Die Freundschaft
Ich weiß nicht, warum ich das tun muss. Aber ich tu es, und mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu sehe ich sie an. Dort liegt sie, entblößt bis auf die Haut und wehrlos wie ein Kleinkind. In den Wassertropfen auf ihrem Körper spiegelt sich mein Antlitz und ich muss einmal mehr bemerken, wie vollkommen sie doch ist. All die Aggressionen, die sich in mir aufgestaut haben, fallen bei ihrem Anblick von mir ab, wie Herbstlaub von einem Baum. Ich betrachte sie aus allen Winkeln, und ich muss zu meiner Scham feststellen, dass ich ein wenig Angst habe. Wenn ich sie so liegen sehe, kommen mir Gedanken aus längst vergangenen Tagen, Erinnerungen, die von Fröhlichkeit durchtränkt sind. Ich möchte mich dafür in irgendeiner Weise erkenntlich zeigen, doch in meinem Inneren tobt ein Kampf. Ich versuche, diesen fatalen Drang zu ersticken. Doch immer wieder bricht dieser elementare Trieb hervor und zwingt mich letztenendes, langsam, fast zeremoniell, zur Schublade zu schreiten. Meine Hand zögert, doch dann durchdringt mich wieder dieses unbeschreibliche Wohlgefühl und diese unendliche Dankbarkeit, und so greife ich fest entschlossen zum Messer. Warm und zart liegt es in meiner Hand, die chromglänzende Schneide verschmilzt mit meinem Körper. Jetzt wandert mein Blick wieder zurück zu ihr. Im nächsten Moment stehe ich vor ihr und mit einem Ausruf des Entzückens lasse ich die scharfe Klinge in ihrem Leib versinken. Ihr Fleisch übt keinen Widerstand aus und das Messer durchtrennt sie fast lautlos. Als ich das Messer hochhebe, tropft noch ein wenig von dem süßen Melonensaft auf meine Hose. Mit jedem Bissen fühle ich, wie ihre Lebenskraft zu meiner wird. Doch da bemerke ich etwas in meinem Hals. Ich muss husten und plötzlich liegt ein Kern vor mir. Wie unmelodisch er meinem Munde entsprang. Ich möchte ihn bestrafen, doch mein Gewissen lässt es nicht zu. Schließlich ist er doch ein Teil von Ihr. Ich hebe ihn auf, pflanze ihn in meinem Garten und schließe so den Kreislauf.
(c) 22.12.2000 by Marco Kirchhof & Andreas Stoll