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Die Fabrik

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10.04.2013
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Die Fabrik

Ankunft

"Dort!", sie deutete in die Ferne. "Sieht sie nicht wie ein Schloss aus? Sie thront, findest du nicht, dass sie thront?"
Pauline hatte mich vom Zug abgeholt, um mich, wie verabredet, zum Hotel zu begleiten. Und nun standen wir auf dem Bahnhofsvorplatz.
"Hm. Ich hatte sie mir größer vorgestellt."
"Nein, die Fabrik ist gewaltig, sie ist ziemlich weit weg, weißt du? Es täuscht. Du wirst sehen ... Taxi!"

"Sag mal, wieso halten wir nicht? Gibt 's hier noch ein anderes Hotel?", fragte ich Pauline verwundert, als wir kurz darauf an der einzigen Herberge des Städtchens vorbeifuhren.
"Nein, wir fahren zu mir. Paulines Couchdreiviertelpension. Einverstanden?"
"Aber ...“
"Passt schon."
Sie konnte sich wohl noch entsinnen, dass mir Hotels ein Grauen waren und erntete mein dankbarstes Lächeln.
Ein paar Minuten später hielten wir in einer engen Gasse vor einem Fachwerkhaus.
"Waren Sie schon einmal in der Fabrik?", fragte ich den Taxifahrer, der gerade damit beschäftigt war, mein Gepäck aus dem Wagen zu wuchten.
"In der Fabrik? Ich? Habe nichts zu tun mit der Fabrik", antwortete er, klappte den Kofferraum zu, stieg ein und fuhr davon.

Pauline

"Was meinte der Kutscher damit, dass er mit der Fabrik nichts zu tun habe?", fragte ich Pauline, später, als wir vor einer Tasse Tee an ihrem Küchentisch saßen.
"Ich weiß nicht, er wirkte kurz angebunden, komisch. Vielleicht, dass dort keine Touren hinführen oder so? Keine Ahnung."
"Warst du schon einmal dort, Pauline?"
"Nein ... doch. Also nicht in der Fabrik. Ich hab da ein -, zweimal etwas abgegeben, am Tor. Ich mach manchmal so Kuriersachen, weißt du? Wenn man dort anliefert, legt man das Gut in einen Schacht neben das Portal, berührt einen Knopf und geht. Das funktioniert alles vollautomatisch. Ich kenne niemanden, der da ein oder aus ginge."
"Du meinst, dort ist niemand?"
"Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, ich kenne niemanden ..."
Pauline schien seltsam gereizt, und ich beschloss, das Thema fürs Erste ruhen zu lassen, auch wenn mir ihr Verhalten rätselhaft erschien. Immerhin hatte sie mich eingeladen, hierherzukommen, sie zu besuchen und dabei am Telefon nicht selten von der Fabrik geredet oder besser: über die Fabrik, so dass ich bei der Anreise im Zug bald häufiger daran dachte, als an sie, Pauline, die alte Freundin aus den Tagen meiner chronisch chaotischen Scheinstudentenzeit. Das mochte auch daran gelegen haben, dass Pauline, obwohl sie davon redete, doch nie etwas Greifbares, annähernd Konkretes von der Fabrik erzählt hatte. Als wäre diese ein heißer Brei, dessen Hitze nur zu bannen war, in dem man ihn mit möglichst vielen, nichtssagenden Worten befächerte.
So verlief der Abend dann bei Plaudereien über alte Zeiten und Freunde, ohne dass die Rede noch einmal auf die Fabrik kam. Irgendwann umschlich uns die Müdigkeit, und Pauline klappte mir gähnend das Gästesofa aus.
Dann küssten wir uns zur Nacht wie Freunde; und doch, trog mich nicht alles, so war dieser Kuss keiner, der die Küssenden trennen wollte - es war ein Kuss, nicht zwei. Das verhieß den Tagen, die da folgen sollten, eine verlockende Aussicht.
Ehe ich mich bettete, trat ich noch einmal ans Fenster und schaute in die Nacht. Paulines Wohnung befand sich im Dachgeschoss des mehrstöckigen, mittelalterlichen Hauses, und so ging der Blick weithin über den Ort, dessen viele warm-gelbe Leuchtpunkte mich in eine heimelige Geborgenheit tunkten, bestärkt durch die sie umfassende Dunkelheit. Dort, fernab, jenseits aller Lichter, waren die Konturen des Hügels mit der Fabrik darauf zu erahnen - als Schatten vor nächtlicher Schwärze.

