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Die Fahrt

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10.07.2013
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Die Fahrt

Kraus blickte aus dem Fenster, als der Zug sich in Bewegung setzte. Es war ein großer Bahnhof, das war ihm zuvor noch nie so aufgefallen. Kinder, Frauen und Alte, auch ein paar Männer winkten im lichten Qualm der Dampflock. Es waren viele gekommen, um sie zu verabschieden, viele gekommen, die wussten, dass es möglicherweise die letzte Gelegenheit war sie zu sehen. Er fand seine Eltern, sein Vater, der den strengen Blick eines Generals aufgesetzt hatte, seine Mutter, die mit betroffener Miene und zittrigen Beinen in seine Richtung blickte, und seine Frau, die mit dem Taschentuch in der Hand den Fluss der Tränen zu unterbrechen versuchte. Er winkte ihnen zu, würde am liebsten wieder aussteigen, einfach hier bleiben.
Der Bahnhof zog nun mit jeder verstreichenden Zeiteinheit schneller am Fenster vorbei. Bald schon erreichte sein Wagon die Grenze des Bahnhofs und er war draußen. Sonnenlicht blendete ihn. Er wagte einen letzten Blick zurück. Die Wartenden standen noch an ihren Plätzen und winkten. Sie wurden immer kleiner, winzig, bis sie ganz verschwunden waren.
Kraus wandte seinen Blick vom Fenster ab. Er musterte die anderen Soldaten. Manche kannte er, manche waren ihm unbekannt. Marionetten waren sie, er auch. Wie domestizierte Tiere saßen sie auf ihren Plätzen und sagten nichts. Es war ruhig, nur das Geräusch des fahrenden Zuges war zu hören: das ständige Vibrieren, das ständige Gequietschte, das ständige Schleifen.
Ein Bekannter setzte sich neben ihn. Zunächst schwiegen sie. Er war jünger als Kraus. Er nannte seinen Bekannten A. Sie kannten sich schon lange, zu lange um im Krieg gemeinsam zu kämpfen. A war jung, fröhlich, gutaussehend. A war verheiratet. Mehr wusste er nicht über A, Kraus hatte alles vergessen.
Es waren schon viele gestorben, erinnerte sich Kraus. Viele seiner Kammeraden waren gefallen. Es war hart für ihn. Er war nicht wie A, er war anders. Nach einiger Zeit, mit konstanter Geschwindigkeit fahrend, entschied sich Kraus ein Gespräch mit A zu führen:
Die Ehre, sagte Kraus. Nicht wahr?
Wie wahr, antwortete A. Die Ehre!
Bist du deshalb hier?
Nein, nicht nur deswegen.
Weswegen dann?
Um zu töten. Und du?
Auch, um zu töten. Die Ehre, sie ist unwichtig.
Nein, um Ehre geht es nicht.
Tötest du gern? Fragte Kraus. Seine Augenlieder zuckten.
Oh ja. Es ist tatsächlich so. Es ist eine Freude.
Mir gefällt es nicht. Es fühlt sich nicht gut an.
Aber du machst es doch auch, wir alle machen es. Wir können es ohne Strafe machen.
Dennoch, es ist nichts für mich.
Du wolltest schon vor dem Krieg töten. Nun kannst du es tun.
Das ist etwas anderes.
Nein, es ist das Gleiche. Töten bleibt Töten.
Es wird mir befohlen. Wenn ich nicht töte, muss ich sterben.
Keiner muss sterben, wenn keiner tötet, nicht im Krieg.
Wenn du so denkst, dann müsstest du nicht töten.
Es macht mir Freude, einfach so. Der Mensch, er ist ein Mörder. Geboren um zu töten. Jeden zu töten. Es ist so und daran gibt es keinen Zweifel. Moral gibt es nicht, nicht im Krieg, nicht für mich.
Der Zug bog in eine Kurve. Kraus wurde gegen die Scheibe gedrückt, A drückte gegen ihn.

 

„Magog …: Wer in diesem Kriege nicht reich wird, verdient nicht, ihn zu erleben.
Gog: Gewiss doch.“​

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

lieber Fremder,

kennstu Karl Kraus? Das o. g. Zitat stammt aus dem 5. Akt seines monumentalen Kriegsdramas der Untergang der Menschheit, das er während des 1. Weltkriegs geschrieben hat. Da unterhalten sich alttestamentarisch benannte Unternehmer in einem Zugabteil über ihre Geschäfte und wie sie das im Krieg verdiente Geld gut anlegen können. Sie bringen’s in den zwei Sätzen auf den Begriff: für Deinen Protagonisten Kraus, der übrigens nicht die geringste Ähnlichkeit mit Karl Kraus aufweist, und jeden andern mag’s Elend und Tod bringen, die Reichen und Schönen machen ihre Geschäfte besser denn je. Es geht ums Geschäft, entweder die eigene Wirtschaft am Kacken zu halten oder neue Absatz- und/oder Rohstoffmärkte zu gewinnen ("erobern"). Dass dabei Mensch und Tier Schaden nehmen ist ein hinnehmbarer Kollateralschaden, wie man’s heute nennt. Die derzeitige Drohnen-Problematik zeigt ja an, dass man die eigenen Verluste gering halten will.

