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- 06.09.2002
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die Familie
Vor zwei Tagen führte ich ein Leben, für das ich mich selbst nicht würdig fühlte. Mein Leben war doch nur ein Häufchen Elend –35 und allein, toll!- und versauerte hinter einem Schreibtisch, mit abscheulichem Holzimitat, von der Bank of America in L.A.. Ich habe –soweit ich mich erinnere kann- vor 20 Stunden gekündigt.
Jetzt kann ich keinen einzigen Gedanken mehr fassen, nur diesen einzigen: bitte, bitte, lasst mich wieder in dieses Elend zurück. Will wieder ein Mitglied sein dieser grauen Welt, denn im Moment ist alles um mich herum tiefschwarz. Draußen spendet die untergehende Sonne noch genügend Licht, doch meine geschwollenen Augenbrauen lassen nichts davon zu mir durch. Ich lasse die Augen lieber geschlossen um die Schmerzen zu begrenzen und versuche innerlich Ruhe zu gewinnen, mich Selbst zu kontrollieren. Es sind solche Situationen, wo einem auffällt, dass auch einfach Dinge starke Überwindung erfordern. Ohne Spucke ist es eine Qual zu schlucken, und noch soviel Blut das hinunterrinnt kann es nicht vereinfachen.
Was mir jedoch keine Überwindung kostet ist das kotzen. Es schießt nur so aus mir hinaus, landet auf meinen eigenen Knien und bildet schon an meinem Hals eine dicke Kruste. Es ist schwer einem anderen zu erklären was Würde ist, doch man merkt verdammt schnell, wenn man keine mehr hat.
In der Fötus-Stellung liege ich auf dem Rücksitz eines Buicks und empfinde das –für gelegentlich lästige- Knattern als eine Art Meditation. Ich werde gestoppt in meiner mentalen Flucht durch einen weiteren Schlag gegen meine Stirn. Mein Kopf schießt in die Höhe -Herzschlag 140- mit dem gurgelnden Atmen eines Ertrinkenden und ich öffne mein rechtes Auge.
„Los du Schwein. Setzt dich gerade und putz deine Fresse nicht an meinem Bezug ab.“schreit der Beifahrer.
„Hast doch nicht mal genug Geld um dir diesen Wagen zu leisten.“ Doch ich glaube nicht dass ihn meine Worte erreicht haben, weil sonst hätte es einen weiteren Schlag mit dem Pistolengriff ins Gesicht gesetzt. Es ist kaum möglich nur ein einziges Wort zu sagen wenn meine geschwollenen Lippen dicker sind als die der beiden verdammten Neger vor mir.
Sie kamen heute morgen zu mir -in aller früh-, sie klingelten nett, ich öffnete die Tür und wurde
- KNATSCH!- von einem Schlagring begrüßt. Damit hätten sie mir problemlos den Schädel spalten können und ich frage mich ernsthaft ob das nicht besser gewesen wäre. Ich wurde bis zu ihrem Auto mit Schlägen begleitet ,ins Gesicht , gegen den Hinterkopf, sowie Tritten, in den Magen, gegen die Brust, die Oberschenkel und den Rücken. Nichts gesagt! Kein Warum und Weshalb, doch auf mein Geld haben sie es nicht abgesehen –dessen bin ich mir bewusst.
Nun sitze ich also wieder aufrecht. Mein rechtes Auge lässt einen kurzen Erkundungsblick zu.
Vor mir: zwei kahlgeschorene, schwarze Köpfe die fast das Autodach erreichen, beide so breit, dass sie die vordere Sitzbank komplett ausfüllen und einen Hals haben sie auch nicht.
Rechts, links und hinter mir: Nacht! Nur noch spärliches Licht, in weiter Ferne über den Bergen. Ansonsten verliert sich mein Blick im Dunkeln. Kein fernes Licht einer Stadt, oder Dorfes, kein Straßenschild oder eine Telefonleitung, die zeigt, dass Zivilisation in der Nähe ist.
Ich allein mit den zwei Negern. Ein Gedanke der mir nicht gefällt.
