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Die fromme Helene
„Helene", donnerte die Stimme Johannes Breitleitners aus dem Badezimmer, „das Klopapier ist alle! Bringe mir eine neue Rolle!“
Seufzend legte Helene die gerade zur Hand genommene Strickarbeit aus derselben, erhob sich ächzend aus dem bequemen Ohrensessel und schlurfte langsam und schwerfällig in Richtung Ehemann.
Nicht mal auf dem Klo kam er alleine zurecht. Nein, was war dieser Mann doch nur unselbstständig. Sie angelte zwei Rollen Toilettenpapier aus dem Vorratsschrank im Hauswirtschaftsraum, ging dann zur Tür des Badezimmers und klopfte.
Die Tür wurde Toilettenparierrollenbreit geöffnet und Breitleitners Hand erschien im Türrahmen.
„Hier, da hast du sie", sagte seine Frau und drückte ihm die Rollen in die Hand.
„Helene, ich bat dich um eine Rolle, du aber bringst mir zwei! Kannst du mir nicht einmal richtig zuhören?“ vernahm sie Breitleitners Stimme hinter der Badezimmertür.
Kopfschüttelnd entgegnete Helene: „Stell halt die eine Rolle neben die Toilette, als Vorrat. Wenn es dir das nächste Mal ausgeht, kommst du nicht in diese Bedrängnis."
„Wozu haben wir denn einen Vorratsschrank, wenn du die Vorräte außerhalb deponierst?“ kritisierte Breitleitner seine Gattin.
Helene schlurfte wieder ins Wohnzimmer.
Abermals laut aufseufzend ließ sie sich wieder in den Sessel fallen und langte nach ihrem Strickzeug.
Sie hatte kaum den Faden um ihren athritischen, linken Zeigefinger gewickelt, da schrak sie wieder durch ein laut gebrülltes :“Helene!“ zusammen.
„Helene, wo ist die Kernseife? Du weißt doch ganz genau, dass ich mir nur mit Kernseife meine Hände wasche. Ich mag dieses neumodische, stinkende Waschgel nicht, das du hier hingestellt hast!“
„Du sollst es ja auch nicht trinken!“ dachte Helene grimmig, stand mit Märtyrermine wieder auf, entnahm dem Vorratsschrank ein Stück Kernseife und reichte es dem Gemahl durch die Badezimmertür.
Er riss es an sich und schlug die Tür wieder zu.
Kaum saß die arme Helene erneut an ihrem Lieblingsplatz, da zerriß schon wieder ein lautes: “Helene“ den nachmittäglichen Frieden.
„Helene, wann gedenkst du heute eigentlich den Kaffeetisch zu decken? Es ist fünf Minuten nach vier! Um vier Uhr ist Kaffeezeit!“
Jetzt trat Breitleitner schnaufend ins Wohnzimmer und ließ sich stöhnend auf das kleine Biedermeiersofa fallen, dass unter seinem Gewicht gefährlich ächzte.
„Um vier Uhr warst du auf der Toilette! Wolltest du auf dem Klo Kaffeetrinken?“ konterte seine Frau und hob den Blick von ihrer Strickarbeit.
„Wenn du deinen hausfraulichen Pflichten nachgekommen wärest und rechtzeitig für Nachschub an Toilettenpapier und Kernseife gesorgt hättest, wäre ich pünktlich um vier Uhr am Kaffeetisch gewesen!“ polterte Breitleitner böse.
Helene senkte beleidigt die Augen wieder auf das Strickwerk. „ Wenn du mal einen Blick ins Esszimmer werfen würdest, könntest du sehen, dass alles schon längst fertig ist."
„Jetzt ist es zu spät für Kaffee! Es ist gleich zehn nach vier! Wenn ich so spät noch Bohnenkaffee trinke, kriege ich die ganze Nacht kein Auge zu, das weißt du ganz genau", zürnte Breitleitner. „Um vier Uhr, ja , das geht in Ordnung, aber so spät, nein! Mein Körper ist wie ein Schweizer Präzisionsuhrwerk. Das weißt du ganz genau, Helene.“
Müde blickte Helene dem Gatten ins Angesicht. „Soll ich dir einen Tee kochen?“
„Was soll denn das jetzt? Tee? Seit wann trinke ich am Nachmittag Tee? Das ist ja wohl nicht dein Ernst, Helene! Am Morgen wird Tee getrunken, aber niemals am Nachmittag!“ Breitleitners Stimme überschlug sich fast vor Empörung.
„Dann vielleicht eine Tasse Kakao?“ versuchte Helene einzulenken.
„Kakao?“ schrie Breitleitner, „ weißt du, wann ich das letzte Mal Kakao getrunken habe? Da war ich noch ein Kind! Das ist ein Kindergetränk, nichts für erwachsene Männer!“
„Andere Leute trinken aber Kakao, auch, wenn sie keine Kinder mehr sind“ warf Helene schüchtern ein.
„Andere Leute, andere Leute! Was gehen mich andere Leute an? Helene, du wirst dich mit mir erzürnen, wenn du so weiterredest! Ich will meinen Kaffe!“
„Aber du hast doch eben gesagt, es sei dir jetzt zu spät für Kaffee?“ murmelte Helene müde.
„Ja, natürlich ist es jetzt zu spät! Ich wollte meinen Kaffee ja auch um Punkt vier Uhr, so wie es sich gehört!“ Breitleitner rollte verzweifelt mit den Augen.
„Aber um Punkt vier Uhr warst du doch auf der Toilette", bemerkte Helene, krampfhaft um Haltung bemüht.
Breitleitner sprang, so schnell es sein Übergewicht zuließ, vom Sofa auf.
„So", fauchte er, „ das hast du jetzt davon! Aufgrund deiner Unzulänglichkeit als Haus – und Ehefrau treibst du mich dazu, ins Wirtshaus zu gehen. Das hält ja kein Schwein aus, so ein Chaos hier zu Hause!“
Er trabte auf den Korridor, dass seine Fettpolster schwabbelten, zog sich seinen Mantel an und verließ mit lautem Türenknallen die Wohnung. Im Treppenhaus rieb er sich zufrieden die Hände. Das hatte er gut hinbekommen, dachte er bei sich. Jetzt stand einem ausgedehnten Wirtshausbesuch nichts mehr im Wege.
Helene wartete ein paar Minuten, erhob sich dann aus dem Sessel und eilte ans Telefon.
„Hallo Herrmann?“ flötete sie alsdann in den Telefonhörer, „ ja, er ist weg. Wie gut, dass ich ihn so genau kenne! Wir können uns einen gemütlichen Nachmittag machen. Bringst du dieses herrlich unanständige Video mit? Ja? Ach, ich freue mich schon ganz schrecklich. Ich mache uns schon mal den Sekt auf, bis gleich.“ Zufrieden legte sie den Hörer zurück auf die Gabel.