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Die Frau am See
Der See lag inmitten der Berge, von Steinwüsten durchzogene Gebirgshänge schlossen den See in allen Himmelsrichtungen ein. In der Uferzone des Sees lagen große Felsen, stumme Zeugen längst vergangener Zeit. Die Frau saß gedankenverloren irgendwo am Rande des Gebirgssees, inmitten dieser Berglandschaft. Die Frau schaute auf den See hinaus. Der frische Wind kam plötzlich von den hohen Gipfeln der Berge hinab. Die wohltuende Kälte ließen sie für einen Moment die heißen Sonnenstrahlen vergessen. Kleinere Wellen entstanden, deren Bewegungen die kleinen Kieselsteine am Ufer lustig hin und her schoben. Ihr war kalt und sie bekam eine Gänsehaut. Die feinen Härchen auf ihrer Haut stellten sich spürbar auf. Sie hielt einen Brief in ihren Händen, der bereits sehr abgegriffen war. Erika schaute nachdenklich auf die verblichenen Zeilen. Sie blickte auf den Brief, um diesen ein letztes Mal zu lesen.
Die Feldpost Juli 1943
Liebste Erika
Ich weiß, dass dich diese Zeilen beunruhigen werden, falls du diesen Brief jemals lesen wirst. -Erika! Jetzt ist es soweit, während du diesen Brief in deinen Händen hältst, werde ich wahrscheinlich gefallen oder verwundet sein-.Gleichgültig, was mir auch geschehen mag! Ich werde mein Schicksal ertragen, weil meine Liebe zu Dir so groß ist!
Unser Bataillon hat den Angriff vor fünf Tagen begonnen. Das Angriffsziel ist eine russische Stadt! Ich darf dir, wegen der Geheimhaltung den Namen dieser Stadt nicht mitteilen. Drei Tage waren wir gut vorangekommen, aber dann brach plötzlich die Hölle los! Seitdem stehen wir in schier endlosen Abwehrkämpfen. Die Lage wird von Tag zu Tag hoffnungsloser!- Der Russe tauchte urplötzlich mit seinen T34-Panzern auf. Das Gelände, wo die Russen aufmarschierten war weitläufig. Panzer um Panzer der Russen näherte sich dort auf. Tausendfach liegen nun die gefallenen Kammerraden und Russen hier! Unsere Gefallenen zu bergen, dafür fehlt uns einfach die Zeit. Hier in der russischen Steppe herrschen zur Zeit hohe Temperaturen, dadurch verwesen die Leichen sehr schnell. Der Gestank von tausenden, stinkenden Leibern ist so bestialisch, dass ich es Dir kaum beschreiben kann. Wir wurden schamlos belogen, jedenfalls was den Mut und die Opferbereitschaft der russischen Soldaten betrifft! Der russische Soldat ist weder feige, noch schlecht ausgebildet!
Unseren Zugführer vermissen wir nun schon seit zwei Tagen. Heute, wo ich dir diesen Brief schreibe, habe ich ihn wieder gesehen. Der Feldwebel lag keine fünfzig Meter von hier entfernt, in einem dreckigen Schützenloch mit weit aufgerissenen Augen und hervorquellenden Gedärmen! Ich habe noch mit dem Zugführer gesprochen, kurz bevor er spurlos verschwand:
„Ich war damals mit dem Kübel unterwegs um eine Meldung zum Gefechtsstand des Bataillons zu bringen. Da standen Frauen, Männer und Kinder an einer Grube mitten im Wald. Ich hielt an, um mir das genauer anzusehen. Dann knallte es und die Leute fielen in die Grube. Das Loch war fast voll, hunderte Leichen mussten da drin gelegen haben. Als ich das beim Bataillon gemeldet habe, wurde nur mit dem Kopf geschüttelt. Ich kann den abgrundtiefen Hass der Russen gut verstehen“, sagte er.