Am Fenster

Am nächsten Morgen zeigte sich die Kehrseite der Dreiviertelcouchpension, mir schmerzten sämtliche Knochen, und es bedurfte einiger halbschläfriger Gymnastikeinlagen, dem Gefühl zu entrinnen, ich würde von einem launischen Skelett bewohnt. Schließlich schlurfte ich ins Badezimmer. Dort hing ein Zettel am Spiegel. Wie klassisch, dachte ich und las:
'Hi, bin schon auf der Fabrik, Du Schnarchnase! Später / P'
Auf der Fabrik? Ich rieb mir die Augen, und las noch einmal:
'Hi, bin schon auf dem Markt, Du Schnarchnase! Später / P'
Warum in aller Welt hatte ich Fabrik, gelesen? Ich schüttete mir erst einmal einen Schwall Wasser ins Gesicht - nein, Markt. stand da, einfach nur: Markt.
Auf dem Küchentisch hatte Pauline mir ein Frühstück bereitet, doch mich zog es zum Fenster. Ein unbestimmter Drang nötigte mich gleichsam, dem Bild der vergangenen Nacht das des neuen Tages hinzuzufügen. Unwillkürlich betrachtete ich beginnend nur die Dächer der kleinen Stadt, den Kirchturm, der in nahezu ebenbürtiger Höhe nicht weit entfernt zwischen ihnen emporragte. Erst jetzt getraute ich mich, den Blick über das Meer der orangen und gelben Dachziegel zu heben, auf die Fabrik. Es war gut zu erkennen, wie sich ein hellgraues Straßenband gradlinig aus dem Ort hinausschob, bald sich krümmte und bog, den Hügel hinaufwand und oben an der Fabrik vor einem Tor abrupt endete.
Wie ein Schloss?
Sie hatte eigentlich nichts sonderlich Bedrohliches mehr, nun, da sie dem hellem Tageslicht preisgegeben, so auf der Anhöhe ...
Es thront!
Sie beherrschte ihn, den Hügel, keine Frage. Eine Mauer umgab den Komplex, dessen Gebäude fenster- und farblos darüber hinaus ragten wie angeschrägte Monolithen. Die ganze Anlage wirkte bleiern; aber nicht ihre Ausdehnung schien gewaltig. Eher war es, als lastete die Fabrik gar allzu schwer auf der Erhebung, und man erwartete jederzeit, Zeuge ihres mählichen Einsinkens zu werden.
Zwei Brötchen und einen Kaffee später klimperten Schlüssel und ein ironisch gemustertes, hingeflötetetes: "Na, schon wach, Dreiviertelcouchgast?", drang vom Flur zu mir herüber.
"Nein, nur ein Viertelwach", gab ich zurück.
Pauline hatte die Arme voller Tüten, aus denen grün und bunt Obst und Gemüse quoll, als sie in die Küche einfiel und schien überhaupt in einer Energiewolke herumzuschwirren; sie überschüttete mich mit Fragen nach den Umständen meines Morgens, ob ich denn den Zettel gefunden hätte, was ich davon hielte, einen kleinen Stadtbummel zu unternehmen und so fort.
"Stadt? Welche Stadt?", fragte ich mit der gespielten Arroganz eines Metropolenbewohners.
"Na, diese Stadt eben, Großdorftrottel! Sind 's dir der Häuser hier nicht genug? Es gibt viel zu sehen!"
"Die Fabrik?"
Pauline schaute mich mit angespitztem Blick an.
"Nein, die Fabrik ist nicht die Stadt. Und die Stadt ist nicht die Fabrik. Ich meinte die Stadt!"
Sie sagte das in immer noch fröhlichem, gut gelauntem Ton, doch mir war, als schrumpfte ihre Wolke zusehens dahin.
"Pauline, was ist mit der Fabrik? Du hattest mir, bevor ich auftauchte, in einem fort davon erzählt. Die Fabrik hier, die Fabrik da. Und jetzt scheint es, als würdest du sie fortwährend hinter deinem Rücken verbergen, wie ein unpassendes, peinlich gewordenes Geschenk?"
Pauline lud ihre Marktbeute auf einer Küchenanrichte ab und setzte sich zu mir an den Tisch.
"Weißt du, ich lebe nun gerade einmal seit zwei Jahren hier. Als ich her zog, da gab es die Fabrik bereits, und sie sah eigentlich genauso aus wie heute. Die Fabrik ist hier, niemand kann daran vorbeischauen. Ich habe es dir ja schon am Bahnhof gesagt, wie ein mächtiges Schloss thront sie dort. Aber glaube mir, niemand hier im Ort fühlt sich davon auch nur irgendwie ... irgendwie berührt, so scheint es jedenfalls. Das habe ich schnell herausgefunden, denn natürlich hatte ich am Anfang, genau so wie du, nur Augen für den Hügel, für diese sonderbare und unglaubliche Präsenz dort oben. Klar wollte ich alles darüber erfahren, doch was ich erfuhr, war nicht viel ..."
Pauline schraubte nachdenklich die Thermoskanne auf und schenkte sich einen Kaffee ein; dann fuhr sie fort:
"Eigentlich schien niemand viel zu wissen und seltsamerweise reduzierten sich die Informationen über die Fabrik eher, als dass sie sich zu etwas verdichteten, je mehr ich danach fragte, und bald schwand mein Interesse, als wickle mich etwas in einen Kokon, verstehst du?"
"Nicht so recht ..."
"Ja, es ist eben seltsam. Seltsames ist nicht gut zu verstehen. Aber es ist so, heute weiß ich kaum mehr als vor zwei Jahren. Und das, was ich in Erfahrung bringen konnte ..."
"Ist was?"
"... ist viel dürftiger und nicht viel mehr, als das du siehst, wenn du hier zum Fenster heraus schaust. Es ist eine Fabrik, sie liegt außerhalb der Stadt auf einem Hügel, sie ist von einer hohen Mauer aus Beton umgeben, sie hat eine Zufahrt, ein Tor, neben welchem sich ein Schacht für geringere Anlieferungen befindet ..."
"Und ein Knopf."
"Ja, genau, und ein Knopf", wiederholte sie leise, als wollte sie sich damit von weiteren Beschreibungsverpflichtungen abschalten.
"Das ist alles? Was geschieht denn dort? Ich meine, das muss doch bekannt sein?"
Pauline erhob sich und ging zum Fenster.
"Ist halt eine Fabrik. Die Leute sagen, dass dort nahezu alle Prozesse vollautomatisiert ablaufen. Deswegen hat sich auch nie jemand aufgeregt, dass hier keine Arbeitsplätze entstanden sind, es war von Anbeginn klar. Manchmal öffnen sich die Tore für Lastwagen."
"Die was befördern?", bohrte ich, obgleich ich spüren konnte, dass sich Paulines Energiewolke unterdessen komplett verflüchtigt hatte.
"Spezielle elektronische Module, Konstruktionsteile, Verbundstücke für andere, ähnlich autonome Industrien - all die komplizierten Sekundärbauelemente, ohne die andere Industrien gar nichts fertigen könnten . Maschinenbauteile für Maschinen, die Maschinen bauen, die Maschinen bauen - was weiß ich, so etwas halt; es gibt nicht nur dies eine Schloss auf der Welt. Das ist jedenfalls, was ich gehört habe; es wird gesagt, dass die Fabrik sowohl betrieben als auch verwaltet wird von einer selbständig handelnden, künstlichen Intelligenz.”
“Also Roboter?”
“Ich denke, sie weisen sie an, sie treffen Entscheidungen, dort in ihrer Fabrik. Angeblich ... aber egal, lass uns jetzt lieber bummeln gehen, was meinst du?"
"Wenn du deinen Satz zu Ende bringst, bummle ich doppelt, sonst gar nicht."
Pauline, genervt und zugleich froh über ihren halben Sieg, leerte ihre Kaffeetasse und fuhr fort:
"Es wird manchmal behauptet, dass das, was man von der Fabrik wahrnähme, nur ein kleiner, sichtbarer Teil sei, etwa so wie bei einem Eisberg."
"Du meinst den Hügel?"
"So - mehr weiß ich nicht. Hinfortgebummelt, sonst verklapp ich die Couch im Baggersee!"

