Die fremde Stadt
Oft entfliehen ganze Familien in der Karwoche in fremde Länder. So begab es sich, dass zwei befreundete Familien samt Kinder nach Griechenland flogen, Athen war das Ziel. Eine schöne Stadt, aber voller Widersprüche, luxuriöse Hotels um die klassischen Sehenswürdigkeiten, schmutzige kleine Gassen abseits der Touristenwege.
Die wenigen Tage der Ferien waren sonnig, viel wärmer als zu Hause. Eines Nachmittags, die Sehenswürdigkeiten hatten sie bereits gesehen, beschlossen sie, einen Stadtbummel, ganz ohne bestimmtes Ziel, zu machen, sich auf die Stadt einlassen, auch die andere Seite kennenlernen.
Nach einem gemütlichen Kaffee, es war bereits etwas dämmrig, gingen sie noch in einen kleinen Laden, einen dunklen, verwinkelten, der einlud zum Schauen, Verweilen, Handeln und Feilschen. Erst als sie wieder heraußen waren, bemerkten sie, dass eines der beiden Kinder - damals gerade einmal acht Jahre alt - fehlte.
Ein Anflug von Panik war im Gesicht der Eltern zu sehen. Wo war ihre Tochter? Was war in den letzten 10 Minuten passiert? Wohin war sie gelaufen? Wann hatten sie sie zuletzt gesehen? Fragen quälten. Die Dämmerung wich langsam der Finsternis. Die beiden Familien teilten sich und suchen die Straßenzüge der Umgebung ab.
Je mehr Zeit verstrich, desto größer wurden die Sorgen. Sie kannte die Stadt ja nicht, sie war noch so jung, verstand die fremde Sprache nicht. Die Sorge wuchs.
Nach drei Stunden intensiver Suche, mehreren Zwischenabsprachen mit dem befreundeten Ehepaar, beschlossen sie zunächst einmal ins Hotel zu fahren, von dort dann die Polizei zu alarmieren und weitere Schritte zu besprechen.
Das Taxi hielt vor dem Hotel. Durchgefroren – es war ja erst Anfang April – betraten die erschöpften Touristen die schöne, geräumige Hotelhalle. Ledermobiliar lud zum Verweilen ein, gegenüber der Rezeption eine Bar.
Da saß sie, an der Bar. Sie wirkte ruhig, war vermutlich schon seit gut einer Stunde hier. Sie nippte an einem Glas frischgepressten Orangensaft.