Der Feldwebel spinnt doch, habe ich da gedacht. Aber am heutigen Tag, glaube ich, dass Er nur schreckliche Angst hatte. Weißt du! Die Angst frisst hier langsam jeden von uns auf, obwohl keiner offen darüber sprechen mag. Damals, als ich nach dem letzten Heimaturlaub zurück an die Front musste, da war mir, doch sehr schwer ums Herz, als ob ich damals schon erahnt habe, wie grausam dieser verdammte Krieg für uns alle noch werden würde.
Unsere Feldpost wird strengstens kontrolliert, darum werde ich versuchen, diesen Brief einem verwundeten Kameraden mitzugeben. Ich habe nun die große Hoffnung, dass dieser Brief den unendlich weiten Weg aus der russischen Steppe zu dir finden wird. Erika, wir versuchen hier unser Bestes, um Euch in der Heimat zu schützen! Wissen aber nicht ob unsere Kräfte ausreichend sind. Meine ganze Liebe gilt Dir und den Eltern! Die Du und das ist meine Bitte an Dich, lieb von mir grüßen magst. Besonders Mutter, weil sie macht sich doch immer so große Sorgen".
In Liebe
Hannes
PS: Werde dich nie vergessen! Wenn ich nicht zurückkommen sollte? Sei bitte, bitte nicht traurig!!. Es gibt ein Schicksal, das wir nicht beeinflussen können. Tausend Küsse!!
Sie überkam wiederholt dieses traurige Gefühl der Ohnmacht. Erika erreichte dieses Gefühl zum ersten Mal, als sie diesen Brief zum ersten Mal gelesen hatte. Erika konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als dieser Feldpostbrief sie erreichte.
Damals, es war ein warmer Spätsommertag im August 1943, als sie mit vielen anderen Erntehelfern, gerade die letzte Ernte vor dem herannahenden Herbst von den Weiten der Getreidefelder eingebrachten, als dem Hannes seine Mutter die Rosemarie mit dem Fahrrad angeradelt kam, um Erika diesen Feldpostbrief zu bringen.
Ein Kamerad hatte den Brief zu Hause abgeliefert und war wortlos wieder verschwunden, wohl aus gutem Grund, wie Erika heute wusste. Sie war damals im vierten Monat schwanger, entstanden war das Kind wohl, als der Hannes Fronturlaub hatte. Sie hatte damals, wie auch Heute diesen Feldpostbrief gleich gelesen, um danach hemmungslos in Tränen auszubrechen. Millionen Soldatenfrauen mussten zu dieser Zeit wohl so hilflos da gestanden und geweint haben! Sie war nicht allein mit ihrem Schicksal, bei Weitem nicht. Nun, es war, weder eine Vermisstenmeldung noch eine Nachricht, dass der Hannes gefallen war, dennoch, so wie dieser Brief von Hannes geschrieben worden ist, durfte Sie wenig Gutes erwarten und damit sollte Erika Recht behalten, denn Ende September kam die Vermisstenmeldung. In der zu lesen stand: „Das der Gefreite Hans Bartels irgendwo in Russland vermisst wurde, mehr nicht“. Ihr gemeinsamer Lieblingsplatz war hier gewesen, wo sie jetzt diesen Brief sorgsam zusammenfaltete, um sich danach langsam von ihrem steinigen Platz zu erheben, an diesem Tag im August 1948.
„Mama wo bist du!“ Erika hörte die Stimme ihres vier jährigen Sohnes in der Ferne. „Hier bin ich Hans!“, antwortete Erika. Plötzlich, tauchten die Beiden aus dem Wald auf, der hinter ihr lag. Der Mann neben dem Jungen war seit gut einem Jahr ihr neuer Freund. Robert, ein gutaussehender Mann, dessen amerikanische Uniform ihm hervorragend stand. „Wir haben dich gesucht Erika, warum bist du auf einmal verschwunden?“ „Hier war mal mein Lieblingsplatz Robert, den wollte ich euch zeigen“. Okay!, Kam es von beiden mit einem Lächeln zurück. Sie ließ langsam den Brief in ihren Rocksaum verschwinden. Heute werde ich es ihnen noch nicht sagen, dachte sie. Vielleicht später oder wenn sie die Gewissheit haben würde, dass der Hannes wirklich nicht mehr zu ihr zurück kommen würde.