Exkursion

So bummelten wir also los, und ich vergaß fürs Erste die Fabrik und all das, schüttete lieber eine gute Portion fröhlicher Hormone aus und balzte um Pauline herum wie eine verknallte Samenzelle ums hüpfende Ei. Wir beschauten die Altstadt, ihren Marktplatz, die gotische Kirche, Läden voll gierig buhlender Ware, knautschig-krumme Gassen und landeten endlich in Paulines Lieblingscafé, welches sich Zum Schwanenglück benannte. Nun, in der Tat waren zwei dieser Vögel zugegen, im Teich, der nach hinten heraus ans Café grenzte, einem trübsinnigen, algenverseuchten Loch, das in der Nachmittagshitze lieblich-süßlich vor sich hin brütete, zu einem Viertel überbaut von der Biergartenterrasse, auf welcher wir uns so dann pflanzten.
"Ich glaube, da ist noch Luft nach oben, was das Schwanenglück anbelangt", sauergurkte ich, das dümpelnde Paar im Blick.
"Glaube nicht, dass die fliegen können", sagte Pauline und bestellte zwei Eiscafé.
Der Biergarten war gut bevölkert, an einem Tisch saß ein kleiner, rundlicher Mann mit Hornbrille, schwer vertieft in ein Buch; ein anderer kam hinzu, und die beiden begrüßten sich wie zwei, die sich noch nie zuvor gesehen hatten.
In bauchige Kelche gepferchte Milcheisberge tauchten vor uns auf, und ich betrachtete verzückt Paulines Weg, einen Eiscafé zu vernaschen. Sie gab dem Trinkhalm - wenngleich nur leichten - Vorzug vor dem Löffel und gönnte sich hierzu hin und wieder eine taktische Pause, nicht nur, dem Eis Gelegenheit zu geben, sich zu verflüssigen, sondern auch ihrer Wolllust, sich zu bauschen.
Purer Sex, dachte ich.
"Was?"
"Ach, nichts ... kennst du eigentlich das Buch 'Als die Gedanken Lesen lernten'?"
Die Fabrik war selten zu sehen, meist verbauten die eng gedrängten Altstadtgemäuer den Blick, nur manchmal war die Sicht frei auf den Hügel. Als wir heimkehrten, dunkelte es schon, und meine Hand lag in Paulines.
Der Kuss zur Nacht geriet zum Inferno, und wir verschmolzen weit jenseits jeder Dreiviertelklappcouch, sanken dahin, Touristen im Chaos des Urknalls, zwei tanzende Sterne der Nacht - und die Zeiten feierten ewige Wiedergeburt.
Ich habe keine Ahnung, weshalb ich Pauline nach den genauen Ausmaßen des Schachtes der Fabrik fragte, als wir wieder zurück waren.
"Eins-fünfzig mal eins-fünfzig, ungefähr ... warum?", fragte sie - aber da war es bereits zu spät.
Als Pauline am nächsten Morgen das Badezimmer aufsuchte, hing dort wieder ein Zettel. Nur hatte ihn diesmal nicht sie dorthin geklebt, sondern ich. Was draufstand ist nebensächlich. Pauline las es, als hätte sie ihn selbst verfasst. Und dann putze sie sich die Zähne.
Woher ich das weiß? Auch nebensächlich.

*

Der Zug setzt sich in Bewegung, und bald hat er die kleine Stadt hinter sich gelassen, Felder rauschen vorbei, Zäune, Wälder. Der Zug gleitet durchs Land, und ich sitze in diesem Zug, und ich rieche nach Pauline. Ich glaube das fest, aber es ist nicht so. Es ist noch nicht lange her, dass mir dies dämmerte. Aber damals, damals hätte man es mir nicht ausreden können. "Doch", hätte ich gesagt: "Doch."
Kann ich mich überhaupt daran erinnern? Es sind Bruchstücke, hunderttausend Teile eines Puzzles, dessen einziger Zweck zu sein schien, in nicht einer einzigen Verbindung zusammenzupassen. Ich erinnere mich, dass sie wuchs, desto näher ich ihr kam. Oder war es, dass ich schrumpfte? Vor dem Tor, es war seltsam, ich konnte gar nicht ermessen, wo es anfing, wo es aufhörte. So, als sei es geschaffen, einer Unendlichkeit den Zugang zu eröffnen. Ich spüre noch meine Verlorenheit, nicht, angesichts der schwindelerregenden Dimensionen; diese waren ohnehin unbegreiflich. Es war ... dass ich keinen Halt finden konnte, da war nichts, und mehr noch, dass ich wusste, jeder Versuch, einen Halt zu finden, war ein von vornherein aussichtsloses Wollen. Nicht allein war es hoffnungslos, - es existierte noch nicht einmal die vage Chance, diesen Zustand zu bedauern. Als stünde ich vor dem leeren Grab der Hoffnung.
Ich kann sagen, dass ich irgendwann in den Schacht geschlüpft bin und den Knopf neben dem Lieferantenschacht gedrückt habe. Es ist keineswegs so, dass ich mich daran erinnere, nein.
Aber ich bin nicht in der Lage, mir irgendetwas anderes vorzustellen.

Die Fabrik

Da verlasse ich Ort und Zeit, und alles, was an Ort und Zeit sich begreift! Vergreift! Alles ist hinfällig. Es existiert kein natürlicher Bezug zwischen mir und der Fabrik oder zwischen der Fabrik und Pauline, er ist konstruiert, das Werk des sarkastischen Affen, genau so, wie die vermeintliche Spannung oder Nicht-Spannung zwischen der Stadt und der schlosshaft in ihrer Nähe befindlichen Fabrik. Was immer das ist, 'die Fabrik' - es ist keine Situation, die hier nicht zu recht endete! Schon meine Ankunft ist mir, nun, da ich alles überblicke, oder glaube zu überblicken, oder hoffe, glauben zu können, es zu überblicken - ein Fehler. Nie hätte ich herkommen dürfen! Wie konnte es kommen? Es gibt zwei Ufer, die durch nichts zu überbrücken sind. Ein mit einer scharfen Klinge ins Dasein, ins Allsein geschlitzter Spalt, der Unvereinbarkeiten gebiert. Wer will hier eine Brücke bauen, die im Luftschwall tosenden Affen-Gelächters birst? Über die niemand je schritte, weil niemand ganz ohne Sinn ist?

Warum hielt der Zug überhaupt in diesem (von der Fabrik abgesehen) völlig unbedeutenden Städtchen (Schwanenglück) mit seinem Bahnhof dritter Ordnung und einem Drei-Taxen-Stand davor, warum? Es gibt gute Gründe, dass es eine weise Entscheidung gewesen wäre, nicht an diesen Ort zu reisen; und nicht wenige gute Gründe, die den Zug hätten veranlassen können, einfach durchzufahren, den sich bereits auf dem Weg befindlichen Irrtum so zu korrigieren; wer weiß schon, wohin der Reise?
Und Pauline? Natürlich habe ich das Wiedersehen mit ihr genossen, sprach ich von Wiedersehen -? Ich fühle mich fast entprivatisiert, öffentlich begafft von jenen, die mit widerlichem Gleichmut, als wären es Gleiswächter, Jahr und Tag ihre Lebenszeit abschreiten; ins geschwätzige Licht geschoben, als übe jemand billigen Zwang aus, mich zu verleiten, das alles aufzuschreiben. Doch schon dies: eine Lüge!
Geschieht innerhalb eines Irrtums etwas Wunderbares - hebt es seine Natur, ein Irrtum zu sein, auf?
Mir geht es nicht gut, Kälte, Leere - nein, das wären mir jetzt noch traute Schwestern zur Seite mit Körben von zu Fühlendem. Aber hier ist nichts, nur Irrtum, nur -
"Komm! Steig ein! Schnell!"
"Pauline?"
Pauline hatte die Beifahrertür aufgestoßen. Ich stieg in den Wagen.
"Du hast ein Auto?"
"Ich hab 's mir von einer Freundin geliehen. Mach die Tür zu, wir müssen ... du musst hier weg!"
Und schon jagte Pauline die gewundene Hügelstraße hinunter. Kurve um Kurve in atemloser Raserei. Gerade verschwand die Spitze des Kirchturms hinter dem Horizont vor uns.
"Pauline!"
"Hatte ich es dir nicht gesagt? Es täuscht ...!", lachte sie und raste der nächsten Kurve entgegen.

