisiert an. Anne durchschritt den halbdunklen Gang zur Treppe. Uwe kam mit fragendem Blick hinterher.
Die Mutter stand oben. „Wo ist Dieter?“ Sie stütze die Arme auf ihr Becken und schwankte dabei hin und her.
„Papa war böse. Jetzt ist Papa tot!“, rief Uwe hoch.
„Was … was hast du getan!“ Silke kam die Treppe herunter. Anne huschte an ihr vorbei und stieß sie dabei in die Seite. Silke verlor das Gleichgewicht und fiel schreiend der Länge nach die Stufen hinunter. Hart schlug sie mit dem Kopf auf.

„Mama!“, hörte Anne Uwe rufen, als sie so schnell sie konnte in Richtung Haustür eilte. Sie war verschlossen, doch der Schlüssel steckte. Mit zitternden Fingern drehte sie ihn um und konnte endlich hinaus in die Freiheit.
„Warte, Anne!“, hörte sie noch Uwe. „Du hast Mama weh gemacht!“
Doch Anne rannte die Einfahrt hinunter, durch das Tor in der Hecke, auf die Straße hinaus. Nach einer Weile kam auch Uwe aus dem Haus und sprintete ihr nach. „Warte Anne, du warst böse!“, konnte man ihn noch rufen hören. Dann wurde es still.

Verschlafen trat Annegret in ihrem Nachthemd an die offene Haustür. In ihrer Hand hielt sie ihren Teddybär. Die eisige Nacht ließ sie frösteln. Da hörte sie in einiger Entfernung den panischen Schrei eines Mädchens verhallen.
Und endlich, nach so langer Zeit, zauberte sich wieder ein Lächeln auf Annegrets Gesicht.

 
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Hallo Cybernator,

Wenn man sich auf den Stoff einlässt, ist das ein wirklich fieses Stück. Zu Beginn witzelt Anne noch über das Aussehen des Mädchens. Als sie die Familie dann kennen lernt, hat sie nichts mehr zu lachen.

Was mir so aufgefallen ist:

als die sie letzten Kilometer ihrer Reise zurücklegten.
sie die

Sie war das erste Mal allein von zuhause weg und sollte nun bei wildfremden Menschen die zwei Wochen verbringen.
zu Hause

„Ich bin übrigens Dieter, dein neuer Papa.“
Wirklich ziemlich schräg! :D - und es wird noch schräger.

Neidisch blickte sie ihren Freundinnen hinter her, die wohl mehr Glück gehabt hatten.
hinterher

Anne saß nun auf der Rückbank zusammen mit ihrer neuen Freundin, die sie vor sie lauter Schüchternheit nicht anzublicken wagte.
Ein "sie" zu viel. Außerdem würde ich den Satz umformen, sodass der nachgestellte Subjektsatz verschwindet. Du verwendest diese Form öfter. Ohne liest es sich meistens besser. Kannst du ja nochmal durchsehen. So: Anne saß nun auf der Rückbank zusammen mit ihrer neuen Freundin. Vor lauter Schüchternheit wagte Anne sie nicht anzublicken.

Kevin begann ein Stakkato Gekicher
Stakkato-Gekicher. So würde ich es schreiben.

Ihm gefiel, was er da sah. Sein Lächeln wurde immer teuflischer. Schließlich setzt er sich auf die Bettkante.
setzte. Hier kam es mir so vor, als würdest du kurz die Perspektive wechseln. Das wirkte seltsam auf mich. Vielleicht führst du es mit dem Satz ein: Sie registrierte die animalische Gier in seinem Blick. Ihm gefiel, was er da sah. Sein Lächeln wurde immer teuflischer ...

rufen:
„Was is da unten für ein Geschrei?
Warum der Absatz?

als sie so schnell wie sie konnte in Richtung Haustür eilte.
Das "wie" kann raus, denke ich.

