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- 31.07.2002
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Die Feste deines Lebens
Der Wagen hielt. Die Tänzerin warf ihre Robe aus. Passend zur Nacht hatte sie sich gekleidet.
»Die Dunkelheit beschützt dich.«, flüsterte die Fahrerin ihr zu. Sie stellte den Wagen ab und parkte abseits.
Die Tänzerin glitt zum Eingang. Sie stieg die Stufen mit Leichtigkeit hoch. Eine Eule sang ein Lied dazu. Von den Baumwipfeln knisterten die Blätter. Liebevoll strich die Harfe des Windes die alte Leier. Pan war um die Ecke, dachte sich die Tänzerin der Nacht, und er will mich erschrecken. Doch ich werde ihn erschrecken. Sie glitt zur Tür und klopfte. Es wurde ihr geöffnet. »Sie werden erwartet.«, sagte eine Stimme und führte sie in den Speisesaal. Der alte fette Pan saß herrschaftlich zu Tisch. Er rückte seine Brille zurecht.
»Ich habe Sie erwartet.«, sagte er.
»Wir erwarten uns immer zu viel,« sagte sie, »denn ich bin nicht gekommen.«
»Gebt ihr einen Stuhl.«, sagte er. Es wurde zurecht gerückt, und die Tänzerin nahm an der gegenüberliegenden Seite der Tafel platz. Pan triefte Fett, er war hässlicher denn je. Seine Finger hielten die Gabel fest, mit der er in den Fisch stach.
»Köstlich.«, grunzte er und seine Augen traten über die Brillengläser. »Ich habe ein besonderes Dessert für Sie.«, er versuchte zu lächeln. Es wurde zur verstellten Fratze eines verwesenden Gottes.
»Dionysos,« sagte er, als er das fünfte Glas geleert hatte, »hätte seine helle Freude an uns gehabt.« Auch die Tänzerin der Nacht war dem Wein nicht abgeneigt. Mit zarten Fingern leerte sie das Glas, und verlangte nicht mehr, es wurde ihr gegeben. Ihr schwarzer Stoff hüllte sie in Seide aus Dunkelheit. Das Wehen des Todes berührte den Raum. Es bauschte ihre Kleider. Ein Diener hatte ein Fenster geöffnet. Eine Spinne wehte an ihrem seidenen Faden herein. Hart schlug sie gegen den Glasrand. Man hörte das Glucksen, als das Tier über den Rand in die rote Flüssigkeit kippte. Pan hob das Glas an. »Zum Wohl!«, rief er und hielt es in die Höhe. Er leerte es mit einem Schluck. Das Festmahl ging dem Ende zu.
Die Tänzerin hatte keinen Bissen angerührt. Sie war verbrüdert mit der Dunkelheit, und prüfte noch mal ihre Geschmeidigkeit, indem sie ein Glas roten Nektars anhob, und prüfend ihren Finger in das Götterblut tunkte. Sie hob ihn hoch, drehte ihren Finger. Der rote Saft rann zurück ins Glas, nichts blieb zurück. Sie war abweisend geworden, keine Dinge hafteten mehr an ihr. Sie glitt zwischen den Türen, durch die Spalten, in das Schlafzimmer. Pan rollte nach. Die Ungestörtheit hatten sie sich nun ausgesucht. Die Tänzerin legte sich wie der Wind ins Bett, und verstillte, als Pan sie auskleidete. Nackt lag sie auf Seide gebettet. Pans Atem war der Wind in ihrem Haar. Er schüttete Honig über sie, er blieb nicht haften, rieselte an allen Seiten ab. Pan blieb unbeirrt. Er goss das viskose Gold in alle Mulden, die er an der Tänzerin fand. Seine große Zunge, rot und blau vom Wein, leckte das Gold aus den Vertiefungen. Gierig sog er alles ein. Pan leckte ihren ganzen Körper, doch an seiner Zunge blieb kein Geschmack haften. Die Tänzerin blieb unschmeckbar. Zärtlich und wissend drückte sie sich an den fetten Körper, zog ihm die Brille vom Gesicht, umspielte leicht wie der Wind sein Haar. Er stieß und presste. Doch fand er keinen Halt. Sie entglitt ihm aus seiner Bewegung. Selbst Wasser bot mehr Widerstand als der Körper unter seinem Leib. Sie war der Wind, sie war der Wind, sie war wie eine Phantasie. Pan vergoss sich ins Laken.
»Eine alte Geschichte.«, flüsterte sie. »Es ist die Verbrüderung des Weines und dieser wunderbaren Pflanze, die die Nächte mit ihm erträglich machen.« Sie hielt ihr ein Hanfblatt hin. Sie saß neben ihrer Fahrerin und hielt erregt hoch, was von der Lust ihres Lebens übrig war. Die Tänzerin hatte sich mit der Dunkelheit verbrüdert. Nur ganz tief in ihrem Herzen spürte sie noch den Geruch ihrer Kindheit, den Duft von Erdbeeren an lauwarmen Sommerabenden.