 

Hey 7,
ich habe mich schon gewundert, die Geschichte fing so, für deine Verhältnisse, sagen wir mal, herkömmlich an, einem klassischen Aufbau folgend, aber du hast dir das Seltsame für den Schluss aufgespart.
Ja, mir drängen sich hier natürlich stark die Parallellen zu Kafkas Schloss auf, ich meine, das wird nicht zufällig sein und dieses Mysteriöse, was von der Fabrik ausgeht und so stark die Realität dieser Stadt, ihrer Bewohner und letztlich auch deines Prots, das durchzieht den ganzen Text. Da geht eine Faszination von aus, von dieser unerklärlichen Macht, es ist auch augenscheinlich einiges an Technologie-Angst in dieser Geschichte. Die Maschinen erschaffen Maschinen erschaffen Maschinen, diese Bedrohung liegt in der Luft und drückt auf die Stimmung.
Diesem setzt du ein gemütliches, flauschiges Verhältnis des Prots mit Pauline entgegen, dieser Kontrast tut der Geschichte gut, alle von dir verwendeten Farben können auf diese Weise wirken.
Das Ende, ja, das ist sehr fiebrig, hat nur wenig Konturen, du legst ja hier ganz bewusst diesen Schleier über die Realität, was da tatsächlich passiert enthältst du dem Leser vor, willst dich offenbar nicht in banalen Darstellungen ergehen, sondern entscheidest dich für ein philosophisches Wirrwarr voller Symbole und Metaphern. Vllt kommt es ein wenig abrupt, aber ja, das transportiert schon ein beklemmendes Gefühl.
Sprachlich ist es sehr präzise, mir stellenweise zu präzise, einige Details hätte ich nicht in einer solchen Detailliertheit gebraucht, da spinnst du nach meinem Geschmack zu weit und hinderst manche Beobachtungen daran, pointiert zu erscheinen.
Ist nicht viel, aber sowas meine ich z.B.:

In bauchige Kelche gepferchte Milcheisberge tauchten vor uns auf, und ich betrachtete verzückt Paulines Weg, einen Eiscafé zu vernaschen. Sie gab dem Trinkhalm - wenngleich nur leichten - Vorzug vor dem Löffel und gönnte sich hierzu hin und wieder eine taktische Pause, nicht nur, dem Eis Gelegenheit zu geben, sich zu verflüssigen, sondern auch ihrer Wolllust, sich zu bauschen.
Das ist zwar von der Wortwahl sehr treffend, aber für mich doch zu viel. Ist aber sicher Geschmackssache.
Ja, ich finde die Geschichte wirklich gut, gefällt mir.
Grüße,
randundband

 

Tach randundband,
und vielen dank für den Besuch beim Hügel. Ja-naja, Kafka und das Schloss sind hier zweifelsohne der Hintergrund, leugnen zwecklos. Ist mir ja auch sympathisch der Franzl, insbesondere seine Neigung, nicht zu vollenden.
Das Individuum im Zeichen der Angst, des Ausgeliefertseins, der Verlorenheit und der Wettstreit des Intellekts mit dem Nichzufühlenden und Nichtzudenkenden, ist mir ein Fazinierendes. Die Story sollte eigentlich "Der sarkastische Affe" titeln, ich entschied mich für "Die Fabrik", keine Ahnung, es was ein Patt.
Die von dir als Überpräziese zitierte Textstelle habe ich übrigens interessanterweise erst recht spät hinzugefügt, um den Nicht-düsteren Teil noch ein wenig zu bestärken. Dieser dein Kritikpunkt wird mich noch beschäftigen.
Freue mich aber, dass es dir insgesamt zusagte,
Gruß
7miles

 
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Hallo 7miles,
erst kam es mir vor, als wäre der Typ für eine dauerhafte Partnerschaft unfähig, dann schien es, als würde er verrückt. Er flüchtet vor einer KI, die nicht näher beschrieben wird. Pauline will ihm helfen. Es wird jetzt nicht klar, ob man in dieser Welt noch geniessen kann, oder ob von der Fabrik eine ernstzunehmende Bedrohung ausgeht. Die Parallelen zu Kafkas Schloss machen die Geschichte noch trüber und der Schluss ist sehr nebelig. Ist Pauline ein verkörpertes KI-Teil der Fabrik? Oder leidet der Typ an Verfolgungswahn?
Kleinigkeiten:

"Nein", sagte sie logikverachtend,
"logikverachtend" passt nach meinem Gefühl nicht.
Das funktioniert da alles vollautomatisch. Ich kenne niemanden, der da ein oder aus ginge."
Das erste "da" könnte doch weg?
Zwei Brötchen und einen Kaffee später klimperten Schlüssel und ein ironisch gemustertes, hingeflötetetes:
Das hatte ich erst beim zweiten Anlauf kapiert.
es wird gesagt, dass die Fabrik sowohl betrieben als auch verwaltet wird von einer selbständig handelnden, künstlichen Intelligenz.”
Hast Du überlegt, die Geschichte in Science Fiction zu stellen?
Aber die Geschichte und die Art der Erzählung haben mir sehr gefallen. Der Anfang zieht in die Handlung. Der Schluss ist etwas kurz und lässt dann Vieles offen.
Viele Grüsse
Fugu

 

Hallo 7,
Franz Lynch oder David Kafka, das ist hier die Frage. Mir hat vor allem die Atmosphäre gefallen, die Du hier erzeugst. Wahrscheinlich wars nicht Deine Absicht, aber der Taxifahrer hat mich kurz an den Kutscher erinnert, der sich weigert, Jonathan Harker bis zu Draculas Schloß zu fahren.
Was mir besonders gefallen hat, sind Sätze wie