Aber Dein Kammerstück bringt nichts davon, Krieg reduzierstu auf den Gegenspieler des Eros: Thanatos, was genauso gut im kriminellen Milieu spielen könnte oder auch in der Irrenanstalt, wenn einer sein Triebleben nicht im Griff hat. Da hilft auch keine Flucht ins Kafkaeske (Kafka übrigens ein Zeitgenosse Karl Kraus').

Vor allem aber hastu auf einem Schlachtfeld schon verloren, dem der Grammatik. Da wird wenig präzise geschrieben

Ein Tag zwischen den Jahren 1916-1917
Der Tag lässt sich in Deiner Formulierung genau benennen, gilt doch der 31. Dezember gemeinhin als der Tag zwischen den Jahren (wie die Woche vom 24. bis 31. Dezember insgesamt als „zwischen den Jahren“ angesehen wird). Neujahr ist’s keineswegs, wie der Name schon sagt, ist wäre das exakt das neue Jahr (also in Deinem Fall 1917).

Und es geht sofort weiter. Abgesehen davon, dass hier

Kinder, Frauen und Alte, auch ein paar Männer winkten im lichten Qualm der Dampflock
ein Komma fehlt („… Männer, winkten …) frage ich mich, ob Alte ein besonderes Geschlecht sind/haben? Du meinst wohl „ein paar junge/jüngere Männer, die da winken". Zudem kommt die von Dir genannte Dampfmaschine von der Lokomotion und wird Lok abgekürzt. (Widerfährt Dir z. B. auch beim Augenlid, dass ich mich frage, wie die Lieder der Augen klingen, oder auch schon beim "Kameraden", der sich zwar die Kammer mit eben nicht "Kammeraden" teilt usw. usf.)

Vor den Relativsatz wäre ein Komma zu setzen (was eigentlich Deine flüchtige Arbeitsweise schon anzeigt, denn ab und an gelingt Dir sogar die richtige Kommasetzung:

…, um sie zu verabschieden, viele gekommen[,] die wussten, dass es
desgleichen hier mehrmals

…, seine Mutter[,] die mit betroffener Miene und zittrigen Beinen in seine Richtung blickte[,] und seine Frau[,] die mit dem Taschentuch in der Hand den Fluss der Tränen zu unterbrechen versuchte.
Er winkte ihnen zu, würde am liebsten wieder aussteigen, einfach hier bleiben
erscheint zunächst unverdächtig und fehlerfrei. Aber wenn ich fragen darf, will er wirklich da bleiben, wo er gerade ist –denn das besagt die getrennte Schreibung von Adverb (hier, da) und des Verbs (bleiben), dann bräuchte es ja gar nicht erst erwähnt werden, er sitzt doch schon im Zug ins Abenteuer. Aber der Satz will genau das Gegenteil besagen: Er will gar nicht ins Abenteuerland, sondern daheim, bei den Eltern bleiben.
Zum Glück stellt sich ja heraus, dass er schon im Abenteuerland sitzt,

schließt der

Friedel,
der zunächst eine Klage wider den Deutschlehrer oder das Studium der ersten hundert Seiten des Dudens, Bd. 1 (wer würde schon die Duden Grammatik mit zu Bett nehmen?) oder auch hierorts Hilfestellungen anzunehmen empfiehlt!

 

Lieber Friedrichard ,

zuerst einmal vielen Dank für deine Kommentierungen und Berichtigungen der Satzzeichen.

Einige deiner Ausführungen sind mir aber nicht ganz schlüssig.

Sie bringen’s in den zwei Sätzen auf den Begriff: für Deinen Protagonisten Kraus, der übrigens nicht die geringste Ähnlichkeit mit Karl Kraus aufweist, und jeden andern mag’s Elend und Tod bringen, die Reichen und Schönen machen ihre Geschäfte besser denn je.

