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Die Freundschaft

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03.07.2001
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Die Freundschaft

Ich weiß nicht, warum ich das tun muss. Aber ich tu es, und mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu sehe ich sie an. Dort liegt sie, entblößt bis auf die Haut und wehrlos wie ein Kleinkind. In den Wassertropfen auf ihrem Körper spiegelt sich mein Antlitz und ich muss einmal mehr bemerken, wie vollkommen sie doch ist. All die Aggressionen, die sich in mir aufgestaut haben, fallen bei ihrem Anblick von mir ab, wie Herbstlaub von einem Baum. Ich betrachte sie aus allen Winkeln, und ich muss zu meiner Scham feststellen, dass ich ein wenig Angst habe. Wenn ich sie so liegen sehe, kommen mir Gedanken aus längst vergangenen Tagen, Erinnerungen, die von Fröhlichkeit durchtränkt sind. Ich möchte mich dafür in irgendeiner Weise erkenntlich zeigen, doch in meinem Inneren tobt ein Kampf. Ich versuche, diesen fatalen Drang zu ersticken. Doch immer wieder bricht dieser elementare Trieb hervor und zwingt mich letztenendes, langsam, fast zeremoniell, zur Schublade zu schreiten. Meine Hand zögert, doch dann durchdringt mich wieder dieses unbeschreibliche Wohlgefühl und diese unendliche Dankbarkeit, und so greife ich fest entschlossen zum Messer. Warm und zart liegt es in meiner Hand, die chromglänzende Schneide verschmilzt mit meinem Körper. Jetzt wandert mein Blick wieder zurück zu ihr. Im nächsten Moment stehe ich vor ihr und mit einem Ausruf des Entzückens lasse ich die scharfe Klinge in ihrem Leib versinken. Ihr Fleisch übt keinen Widerstand aus und das Messer durchtrennt sie fast lautlos. Als ich das Messer hochhebe, tropft noch ein wenig von dem süßen Melonensaft auf meine Hose. Mit jedem Bissen fühle ich, wie ihre Lebenskraft zu meiner wird. Doch da bemerke ich etwas in meinem Hals. Ich muss husten und plötzlich liegt ein Kern vor mir. Wie unmelodisch er meinem Munde entsprang. Ich möchte ihn bestrafen, doch mein Gewissen lässt es nicht zu. Schließlich ist er doch ein Teil von Ihr. Ich hebe ihn auf, pflanze ihn in meinem Garten und schließe so den Kreislauf.

(c) 22.12.2000 by Marco Kirchhof & Andreas Stoll

 

He, die Melonenstory kenn' ich doch? Die ist aus dem Archiv übertragen, stimmt's?

Inwieweit die Geschichte philosophisch ist, und inwieweit der Titel passt, sei mal dahingestellt, aber die Geschichte gefiel mir damals, als ich die das erste Mal gelesen habe, und sie gefällt mir immer noch.
Zu beginn denkt man: Gähn, schon wieder eine Mörderstory. Doch sie schafft noch den Absprung und wird wirklich gut und originell.

 

Schöne Story! Hat mich kalt durch die Hintertür erwischt und völlig überrascht, weil sie gekonnt mit Emotionen spielt und dann...den Kreislauf des Gewöhnlichen verläßt und augenzwinkernd die mögliche Wiedergeburt kreiert :-). Cool!

Boris (BeautifulExperience@aol.com)

 

Das Ende hat mich eiskalt erwischt. Ich dachte sogar noch bei "Melonensaft", was für eine seltsame Beschreibung für Blut...
Herrlich!

Nur der philosophische Aspekt ist mir entgangen. Das Thema "Kreislauf der Natur" hast du ja wohl nicht gemeint, hm...

 

An dieser Stelle nochmal der Hinweis: wenn Ihr Geschichten aus dem Archiv übertragt, dann bitte eine kurze E-Mail an mich!

 

Häh? Melone? Mann oh mann, wie bist du darauf gekommen? Ich dachte auch, jetzt kommt eine psychopathische Mörderstory und dann ist es eine Melone. Irgendwie erfrischend. Jetzt kann ich zufrieden ins Bett gehen, danke!

 

:( Diese Geschichte hat mich weder nachdenklich gestimmt, noch beinhaltet sie philosophische Aspekte. Es sei denn die sind so tief verwurzelt, dass sie mir entgangen sind, aber mich hat kaum etwas darauf aufmerksam gemacht. Das einzigste, eher triviale, was mir aufgefallen ist, sind die Gedanken, die bei einer so banalen Sache wie dem Melonenverzehr durch Emotionen hervorgerufen werden können. Quasi, der "Schauplatz Alltag", als besonderes Erlebnis. Nur fällt, wie bei den hiesigen Kritiken zu erkennen ist, das Hauptaugenmerk nicht darauf.

<IMG SRC="smilies/cwm15.gif" border="0"> Was den Ablauf der Geschichte anbelangt, so hatte ich auch zunächst an ein Horror-Szenario gedacht. Die Wendung am Schluss macht sie aber keineswegs Sensationell, die "Am Ende sieht alles anders aus, weil einem ein Licht aufgeht" Geschichten sollten nicht zur Gewohnheit werden. Wo bleiben die tiefsinnigen Aspekte? Die Geschichten, die man nicht einfach vor sich hin lesen kann?

Ich weis, mein eigener Spruch: "Wer Wunder erwartet, der sollte erstmal an Wunder glauben." behält mal wieder recht. :D

 

Also, mir hat sie ganz hervorragend gefallen. Gut geschrieben mit Pointe. Was hast Du gegen die "Am Ende sieht alles anders aus, weil einem ein Licht aufgeht"-Geschichten? 80% meiner Stories sind so aufgebaut... :lol:
Evtl. sollte man sie in Spannung verschieben. Nicht weil sie so spannend ist, sondern weil der Leser diese Erwartungshaltung aufbaut. Nur dadurch kommt ja die Pointe so gut.

 

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