Also mir gefiel die Story. Natürlich versuchen wir stets behinderte Menschen, als Teil der Gesellschaft anzusehen. Ich habe selbst mal eine Zeit lang in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet und finde es toll, was es da mittlerweile für Förderprojekte gibt. Was alles getan wird. Aber manchmal bereiten sie dem normalen Bürger eben doch Unbehagen, weil sie so anderes sind. Anne bemüht sich sicherlich, den Uwe zu respektieren, ihn zu mögen. Aber zuletzt bleibt ihr nur Angst und Abscheu. Was mir noch sehr gefallen hätte, wäre ein längerer Dialog zwischen der Anne und der Annemarie gewesen. Die Annemarie begleitet sie ja zu ihrem Zimmer. Da hätte sie ein bisschen über ihre Familie erzählen können, ein wenig Familiendrama daraus machen. Man erfährt relativ wenig über diese Annemarie, die ist so geheimnisvoll. Am Ende war ich etwas enttäuscht, nicht mehr über sie erfahren zu haben. Nur dieses Bild: Sie lächelt. Schon beängstigend, aber etwas zu wenig.
Mein einzig schwerwiegender Kritikpunkt: die Baseballschläger-Szene. Ich fand, da hat der liebe Papa einfach viel zu schnell das Handtuch geworfen. Ich meine, der Junge ist behindert, zieht ihn einmal eins über, und er ist still? Ich weiß nicht. Irgendwie war mir das zu einfach. Er sollte noch einen kleinen Überlebenskampf führen. Das wäre doch auch super spannend und Horror pur. Wenn die beiden ihre Kräfte messen müssten. Der Vater ist stärker und gesund; der Sohn behindert, hat aber den Baseballschläger. Beide voller Zorn. Und Anne mittendrin. Wem drückt sie wohl die Daumen? Dem Pädophilen oder dem edlen Retter mit der Matschbirne und dem Baseballschläger?

Hut ab! Ich war gebannt und ein bisschen angewidert auch. Hat mich an einen Ketchum-Roman erinnert, so bösartig war das.:thumbsup: Ein kühl geschilderter Albtraum.

Grüße
Hacke

 

Hallo Hacke!

Freut mich, wenn's gefallen hat!
Deine Verbesserungsvorschläge habe ich prompt übernommen. Mich wundert, dass man manche Dinge so oft überlesen kann ...

Bei der Baseballschlägerszene sollte man zusammen mit Anne unter der Bettdecke sitzen und nur die Geräusche wahrnehmen. Vielleicht lass ich sie noch ein bisschen rangeln und den Schrank auf Dieter plotzen. :D

Annekret sollte nicht so viel sprechen, aber ich denke über deinen Vorschlag nach. Aus der lässt sich bestimmt noch was rausholen.

Liebe Grüße
Cybernator

 
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Hallo Cybernator

Dein Text hat mir leider nicht gefallen.

Das Foto, das Annegret von sich mitgeschickt hatte, zeigte ein dürres Mädchen mit Zöpfen, nicht gerade hübsch anzusehen, das auf Anne einen traurigen Eindruck hinterließ.

Das und der Titel machen schon früh deutlich, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Spannung will so keine aufkommen.

Ein dicker Mann mit Halbglatze kam grinsend auf sie zu. Er schien Annegrets Vater zu sein. Sein verschwitztes Hemd und die entblößten weißen Waden wirkten abstoßend auf sie.

Ja, die degenerierten Hinterwäldler halt. Passend kommt dann noch hinzu, dass die wirklich im Wald wohnen und einen behinderten Sohn haben. Das sind alles Elemente aus dem Standard-Repertoire vieler mittelmäßiger Filme. Ich würde mich da nicht dran orientieren, ehrlich gesagt. Das ist alles schon zu ausgetreten, zu vorhersehbar. Entsprechend flach fallen dann auch deine Charaktere aus.

Der Sinn der Szene beim Abendessen erschließt sich mir nicht.