Ehe ich mich bettete, trat ich noch einmal ans Fenster und schaute in die Nacht. Paulines Wohnung befand sich im Dachgeschoss des mehrstöckigen, mittelalterlichen Hauses, und so ging der Blick weithin über den Ort, dessen viele warm-gelbe Leuchtpunkte mich in eine heimelige Geborgenheit tunkten, intensiviert durch die sie rahmende Dunkelheit. Dort, fernab, jenseits aller Lichter, waren die Konturen des Hügels mit der Fabrik darauf zu erahnen - als Schatten vor nächtlicher Schwärze.
Und
Sie beherrschte ihn, den Hügel, keine Frage. Eine Mauer umgab den Komplex, dessen Gebäude fenster- und farblos darüber hinaus ragten wie angeschrägte Monolithen. Die ganze Anlage wirkte bleiern; aber nicht ihre Ausdehnung schien gewaltig. Eher war es, als lastete die Fabrik gar allzu schwer auf der Erhebung, und man erwartete jederzeit, Zeuge ihres mählichen Einsinkens zu werden.
Damit baust Du Spannung auf, die einen dranbleiben lässt. Wer Deine Texte kennt, ahnt natürlich schon, dass irgendwann alles ins Neblige, Diffuse und äußerst Rätselhafte kippen wird, und so kommt’s ja dann auch. Ich tappe hier ziemlich im Dunklen.
Aber das Dunkle befeuert die Phantasie mehr als eine komplett ausgeleuchtete Szenerie, von daher habe ich’s wirklich gern gelesen. (Natürlich hätte ich trotzdem gerne gewusst, was passiert ist, nachdem der Kerl den Knopf gedrückt hat, aber man kann nicht alles haben)
Übrigens schreibst Du am Anfang Couchdreiviertelpension, später dann Dreiviertelcouchpension. Vertippt oder Absicht?
Herzliche Grüße
Harry

 
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Hallo ihr beiden, harrytherobot und fugusan,
und vielen Dank für Euren freundseligen Besuch.

Da wollte ich Euch jetzt im Zweierpack abarbeiten, Nebel und so, und schwups, ändere ich meinen Plan, da da (da) doch so einige Sonderlichkeiten in der Kommentierung auftun, also,

Fugusan,

erst kam es mir vor, als wäre der Typ für eine dauerhafte Partnerschaft unfähig

Interessant, ich habe den Text noch einmal auf diese Beobachtung hin gelesen, doch komme ich nicht drauf, woran du das festmachtest. Verstehe mich nicht falsch, für mich trifft das bestimmt zu, aber ich bin ja auch nur der Autor, der sich hinter seinen Zeilen versteckt und hofft, dass niemand guckt.

"Logikverachtend" passt für mich da schon. Pauline schleudert ihr "Nein" ohne Berechtigung heraus.

Das dada, da hast du recht, eines wird weichen.

SF, nein, das gäbe der Story eine von mir nicht gewollte Richtung.

der Schluss ist sehr nebelig. Ist Pauline ein verkörpertes KI-Teil der Fabrik? Oder leidet der Typ an Verfolgungswahn?

Ich neige hier immer zu zweierlei: Erstens. Warum sollte ausgerechnet ich den Nebel durchschauen? Zweitens: Welcher Nebel?
Also, ich lehn mich hier nicht zurück und denk, so, dann lass se mal stochern, mir doch wurscht. Nein, ganz im Gegenteil, ich stochere selber und bin gespannt auf jeden, den ich in den "Nebel" zu reisen bekomme, und der zum Berichten wieder herausfindet. Weiss nicht, natürlich sind Deutungen, nicht nur eine, möglich, aber bestimmt begrenzt durch das, was sich ereignet, durch das, was sich der Prot da zusammenreimt, wie er sich fühlt usf.
Und dass sich der (scheinbare) Ausweg am Schluß eröffnet, hat mich erleichtert aus der Geschichte entlassen, d.h. ich hatte zwischenzeitlich bedenken, da heil herauszukommen. es gibt also kein Lage- und Sinnplan für die Fabrik; der Plan ist der Leser, wenn er denn mag.
Vielen Dank Fugu
7

harry,

Franz Lynch oder David Kafka, das ist hier die Frage. Mir hat vor allem die Atmosphäre gefallen, die Du hier erzeugst. Wahrscheinlich wars nicht Deine Absicht, aber der Taxifahrer hat mich kurz an den Kutscher erinnert, der sich weigert, Jonathan Harker bis zu Draculas Schloß zu fahren.

Hihi, ne war es nicht, aber jetzt, wo du's schreibst...

Wer Deine Texte kennt, ahnt natürlich schon, dass irgendwann alles ins Neblige, Diffuse und äußerst Rätselhafte kippen wird, und so kommt’s ja dann auch. Ich tappe hier ziemlich im Dunklen.

Ich schrieb ja schon Fugu Nebulöses zum Diffusen. Es ist tatsächlich so, dass ich wahrlich keinen Schimmer habe, wohin die Reise gehen wird. Lediglich klar war mir, dass ich da keine "Auflösung" geben werden würde oder einen SF-Ausweg gar. Ich lass es dann eben, du hast ja recht, kippen und hoffe es kippt gut. Irgendwie hab ichs dann um den Schlüsselsatz:
Geschieht innerhalb eines Irrtums etwas Wunderbares - hebt es seine Natur, ein Irrtum zu sein, auf?
herumgekippt, ein Irren im süßen Irrtum o.s.ä.

Aber das Dunkle befeuert die Phantasie mehr als eine komplett ausgeleuchtete Szenerie, von daher habe ich’s wirklich gern gelesen.
Und das freut mich also doppelt,
Übrigens schreibst Du am Anfang Couchdreiviertelpension, später dann Dreiviertelcouchpension. Vertippt oder Absicht?
wenn es von solch aufmerksamen Lesern kommt.
7

 
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Hallo 7miles, wehe, du arbeitest mich im Doppelpack ab, wie du es harrytherobot und fugu schon angedroht hast, so viele Eisbecher waren das jetzt auch nicht die letzten Tage ...

Die anderen kamen alle auf Kafkas Schloss und ich musste schwer an Lovecraft denken. Mir ging es ähnlich wie meinen Vorkommentatoren, ich war überrascht, weil der Beginn eher herkömmlich ist. Ich wollte nur mal reinschnuppern, war dann so veblüfft von dem Anfang, dass ich die Geschichte in einem Rutsch gelesen habe, obwohl ich eigentlich grad keine Zeit hatte. Folge, ich kam zu spät zum Fahrradhändler und der ist mir immer noch bös.
An Lovecraft musste ich denken, weil du den Besuch der Fabrik dann so beschreibst, als würde er in eine neue, unbekannte Dimension eintauchen, in eine, die keiner kennt, geschweige denn begreift. Im Unterscheid zu Lovecraft, aber ich lass sie jetzt mal weg, die Namen, will deine unbekannte, sinnlose Dimension, sich nicht den Menschen aufdrängen sie sucht nicht nach einem Weg, die Menschen zu überrollen, sondern sie verbirgt sich, sie ist zwar da, unübersehbar, und nur die neuen frischen Menschen, haben ein Interesse, hinter die Mauern blicken zu wollen. Doch die Fabrik verbirgt ihr eigentliches Wesen so geschickt, dass sie hinter dem Rücken der Menschen das tiefe Innere und Wesenhafte der gesamten Existenz sein kann, mit dem Inhalt, dass nichts einen Sinn ergibt. Man muss der Fabrik schon auf die Spur kommen wollen, um auf diese Sinnlosigkiet zu stoßen. Und zwar gegen all ihre Einwickelversuche.

