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Die Farbe vergessen?

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03.04.2003
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Die Farbe vergessen?

Die Farbe vergessen?

Seine Hände.
Nie in meinem ganzen Leben, habe ich mir Hände so genau angesehen.
Lange, dünne Finger. Manchmal befürchte ich, sie könnten unter der Last, die seine Seele trägt zerbrechen. Diese Hände sind von großen Adern durchzogen.

Ich singe in einem Chor.
Seine Hände spielen mit der Musik. Wenn ich während der Chorprobe dasitze, ihn beobachte, fange auch ich an, mit der Musik zu spielen.
Seine Hände tanzen, fordern auf, ihnen zu folgen.
Seit ich ihnen folge, bin ich verloren.
Manchmal lässt er uns einfach singen, er sitzt auf dem Klavierhocker , schaut nicht auf, hält die Augen geschlossen, schaukelt völlig versunken mit dem Kopf.

In den Pausen zündet er sich eine Zigarette an. Seine Finger umfassen sie. Zwischen seinen Lippen wirkt sie wie ein Fremdkörper. Doch wenn er seinen ersten Zug nimmt, den Kopf leicht im Nacken, den Rauch tief inhalierend, die Augen dabei geschlossen, auch dann bin ich verloren.

Er schaut mich an und lächelt, doch ich schaue verlegen zur Seite. Ich hoffe, es wird der Tag kommen, an dem ich ihm tief in die Augen sehen kann, ohne mich zu verlieren.
Doch im Moment ist dies nicht möglich.
Oft singen wir Lieder, die er komponiert hat. Auch dann wirkt er wie weggetreten.
Als hätte er in der Musik eine Droge gefunden, die auch ich längst konsumiere.
Ich schreibe viele Lieder, sie klingen traurig.
In seinen Liedern findet man Optimismus, Hoffnung auf ein besseres Leben und Liebe.
Er lebt alleine, seit seine Freundin ihn verlassen hat.
Auch ich lebe alleine.
Ich kenne ihn eigentlich gar nicht. Doch seine Musik bindet mich an ihn.
Wenn ich nachts wachliege, wünsche ich mir, seine Nähe zu spüren. Ich wünsche mir, mich umzudrehen und in seine Augen zu schauen, ich möchte wenigstens wissen, ob er an mich denkt oder von mir träumt.
Ich bin nicht verliebt, aber seine Lebendigkeit fesselt mich.
Ich möchte ihn anschauen, ihm diesen Text zu lesen geben, ohne mich zu schämen.
In seinen Augen seine Reaktion, vielleicht Freude, sehen.
Seine Augen strahlen.
Habe ich seine wahre Augenfarbe je gesehen?
Oder habe ich nur die Farbe vergessen?

 

Liebe Wiebke!
Eine schöne Geschichte hast du geschrieben, ich freue mich, dass du wieder schreibst!

Zur Geschichte: Zu Beginn ein wenig schwierig, irgendwie fremd, distanziert. Der zweite Teil jedoch melancholisch und fast wie eine Melodie. Die Musik, von der du sprichst, wird auf irgendeine Art auch die Droge des Lesers und ich lasse mich gerne verzaubern.

Der letzte Satz gefällt mir wahnsinnig gut, ich weiss nicht wieso :)

Kleinigkeiten:

Ich bin nicht verliebt!!! Aber seine Lebendigkeit fesselt mich.
Daraus würde ich einen Satz machen, die drei Ausrufezeichen stören mich: "Ich bin nicht verliebt, aber seine Lebendigkeit fesselt mich."

Lange, dünne Finger. Manchmal befürchte ich, sie könnten unter der Last, die seine Seele trägt zerbrechen.
Wow.

, seine Nähe zu spüren.

Oder habe ich nur die Farbe nur vergessen...
Fragezeichen statt der drei Punkte.

Alles in allem ein schöner Text, doch fehlt ihm der Zauber anderer Geschichten von dir, was nicht heisst, dass er nicht gut ist, sondern eben "nur" einer der Mittelschicht und nicht einer der Allerbesten. (Ich glaube, du weisst, was ich sagen will. :))

Liebe Grüsse,
Manuela

 

Hallo Manuela,
danke für deine Kritik, jaja, ich bin wohl ein wenig wingerostet, wenn man das so sagen kann, aber, diese Sache ging mir echt im Kopf herum, und wollte raus...
Liebe Grüße
Wiebke

 

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