Mitglied
- Beitritt
- 22.06.2003
- Beiträge
- 355
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Die Farben des Todes
„Gott im Himmel, du bist doch gross und gut. Lass mich nicht all das erleiden. Nicht an diesem Ort. Bitte nicht. Verzweiflung herrscht über meine Gefühle. Immer mehr schwinden meine Sinne. Nur die Aussicht nach noch mehr Schmerz ist da. Ich wäre bereit, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, regelmässig zu fasten und den Kranken und Armen zu spenden, aber ich glaube nicht, dass das jetzt noch möglich ist. Aber lass mich nicht länger hier. Befreie mich. Lass mich sterben. So schnell, wie es geht.“
Sascha hätte nicht daran gedacht, jemals solche Worte aussprechen zu müssen, als er gemeinsam mit den Freunden am Tisch sass. Das Essen hatte er für seine Verhältnisse ganz gut gemacht. Die Tischgesellschaft, bestehend aus einem Freundenkreis aus etwa 25 jährigen, beklagte sich nicht und lachte den ganzen Abend, was nicht zuletzt auch auf Bier und Wein zurückzuführen war. Es wurde über Frauen und Autos diskutiert. Bald schon machten die ersten zwischen diesen beiden Heiligtümern, wie sie sagten, keinen Unterschied mehr. Alle wurden langsam müde und hatten zum Teil schon ziemlich viel getrunken. Trotzdem wollten alle noch zusätzliche eine oder zwei Flaschen, als keine alkoholischen Getränke mehr auf dem Tisch standen. Sascha wollte natürlich seine Aufgabe als Gastgeber, nämlich den Wünschen der Gäste nachzukommen, ernst nehmen. Ernster als die eines Freundes, der auf den Alkoholgehalt im Blut seiner Kumpanen Acht gibt. Schliesslich hatte er ja eine ganze Menge Wein im Keller und selbst grossen Durst.
Er schaltete das Licht an, stieg die Treppe hinunter und dachte dabei nach, welchen Wein er nehmen würde. Seine Sammlung erfüllte den jungen, blonden Mann mit stolz. Eine grosse Auswahl stand ihm zur Verfügung. Er lief zu den Gestellen in der rechten, hinteren Ecke, lehnte sich mit der Schulter daran und betrachtete müde einige Etiketten. Gemessen an seiner grossen Weinsammlung hatte er keine grosse Ahnung. Das Bild auf der Etikette spielte für ihn etwa die gleiche Rolle wie der Name und der Jahrgang.
Er streckte die Hand nach einer Flasche aus und stiess prompt eine andere an. Diese kippte und fiel zu Boden. Wäre Sascha völlig nüchtern und nicht müde gewesen, hätte er sogleich die Scherben beiseitegeschafft, aber daran dachte er vorerst nicht. Er nahm eine der vielen anderen Flaschen in die Hand und setzte sich neben die Scherben auf die kalten Steinplatten zu Boden. Er warf einen anerkennenden Blick auf das Etikett der intakten Flasche und einen abschätzigen auf die Bruchstücke der zerbrochenen, wobei er sich einredete, dass letztere ohnehin nichts wert gewesen sei.
Nie wäre Sascha darauf gekommen, eine der Steinplatten genauer zu betrachten, wenn da nicht der ausgelaufene Wein so wunderschön und schnell zwischen zwei Platten durchgesickert wäre. Erstaunt sah sich Sascha den Wein an und überlegte, weshalb er nicht auf den Platten blieb, für etwas waren sie ja da.
Also begann er mit den Hand auf die betroffene Steinplatte zu klopfen und fand seine Vermutung bestätigt, als diese einen hohlen, dumpfen Klang von sich gab. Dieser weckte Neugier in Sascha und nach kurzer Zeit genügte ihm der Klang nicht mehr und er versuchte, den Boden mit Fingern und Fingernägeln am weinschluckenden Spalt zu heben. Erst als er zusätzlich die Platte an der gegenüberliegenden Seite nach innen drückte, gelang es ihm ein kleines Stück hoch. Sofort griff er mit beiden Händen nach dem Steinplattenrand, zog die Platte ganz aus dem Kellerboden und legte sie zur Seite. Nun blickte Sascha in das eben geschaffene, dunkle Loch. Als er darin nichts erkennen konnte, griff er mit der Hand hinein. Den ganzen Arm musste er strecken, um etwas Festes zu berühren.