Ich hab sehr aufmerksam auch deine Antworten durchgelesen und fand das anfangs furchtbar faul, was du da schreibst :) ja, klingt halt so, war aber auch nur am Anfang, und dann sehr nachvollziehbar und geschichtenintern völlig logisch. Und ich weiß jetzt schon deine Antwort, lieber 7miles
.
Aber ich fang mal vorne an, ich denke, Leser haben den großen Wunsch nach Aufklärung und nach einer Idee, einem Konstrukt, das alles zusammenhält. Ich weiß noch, wie ich mich bei den Kommentaren zu einer meiner Geschichte immer darüber geärgert habe, dass manche die Frösche zu einer Ökokatastrophe oder zu Mutationen umgedeichselt haben, dabei gings darum nie. Deine "Weigerung", die Erklärung für die Fabrik innerhalb der Geschichte zu liefern und/oder auch im Kommentar, bedeutet ja, dass du das Rätselhafte auf sich beruhen lassen willst, es ist nicht erklärbar, die Geschichte würde sich selbst zurücknehmen, wenn du eine Erklärung bringen würdest, wer oder was hinter der Fabrik steht. Es ist der sarkastische Affe mit seinem Gelächter, die Sinnlosigkeit, die sich gegenüber den meisten Menschen zu verstecken weiß, indem sie ihnen den beruhigenden Kokon vorgaukelt.
Bei den meisten Menschen klappt das auch, denn die lassen sich umhüllen. Nur bei unserem Besucher nicht. Die Fabrik ist sozusagen der Gegenspieler zu unserem Besucher, dem Icherzähler, der von dem Schloss attrahiert wird wie eine der Fuhren, die in die Fabrik reinfahren.

Ich denke, dass man so eine Geschichte nur schreiben kann in einer Gesellschaft, also dass man überhaupt auf die Idee kommt, denn es ist ein beliebtes Thema, in einer Gesellschft, in der die (scheinbare) Sinnlosigkeit tatsächlich ihren festen Bestandteil hat. Ob das nun so aussehen mag, dass man sich fragt, warum man eigentlich jeden Tag zur Arbeit geht und dasselbe Zeug macht, ohne dass sich jemals etwas daran ändert. Oder seine Nachbran beim eifrigen Mülltrennen beobachtet, und dann danach einen Film sieht, wo der sorgsam getrennte Scheiß grad wieder zusammengeworfen wird, weil die Kosten und der Gewinn nicht kompatibel waren. Naja, für all das kann man ja eigentlich Gründe sehen und erkennen, wenn man nur ein bisschen überlegt. Aber das Gesicht all dessen ist ja oft das der Sinnlosikeit, der Plackerei um nichts.
Oder ob man das in den Zufällen sieht, das ist etwas, das mich persönlich oft sehr umtreibt: so sehr man sich darum bemüht zu planen und vorauszuschauen oder sich etwas zu wünschen, dass es dann doch völlig anders kommt. Das kann einem schon manchmal den Atem nehmen.
Deine Geschichte wirkt altertümlich, was nicht negativ gemeint ist, herausgehoben ist sie aus jedem gesellschaftlichen Bezug. Wären da nicht die Konstruktionsteile, die in die Fabrik geschafft werden, das Vollautomatische, die Gesch. könnte auch vor fünfzig Jahren spielen. Das liegt auch am Wortschatz hier, zum Beispiel "trog mich nicht", "mählich", "gleichsam" ua. Ich denke, das kommt auch nicht von ungefähr, dass du diese Stimmung erzeugen willst.

Wenn ich überhaupt irgendwas an deiner Geschichte zu fragen oder anzuregen hätte, dann ledigich die Frage, was zeichnet unseren Protagonisten aus, dass ausgerechnet er den Mut, die Kraft aufbringt, zur Fabrik hinzufahren? Die anderen leben ja weiter dort, das heißt sie sind niemals weiter als bis zum Tor gelangt, haben vielleicht wie Pauline anfangs auch ein total starkes Interesse gehabt. Aber das ist erloschen.
Und schon wieder glaube ich, deine Antwort zu kennen. Mal schauen.

Hab ein paar Kleinigkeiten entdeckt, aber nichts Weltbewegendes.

"Nein", sagte sie logikverachtend, "die Fabrik ist gewaltig, sie ist ziemlich weit weg, weißt du? Es täuscht. Du wirst sehen ... Taxi!"
Ich kann mir denken, warum du das Wort verwendest, aber ich stolpere an dieser Stelle eher darüber, als dass es mir als Leserin weiterhelfen würde, ich frage mich dann halt, wieso und inweifern sie denn jetzt die Logik verachtet, und schon bin ich draußen.

"Waren Sie schon einmal in der Fabrik?", fragte ich den Taxifahrer, der gerade damit beschäftigt war, mein Gepäck aus dem Wagen zu wuchten.
"In der Fabrik? Ich? Habe nichts zu tun mit der Fabrik", antwortete er, klappte den Kofferraum zu, stieg ein und fuhr davon.
Okay, das ist ein bekannter Trick, Spannung zu erzeugen, aber ich lese ihn immer wieder gerne.
Du machst das ja auch geschickt, indem du es nicht so aufbauschst, sondern es im Knappen belässt. Der Taxista könnte genausogut nur schlechte Laune haben.

Als wäre diese ein heißer Brei, dessen Hitze nur zu bannen war, in dem man ihn mit möglichst vielen, nichtssagenden Worten befächerte.
Du spielst da auf das Sprichwort "um den heißen Brei herumreden" an, ich mag zwar das nachfolgende, also die fächernden Worte, aber naja, das Andocken an dem Sprichwort gefällt mir nicht. Ich fände es schöner ohne den Brei (also mit einem entsprechenden Ersatz).

Paulines Wohnung befand sich im Dachgeschoss des mehrstöckigen, mittelalterlichen Hauses, und so ging der Blick weithin über den Ort, dessen viele warm-gelbe Leuchtpunkte mich in eine heimelige Geborgenheit tunkten, intensiviert durch die sie rahmende Dunkelheit. Dort, fernab, jenseits aller Lichter, waren die Konturen des Hügels mit der Fabrik darauf zu erahnen - als Schatten vor nächtlicher Schwärze.
schön, besonders das tunkten gefällt mir, ist ungewöhnlich, aber gerade gut. Das Fette fällt mir zu sehr raus. Passt für mich hier nicht, wirkt mir zu technisch, halt unpassend an der Stelle.

