Die Freundin meiner Freundin
Vor drei Stunden war die Welt noch in Ordnung. Hannelore und ich waren bei ihrer Busenfreundin und ihrem derzeitigen Lebensabschnittsgefährten zum Abendessen eingeladen.
Es war das erste Mal, dass ich dieser vielzitierten Person gegenüberstand, und ich war von der ersten Sekunde an davon überzeugt, dass sie mich hasste. Sicher, es war etwas unbedacht, einfach so mit Straßenschuhen in die Wohnung zu treten, doch dass die scharfe Rüge der Beginn eines ganzen Folterabends werden sollte, damit hatte ich nicht gerechnet.
Nachdem ich ein paar Filzpantoffeln verpasst bekam und dem Freund der Freundin meiner Hannelore die lasche Hand schütteln durfte, wurden mir erst einmal die Räumlichkeiten gezeigt. Was ich da in Augenschein nahm, möchte ich nicht näher ausführen. Nur so viel: Alles war wie geleckt und trug voll und ganz die persönliche Note der Herrscherin dieser kleinen Heimstätte. Ein Schauer lief mir bei der Vorstellung über den Rücken, in dieser Atmosphäre leben zu müssen.
Das Abendmahl war längst fertig. Daran trug selbstverständlich ich die Schuld, denn ich war nicht schnell genug mit dem Auto gefahren, um die von Hannelore vor dem Spiegel vertrödelte Zeit wieder aufzuholen. Der Aperitif musste also schnell genommen werden, und meine obligatorische Zigarette vor der Nahrungsaufnahme war sowieso hinfällig, da ich mich in einer rauchfreien Zone befand.
Schließlich ging's zu Tisch. Zuerst wurde eine Gemüsecremesuppe gereicht, deren Zusammensetzung geschmacklich nicht zu trennen war. Dann gab es zerkochte, ungesalzene Bandnudeln mit einer schweren Käsesahnesoße, und als Hauptspeise wurde der Hit der Saison serviert: gemästeter Seelachs mit einer übelriechenden Knoblauchsoße drüber. Der gemischte Salat war im Grunde das einzig essbare, nur leider schwamm er in einer giftgrünen Kräutersoße, deren Konsistenz sehr unappetitlich war.
Ich bezwang mich aus Liebe zu Hannelore, und würgte die von der Hausherrin auf meinen Teller geladenen Riesenportionen herunter. Ich glaube, es war die reine Boshaftigkeit von ihr, als sie sagte:"Sie sehen so aus, als ob Sie Hunger haben. Hier, das größte Stück ist für Sie."
Den Affront, das ganze mit gebührend viel Bier herunterzuspülen, gestattete ich mir trotz Hannelores tadelnder Blicke, die sich natürlich in Grund und Boden schämte.
Nach einer Stunde war die Tortur beendet. Ich durfte mich auf die Terrasse begeben und eine Zigarette rauchen.
Danach begann der gemütliche Teil, was nichts anderes bedeutete, als sich in die schneeweiße Couchgarnitur zu setzen und das Geschnatter der beiden Frauen mit vereinzelten Wortbeiträgen zu ergänzen.
Irgendwann meldete sich meine Blase, und ich nahm das sofort zum Anlass, um eine Zigarette rauchen zu gehen.
"Wo willst du denn hin?" fragte mich Hannelore, als ich noch nicht einmal aufgestanden war.
"Auf die Toilette, mein Liebling."
"Aber nicht, dass du mir heimlich eine rauchst, Schatz."
"Ja doch, mein Täubchen, hatte ich auch nicht vor", log ich und hätte sie würgen können.
Aber auf die Toilette musste ich wirklich, und das sogar sehr dringend. Also eilte ich auf den Pott des Hauses, der in einem Badezimmer stand, das einem Kosmetiksalon gleichkam. Der Fußboden war komplett mit Frottee ausgelegt, sogar Bilder hingen an der rosaroten Blümchentapete. Überall standen Flakons, Cremedöschen und Tuben herum. Ich will es mir gar nicht weiter in Erinnerung rufen, es war furchtbar. Denn als ich vor die mit Plüschtierchen umstellte Kloschüssel trat, stach mir ein Verbotsschild ins Auge: "Man(n) setzt sich!"
Ich warf einen kurzen Blick zum Waschbecken hinüber, aber dafür war keine Zeit mehr. Ich spürte, wie es bereits die Harnröhre hochkam, und schlug aus reiner Rücksichtnahme die Brille hoch. Gerade als ich meinem Bedürfnis freien Lauf gewährte, ertönte eine schrille Stimme aus der Kloschüssel: "Sie wollen doch nicht etwa im Stehen pinkeln? Setzen Sie sich gefälligst!"
Von Wollen konnte nicht die Rede sein. Und da ich zuerst nicht wusste, woher und wieso, drehte ich mich vor Schreck wie ein Rasensprenger einmal um die eigene Achse.
Ich musste schon schmunzeln, angesichts dieses geschmackvollen Einfalls der Gastgeberin, einen sprechenden Klostein in die Schüssel zu hängen. Doch nachdem ich mein Geschäft erledigt hatte, und die von mir die angerichtete Bescherung begutachtete, war mir überhaupt nicht mehr wohl zumute.
Ich machte es sehr kurz. Ich nahm meine Schuhe in die Hand und verließ auf leisen Sohlen den Ort des Schreckens.
Und nun stehe ich hier im Regen und warte auf Hannelore.
Was habe ich nur verkehrt gemacht?