„Anne ist ein hübsches Mädchen, Anne ist hübsches ein Mädchen!“ Uwe klatschte bei seinem Reim in die Hände.

Ist die seltsame Wortstellung beim zweiten Teil Absicht? Und wo ist der Reim?

„Beim Essen ist Ruhe, verdammt noch mal!“ Dieter schlug seinem Sohn auf den Hinterkopf.

Das ist alles so dermaßen offensichtlich. Die Figuren sind zu einseitig. Dieter, ja, der ist halt so ein Abziehbild von einem Bösewicht. Er soll wohl so eine Art psychopathischer Familienvater sein, aber dazu kommt er zu plump rüber - die wirklich beängstigenden Figuren, die Furcht verbreiten, sind niemals nur so offensichtlich böse. Du musst da mal drauf achten, die haben auch andere Seiten (denn das macht sie erst interessant), aber hier ist alles zu offensichtlich, wie er aussieht, wie er redet, auch dass er den behinderten Sohn wie ein Tier vorstellt ("er ist ganz harmlos") - da verkommt dir die Figur zur Karikatur, und immerhin ist das dein Bösewicht, der einen Großteil der Geschichte zu stemmen hat. Da willst du eine ernste Figur, keine Karikatur.

„Nein, ist erste Mal.“*
„Das erste Mal tat's noch weh!“, sang Dieter mit hochgezogenen Brauen.

Ernsthaft, singt das jetzt echt der Vater? Oder soll Uwe das singen ... Uwe, Kevin, Dieter, da kommt man ziemlich durcheinander, weil auch keine Figur etwas Individuelles hat. Vielleicht überlegst du dir, Kevin ganz aus der Geschichte zu streichen, welche Funktion hat der?

„Die Kleine ist ja ganz goldig. Schon eine richte Frau.“
„Dieter, ich bitte dich, hör auf damit!“
„Was denn? Die Franzmänner sind doch nicht so verklemmt.“

richtige Frau

Würde das Mädchen nach einer solchen Unterhaltung nicht gleich die Flucht ergreifen? Hier nimmst du halt auch wieder alles vorweg, was kommen wird. Und wenn Anne ihrer Mutter das am Telefon so schildert, wird die wohl kaum sagen, "warte mal morgen ab". Die Figuren handeln so, wie es die Geschichte braucht.

Das Ende ist dann eben was man erwartet hat. Dieter, natürlich noch betrunken, fällt über Anne her und wird dann - immerhin - vom behinderten Sohn aufgehalten. Der dann am Ende auch noch über Anne herfällt.

Was der letzte Satz soll

Und endlich, nach so langer Zeit, zauberte sich wieder ein Lächeln auf Annegrets Gesicht.

hab ich nicht verstanden. Lächelt sie jetzt, weil die Eltern endlich tot sind, oder weil Uwe sich Anne geschnappt hat?

Insgesamt sind mir da zu viele bekannte Horrorelemente verrührt worden, die Geschichte bietet nichts Neues, nichts Überraschendes, da ist alles vorhersehbar. Die Figuren sind ausnahmslos Klischees und handeln unglaubwürdig. Ich denke, für eine ansprechende Horrorgeschichte - auch für "Trash", wenn man das denn will, und der auch gut gemacht sein kann - brauchst du andere Zutaten.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwupps!

Erstmal ein herzliches Dankeschön, dass du dir meinen Text vorgenommen hast!
Ich finde es natürlich schade, wenn er dir nicht gefallen hat. Auch, dass die Figuren dich nicht überzeugen konnten. Aber du hast mir vieles deutlich gemacht, dass ich in Zukunft mit gängigen Klischees sparen sollte, oder warum die Figuren so flach rüberkommen usw. Das sind gute Ratschläge.

Das sind alles Elemente aus dem Standard-Repertoire vieler mittelmäßiger Filme. Ich würde mich da nicht dran orientieren, ehrlich gesagt. Das ist alles schon zu ausgetreten, zu vorhersehbar.