Ich verstehe diesen Satz nicht richtig. Wenn nach
Sie bringen's in zwei Sätzen auf den Begriff
ein „Doppelpunkt“ folgt, dann müsste nach dem Satzzeichen eine Erläuterung folgen... was wird auf den Begriff gebracht?
für Deinen Protagonisten Kraus
fehlt da nicht ein Satzglied, irgendeine Ergänzung. Was trifft denn für meinen Protagonisten Kraus zu?

…, seine Mutter[,] die mit betroffener Miene und zittrigen Beinen in seine Richtung blickte[,] und seine Frau[,] die mit dem Taschentuch in der Hand den Fluss der Tränen zu unterbrechen versuchte.

Muss zwischen „blickte“ und „und“ tatsächlich ein Komma stehen? Wäre das nicht eine Sache der Freiwilligkeit?

Kinder, Frauen und Alte, auch ein paar Männer winkten im lichten Qualm der Dampflock

Wieso folgt nach Männer ein Komma? Welche Regel trifft zu?

Gruß
der Fremde

 
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Hallo der Fremde, wilkommen auf kg.de,

ich geh davon auf, dass dein Nick eine Anspielung auf Camus ist.
Und deine Geschichte soll existenzialistisch sein … oder so?

Ein Bekannter setzte sich neben ihn. Zunächst schwiegen sie. Er war jünger als Kraus. Er nannte seinen Bekannten A. Sie kannten sich schon lange, zu lange um im Krieg gemeinsam zu kämpfen. A war jung, fröhlich, gutaussehend. A war verheiratet. Mehr wusste er nicht über A, Kraus hatte alles vergessen.

Man kennt sich zu lang, um zusammen im Krieg zu sterben - (wieso?)
Aber Kraus hat das meiste über ihn schon vergessen ...

Irgendwie brauchst du den Anfang gar nicht, finde ich. Das ist zu viel Einführung für sehr wenig "Action".

Zwei Männer sitzen im Zug, unterwegs zum ersten Weltkrieg - und dann der Dialog. Alles andere ist nur so bla bla, dir ging es doch nur den Dialog.

Zwei Männer sitzen im Zug, unterwegs zum ersten Weltkrieg
Die Ehre, sagte Kraus. Nicht wahr?
Wie wahr, antwortete A. Die Ehre!
Bist du deshalb hier?
Nein, nicht nur deswegen.
Weswegen dann?
Um zu töten. Und du?
Auch, um zu töten. Die Ehre, sie ist unwichtig.
Nein, um Ehre geht es nicht.
Tötest du gern? Fragte Kraus. Seine Augenlieder zuckten.
Oh ja. Es ist tatsächlich so. Es ist eine Freude.
Mir gefällt es nicht. Es fühlt sich nicht gut an.
Aber du machst es doch auch, wir alle machen es. Wir können es ohne Strafe machen.
Dennoch, es ist nichts für mich.
Du wolltest schon vor dem Krieg töten. Nun kannst du es tun.
Das ist etwas anderes.
Nein, es ist das Gleiche. Töten bleibt Töten.
Es wird mir befohlen. Wenn ich nicht töte, muss ich sterben.
Keiner muss sterben, wenn keiner tötet, nicht im Krieg.
Wenn du so denkst, dann müsstest du nicht töten.
Es macht mir Freude, einfach so. Der Mensch, er ist ein Mörder. Geboren um zu töten. Jeden zu töten. Es ist so und daran gibt es keinen Zweifel. Moral gibt es nicht, nicht im Krieg, nicht für mich.
Der Zug bog in eine Kurve. Kraus wurde gegen die Scheibe gedrückt, A drückte gegen ihn.

Hältst du das für philosophisch? Der Mensch ist ein Mörder? Im Krieg darf man töten. So ist der Mensch. Hm .. weiß nicht. Immerhin hattest du mit dem Dialog zehn Sekunden lang meine Aufmerksamkeit oder so. Ich denke, so philosophische Dilaloggegeschichten, da irgendwas Frisches, Neues, oder gar Tiefsinniges reinzubringen: das ist wirklich eine Sackgasse. Da kann man eher Punkten, wenn man philosophisch+lustig+originell macht.
Aber am Anfang hast du schon versucht, Atmosphäre und so aufzubauen und .. ja.
Die Geschichte konnte mir leider nicht viel geben.

MfG,

JuJu

 

Ich verstehe diesen Satz nicht richtig.

Hatte gestern schon reingeschaut,

lieber Fremder,

mich dann aber im Grunde mit einer Jugendsünde (wenn man denn mit 57 noch sich der Jugend zurechnen darf) beschäftigt.
Warum?