Mein Hintertür ist nicht abgesperrt! Könnte ich flüchten? Ich könnte. Dazu müsste ich mich erst mal aus dem Wagen werfen und schnell weglaufen, ein Problem, das wegen meiner Schmerzen nicht zu überwinden ist. Mit nur einen –nahezu geschlossenem- Auge sehe ich kaum mehr als ein Maulwurf, und würde wohl auch kaum schneller sein ...
Die Strasse geht von Asphalt in Staub über.
Was haben sie mit mir in dieser gottverlassenen Gegend verloren?
Eine Kapelle! Bitte? Glauben kann ich es nicht, doch ich bin mir sicher, soeben sind wir eine Holzkapelle passiert. Auch wenn der Turm fehlt und die Mauern wohl durch einen Brand stark beschädigt sind, dies liefert mir den Beweis, dass schon jemand hier war. Klar, auf dem Mond war auch schon jemand. War!
Meine Schmerzen sind grausam, doch Einsamkeit ist die Hölle. Diese Hilflosigkeit.
Ich schließe meine Augen und höre auf das Rattern. Da fliegt mein Kopf auch schon wieder nach hinten und das Genick knackt. Es war nicht der Pistolengriff. Das hypnotische Surren wird abgewürgt –Stille.
Mein Verstand ist noch stark genug, dass ich mein Auge reflexartig öffne. Mein Blick wird von einem Licht rechts von mir angezogen. Ein Haus, klar und deutlich vor mir. Aus nur jedem erdenklichen Fenster strömt die Helligkeit hinaus und das Haus erstrahlt majestätisch, alt –Baustil Ende 1800-, mit einer riesigen Veranda, gestützt von mächtigen Säulen.
Meine Tür wird aufgerissen und einer der beiden bulligen Fahrer zieht mich am Genick nach draußen. Wie ein Kaninchen hänge ich an seiner Hand.
„Lass ihn liegen, Larry. Der rennt uns bestimmt nicht weg.“ sagt der andere.
Wie ein Mehlsack lässt er mich fallen. Zu schwach um mich abzustützen lande ich ungebremst mit der Brust auf harter, roter Erde. Mein Kopf landet in einer Pfütze und ich muss mich wenden um nicht in fingertiefem Wasser zu ertrinken. Ich schmecke schlammiges Wasser. Ich lasse es in meinem Mund, denn schon dieser kalte, flüssige Schlamm reicht aus um die Schwellung an meiner Lippe zu lindern. Ich suhle meinen Kopf drin und die Kühle haucht wieder ein Funken Leben in mich zurück.
Lautes Gelächter durchbricht die Ruhe der Nacht. Ich hebe meinen Kopf und die beiden halslosen Berge stehen vor mir. Ich könnte genauso gut ,durch die Kopfhiebe, doppelt sehen, aber die beiden Neger unterscheiden sich optisch in keiner Weise.
Auf dieses Lachen öffnet sich die Vordertür. Stimmengewirr kommt näher, aus allen Richtungen und wird abgelöst durch Lachen.
„Zieh dein Kleid an Judy. Hier ist er. Voilà!“ sagt Larry –oder ist es sein Zwilling?- und will sich mit schlechten Französisch brüsten.
Eine kleine, zierliche Dame mit rotgeblümtem Rock und einem kurzen, weißem Shirt nähert sich. Das kaltes Wasser hat es mir ermöglicht nun beide Augen wieder zu öffnen. Mokkabraun, schwarzes Haar und große Augen –so wie ich es liebe- die jeden Mann butterweich machen können –so wie bei mir.
„Martin.“ Ihre Lippen bewegen sich kaum, doch ich kann sie hören. Ihre Stimme, die eines Engels, ich könnte sie nie vergessen und ich will es nie. Wegen ihr ging ich mit einem Lächeln zur Arbeit –die Vorfreude- und mit Angstschweiß machte ich mich abends auf den Weg zur ihr. In der Hoffnung, dass sie an der selben Ecke steht wie gestern, auf mich wartend. Immer war sie da –für mich. Ich hatte wieder Spaß, empfand immer mehr Zuneigung, immer stärker und daraus wurde Liebe. Ich liebte sie. Und sie? Es zu fragen hatte ich mich nie getraut, weil ich fürchtete somit mein kleines, erkauftes Paradies zu zerstören.