Ich bin schon fast etwas enttäuscht, dass du den fehlenden Handyempfang, den Keller und den Baseballschläger nicht erwähnt hast. ;)

Da du überhaupt nichts Gutes an ihr lässt, möchte ich doch noch mal Stellung dazu nehmen, was ich bei der Story so beabsichtigt habe.
Die Charaktere habe ich bewusst so überspitzt gezeichnet. Der Dieter sollte kein faszinierender, schreckenerregender Übeltäter, sondern eher dieses Weichei von einem Abziehbildbösewicht -schöner Vergleich!- sein, der nur zu einem taugt: Material für den Baseballschläger.
Ich hatte nicht vor, eine Geschichte mit unerwarteten Wendungen und überraschenden Ausgang zu schreiben. Es sollte ganz offensichtlich sein, auf was das Ganze hinausläuft.
Wenn die Figuren unglaubwürdig sind, dann hab ich schon ein Problem damit. Ich werde versuchen, das zu überarbeiten. Aber hier ging es mir ausschließlich um den Voyeurismus, der mit Gewalt einhergeht. Den Genuss, wenn dieser Abschaum zu Brei geschlagen wird.

Das soll jetzt keine Entschuldigung dafür sein, dass die Geschichte zu abgedroschen daher kommt. Ist sie ganz offensichtlich. Aber sie hat mir beim Schreiben echt Spaß gemacht und das allein ist eine wichtige Erfahrung für mich gewesen.

Grüße,
Cybernator

 

Hallo Cybernator!

Also nach dem ersten Lesen des Text war ich von ihm recht angetan, muss ich sagen. Gut, er ist ganz bestimmt nicht innovativ, auch nicht unbedingt (Ketchum?) nachvollziehbar in der Motivation. Was mir gefallen hat, war eigentlich die Sauberkeit, in der der Text daherkommt.
Es zeigt, dass du dran gearbeitet hast. Die Formulierungen kommen hie und da zwar ein bisschen wie aus dem Schüleraufsatz daher

Später saß die ganze Familie am Esszimmertisch beim Abendessen. Annegret hatte noch einen achtjährigen Bruder namens Kevin. Silke, ihre Mutter, brachte den Eintopf aus der Küche. Sie war hager und hatte eine Schürze umgebunden. Ihr Gesicht spiegelte Gleichgültigkeit und Kälte wider.

aber es gibt kaum mehr Ausreißer.
Nicht nach der einen, allerdings auch nicht nach der anderen Seite.

Wenn man sich allerdings das Stück hernach noch einmal ins Gedächtnis ruft, dann ist es schon auffällig, wie simpel und vorhersehbar der Text daherkommt.
Das muss nicht notwendigerweise ein Makel sein (manche Geschichten erzählen Zeugs, das man schon lange kennt, aber sie tun das so charmant, witzig oder innovativ, dass man der Meinung ist, man liest was Neues), aber du hast nicht den Versuch gemacht, mal aus den Konventionen auszubrechen. Einfach mal gegen das Klischee schreiben, da hat Schwups schon Recht.

Trotzdem, wie gesagt, habe ich den Text gern gelesen, flüssig geschrieben und nicht langweilig.


Doch später hat sie ihr irgendwie leid getan.

Endlich waren sie an der Schule angekommen.

Beides in der falschen Zeit geschrieben, das erste müsste im Plusquamperfekt, das zweite im Präteritum stehen.

Erst jetzt erblickte sie auch Annegret hinterher kommen.

Entweder ist hier was in der Satzstellung schiefgelaufen oder es fehlt was.

Die Fenster waren mit geschwungenen Gittern versehen, welche diesen Eindruck noch verstärkten.

Hier könnte man gern auf "welche" verzichten und stattdessen das altbewährte "die" verwenden.

Er war ganz offensichtlich geistig behindert.