Das einfachste wäre die Antwort als Gegenfrage – wie Du den Satz denn „falsch“ verstanden habest -, aber das wäre mir dann allzu flapsig vorgekommen. Also ein wenig aufwändiger und hoffentlich verständlich:

Die Frage hat mich einfach verblüfft, dachte ich doch bis ich sie gesehen hab, dass die Zeilen nach dem korrekt gesetzten Doppelpunkt (den Du ja auch richtig interpretierst) eben die Begründung des einleitenden Satzes

Sie bringen’s in den zwei Sätzen auf den Begriff:
wäre. „Sie“ sind Gog und Magog (aus Ezechiel 38 f.), die der Meinung sind, dass niemand zu leben „verdiene“, der es nicht verstünde, an eben diesem Krieg „zu verdienen“, um reich zu werden (der zwote Satz in dem einleitenden Kraus-Zitat, eine Ellipse, sieht’s als Gewissheit an).
Krieg ist Geschäft – um den ollen Clausewitz ein wenig abzuändern – er ist (Wirtschafts-)Politik mit andern Mitteln, wenn man so will, realer Handelskrieg und Wettbewerb auf höchstem Niveau.

Jenseits des Doppelpunktes wird es – meiner Verehrung Kleists geschuldet – doch ausgeführt

… mag’s Elend und Tod bringen, die Reichen und Schönen machen ihre Geschäfte besser denn je. Es geht ums Geschäft, entweder die eigene Wirtschaft am Kacken zu halten oder neue Absatz- und/oder Rohstoffmärkte zu gewinnen ("erobern").
Nicht umsonst blüht der Export mit Waffen selbst in den vom Handelsembargo gebeutelten Iran, indem Güter falsch deklariert werden oder scheinbar an ein Drittland (ich tipp mal bevorzugt auf die Türkei, ohne besondere Bewertung) gehen. Um den Schwindel zu betreiben, reichten immer schon ganz harmlose Zollpapiere.

Die zwote Frage zum gleichen Satz (was denn für den Protagonisten K. zutreffe) steht aber auch schon da, wenn Du den Relativsatz überspringst

… für Deinen Protagonisten Kraus, der übrigens nicht die geringste Ähnlichkeit mit Karl Kraus aufweist, und jeden andern mag’s Elend und Tod bringen, …
also deutlicher
... für Deinen Protagonisten Kraus, …, und jeden andern mag’s Elend und Tod bringen, …

Ich will Dir da nix Böses, aber kann es sein, dass Du Probleme mit Relativsätzen hast – denn die nächste offene Frage
Muss zwischen … tatsächlich ein Komma stehen? Wäre das nicht eine Sache der Freiwilligkeit?
Bei Relativsätzen gibt’s da keine freie Wahl der Mittel und mit dem „blickte“ ist einer von drei Nebensätzen zu Ende. Der Hauptsatz ist dagegen relativ kurz, aber eben ein vollständiger Satz
Er fand seine Eltern … und seine Frau …
Die Einschübe
…, sein Vater …, seine Mutter …
sind Nebensätze, durch die Kraus’ Eltern auf dem Bahnhof mittels der Relativsätze näher beschrieben/bestimmt werden.
Der Nebeneffekt ist, dass ich jetzt noch Kommas nachtrag (nämlich dem Vater und der Frau des Prots, ), die ich bisher übersehen hab.
Er fand seine Eltern, sein Vater[,] der den strengen Blick eines Generals aufgesetzt hatte, seine Mutter[,] die mit betroffener Miene und zittrigen Beinen in seine Richtung blickte[,] und seine Frau[,] die mit dem Taschentuch in der Hand den Fluss der Tränen zu unterbrechen versuchte.
Nächste Frage
Wieso folgt nach Männer ein Komma? Welche Regel trifft zu?
Bei nachgestellten Zusätzen wie
…, auch ein paar Männer …
gilt § 77 II und/oder IV der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung oder – einfacher – Duden Bd. 1, K 103

Jetzt genug der Formalien!, ich geb zu, gar nicht an Camus und Deine Namensfindung gedacht zu haben. Aber JuJu hat da sicherlich nicht Unrecht, wie überhaupt. Lass vor allem die zeitliche Fixierung weg, lass aber den „großen Bahnhof“ stehn, mit dem ja alle Helden gefeiert werden – womit wir wieder auf den Anfang kommen – Helden sind tot oder doch zumindest auf dem Weg nach Walhall … Stell die kleine Welt des „großen“ Bahnhofs einfach auf den Kopf: lauter Jubel für die Helden und mittendrin die Trauernden (Frau, Mutter, Vater). August 1914 zog man guter Dinge in den Krieg (auf allen Seiten!), der zu manchem „chlorreichen Sieg“ (Karl Kraus) mutierte.