Sie hatte eigentlich nichts sonderlich Bedrohliches mehr, nun, da sie dem hellem Tageslicht preisgegeben, so auf der Anhöhe ...
Es thront!
schön


"Läden voll gierig buhlender Ware, knautschig-krumme Gassen und landeten endlich in Paulines Lieblingscafé, welches sich Zum Schwanenglück benannte.
schön

Die ganze Cafehausszene schwelgt dann. iST fast ekstatisch inden Beschreibungen, die überquellen wie die Eisbecher. Ich denke fast, das ist dir nicht nur so versehentlich aus dem Griffel gerutscht,ist mir zwar auch manchmal fast ein bisschen zuviel. Aber es soll wohl dieStimmung der beiden zeichnen, den Sex, der hier schon in der Luft liegt, aber auch den Kontrast zur Fabrik. Das Menschlein schwelgt und oben wartet die Fabrik. Fast könnte man meinen, die menschlichen Exzesse sind auch ein geschickter Kokon. Oder umgekehrt, nur Sex ist der Weg für unseren Protagonisten, der Fabrik auf die Spur kommen zu wollen. das macht ihn eifrig, bereit, dieSache zu erforschen. Weiß der Kuckuck.
Okay, jetzt ists genug. Wollt nur sagen, wie das Übersprudelnde bei mir ankam.


DASS DU DANn EINEN Voraussgriff machst mit dem Zettel und der Zugfahrt, das mochte ich, weil du mich nochmal auf die Spannungsgabel nimmst. Ich war vielleicht stinkig für einen Moment, weil ich ja wissen wollte, was er in der Fabrik erlebt und dann spannst du mich weiter auf die Folter. Also das ist schon sehr gelungen.

Der Zug gleitet durchs Land, und ich sitze in diesem Zug, und ich rieche nach Pauline. Ich glaube das fest, aber es ist nicht so. Es ist noch nicht lange her, dass mir dies dämmerte. Aber damals, damals hätte man es mir nicht ausreden können. "Doch", hätte ich gesagt: "Doch."
Schon wieder so ein Kunstgriff, jetzt könnten Pauline und der Ort vielleicht sogar nicht existent sein.
Der Besuch in der Fabrik selbst, ja, wenn man sowas schon oft gelesen hat, kennt man es natürlich, was dich jetzt nicht ärgern soll, denn es ist schön geschrieben, es hat einfach eine gewisse Zwangsläufigkeit, dass es so wietergehen muss. Cool ist der Affe. Sogar sehr.

Ein mit einer scharfen Klinge ins Dasein, ins Allsein geschlitzter Spalt, der Unvereinbarkeiten gebiert. Wer will hier eine Brücke bauen, die im Luftschwall tosenden Affen-Gelächters birst? Über die niemand je schritte, weil niemand ganz ohne Sinn ist?
:thumbsup:

Geschieht innerhalb eines Irrtums etwas Wunderbares - hebt es seine Natur, ein Irrtum zu sein, auf?
Auch schön.

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Es war spannend, ein bisschen zum Nachdenken und sich ein bisschen zum Kaltfühlen, das mit dem Affengelächter, pfui deibel, und nicht zuletzt hat es mich auch gefreut, wie du mit dem Schreibhandwerk spielst. Macht einfach Spaß neben dem Seltsamen und dem Grusel.

Viele Grüße von Novak

 

Hey,
habe die Geschichte gerne gelesen, mag so seltsame unerklärte Geschehnisse (und Kafka).
Vom Stil her nicht immer genau nach meinem Geschmack, aber das ist ja eh subjektiv. Gut geschrieben ist es auf jeden Fall. Das nebulöse Ende hat mir auch gefallen.
Bin leider nicht so der Kritiker, der mit Interpretationsansätzen um sich werfen kann, aber wollte zumindest sagen, dass mir die Geschichte gefallen hat. ;)

Gruß

 
Zuletzt bearbeitet:

