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Eine alte Geschichte von mir zum Kennenlernen und für alle, die jemanden kennen und ihn/sie doch gehen lassen müssen.
Die Feeninsel
Vor vielen tausend Jahren, als die Menschen sich nicht nur Sagen erzählten, sondern als Legende noch Wirklichkeit war, lebten mitten unter ihnen auch die Engel und Feen.
Irgendwann hörten die Menschen auf, an die Fabelwelt zu glauben, und so verschwanden auch die Wesen von der Erde. Da die Menschen nun auf sich selbst aufzupassen wussten, bedurften sie der alten Magie nicht mehr. So verabschiedeten sich Engel und Feen und gingen ihrer Wege. Erstere fuhren auf in den Himmel und ließen alle Menschenseelen ein, die die Erde nach dem Tode verließen oder die ein Gefühl namens Liebe auf Wolke Sieben hob.
Die Feen aber flogen auf eine einsame Insel, auf der man heute noch Trolle und Kobolde kennt und sie ehrt. Dort versuchten sie den Menschen in schweren Stunden beizustehen. Ihre mythischen Freunde würden sie erst wieder begrüßen dürfen, wenn die Menschen wieder an die Fabel glaubten.
Hin und wieder geschah es, dass ein Engel aus dem Himmel fiel oder eine Fee vom Westwind ergriffen wurde und in der Welt der Menschen landete. Hier verloren sie all ihre magischen Kräfte, die Flügel und sogar ihr Gedächtnis.
Auch ein kleines Mädchen wuchs in dieser Welt als Menschenkind groß. Von ihren Eltern geliebt und von Märchen mehr als ihre Freundinnen bewegt, kannte sie ihr wahres Schicksal, eine Fee zu sein, nicht mehr.
Mit dem Erwachsensein verloren die Geschichten an Glanz und sie ging selbstbestimmt in die Welt hinaus. Nicht lange und sie begegnete einem jungen Mann. Nur ein Moment genügte, um ihrem Herzen die Flügel zu verleihen, die sie sonst verloren hatte. Ihr Verstand setzte aus und ihre Gefühle wollten sie empor tragen, doch sie konnte nicht eintreten.
Er war so anders als sie, mochte all dies, was sie immer gelangweilt hatte an guten Dingen. Er verstand es ohne große Taten sie vom Positiven zu überzeugen. Doch der Schlüssel zu seinem Herzen gehörte niemals ihr.
Traurig sah sie, wie er fort zog. Seine Freude blieb ihr einziger Trost. Nie vergaß sie sein Gesicht, bis die Jahre gezählt waren, obgleich sie sich nie wieder begegneten. Ihr Leben war trotz allem voller Freunde und Gemeinschaft gewesen und so konnte sie ohne Reue gehen. Wie der letzte Atemzug vergangen war, schwebte sie gen Himmelreich und erlangte mit jedem Meter ein Stück ihrer alten Kräfte wieder. Gleichsam sprossen ihre Flügel und es keimte die Erinnerung.
Um viele Erkenntnisse reicher gelangte sie zur Himmelspforte, durch die sie als Fee nicht schreiten konnte. So kehrte sie auf ihre Insel zurück und feierte mit all ihren alten Bekannten ein Wiedersehensfest.
Durch die Fenster, die die Fabelwesen in die Menschenwelt fliegen ließen, war ein Kinderherz gar zu einsam, beobachtete sie ihren Engel noch viele Jahre, wie sein Leben von Enkeln und Urenkeln bereichert wurde. Als der Tag kam, da er seinen Körper verließ, stieg sie durch das Fenster, um ihn zum Himmel zu geleiten.
Nicht lange hielt sie seine Hand, als er zu lächeln begann und auf halbem Wege hinauf musste sie ihn nicht mehr leiten, denn auch ihm waren die alten Flügel gewachsen und sein Gedächtnis erneuert. Die alte Ordnung, die Engel von Feen trennte, entzweite sie von neuem. Nicht einmal ein echter Engel konnte der kleinen Fee Einlass gewähren.
Doch nie mehr trauerte sie um ihre Liebe, denn sie wusste, warum er so besonders und gleichzeitig so anders gewesen war als sie. Und bei all den glücklichen Erinnerungen wurde ihr bewusst, dass dereinst der Tag kommen würde, an dem sie in den Himmel durfte, weil die Menschen unten auf Erden wieder an die Fabel glaubten.