Er überlegte, wie gross dieser entdeckte Raum oder Tunnel sein mochte. Und kam zu dem Schluss, dass er das nur herausfinden würde, wenn er selbst hinunterstieg.
In kurzer Zeit hatte er zwei weitere Platten entfernt und somit genügend Platz geschaffen, um sich hindurchzuzwängen. Er dachte nicht daran, nach oben zu gehen und eine Taschenlampe zu holen. Irgendwie hatte er das Gefühl etwas Grosses entdeckt zu haben und wollte das Geheimnis keineswegs mit seinen Kumpanen teilen. Er nahm sich vor zurückzukehren, wenn der Weg gefährlich wurde. Wenn nicht, dachte er, kam er auch zurück, jedoch später.
So stieg Sascha in die Dunkelheit hinunter. Sie machte ihm nichts aus, er war weder religiös noch abergläubisch. Er hoffte nur, dass seine Entdeckung nicht schon bei dem ertasteten Stein aufhörte.
Es war nicht der Fall. Sascha sass nun auf dem besagten Stein, der nicht viel mehr als ein Meter unter dem Kellerboden lag. Langsam gewöhnte er sich an die Dunkelheit, und so erkannte er, dass der entdeckte Raum unter etwa fünf der Platten im Keller begann – davon hatte er drei entfernt – und tunnelförmig in einem vorerst eher steilen Winkel nach unten zog. Er selbst sass auf einer Art Miniterrasse. Sascha schlug die Erde mit seinen Füssen, um zu prüfen, ob sie genügend stabil für einen Ausflug nach unten war. Sie schien recht hart und mit weiteren Steinen befestigt zu sein, sodass er nicht befürchten musste, dass plötzlich alles über ihm einstürze.
Also begann er langsam mit Füssen und Händen nach unten zu steigen. Plötzlich wurde es sehr eng, und er befürchtete schon, die Reise erreichte ihr Ende, nicht unweit von der Öffnung im Keller, deren Licht noch schwach bis zu ihm drang. Seine Füsse hatten die enge Stelle ohne Probleme passiert, doch nun blieb Saschas Hintern stecken. Mit der ganzen Kraft seiner Arme versuchte er den Durchgang zu erzwingen, während seine Fersen auf die harte Erde oberhalb seines Hintern schlugen, damit diese nachgab. Plötzlich fiel das klemmende Stück ab, und sogleich rutschte es zusammen mit dem überraschten Sascha nach unten. Dieser sah die Öffnung am Kellerboden immer kleiner werden und versuchte vergeblich sich mit Beinen und Armen festzuhalten. Ab und zu schrie er auf, wenn seine Arme heftig auf Steine schlugen. Der Nagel seines linken Ringfingers wurde beim hinuntergleiten schmerzhaft aufgerissen; danach versuchte er nicht mehr mit Händen den Halt zu gewinnen.
Abrupt wurde die Fahrt gestoppt, Sascha kippte um und landete auf einem harten Boden. Die blauen Flecken, die der Aufprall nach sich ziehen würde kümmerten ihn nicht. Er war froh wieder Boden unter seinen Füssen zu haben. Die Verletzung am Fingernagel ärgerte ihn eher. Er tastete um sich herum und stellte fest, dass er sich auf einem Steinboden befand, ähnlich dem des Kellers. Als er einen Blick zurück warf und die Kelleröffnung nicht sah, begriff er, dass er sich nun ausserhalb des Einflussbereiches seiner einzigen Lichtquelle befand. Nun konnte ihn also nur noch sein Tastsinn führen. Er stand auf und schlug sich den Kopf an der niedrigen Decke auf. So bückte er sich soviel wie es nötig war und ging vorsichtig in eine Richtung, die rechte Hand voraus, die linke vor dem Kopf. Der Boden schien auch weiterhin sicher zu sein, als er eine Wand erreichte. Er betastete sie. Sie bestand aus Stein oder etwas anderem, das sich hart anfühlte. Es schien eine ganz normale Wand zu sein, nichts haftete an ihr und Sascha fand kein Regal, kein Loch. So verfolgte er den Lauf der Wand zu seiner linken Seite, wobei er auch weiterhin nichts fand. Seine Hoffnung, etwas ganz Spezielles entdeckt zu haben, wich langsam. Bisher hatte noch kein ausserordentlicher Fund seinen Mut belohnt. Sascha gehörte nicht zu den Leuten, die die Dunkelheit mehr als die Helligkeit fürchten. Er war der Meinung, dass alles, was er in der Nacht antraf, auch am helllichten Tag zu sehen war. Trotzdem war ihm nicht mehr ganz so wohl unter seinem Keller.