In dem Sinne,

lieber Fremder,

es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Was hätte der denn auch von seiner Meisterschaft, außer einem Genickbruch. Und Dein Start hierorts ist nicht mal ein Beinbruch – und

halt die Ohren steif!

Friedel

 

Hallo Fremder –

entschuldige, dass ich erst jetzt auf Deine – m. E. wesentlich verbesserte – Neufassung der Fahrt eingehe. Dabei spielt auch Dein Alias eine kleine Rolle, ob Du eher von Camus oder Kafka beeinflusst wärst.

Im Hochittelalter war der el(l)ende „der Fremde“ - ein Mensch, der in fremdem Lande ausgewiesen wurde. Die Ausweisung aus der Rechtsgemeinschaft seiner eigenen Leute/seines eigenen Stammes oder Volkes kann man nur als Unglück empfunden haben wie jetzt wohl ein US-Amerikaner, der im Putinismus Asyl finden musste. Im Althochdeutschen elilenti, deutlicher noch im Altsächsischen elilendi können wir sogar noch das nhd. Land im zwoten Teil der Wortzusammensetzung im lenti/lendi erkennen. Nun, beide – C. wie K. – fühlten sich wohl als Fremde in ihrer „Welt“. Revoltierte der jüngere von den beiden bis hin zum aktiven Widerstand, so war der ältere eher ein sensibler, stiller und unauffälliger Mensch, der sein Unwohlsein allein in seinen Texten äußerte. Weil aber Dein Protagonist – Kraus – wirkt nun eher passiv als aktiv auf mich, dass eigentlich mein früher geäußerter Gedanke, Kafka wäre Dein Vorbild, eher zuträfe als die Wendung zu Camus.

Gleichwohl noch ein bisschen Textarbeit, wobei es wieder die „Alten“ sind, die’s trifft (fast wie im richtigen Leben). Ich weiß ja, was Du meinst, wenn Du schreibst

Kinder, Frauen und Alte, auch ein paar Männer winkten im lichten Qualm der Dampflock.
Das einfache zuerst: Die Lok[omotive] stammt aus dem Lateinischen, das kein „ck“ (eigentlich ein doppel-k) kennt.
Jetzt zum schwierigeren Teil:
Mit der einführenden Wendung willstu* sagen, dass da alte und junge Menschen beiderlei Geschlechts stehen, was aber durchaus missverstanden werden kann (vgl. meinen vorherigen Beitrag). Vielleicht wäre eine kleine Umstellung da hilfreicher und eindeutiger, wie etwa mit folgendem Vorschlag
[Alte und Junge, Kinder, Frauen und auch ein paar Männer] winkten im lichten Qualm der Dampflok.

Nun kommt aber noch mal die Kleinkrämerseele bei mir zu Wort, denn es hapert beim Infinitivsatz mit der Zeichensetzung:
Es waren viele gekommen, um sie zu verabschieden, viele gekommen, die wussten, dass es möglicherweise die letzte Gelegenheit war[,] sie zu sehen.
Nach einiger Zeit, mit konstanter Geschwindigkeit fahrend, entschied sich Kraus[,] ein Gespräch mit A zu führen: …
Wenn die Infinitivgruppe („zu sehen“ und „zu führen“) von einem Substantiv abhängt, ist in jedem Fall ein Komma zu setzen. Beim zwoten Satz ist die Abhängigkeit vom „Gespräch“ einsichtig, im ersten nicht sofort. Aber das Pronomen „sie“ ist ja nur der Platzhalter für die Leute, die da Abschied nehmen. Umgekehrt, ließe sich auch hier ein „um“ – wie beim „verabschieden“ einsetzen, ohne dass sich am Status als Infinitivsatz etwas änderte.

Zwei Irrtümer müsstestu noch bereinigen:

Kammeraden
Nur mit einem „m“, wurde aus dem frz. camerade entlehnt. Und "Augenlider" haben nichts mit Musik zu tun …

Auf alle Fälle bistu auf einem guten Weg – meint der

Friedel

* Du wirst hoffentlich nix gegen Verschmelzungen haben, die gesprochen eh verschmelzen (hier im Ruhrgebiet sagt man „willze“, anderswo „willst’e“ o. ä., wo willst Du politisch und grammatisch korrekt stehen müsste), übrigens auch in den älteren Hochdeutschen Formen erlaubt etwa im mhd. „wiltu“ und heute nur noch gelegentlich in der Verschmelzun etwa im Dativ „an dem“ zu dem „am“ bzw. zum …

 

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