Judy kommt auf mich zu, kniet nieder und nimmt meinen Kopf in ihre beiden Hände. Sie blickt mir in die Augen und ihre Daumen streichen sanft über meine Wangen. Ich habe keine Schmerzen mehr.
„Martin“ ich höre sie, ganz leise.
Ist das eine Antwort auf meine Frage?
„Langsam Schwesterchen. Du hast doch noch die ganze Naht zeigt ...“ sagt Larry, oder wieder der andere?
Moment! Schwester?
„Aha, da ist ja der weiße Kinderficker!“
Der Kreis um mich herum öffnet sich und ein kleiner, grauhaarigen Mann, mit gebückter Haltung und Stock, tritt näher. Nur ein weißes Gewand tragend, mit abgenutzten Sandalen steht er wankend vor mir. Wieder werde ich am Genick nach oben gezogen und befindet mich nun kniend in der Pfütze.
Das erlaubt mir einen besseren Überblick und bin geschockt. Schätzungsweise zwanzig Schwarze umkreisen mich. Kaum Frauen, doch jede hat ein Kind im Arm. Ein erbärmlicher Anblick von Zivilisation bietet sich mir an: Lachende, zahnlose Münder, Arthritis-verkrampfte Finger, Körperdeformationen, welche mir bis jetzt noch nicht vor Augen gekommen sind. Mitglieder der untersten Zivilisationsstufe. Erbärmlich. Judy gehört einfach nicht hier hin.
„Ja, das ist er Onkel Karl!“ sagt Larry
Onkel? Schwester?
In diesem Haus lebt wohl nur eine große Familie.
Onkel Karl wendet sich zu Judy um und da fällt mir ein riesig Buckel ins Auge, der sogar seinen eigenen Kopf überragt. Er hebt den Stock in die Höhe und hält ihn mir geradewegs vor die Nase.
„Dieses weiße Schwein ziehst du allen anderen vor? Du läufst weg in die Stadt und suchst dir dieses Häufchen Elend aus?“
Häufchen Elend? Wer, ich?
„Sie ist eben wie ein Schwein! Immer Mitten im Dreck!“ ruft eine männliche Stimme aus der Menge hinaus.
„Du bist die pure Schönheit und jeder Junge bei uns wäre froh gewesen der Mann deines Kindes zu sein.“ Onkel Karl löst den Blick nicht von Judy „Weißt du was du unserer Familie angerichtet hast?
Der kleine Larry war doch so gerne mit dir zusammen und wir alle waren doch mit einer Verlobung einig ...“
Ich blicke mich zu Larry um. Dieser hat den Kopf gesengt und sein Zwillingsbruder legt ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter. Es wirkt so lächerlich, dass ich lachen könnte –wenn ich nicht wüsste dass eine solche Aktion mein tödliches Ende sein könnte. Breit wie ein alter Eichenschrank, und wohl auch kaum kleiner, doch mit dem Verstand eines Dreijährigen dass er sich sogar hinter dem buckeligen Rücken eines Greisen verstecken muss.
„Doch du sagtest dass das ganze zuviel für dich sein ... bla ... bla ... bla ... .Und dann? Dann erwische ich dich höchstpersönlich mit Jules im Stall!“
Judy bricht in lautes Weinen aus, doch alle anderen blicken sie weiterhin stumm an. Halten Abstand zu ihr und es scheint als würden sie mit Freude auf ein Urteil warten. Richter Karls Stimme wird aufbrausender.
„Erzähl mir nicht wieder deine Geschichten von deiner Unschuldigkeit `oh nein, Onkelchen, er hat mich gezwungen, ich wollte es nicht, oh nein nein nein`.“ Onkel Karl tänzelt –zu meiner großen Überraschung- wie ein junges Kind umher.