Plötzlich griff er ins Leere. Er zog seine Hand zurück und tappte stattdessen mit dem Fuss auf den Boden vor sich, um zu sehen, ob wenigstens dieser weiterreichte. Die eine Hand tastete links, ob dort die erforschte Wand wieder ansetzte, was der Fall war. So entschied sich Sascha durch den Gang zwischen Wand rechts und Wand links zu gehen. Nach wenigen Metern schon erreichte er plötzlich das Ende des Weges. Links, rechts und vor sich hatte er wieder diese Wand aus erdigem Gestein. Er betastete sie eine Weile und stellte fest, dass sie mit einer Menge von kaum faustgrossen Löchern perforiert war. Sascha dachte sich, dass diese im Moment keine Rolle spielten, da er sich ja nicht auf diese Grösse reduzieren konnte, um hindurchzukommen und weiterzusuchen. Jedoch entschied er sich, mit der rechten Hand in eines der Löcher hineinzugreifen. Seine Finger fühlten kleine, leichte Steinchen oder Holzstückchen und aufgelockerte Erde. Er empfand es als angenehm.
Plötzlich begann ein seltsames Leuchten in zwei der benachbarten Löcher. Er blinzelte und näherte sich dem Loch, um besser zu sehen, während er die rechte Hand vom angenehmen Gefühl trennte. Das Licht schien sich zu bewegen und aus kleinen Teilen zu bestehen. Und es hatte eine Farbe. Das Leuchten war violett. Teile des Lichtes kamen nun näher. Sascha glaubte, ein kleines Geräusch wie ein Krabbeln zu hören. Als das Leuchten nun vom faustgrossen Loch zur Wand hinüberlief, begriff Sascha, was er vor sich hatte.
Ein hässliches käferartiges Ding. Erschrocken wich er zurück. In vier weiteren Löchern leuchtete es nun ebenfalls. Einmal grün, einmal gelb, ein anderes Loch leuchtete marineblau. Voller Abscheu stellte Sascha fest, dass es auch dort leuchtete, wo zuvor seine Hand verweilt hatte; hellbraun. Und überall krochen nun diese Biester heraus, dass es Sascha sehr unangenehm wurde, obwohl er eigentlich nichts gegen Licht hatte.
Zu seinem Entsetzen sah er ein hellbraun leuchtendes Ding, dass sich zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand wohl fühlte. Er schrie auf und schüttelte heftig seine Hand. Gleichzeitig erkannte er, dass dies nichts nützen würde, da das Ungeziefer sich schon in seiner Haut festgestochen hatte. Beide Finger schmerzten plötzlich schrecklich . Also spannte er den Zeigefinger der linken Hand am Daumen an und versuchte mit dem Fingernagel den Käfer wegzuspicken. Dieser aber blieb haften. Er hatte sich so gut an der rechten Hand festgemacht, dass er schon beinahe ein fester Bestandteil Saschas war. Schreiend schüttelte dieser noch heftiger die Hand und versuchte, den gierigen Leuchtkäfer an der Wand abzustreichen, was sich als Fehler erwies. Ein anderer, violetter Käfer profitierte davon und stieg auf den Daumen derselben Hand und bevor Sascha reagieren konnte, stach das kleine Ding sich vor dem Nagel fest. Darauf fühlte das Opfer erneut unerbittlichen Schmerz. Die Folter zwischen Zeige- und Mittelfinger hingegen hatte aufgehört, sodass Sascha glaubte, wenigstens einen Käfer fortgebracht zu haben. Ein Blick zwischen die beiden Finger genügte, um ihn eines Besseren zu belehren. Der Hellbraune lebte nach wie vor auf seine Kosten, mit dem Unterschied, dass er sich ein bisschen tiefer in die Hand gegraben hatte. Eigentlich hätte Sascha dadurch noch grösseren Schmerz fühlen sollen, doch dem Käfer war es gelungen, die beiden Finger zu lähmen.
Panik ergriff Sascha, als ihm klar wurde, was diese gierigen Biester mit ihm anstellen konnten. Wenn sie ihn weiterhin lähmten, würde er vielleicht nie mehr in den Keller zurückkommen können. Nie mehr mit den Freunden über Frauen, Autos und Alkohol sprechen.
