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"Die Frage"
Du fragst, weshalb dein Chef so unsinnig handelt.
Ich kann dir darauf keine Antwort geben.
Jedenfalls keine, die dich entspannen würde, die dein Grübeln, deine Zweifel beseitigen könnte.
Du weißt selbst, dass es gar keine Frage war, die du mir stelltest.
Du wähltest nur diese Form als tarnende Hülle, um darin deine Furcht zu verpacken.
Nein, widersprich mir nicht! Dein Unterbewußtsein weiß wovon ich rede.
Schenke mir ein wenig Vertrauen. Darum bitte ich dich. Es ist für dich riskant, das ist mir bewußt.
Niemand garantiert dir, dass ich pfleglich mit deinem Geschenk umgehe.
Ich bitte dich trotzdem, geh dieses Risiko ein.
Ich wünschte, ich könnte dir deine Frage beantworten, die ja gar keine Frage ist.
Wie hilfreich wäre ich, könnte ich dir deine Furcht und deinen Ärger nehmen und dir Stärke leihen.
So lange bis du von allein stark bist.
Aber ich bin keine gute Fee.
Ich kann es nicht. Ich habe all meine Lebenserfahrungen durchsucht. Es war nichts darunter.
Das einzige was ich dir geben kann, ist mein Trost.
Willst du ihn haben? Er entfaltet aber seine Wirkung nur, wenn du mir vertraust, nicht zweifelst.
Jeder Zweifel macht den Trost unwirksam.
Verstehst du jetzt, weshalb ich dich um ein wenig Vertrauen bitte?
Ausgestattet mit deinem Vertrauen würde ich dir von all den Männern erzählen, denen es geht wie dir.
Bitte warte, bevor du mir widersprichst. Ich kenne deine Worte bereits. Für dich ist das kein Trost einer von vielen zu sein.
Du kämpfst für dich allein.
Vertrau mir und schau einen Moment mit meinen Augen.
Dann wirst du sehen, dass auch die anderen sich unsicher und schwach fühlen.
Auch sie hüten sorgsam ihr Geheimnis.
Schau genau hin. Erkennst du ihre Methoden, sich zu tarnen?
Sie benutzen dieselben wie du.
Sie gehen aufrecht und zeigen Gelassenheit. Du wirst ihnen nicht ansehen, dass ihnen der Magen schon am Morgen schmerzt.
Sie reden in knappen sachlichen Sätzen und ihre Stimmen schwanken nicht. Hörst du wie sie eine Spur mehr Härte und Kernigkeit in ihre Stimmen legen? Auch du verbirgst auf diese Weise deine Unsicherheit.
Sie arbeiten unablässig, Überstunde um Überstunde.
Glaube mir, in den wenigen Minuten der Besinnung träumen sie wie du von ihrer einsamen Insel. Auf der sie Ruhe finden.
Nach der Arbeit kehren sie zu ihren Familien heim. Familien, die, so scheint es ihnen, in einem anderen Land leben, anderssprachig, andersartig. Es gelten dort ganz andere Werte.
Sie versuchen täglich auf ihrem Nachhauseweg die Grenze zu diesem Land zu passieren. Aber oftmals gelingt es ihnen nicht. Sie fühlen sich unwohl. Sie schämen sich für ihre Fremdheit.
Und sie wagen nicht zu sagen, dass sie die Sorgen in diesem Land für so unbedeutend und banal halten.
So wie du haben sie ab und an Mühe sich zu beherrschen, möchten laute Vorwürfe herausschleudern, dass niemand eine Ahnung hat, was es bedeutet: Jeden Tag Stunde um Stunde um die Existenz zu kämpfen. Dass es immer schwerer wird, keinen Augenblick unaufmerksam sein zu dürfen.
Vielleicht hast auch du, wie sie, schon lange aufgehört, etwas zu sagen, weil dir die verständnislosen Blicke deiner Familie weh taten.
Du dich danach noch einsamer fühltest.
Du kannst ihnen nicht verständlich machen, dass auf deiner Etage die Luft so dünn ist. Du deshalb tiefer atmen mußt als die unter dir.
Von diesen Männern würde ich dir erzählen. Dich mit meinen Worten zu trösten versuchen.
Und dich auf dein Handeln hinweisen, darauf, dass auch du für andere der Anlaß für die gleiche Frage sein wirst, die du mir gestellt hast.
[Beitrag editiert von: lakita am 15.01.2002 um 23:23]