„Ich lasse mich nicht von dir für dumm verkaufen. Ich habe es selbst gesehen! Du hättest seinen Schwanz sogar hinunter geschluckt, wenn ich euch nicht entdeckt hätte! Du würdest heute sogar noch an seinem Grabstein lecken, wenn ich dich nicht daran hindern würde.“
Judys Lippen schlottern, zähflüssiger Sabber läuft ihr aus den Mundwinkeln und sie verschränkt ihre Arme nun vor dem Gesicht. Wenn ich nur wüsste ob sie dies aus Scham oder Angst vor Onkel Karl tut. Diese Situation hat mich jedoch genügend aufgeklärt, damit sich der blassgraue Schleier, der mein Verstand in Verwirrtheit hüllte, auflösen konnte, jedoch ersetzt von einem starken Gefühl der Übelkeit. Nicht geringer ist auch meine Verachtung vor Judy, und auch vor dem Rest ihrer, von Inzucht zerfressener, Familie.
Onkel Karl kommt wieder ganz nah auf mich zu. Beide sind wir auf Augenhöhe und eine Welle von starker Fäulnis schlägt mir entgegen.
„Nun hat sie sich also dich ausgesucht und diesmal werde ich ihr dann lieber nicht den Wunsch verweigern. Denkst du nicht auch so?“ Sein Mund ist zu einem falschen, breiten Lächeln gezogen und für diese stupide Frage hätte er eine in die Fresse verdient.
„Ja.“
Ich fühle mich wie ein Hund.
„Na das freut mich und ich hoffe dass du auch morgen ‚ja’ sagst! Denn ihr beiden werdet ein nettes Leben zusammen führen ... bis dass der Tod euch scheidet.“
So langsam mutiert diese Situation immer mehr zu einem Albtraum, und, ich wünschte es wäre so, denn Träume haben ein Ende. Dieser alte Mann hat wahrhaftig vor mich mit Judy zu verheiraten. Doch kaum tut er das aus Liebe zu Judy, oder gar zu mir. Nein, seine Hintergedanken sind offensichtlich und der Satzteil `bis dass der Tod euch scheidet` wird sicher eine entscheidende Rolle spielen.
„Aber vorher wird doch noch gefeiert?“ eine dürre Gestalt ist in den Ring vorgetreten. Nur mit einer kurzen Hose bekleidet stellt er sch vor Onkel Karl. Aus seiner Hose ragen Beine, so dünn wie Draht hinaus und sein, nur noch mit Haut überzogener, Brustkorb erlaubt es mir jede Rippe zu zählen. Keine die vor Verkrüpplung oder Krankheit verschont wurde. Ein Stock in seiner linken Hand verhindert es dass er durch seine krumme Wirbelsäule auf die Seite kippt.
Karl klopft ihm mit zufriedenem Lächeln auf die Schulter.
„Aber natürlich mein Junge. Wir lassen unsre Judy doch nicht so einfach in die Ehe hinein. Sie verdient die beste Junggesellenparty, die es jemals gab, damit sie sich noch einmal so richtig mit anderen amüsieren kann.“
Judys Blick ist nur auf ihre Füße gerichtet. Auch die Köpft der anderen Frauen haben sich gesengt und zum ersten Mal am heutigem Abend fällt Judy unter den vielen anderen kaum mehr auf. Sie ist nur noch eine von ihnen. Die Vorfreude der Männer steigt ins Unermessliche. Die Frauen machen sich auf den Weg ins Haus.
„Und du mein Freund kannst noch eine ruhige Nacht in unsrem netten Hotel genießen.“
Damit war die Scheune neben dem Haus gemeint. Ich werde hineingeschleppt und nur noch der Onkel Karl, die beiden Zwillingsschränke und der dürre Krüppel sind dabei. Wehrlos lasse ich sie gewähren. Mir werden die Kleider ausgezogen, werde mit Eisenketten an die Wand gefesselt.