Die ersten marineblauen Käfer waren nur noch wenig von seinen Schuhen entfernt, als Sascha schnell wie der Blitz floh. Dabei bückte er sich immer noch ein wenig, denn es lag ihm nichts daran, an der Decke aufzuschlagen. Sascha dachte, dass zumindest diese Gefahr kleiner war als beim Hinweg, da die Decke nun leuchtete. Was! Sascha warf einen Blick nach oben und schrie. Er versuchte, noch schneller zu laufen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie es Farben regnete. Verschiedenst leuchtende Käfer liessen sich von der Decke auf das sich um Flucht bemühende Opfer fallen, dem ein flehendes, lautes Nein aus der Kehle drang.
Als Sascha den Raum erreicht hatte, schüttelte er sich heftig. Eine Handvoll Käfer hatten ihn erreicht. Ein paar wenige wurden nun weggeschüttelt. Die anderen machten sich daran, Saschas Kleider zu überwinden. Die meisten waren auf dem Rücken gelandet. Die ersten hatten den gewünschten Platz gefunden und liessen sich nieder. Plötzlich spürte Sascha auf seinem Haar ein unangenehmes Krabbeln, das sich dem Ohr näherte. Sofort schlug er mit der rechten Hand – die bereits zwei Käfer beherbergte und halb gelähmt war – auf die Stelle. Die Schmerzen waren auch jetzt schon unerträglich, doch seinen Kopf wollte er so schnell den Biestern nicht überlassen. Zu seinem Erstaunen gelang es ihm tatsächlich, ein türkis leuchtendes, kleines Etwas wegzuschlagen. Nun versuchte Sascha den Ort zu finden, wo er aufgeprallt war, als er in diesen verfluchten Raum gelangte. Vielleicht schaffte er den Weg zurück. Die Schmerzen im Rücken stimulierten seinen Orientierungssinn zu stark und er fand sich vor einer weiteren Wand wieder.
Seine Augen meldeten ein kleines wiederum türkisfarbenes Leuchten, das an einer Haarsträne vor seiner Stirn baumelte. Die Türkisfarbigen schienen auf die Köpfe ihrer Opfer spezialisiert zu sein, und dieses vielleicht gerade auf die Nase, oder gar auf die Augen. Sascha schrie entsetzt auf, griff direkt mit der linken Hand nach dem Käferding und riss es mitsamt der Haarsträne weg. Es folgte kurz danach ein grässlicher Schmerz, mit dem der Käfer, der sich nun unter dem schon aufgerissenen, linken Ringfingernagel festgesetzt hatte, die kopfschützende Hand bestrafte.
Unterdessen hatte ein buntes Heer der furchtbaren Geschöpfe, die nicht auf Sascha gelandet waren, bald die Mitte des Raumes erreicht. Sascha torkelte – ein gelber Käfer hatte zu seinem linken Bein gefunden und verbreitete grausame Schmerzwellen – noch einige Schritte in eine Zufallsrichtung, auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Sein rechtes Bein stiess dabei etwas am Boden an. Bei der sehr schwachen Beleuchtung, die nun im Raum herrschte, glaubte er, etwas Rundes zu erkennen. Er bückte sich schreiend, war jedoch froh, sich bei all den Dingen auf dem Rücken überhaupt noch bücken zu können. Mit der linken Hand griff er nach dem Gegenstand und tastete ihn ab. Als seine Finger Augenhöhlen fanden, stellte er fest, dass es ein Totenkopf war. Hätte er unter besseren Umständen einen solchen Schädel gefunden, so hätte er ihn bestimmt angewidert stehenlassen. Doch in dieser Situation liess der Schädel zwar seine Hoffnung, dem Tod zu entkommen, im Keim ersticken. Aber er wusste, dass der ehemalige Besitzer dieses Schädels das Schicksal, das nun Sascha bevorstand, hatte erleiden müssen. Er liess den Schädel also nicht los, sondern befühlte sogar dessen Innenseite mit den Fingern der noch fühlenden, aber abscheulich schmerzenden Hand.
-Und tat sogleich einen grässlichen, angewidert tönenden Schrei. Im Nu warf er den Schädel weg, der zwei, drei Meter vor ihm zu Boden fiel und aus den Augenhöhlen, aus der Mundöffnung türkisfarben und hellrot zu leuchten begann.
Die ersten Leuchtkäfer des „Heeres“ erreichten ihn nun, während der Schmerz am Rücken immer mehr der Lähmung wich.
