- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Die Frau in der U-Bahn
Die Frau in der U-Bahn/Überarbeitet 27.07.03
Die Frau in der U-Bahn
Es war wieder so weit. Einer dieser Tage, an denen ich über mein Leben nachdachte. Obwohl man nachdenken gar nicht sagen kann, hadern ist das richtige Wort.
Ja, ich gehe ins Gericht mit meinem Leben.
So schweife ich zwischen meiner Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft hin und her. Alles läuft mir gleichzeitig durch meinen wirren Kopf. Ich bin unzufrieden mit allem. Mein Job langweilt mich. Die Routine in meiner Ehe. Stets die gleichen Personen zu sehen. Überall Alltag, um jede Zeit, jeden Tag, jede Woche ein Stückchen mehr einschläfernd. Ich bin müde.
Dadurch bin ich auch sehr ungerecht anderen Personen gegenüber, niemand versteht mein Verhalten, das sehr zurückgezogen ist. Auch meine Mimik strahlt dementsprechend düster.
Mich anzusprechen in dieser Zeit ist ein gefährliches Wagnis, ich töte mit Blicken.
Beleidigende Sätze sprudeln aus mir heraus, ich denke nicht darüber nach, was ich diesem Menschen damit antue. Es ist mir in diesen Momenten egal.
Die U-Bahn fährt in die nächste Station ein. Augenpaare sehen an mir vorbei, niemand nimmt Notiz von mir. Der Sitz mir gegenüber bleibt leer. Da mich niemand der neu zugestiegenen Personen interessiert, wende ich mich meinem Schicksal wieder zu. Noch fünf Stationen, dann muss ich aussteigen. Nach Hause, ich will nicht, ich mag Neues sehen, erleben. Was erwartet mich denn schon dort? Routine, Zeit totschlagen. Außer in dem Fotoladen, ich hole noch den Film ab, den mein Mann letzte Woche voll geschossen hat ab, ist ein neuer Angestellter, mit dem könnte ich mich ja vielleicht unterhalten.
Ohne es zu bemerken hat eine alte Frau mir gegenüber Platz genommen. Ich schätze sie auf etwa achtzig Jahre. Runzlig sind ihre Hände, ebenso ihr Hals und ihr Gesicht. Aber in ihren Augen liegt ein Glitzern, das ein Gefühl des Zufriedenseins ausstrahlt, ich beneide sie um dieses Gefühl, mir fehlt es bereits seit einiger Zeit. Ich zieh mich aus Neid nun noch mehr in mich zurück. Toll, ich will das nicht sehen!
In diesen Tagen stelle ich alles in Frage. Was wäre, wenn ich mich in den letzten Jahren einmal anders entschieden hätte? Wäre ich dann glücklicher als heute? Das Problem ist nur, dass ich im Grunde glücklich mit meinem Leben bin. Und doch fühle ich mich innerlich so leer, so gar nicht wertvoll. Wer würde mich schon vermissen? Wer braucht mich wirklich? Ich meine, dass ich mein Leben manchmal zu einfach führe, ohne dass etwas Spektakuläres passiert. Was in diesen Tagen noch gravierend dazu kommt, ist, dass ich mich dann unattraktiv fühle, sechs Kilo zu schwer, die Augenbrauen gehören auch mal wieder nachgezupft und ins Solarium muß ich auch.
Meine Freundinnen, nun ja Kontakt haben wir schon, doch die Treffen erfüllen mich auch nicht. Ich erwarte wohl zu viel, ich erhoffe dann Gespräche, die nicht oberflächlich sind. Wenn ich dann über die Leere in mir anfing zu sprechen, bekomme ich nur einen fragenden Gesichtsausdruck und den Satz:
"Ich weiß gar nicht, was Du willst!" Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich es auch wirklich nicht. Ich kann es ihnen auch nicht erklären, was mich wirklich spannungslos macht. Das ist dann meistens das Ende des Treffens, ich gehe. Zuhause fragt mich dann mein Mann: „Na, war’s schön?“ Ich antworte gespielt „Klar, war toll.“
Ich mache ich mir gedanklich Notizen, was ich alles in meinem Leben ändern möchte oder was ich alles meiner Mutter noch sagen will, sozusagen abrechnen mit ihr, was sie alles mir verdorben hat mit ihrer Erziehung. Ich schweife in die Zukunft, was ich alles noch tun möchte, welche Länder ich unbedingt sehen will, welches Auto ich möchte.
Was ich alles noch lernen will, Sprachen, etwas Kunstvolles und vieles mehr.
"Hallo."
Ich denke weiter, immer tiefer in mein Inneres versunken.
"Hallo, schau mich an!"
Ich blicke mißtrauisch nach oben, direkt in die Augen der alten Frau, kein Wort kommt mir über die Lippen. Was will die von mir, laß mich doch in Ruhe.
"Warum bist du so phlegmatisch, warum läßt du dich so runterziehen, warum lachst du dir nicht selber zu?“
"Weil es einfach passiert, ich wache auf und die Welt ist nicht mehr die, die ich liebe, sie läßt mich weinen ohne Grund."
"Du vergeudest damit wertvolle Minuten."
"Ist mir egal!"
"Nein ist es dir nicht, du bist nur nicht wach, wach auf und sieh dich um, sieh die Welt um dich, mach deine Augen auf! Wenn du wieder merken solltest, dass du dich von der Welt abschirmst, dann unternimm was dagegen, aber warte nicht, bis jemand auf dich zukommt, sondern beschäftige dich alleine! Steh auf und gib dir einen Ruck, laß dir nicht die schöne Zeit nehmen durch unnötiges Nachdenken über etwas, was du nicht mehr ändern kannst oder noch nicht weißt, lebe in der Gegenwart, aber bitte lebe."
Schwups, die alte Dame löste sich in Rauch auf, weg war sie.
Na super, nun fang ich auch noch zu phantasieren an. Ich verdrehte die Augen, schloss sie und lehnte mich zurück. Ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust und schmollte demonstrativ mit meiner Unterlippe.
Laut kamen die Worte über meine Lippen:
"So, dass habt ihr nun davon, ich werde verrückt und alles nur, weil sich niemand mit mir beschäftigt.“
Da sah ich ein Foto auf dem Boden liegen, zerknittert. Ich hob es auf, es war die alte Dame auf dem Bild, sie stand vor einem prächtigen alten Baum und drei Frauen mittleren Alters mit ihren Kindern standen um sie rum, alle lächelten. Ich drehte das Bild um, dort stand: Für unsere liebe Mama von ihren Kindern.
Was mich zu Tränen rührte war, dass dieser Baum in meinem Garten stand. Es war genau dieser Baum, den mein Mann vor einem Jahr, als Jungpflanze, neben die Garage pflanzte. Nur die Garage war nicht mehr auf diesem Photo, aber dies war mir egal.
Nun wußte ich, nie wieder werde ich mein Leben in Frage stellen. Ich werde es genießen die Gegenwart, ich werde der Vergangenheit nicht mehr nachtrauern oder sie verändern wollen, ich werde die Zukunft einfach auf mich zukommen lassen.
Ich sah aus dem Fenster der U-Bahn und sah mein eigenes Gesicht spiegeln, es lächelte mich an.