„Du siehst ja erbärmlich aus Jungchen und stinkst wie die Hundescheiße in unserem Hof.“ sagt Karl, einen Schlauch in der Hand haltend. Kaltes Wasser spritzt mir entgegen. Ein wahres Lebenselixier für meinen ganzen Körper. Meine Glieder erwachen mit neuem Leben und jede Art von Dreck fließt von mir ab um eine gräulich-braune Pfütze vor meinen Füssen zu bilden.
„Na dann schlaf gut.“
Die einzige Öllampe, die diesen Raum etwas erhellt erlicht. Nun bin ich also allein in diesem Raum. Klein, kalt und dunkel ist es.
Ich fühle mich wie eine Maus.
Mein kleines Loch ist keine Zuflucht vor den anderen. Sie wissen wo ich bin und wo ich auch noch morgen sein werde. Meine Fluchtgedanken sind geprägt von der Hilflosigkeit und jeden noch so kleine Plan ersticke ich selbst um zu verhindern, dass ich mich in diesem Labyrinth verlaufe. Es ändert nichts. Wenn ich die große, schwere Tür öffne, bin ich wieder zurück in ihrer Welt.
SO bleibe ich hier hängen und warte. Wenn es außer dem Warten nichts anderes gibt, wünscht man sich dass es auch kein Warten gäbe. Es soll sofort passieren, hier und jetzt. Sofort.
Es passiert was. Das Quietschen sagt mir dass jemand die Tür öffnet. Schwaches Licht bricht durch den Spalt hinein und tanzt an den Wänden umher. Der Raum wird heller und eine kleine Person hält in ihrer rechten Hand eine Öllampe. Sie kommt näher und ich erkenne sie. Es ist das dürre Gerippe. Nackt! Sein Mund ist zu einem reiten Lächeln geformt, doch er bleibt weiterhin stumm.
Die Öllampe stellt er auf die Erde, damit er eine Hand frei hat, greift sich eine Kiste und schafft es mit großer Mühe sie genau vor mich zu rücken. Die Holzkiste reicht mir bis auf die Brusthöhe und mit Mühe steigt das dürre Gerippe hinauf. Sein asthmatisches Atmen wird intensiver und mit seiner rechten Hand –mit der linken umklammert er immer noch den Stock- reibt er sich zwischen den Beinen. Ich kann nichts tun als weiterhin diesem Spektakel zuzusehen. Er führt vor mir einen Tanz auf. Er wankt rhythmisch umher, seien linke Hand lässt den Stock fallen und greift mich an den Haaren. Vor meinem Gesicht baut sich sein erregter Schwanz auf und mit voller Wuchte knallt er mir es ins Gesicht. Ekel bring mich fast zum erbrechen.
Ich beiße zu. Ich spüre ein weiches Etwas zwischen meinen Vorderzähnen und kann nicht mehr loslassen. Ich mutiere zum Bluthund. Hass, Wut, Angst, es kommt alles in mir hoch und wird zur treibenden Kraft.
Ich nehme einen Schrei wahr. Laut, füllt er die Scheune aus. Genauso gut könnte der Schrei von mir kommen. Warmes Blut füllt meinen Mund und überdeckt wie Salbei den Geschmack von Galle, lindert die Schmerzen in meinem, von Magensäure angegriffenem, Hals.
Schläge gegen meinen Hinterkopf, gegen die Stirn! Ich nehme sie kaum wahr –es ist unwirklich.
Ich bin weit weg, und dort ist es schön. Ich reiße meinen Kopf hin und her, rechts, links und rechts und links, entreiße mich in eine andere Welt. Weg von hier!
Ein Knall! Knall. Kurz und laut durchbricht er meine Flucht. Nur der Schall weht noch um mich herum, verschwindet doch allmählich wieder in die Unendlichkeit, von dort, wo er gekommen ist.
Ich höre ihm zu bis er weg ist. Ich besinne mich.
Eine schwere Masse drückt mir auf den Kopf und ich drohe zu ersticken. Ich schüttele mich mit Leib und Seele, soweit es mein gefesselter Körper zulässt.