Hier machst du es dir sehr einfach, eigentlich zieht sich das durch den ganzen Text. Du sagst was und ich als Leser muss mir was drunter vorstellen. Zeig es mir, lass es mich spüren.
Eine knappe Bemerkung über den Gesichtsausdruck Uwes hätte hier schon ausgereicht. Ein Bild, verstehst du, eine Empfindung.

Dies schien ihm aber wenig zu beeindrucken.

Da müsste "den" hin.

Mit offenen Mund blickte sich Anne um.

offenem - dritter Fall.

Er drehte sich um und hatte sein schönstes Lächeln aufgesetzt, sodass die Goldzähne aufblitzten.

Ich glaube, wir haben auch ohne den überflüssigen Nachsatz verstanden. ;)

Sein Lächeln wurde immer teuflischer.

Uuiiiuiuiui. Jetzt waten wir aber ganz tief im Klischeesumpf, außerdem versuchst du schon wieder, uns etwas zu erzählen, statt es mir zu zeigen.

Sie blickte in seine Augen, aus denen er sich Freudentränen abwischte.

Auch 'n bißchen dick aufgetragen, oder?

Nun ja, wie gesagt, ich bin gut unterhalten worden, aber nachdem ich anfing nachzudenken, fand ich dann doch das eine oder andere auszusetzen.

Weiter so!

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Servus Hanniball!

Merci für deinen Beitrag.

Erst jetzt erblickte sie auch Annegret hinterher kommen.

Nicht zu glauben, habe ich das wirklich so geschrieben? Vielleicht sollte ich die Texte erst mal ein paar Monate auf den Speicher zwischenlagern, damit mir so was schneller ins Auge springt.

Deine Kritik hat mir Lust gemacht, das Ding demnächst nochmal vorzunehmen.

Hier machst du es dir sehr einfach, eigentlich zieht sich das durch den ganzen Text. Du sagst was und ich als Leser muss mir was drunter vorstellen

Ich hoffe, das dann besser zu berücksichtigen. Das hat mir schon sehr eingeleuchtet.
Schau ma mal, was dabei raus kommt.

Grüße
Cybernator

 

Hallo Cybernator,
deine Geschichte war gut aufgebaut, ich verstehe nur nicht ganz Annegrets Position in der Geschichte, warum lacht sie, als das Austauschmädchen wegrennt? Weil sie nur froh ist, dass sie weg ist? Oder das sie eventuell von Uwe getötet wurde? Ich finde darauf hättest du etwas beser eingehen können.

Die Geschichte war ansonsten gut geschrieben.

 

Morgen Mairie!

Danke für deinen Beitrag. Über das Lob freu ich mich natürlich, da hat man doch gleich gute Laune.:)

Dieses Bild von der lächelnden Annegret kam mir in den Sinn, als ich über ein Ende nachgedacht hab. Ich fand das verstörend, das sie ausgerechnet in dieser chaotischen und mit Gewalt erfüllten Situation eine positve, emotionale Regung zeigt. Man bekommt dann das Gefühl, dass sie nicht mehr das Opfer ist, sondern irgendwie eine ganz andere Rolle spielt. So wirkt das jedenfalls auf mich. Nicht, dass sie über den Tod ihrer Eltern freut. Schon eher darüber, dass es der schnuckeligen Anne, auf die sie ein kleines Stückchen neidisch ist, an den Kragen geht.

Na ja, der Leser sollte sich da sein eigenes Bild machen. Ich mag es, wenn man am Ende die Stirn runzelt und zu Grübeln anfängt. Auch wenn das nicht so angenehm ist und es daher eher Kritik hagelt.

Ich habe auch vor, einiges zu ändern, gerade in Hinsicht der Vorhersehbarkeit. Dabei bekommt Annegret mehr Farbe und der Schluss wird etwas klarer, hoffe ich zumindest :)

Grüße,
Cybernator

 
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Hallo Cybernator,

beim ersten Lesen habe ich mich einfach mal in die Geschichte fallen lassen. Ich empfand es als ein nettes Stückchen, dass zwar mit etlichen Versatzstücken spielt (Wie Schwups bereits angemerkt hat), mit dem Thema der geistigen Behinderung aber einen etwas anderen Dreh hineinbringt.

