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Die Farbe der Regale
Auf der Suche nach Liebe kam ich auch zu den Regalen der Supermärkte und Warenhäuser. Meine fragenden Blicke wurden nicht beachtet. Stattdessen bemühten sich eifrige Verkäuferinnen darum, die Waren nachzufüllen und mit Preisen auszuzeichnen. Unschlüssig zog ich von Geschäft zu Geschäft und strich in jedem von ihnen suchend an den Regalen entlang. Immer wieder staunte ich über die Fülle der Angebote – nur Liebe fand ich nicht.
Wohin ich auch kam – überall schienen die Menschen so beschäftigt zu sein, dass ich es zunächst nicht wagte, sie zu stören. Aber nach der langen Zeit des erfolglosen Suchens fragte ich schließlich doch in einem der Supermärkte, ob ich hier Liebe finden würde. Zunächst sah man mich verständnislos an, schickte mich von einem Mitarbeiter zum nächsten oder wich meiner Frage aus, in dem man mir von den neusten Werbeaktionen erzählte. Irgendwann traf ich dann aber auf eine Verkäuferin, die mir hinter vorgehaltener Hand zuraunte, man wisse, dass es hier recht lieblos aussähe. Mit Bedauern erzählte sie mir, dass alle Versuche dies zu ändern, fehlgeschlagen wären – sie wäre sich sicher, dass man andere, geschmackvollere Farben für die Regale hätte wählen sollen. Ich verstand nicht und fragte noch einmal nach. Da berichtete sie mir von Schulungen zum Marketing, Verkaufstraining und zur Förderung der Kundenfreundlichkeit, um dann erneut auf die Regale zu sprechen zu kommen. Sie fragte mich, welche Farben ich denn bevorzugen würde.
Als ich behutsam andeutete, dass mir derartige Äußerlichkeiten nicht so wichtig wären, wurde ihre Stimme plötzlich scharf und abweisend. Sie fragte mich mit zornigem Unterton, ob ich etwa die Erwartung hätte, dass man meinetwegen sämtliche Kisten, Kartons und all die anderen Verpackungen öffnen oder sogar beseitigen würde, nur damit diese Äußerlichkeiten meinen Betrachtungen nicht mehr im Wege ständen. Mich erschrak diese Reaktion von ihr, und ich verstand immer noch nicht. Ich wollte sie irgendwie beruhigen, aber mir fiel nichts Passendes ein. Daher versuchte ich erneut zu erklären, dass meine Suche doch nur der Liebe galt. Wort- und gestenreich erzählte ich ihr, dass ich gar nichts kaufen wolle, denn man hätte mir schon vor langer Zeit den Hinweis gegeben, dass Liebe ein Geschenk sei.
Das hätte ich nicht sagen sollen. Die Verkäuferin holte den Marktleiter und einige ihrer Kolleginnen. Auch andere Kunden des Supermarktes waren auf mich aufmerksam geworden und kamen hinzu. Nun war ich umringt von Menschen deren misstrauische Blicke mich regelrecht zu durchbohren schienen. Die Leute fragten mich, warum ich denn dort wäre, wenn ich nichts kaufen wolle. Wieder erzählte ich von meiner Suche. Aber sie hörten mir nicht zu, sondern beschuldigten mich, dass ich hier wäre, um etwas zu erbetteln oder gar zu stehlen. Sie sagten, nur der Tod wäre umsonst, und dass ich mich schämen solle, weil ich etwas haben wollte ohne dafür zu bezahlen. Außerdem würden Dinge, die nichts kosten, keinen Wert haben. Dann sagten sie noch, ich solle aufpassen mit dem, was ich künftig tue, man würde mich im Auge behalten.
Danach durfte ich meinen Weg durch den Supermarkt fortsetzen. Akribisch durchsuchte ich jedes Regal, jede Kühltruhe, jede Auslage. Aber ich fand nicht das, was ich suchte. Stattdessen bemerkte ich Warenhausdetektive, die mir folgten, und hörte, wie man hinter meinem Rücken tuschelte. Eltern holten eiligst ihre Kinder zu sich, wenn ich mich diesen näherte. Und auch die Verkäuferinnen beobachteten mich argwöhnisch. Noch einmal versuchte ich, mein Anliegen vorzubringen, und fügte hinzu, dass ich auch niemandem etwas wegnehmen wolle. Doch egal wen ich auch fragte – jeder baute eine Mauer des Schweigens und des Desinteresses vor mir auf oder verwies mich auf die Ecke mit den Sonderangeboten. Selbst als ich – der Verzweiflung nahe – die Frau an der Wursttheke anflehte, mir zu glauben, dass ich wirklich ausschließlich auf der Suche nach Liebe und nichts anderem sei, fragte sie mich nur noch: Im Stück oder in Scheiben?
Nun stehe ich mit überfülltem Warenkorb in der Schlange vor der Kasse. Warte, und wundere mich über die geschmacklosen Farben der Regale.