Der Körper rutscht von mir ab. Ich spüre einen festes Ziehen an meinen Zähnen, öffne schlagartig den Mund und vor mir liegt der namenlose und dürre Krüppel.
Zwischen seinen Beinen hängen unförmige Fleischstücke, übergossen von Blut. Ein kribbelndes Gefühl weist mich darauf hin, dass Hautfetzen von meiner Unterlippe hängen und versuche mit Hilfe meiner Zungen sie so schnell loszuwerden, bevor sich das Brechgefühl steigert.
Doch der Mageninhalt erklimmt sich schon den Weg nach oben. Bittere Magensäure überschwemmt meinen Mund und rinnt an den Mundwinkel heraus. Schon allein das Kotzen ist eine Qual wenn man seit 24 Stunden nichts mehr zu sich genommen hat.
Die Erschöpfung nimmt wieder Überhand. Ich falle vornüber. Meine Fußfesseln werden auch gelöst und nun liege ich rücklings auf dem Boden. Ich öffne meine Augen und vor mir befindet sich ein Engel. Warme Hände streicheln mein Gesicht, süßlicher Atem weht mir entgegen.
„Judy.“
Sie hat mich gehört und lächelt.
Judy hilft mir auf die Beine, kleidet mich, umarmt mich. Wischt mir die Tränen aus den Augen. Eine Antwort auf meine Frage.
Doch jetzt kann ich nicht in einen andere Welt hinausflüchten. Will weg.
Ich Judys Hand spüre ich die noch immer, vom Schuss, warme 9mm Pistole. Ich nehme sie ihr aus der Hand. Blicke auf Judy, auf die Waffe. Dazwischen sehe ich ihren hervorstehenden Bauch. Seit zwei Monaten wächst in ihr neues Leben. Doch dieses Leben ist schon geprägt von Abschaum und es wird in Abschaum geboren. Das Kind wird kein Licht der Welt erblicken, weil es hier kein Licht gibt.
Mein Blick streift wieder Judys Augen. Sie lacht wieder, ich küsse sie.
Ich halte die Pistole in meiner Hand. Unsere Lippen sind vereint und Tränen verlassen meine Augen. Die Pistole sitz fest in meiner Hand. Ich drücke ab, zwei Schüsse in ihren Unterbauch. Sie rutscht an mir hinunter und ihr Blick lässt meinen nicht los. Ich weiss nicht was ich in diesem Moment in ihren Augen lese und will es auch gar nicht tun. Ich wende mich ab, drehe ihr den Rücken und verlasse den Schuppen.
Es herrscht eine unglaublich Ruhe, so als ob ich mit diesem einen Schritt eine neue Welt betreten hätte. Dunkle Nacht und die warme –von der am Tag erhitzten Sonne- Luft umhüllt mich.
Doch das alte Haus zieht mich in die Realität hinunter.
Jetzt wo ich näher dran stehe, wird mir die Schäbigkeit dieser Bude richtig bewusst. Die weiße Fassade blättert überall ab und das Holz ist schon von der Feuchtigkeit angefressen.
Das Innere des Hauses ist noch immer stark erhellt und ich wage einen Blick hinein. Es befinden sich kaum Möbel in den –für meine Verhältnisse- große Zimmern. Der Boden ist belegt mit besoffenem Gesindel und aus dem hinter Teil des Hauses dringt das Weinen weiblicher Stimmen zu mir durch. Wieder wende ich mich um.
Am Rand der Strasse befindet sich meine einzige Fluchtmöglichkeit- das Auto mit dem ich hier her gebracht wurde. Auf dem Weg dorthin werde ich von den Licht aus dem Schuppen kurz geblendet und blicke instinktiv hinein. Judy liegt auf dem Boden. Rote Pfützen um ihre Handgelenke umgeben sie. Nun hat sie das Elend verlassen. Ich will es auch.
Sofort steige ich in den Wagen und er springt problemlos an. Weg.
Ich kurbele das Fenster runter., doch erst nach ein paar Minuten wage ich es tief einzuatmen. Frische, süßliche Luft stößt mir entgegen und lockt mich zurück in mein graues Leben.