Der Text war sauber gearbeitet und ich konnte ihn gut bis zum Ende durchlesen. Insofern hast du es beim ersten Mal schon geschafft, mich an die Hand zu nehmen und durch die Geschichte zu führen. Das ist gut.

Leider fielen mir dann beim zweiten, kritischeren Lesen etliche Kritikpunkte auf. Ich bin selbst ein blutiger Anfänger, der sich zudem in den letzten Jahren mit einer gnadenlosen Blockade und etlichen Selbstzweifeln herum plagen musste. Meine nächsten Geschichten können durchaus ähnliche Fehler aufweisen, aber gerade deshalb finde ich es wichtig, dass darauf hingewiesen wird.

Sieh meine Ausführungen also bitte nicht als Beleidung, sondern als Verbesserungsvorschläge.

Collége des Bons-Enfants

So etwas gleich am Anfang zu bringen, ist ein großer Stolperstein. Denn da muss ich zweimal drüber lesen, bis ich es verstanden habe. Klar, du brauchst es für die Geschichte. Aber wäre es wirklich so schlimm wenn du einfach französiches Collége oder irgend etwas in der Art schreiben würdest? Dann würde man das auch verstehen, und es würde sich bequemer lesen.

deutlich spüren

"deutlich" ist ein Füllwort, das hier verstärkend wirken soll. Es kann aber oft besser sein, wenn man das weglässt. Ich habe mit diesen Biestern auch meine Probleme, deshalb weiß ich: Die verdienen besondere Aufmerksamkeit.

saß nun nachdenklich

Das gleiche hier. "Nun" ist ein Füllwort. Streich es, dann wirkt der Satz stärker.

Ein bergiges Waldgebiet in Süddeutschland zog mit seinen dunklen Wäldern und.....

Diese lange Beschreibung finde ich gut! Da kann man geteilter Meinung sein, aber für mich ist das ein gutes Beispiel wie der Satz trotz oder gerade wegen der Adverbien und Füllwörter gelungen sein kann. (Man muss sie nämlich nicht immer streichen, das ist ja die Krux)

und sollte nun

Wieder "nun". Weg damit ;-)

die zwei Wochen verbringen.

"die" ist hier überflüssig. Überhaupt ist hier die ganze Syntax unschön. Das ist ein langer Schachtelsatz, überfrachtet mit Informationen. So etwas liest sich für mich unschön. Wenn du dich kürzer hältst, wirkt das oft stärker. Beispiel:

Das erste Mal von zu Hause weg! Zwei Wochen sollte sie bei Wildfremden verbringen!

Ist nur mein Vorschlag, du kannst da natürlich ganz kreativ sein. Aber vermeide diese Bandwurmsätze.

Anne war nun schon sehr aufgeregt. Am liebsten wäre sie einfach wieder nach Hause gefahren.

"sehr" ist wieder mal ein Füllwort (Verstärkung). Dann finde ich das nicht unbedingt logisch. Ich hab das jetzt so interpretiert, dass sie vor Freude aufgeregt ist. Und dann kommt im nächsten Satz, dass sie nach Hause möchte. Da musst du nochmal drüber gehen.
Ich nehme an, du hast schon von "Show, don´t tell" gehört. Wenn nicht, frag ruhig. Hier ist das alles beschrieben. Ich kann mir darunter schlecht was vorstellen, und es unterstützt die Charakterisierung in keinster Weise.
Lass sie doch mit ihrem Handy spielen, an den Nägeln kauen etc.
Das bleibt ja ganz deine Entscheidung. Aber zeig uns doch die Aufregung ;-)

Anne saß nun

Arrgh! Das "nun" magst du wirklich, oder? ;-)

Anne, das Mädchen aus der Großstadt, lächelte bemüht.