Hinter seinem Ohr begann es grässlich zu schmerzen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass ein Biest dort hinaufgeklettert war. Seine ganze Mühe, die Käfer vom Kopf fernzuhalten, war also gescheitert.
So ganz wehrlos wollte er sich seinen Peinigern nicht hingeben. Wild trat er mit den Schuhen um sich und versuchte, so viel Licht wie möglich auszuschalten.
Als aber ein gelber Käfer es in den Schuh und bis an Saschas grosse Zehe geschafft hatte, während gleichzeitig ein oranges Exemplar im Fersen steckte, brach sein Widerstand.
Er liess sich zu Boden fallen. Wehrlos beobachtete er wie das bunte Leuchten, jede Farbe eine andere und doch gleiche Art Qual, langsam über ihn herfiel. Sein konstantes Geschrei wurde nur manchmal durchbrochen, um einem noch schrecklicheren Schmerzgebrüll Platz zu machen, zum Beispiel als die marineblauen Käfer sich in Saschas Intimbereich feststachen.
Auf einmal hörte Sascha das eigene Geschrei nicht mehr. Anscheinend war es dem Käferding am Ohr gelungen, seinen Hörsinn zu lähmen, was seinem Gesicht einen noch verzfeifelteren Ausdruck verlieh. Als ein hellroter Käfer sich seinem Auge näherte, entschied er sich zum Gebet. Hoffentlich hatte Gott Erbarmen und gab ihm Erlösung. Seine Stimme war ein einziger Schmerzschrei, als er sprach:
„Gott im Himmel, du bist doch gross und gut. Lass mich nicht all das erleiden. Nicht an diesem Ort. Bitte nicht. Verzweiflung herrscht über meine Gefühle. Immer meht schwinden meine Sinne. Nur die Aussicht nach noch mehr Schmerz ist da. Ich wäre bereit, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, regelmässig zu fasten und den Kranken und Armen zu spenden, aber ich glaube nicht, dass das jetzt noch möglich ist. Aber lass mich nicht länger hier. Befreie mich. Lass mich sterben. So schnell, wie es geht.“
Da sprach Gott zu ihm: „Ja, ja. Schon gut, übertreiben musst du es auch nicht. Beherrsch dich endlich, du besoffene Sau. Wir warten schon lange auf dich!“
Sascha verstand: „ja, ich weiss, im Himmel, ich tu ja mein Bestes.“
Und Gott, der die gleiche Stimme wie sein Freund Lorenz hatte, leerte ihm eine Flasche Wasser über den Kopf und sagte: „Diese hässlichen Kellerrasseln werden dir ja wohl nichts zuleide tun. Ich spül sie dir weg, aber du solltest aufhören, in den Scherben herumzuliegen. Kein Wunder, dass du solche Schmerzen hast!“
„Verdammt!...Tatsächlich!“ fuhr es Sascha durch den Kopf, als er die Augen öffnete. „Ich befinde mich nach wie vor auf dem kühlen Boden meines Kellers. Neben zwei zerbrochenen Flaschen Wein!“ Er warf einen Blick voller Ekel auf die Kellerrasseln, die im Wein und im Wasser herumkrochen und richtete sich auf. „Lorenz? Habe ich laut geschrien,“ – „Schon gut!“ unterbrach ihn dieser „Die anderen sind ohnehin ziemlich dicht und haben wohl gar nichts gehört, aber wenn ich gewusst hätte, dass du einfach nur schläfst...“ – „Ich glaube ich habe auch schon schöner geschlafen, aber danke trotzdem!“ Er und Lorenz, der sich zuvor noch eine Flasche Wein schnappte, stiegen nun die Kellertreppe hoch. Als sie oben angelangt waren, grinste Lorenz breit. Auf die Frage, was er denn habe, antwortete er: „Und? Gehst du nun jeden Sonntag in die Kirche und spendest den Armen?“ Sascha gab keine Antwort. Es sei denn, der finstere Blick in seinen Augen liesse sich als solche interpretieren.
Bevor Sascha die Kellertüre schloss, löschte er das Licht und warf einen letzten Blick in die Richtung der ausgeleerten Weine.
Er sah die Kellerrasseln, wie sie türkis, gelb, hellrot und auch marineblau leuchteten. Seine Stimme zitterte, als er sprach:
„Ja, ich werde... den Armen und den Kranken.“
Ende