Die Fahrt
Die Fahrt
Mein Name ist ohne Belang. Ich bin dreiundvierzig Jahre alt, nicht verheiratet, kinderlos. Aus Gründen, die mein Beruf mir abverlangt, bin ich viel unterwegs. Ich bin bei der Personenbeförderung tätig. Über zweihundert Tage im Jahr bin ich sommers wie winters, sogar an hohen Feiertagen wie Weihnachten, auf allen Straßen des Landes und des Auslandes unterwegs. Das verträgt sich nicht mit Frau und Kindern, die wie eine Klette an einem herum hängen, viele Fragen stellen, einem Pflichten und Aufmerksamkeiten abverlangen. Eine nörgelnde Frau und plärrende Kinder waren nie meine Sache. Ich brauche Ruhe.
Draußen ist es kalt. Es ist Mitte Dezember. Ich sitze in meinem Wagen und fahre Überland, um meine Fracht ans Ziel zu bringen. Es kann nicht mehr lange dauern. Ich genieße die Zeit, in der ich gemächlich und fast lautlos über die Straßen gleite und die Landschaft wie einen Traum an mir vorüber ziehen lasse. Manche würden mich darum beneiden, wenn sie wüssten, welche Ruhe mir während meiner Arbeit vergönnt ist. Ganz besonders liebe ich es, im Winter in der wohligen Wärme des großen Wagens zu sitzen. Im Sommer hingegen behagt mir die Hitze nicht sonderlich. Während dieser Jahreszeit neigt das Innere des Wagens dazu, regelrecht zu kochen, ein zäher Geruch aus Eiern und Karamell strömt dann aus den Sitzen und füllt das Innere aus. Nur offene Fenster und ein Klimagerät können dann einigermaßen Abhilfe schaffen. Dennoch möchte ich mit niemandem tauschen.
Heute morgen habe ich schon früh begonnen. Zur Zeit herrscht Hochsaison. Ich schaue in den Rückspiegel. Mir folgt im Abstand von etwa dreißig Metern ein roter Pkw. Es kommt mir so vor, als würden die anderen Autofahrer absichtlich gebührende Distanz zu mir halten. Gut so! Mein Blick fällte auf mein Gesicht. Es ist bleich und aufgeschwemmt wie das Gesicht einer Wasserleiche. Überhaupt bin ich alles andere als eine Schönheit. Schon immer wurde ich wegen meines Aussehens gehänselt. In der Schule nannte man mich Fettarsch wegen meines Übergewichtes. Vom Sportunterricht war ich regelmäßig schon ab der ersten Klasse befreit. Es hatte keinen Sinn. Bei den Laufwettbewerben kam ich als letzter an, am Barren hing ich wie ein nasser Sack, Bodenturnen war eine einzige Katastrophe. Kurz, ich war für die anderen eine Lachnummer. Später in der Pubertät wurde alles noch schlimmer. Mein Körper veränderte sich zum Schlechten. Er war über und über mit riesigen Aknepusteln übersät, die manchmal aufplatzten und einen grünlich-weißen Schleim absonderten, in denen winzige Blutpartikel schwammen. Meine Haut schuppte sich. Ich sah aus wie ein toter Fisch. In meinen strohigen Haaren tummelten sich die Grinde wie Termiten in ihrem Hügel.
Die anderen ekelten sich so davor, mich zu berühren, dass ich von nun an meine Ruhe hatte. In dieser Zeit blieben mir die Prügel meiner Schulkameraden erspart. Meine Lehrer schwankten zwischen Mitleid und Abgestoßensein. Auch sie hielten Distanz zu mir. Dies verstärkte meinen Hang, des Öfteren krank zu sein. Nur meine Mutter liebte mich aufrichtig.
Gleichwohl, mein Berufsleben verlief ebenfalls in einer einzigen Katastrophe. Niemand wollte mich einstellen. Ich sei nicht vorzeigbar und eine schlechte Werbung für jede Firma, sprach aus den Augen all derjenigen, bei denen ich mich bewarb. Natürlich waren sie überaus höflich, als sie mir ihre Absage erteilten. Ich konnte froh sein, dass sie überhaupt antworteten. Also ging ich ohne Perspektive ins Leben. Ich schlug mich durch bei der StraßenSauberigung, bei der Müllabfuhr, beim Klärwerk. Selbst dort mied man mich wie der Teufel das Weihwasser. Als würde ich einen unerträglichen Gestank absondern, so hielt man sich von mir fern. Stinker nannten sie mich hinter meinem Rücken, selbst beim Klärwerk hörten sie nicht auf, über mich zu lästern. Dort bezeichneten sie mich als Sommerleiche. Ja, ich war für alle ein Außenseiter, ein Monster. Dabei bin ich von großer Empfindsamkeit. Das Weinen eines Kindes treibt auch mir die Tränen in die Augen, ein unglücklicher Mensch breitet einen dunklen Schleier über meiner Seele aus. Ich war nahe daran, Selbstmord zu begehen. Doch ich nahm den Kampf auf gegen die Unbill des Lebens. Im Himmel würde ich belohnt werden, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen wäre. So fand ich zu mir selbst und zu mir der richtige Job.
Ich schaue vorsichtshalber noch einmal in den Rückspiegel. Hinter mir ist der rote PKW verschwunden. Wieder fällt mein Blick auf mein Wasserleichengesicht, der Anblick vorzeitiger Verwesung. Ich darf mich jetzt nicht ablenken lassen, denn gleich bin ich am Ziel. Meine Fracht muss schonend behandelt werden. Vorsichtig biege ich den schwarzen Mercedes in die Einfahrt ein. Vor mir sehe ich auf den Fensterscheiben eine milchig graue Inschrift. Firma Ruhe sanft. Familienunternehmen schon seit einhundert Jahren. Ich habe es bisher vergessen zu erwähnen, ich bin für die Überführung Verstorbener zuständig. Ja, ein toter Mensch ein guter Mensch.