Wieder ein gutes Beispiel für "Show don´t tell". "bemüht" ist ein überflüssiges Adverb. Ich als Leser möchte selber entscheiden, ob sie bemüht, traurig, fröhlich oder sonst was ist.
Das erreichst du nur über eine starke Charakterisierung, und die geht am besten über das Zeigen von kleinen Eigenheiten.
Ich greife da aber auch oft daneben. Und frag ruhig, wenn dir was unklar ist.

Er war ganz offensichtlich geistig behindert.

Hier ist schon wieder ein Füllwort. Aber diesmal bin ich gemein, und verrate es nicht ;-)
Außerdem: Show don´t tell! Wenn du das so einfach hinschreibst, geht mir das, ganz offen gesagt, am A---- vorbei, was mit dem Jungen ist. Nicht böse sein, ich will nur deutlich machen: Damit das in der Geschichte stärker wirkt, musst du einfach mehr bringen als so eine lapidare Beschreibung.

Anne zuckte zusammen.
„Das ist unser Uwe. Keine Sorge, er ist ganz harmlos.“
Anne nickte.

Ja, ungefähr so. Da muss natürlich noch mehr kommen als zusammen zucken und nicken. Aber im Kontext kann ich mir jetzt vorstellen: Sie ist schüchtern, sie traut sich nichts sagen.

Dies schien ihn aber wenig zu beeindrucken.

Ich trau's mich ja kaum noch zu sagen: Show don´t tell. Scheinen ist völlig austauschbar. Warum scheint es so? Was sieht Anne. Lacht Uwe vielleicht nur über den Schlag?

„Uwe ist ein Volldepp. Bald bekommt er Dresche!“, reimte wieder Kevin, und das Gebrülle startete von neuem. Schließlich wurde das Abendessen mit einer frenetisch gefeierten Eisportion beendet.

Lies das nochmal ganz genau. Da baust du -durchaus gelungen- eine bedrohliche Stimmung auf. Der Vater brüllt und schlägt, die Kinder fallen in unheimlichen Singsang. Und dann lieferst du sofort im Anschluss einen Satz, der wie aus einem Lagnese-Werbespot klingt!
Wo soll denn jetzt noch Grusel aufkommen? Bei mir war er jedenfalls weg.

geblümter Decke, stand nur ein ein schwarzer Schrank

Kein Komma. Zweimal "ein"

auch am helligsten Tage

Überflüssiges Adverb. am Tage reicht völlig.

Schließlich ließ sie

Füllwort.

sie recht doof an

Füllwort. Wirkt außerdem unfreiwillig komisch.

sie nun im Bett

:dozey:

Sie spürte großes Heimweh und vermisste die Geborgenheit ihres Zuhauses.

Tja, bis jetzt ist mir Anne kein Stückchen näher gekommen, wenn du weißt, was ich meine ;-) Wenn die Geschichte wirken soll, müssen die Charaktere viel stärker ausgearbeitet werden und ich muss mehr sehen.
Warum spürt sie Heimweh? Und wie? Füge doch ein Detail an. Sie drückt ihren Teddy, obwohl sie viel zu alt dazu ist. Oder sie hat ein Foto ihrer Familie dabei, und schaut es mit feuchten Augen an.
Alles nicht perfekt, aber ich hoffe du vestehst, was ich meine. Ich muss mit den Charakteren mitfiebern, mitfühlen. Ansonsten lässt mich die Geschichte kalt.

Durch eine sanfte Berührung wurde sie geweckt. Als sie verschlafen die Augen öffnete, erblickte sie das lächelnde Gesicht von Uwe. Anne kreischte und zog ihre Bettdecke schützend an sich. Uwe hatte sich nicht weniger erschrocken, und führte nach einer kurzen Irritation seinen Finger zum Mund.

Ja genau so! Das ist mit Abstand der gelungenste Absatz in deiner Geschichte. Sehr unheimliche Stimmung und tolle Bilder! So gehts. Das musst du beibehalten.

Tritt hinterher.

"hinterher" wirkt unfreiwillig komisch. Und schon ist die Stimmung wieder dahin. Du willst ja keine Komödie schreiben, sondern eine Horrorgeschichte. Da kann ein einziges Wort viel kaputt machen.

Er ohrfeigte sie einige Male und schob seinen schweren Körper auf das hilflose Kind.

Mir ist das zuviel des guten. Ist es nicht stärker, wenn du nur "sie" anstatt "das hilflose Kind"?

bekam den zweiten Schlag

Wenn das dumpfe Geräusch der erste Schlag gewesen sein soll, musst du das näher erklären. Mir war das nicht ganz klar.

hob sich den blutverschmierten Mund.

"hielt" nicht hob.

drangen die Schläge nun in ihr Ohr.

an ihr Ohr.

Anne hörte wie er näher kam.

hörte Komma

mit Blut verspritztes Gesicht

bespritztes

Silke kam nun die Treppe herunter,

Dein Lieblingswort :)

Insgesamt würde ich dir folgende Tips geben:

1. Charaktere stärke heraus arbeiten. Auch bei Kurzgeschichten kann es nicht schaden, die Personen mit Eigenheiten, Charakterzügen, Wünschen, Hoffnungen etc. vorab auszuarbeiten. Schreibe z.B. eine erfundene Biographie. Das hilft sehr. Die muss nicht so ausführlich sein wie bei einem Roman, aber so ca. 1-1,5 Seiten können's bei einer KG auch sein.

2. Show don't tell stärker beachten. Du musst viel mehr zeigen, um beim Leser die angemessenen Bilder zu erreichen.

3. Füllwörter größtenteils vermeiden. Den Text einige Tage ruhen lassen und dann knallhart mit dem Rotstift drüber gehen.

So da's wars von meiner Seite. Wie gesagt, nicht böse nehmen. Du darfst meine nächsten Geschichten ebenso zerpflücken. Ich bitte sogar darum ;-)

Viele Grüße
Unbeliever

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Unbeliever!

Nun, warum sollte ich deine sachliche Kritik denn als Beleidigung auffassen?
Vielmehr ein fettes Dankeschön für deinen Beitrag! Ich freue mich schon auf deine Geschichten ;)

Füllwörtrer, show don't tell, Schachtelsätze ... das sind Dinge, die erst seit Kurzem auf meiner Festplatte rumschwirren. Je tiefer man in die Materie des Schreibens vordringt, desto interessanter wird es und man wird sich erst bewusst, wie viel Können eigentlich in den guten Geschichten steckt. Liest sich ja alles nur deshalb so einfach, weil da einer gut geschrieben hat.
Man hat da ja seine Vorstellungen beim Schreiben, aber die dann auch so dem Kopfkino des Lesers übermitteln zu können, das ist eine Kunst für sich.
Bei Kurzgeschichten kann ein einziges Wort den ganzen Abschnitt kaputt machen, nur weil es nicht reinpasst oder auf eine falsche Fährte führt, die in einem Logikfehler endet.

Meine Geschichten passen sich noch viel zu sehr den vorausgehenden Fehlern an. Sie müssen meine Unbeholfenheit ausbügeln, die armen. Dadurch entstehen dann zwangsläufig wieder neue Fehler.

Bei mir ist es halt reine Improvisation. Ich bin eigentlich Musiker. Grooven muss es halt.
Und ich denke jede Art der Kreativität ist auch erst mal in Ordnung. Es sei denn man geht damit jemand auf die Nerven. Aber ich zwinge ja keinen, meine Texte zu lesen. :schiel:

Natürlich steigt die Virtuosität, je sauberer man sein Handwerk beherrscht. Und deshalb kann man froh und dankbar sein, wenn jemand auf Fehler hinweist.

Au weia
und Grüße,
Cybernator

 

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