Keine Sorge, Novak, das Zweierpack betreffend, ein solch engagierter, liebenswürdiger Kommentar verdient eine Entgegnung in förmlich privataudienzieller Form, wahrlich nicht wegen des lobenden Tenors (der mich natürlich auch kurz ins Rötliche puderte), sondern, um altertümelnd zu bleiben, schuld seines analytischen Scharfsinns im Verein mit deiner charmanten Art der Darbietung. Doch genug - zugeschraubt der Honigtopf!
Hinan! Der Hügel! Zum Schloss!
Lovecraft mußte ich nachklicken, ich hab es erst für ein Computerspiel gehalten, Ge-Denkpause für eine Leselücke.
-
Und, ja, nachdem ich über seine Biographie gereist bin, klar, auch so ein Vertreter der obskuren, phantasishen (mein c klemmt) Literatur, mit, sehe ich recht, beizeiten dem Shwerpunkt auf Horrör, der bei der Fabrik ja nun nicht unbedingt sich entfesselt, eher lastet das arkanum wie ein Fremdkörper, eine unmittelbare Bedrohung scheint nicht greifbar. Dinge, deren Grund wir niht kennen, das Unbekannte, beunruhigt uns schon. Was, wenn es sein Geheimnis nicht preisgibt? Dann beginnen wir zu wähnen, zu glauben, zu spekulieren, Gerüchte werden laut und irgendwann verhungert die durch nichts genährte Aufmerksamkeit und es wird sich arrangiert, die Mechanismen der Verdrängung gewinnen die Oberhand. Doch all das, was wir bang von uns schieben, ist ja nicht aus der Welt, und es wirkt weiter in und auf uns. Hätte Pauline ihr Interesse wirklich verloren, so wiche sie gewiss nicht so sonderbar ungehalten einer Unterhaltung aus. Dass sie im Vorweg, am Telefon, dem namenlosen Herrn Ich häufig von der Fabrik erzählte, scheint dazu im Widerspruch zu stehen; möglich, dass sie, ohne es zu ahnen, ihren (unbelasteten) Freund zu sich rief, um genau dieser Verdrängungssituation irgendwie zu entfleuchen; vllt sah sie die Chancen, ihn anzulocken, durch die Erwähnung dieser “Sehenswürdigkeit”, die sie ja zu einem “Schloss” verklärt, verbessert, so dass es ihr also vordergründig darum war, ihn zu locken, im Grunde aber darum, sich durch ihn zu befreien? (als möglicherweise Befreierin/ siehe ihre Reaktion auf seinen Zettel/den Schluss) Man beachte das Fragezeichen.
Was in der Fabrik tatsächlich vor sich geht, das bleibt ein Rätsel. Diese Maschinenkonstruktionsteile und dergl., von denen Pauline erzählt, das sind alles Mutmaßungen, man sagt, es heisst...
Es existiert in dem sich verschlossen zeigenden Schloss, anders als bei Kafka, eigentlich gar keine (personifizierte) Verbindung zur Wirklichkeit der in seiner Nähe lebenden Menschen. Vllt abgesehen von jenem Schacht am Tor, das kleinmaßstabige Anlieferungen (einem Opferaltar gleich) Normalsterblicher gestattet. Die schwere Präsenz dort auf dem Hügel ist also hermetisch unnahbar. Ich denke, ich habe hier eine Projektionsfläche geschaffen (bzw eine solche hat sich durch das Wesen dieser Geschichte hervorgetan) , hier verbirgt sich etwas, hinter den Bergen, tief im Wald, aber was?, aber was? - es sind archaische Empfindungen vielleicht , die das Unbekannte, Rätselhafte, Ungeschaute, doch schwer Präsente auslöst. Die Verdrängung (oder die Anbetung angstbannender Übermächte) läßt uns die Situation ertragen. Wir leben mit/in ihrem Schatten.
Der Icherzähler ist sicher kein Held, ihn saugt Lust und Neugier ins Städchen, auf seine alte Freundin und auf den seltsamen “Fremdkörper”, von welchem sie berichtet. Er verliebt sich (wieder?) in Pauline, ist aber, wie du richtig anmerkst, als frischer Mensch in der Stadt, magnetisiert vom Hügel. Diese beiden Motivationen prägen seinen Aufenthalt, sein Begehren und als das erstere, wenn du so magst, “Begehren”, sich erfüllt hat, ihn vllt auch beflügelt hat, ist es eigentlich nichts weiter als die logische Folge, dass das andere ihm in den Mittelpunkt gerät, ein spontaner Entschluß, mehr nicht, treibt ihn an, die Fabrik heimzusuchen.
Und was geschieht ihm dort? Nun, ich schrieb von Projektionsfläche und weiter oben in einem Komm davon, dass der Leser der Sinnplan der Fabrik sei. Das ist sicher so, aber, kommen wir abermals zum Nebel, natürlich nicht vollends planlos, will sagen, es ist unwahrscheinlich, dass in der Fabrik vollautomatisch Schokoladenosterhasen zu Fertigung gelangen. Oder außerirdische Plastikfrösche (die aber schon eher). Offenbar vollziehen sich am Protagonisten existenzielle Ereignisse, Wirklichkeit herkömmlicher Natur verliert Bestand, ein Trip entfesselt sich dort, der den Mann in jeder Hinsicht überfordert. Mit Metaphern (u.a. Affe, Brückenbild, Gleise (Zugbild)) behilft er sich im Raume des Nichtvorstellbaren, eine bizzare Wut befällt ihn gar, begafft zu werden. Natürlich sucht er “Halt”, natürlich gibt es den dort nicht. Man könnte sagen, er reist ins Jenseits, wobei Jenseits einfach die Sphäre des Unvorstellbaren bedeutet, nicht den Tod (den wir allerdings ja auch nicht zu denken imstande sind)
Das Ende, ja, Last Exit Pauline sozusagen, das Leben selbst reisst ihn durch sie verkörpert da heraus, eine zweite Vereinigung (nach der ersten des Vögelns) gewissermassen, der beiden "Begehren", und dann die Flucht, die Stadt kommt näher oder auch nicht? – eine euphorische Illusion (?).
Das Finstere ist kein Dämon, kein Außerirdischer, kein perfides Geheimnisgewurstel einer bösen Macht, nein, wir sind es selber, unser Ahnen, jenseits einer Grenze, hinter welcher das Verstehen endet.

Ich hab das hier so heruntergeschrieben, Deinen inspirativen Kommentar im Hinterkopf. Mich täte natürlich jetzt noch interessieren, ob Deine zweimal geraunte Erwartung, (hoffe nicht, dass es Befürchtung war) meine Antwort bereits zu kennen, hierbei trog oder aber sich erfüllte...

Jetzt noch zu Weiterem, zB der verachtenden Logik. Du bist ja schon Beschwerdeführer(in) No2, dies betreffend, und nachdem mich zunächst der Trotz umkumpelte, bin ich nun trotzverachtend zu der Erkenntnis gelangt, dass ihr recht habt. Werde den Begleittext zur direkten Rede hier zur Gänze tilgen, ist ja auch unzweideutig, wer da spricht, und nachher kommt mir noch eine und sagt, ich würfe mit frauenunfreundlichen Klischees herum... Der Grund ist aber tatsächlich, dass der Zusatz hier, dafür, dass er überflüssig und eng beschreibend ist, zu textpenetrierend wirkt.
Das gleiche gilt übrigens für den von Dir als unpassend erklärten Fettdruck (intensiviert...). Hier war ich schon beim Schreiben selbst drüber gestolpert und suchte nach Alternativen. Die Passage ganz herauszukegeln wäre allerdings misslich, da der nächste Satz an die Dunkelheit anknüpft. Vllt nehm ich erstmal “bestärkt durch” und "umschliessende". Oder so.
Der heisse Brei für die Abwesenheit der medias res, ja Mist, Novak, das ist auch so eine unausgelöffelte Suppenleiche in meinem Textküchenkeller.(sowas aufzuspüren scheint auch zu deinen Talenten zu gehören) Ich verharre hier aber noch im Kopfkratz-Modus.
Hat mir jedenfalls Vergnügen bereitet, mich mit deinem Kommentar zu beschäftigen, und ich bin ja immer noch ganz baff, das mein Text es vermochte, Deinen Alltagfluss in Kurzstockung zu bringen... Naja, hoff mal, dein Fahrradhändler handelt nur mit Fahrrädern...
Gruß
7miles


Hallo Superfant,
auch Dir vielen Dank für Deine Fabrikbesichtigung. Aber einfach so sagen, he, find ich gut, und dann abtauchen, das gibt natürlich eine 5, setzen.
Neinnein, im Ernst, freu mich, dass du dein Gefallen bekundest! Einfach so.
7

 

Hallo 7miles

Der Leser will Orientierung und Aufklärung, sagt man so. Die Wünsche des Lesers wären die Eckpfeiler des Erzählers, meinen manche. Rätselhaftes, das nicht aufgelöst wird, soll den Leser verstimmen, hört man.
So kannst du dir vorstellen, was der Leser zu deiner Fabrik sagt.
Die Fabrik ist eine Projektionsfläche, schreibst du. Welcher Film läuft dort ab? Nur ich, immer nur ich? Und die Aussagen über die Fabrik?

"Sieht sie nicht wie ein Schloss aus? Sie thront, findest du nicht, dass sie thront?"
Also ist sie ein Ort von Macht, Herrschaft und Produktion, nicht Schloss (vor 1800), sondern 19. und 20. Jahrhundert. Immerhin träumte auch der Braunauer von Autarkie und Popper alpträumte von geschlossenen Gesellschaften.
"Waren Sie schon einmal in der Fabrik?", fragte ich den Taxifahrer, der gerade damit beschäftigt war, mein Gepäck aus dem Wagen zu wuchten.
"In der Fabrik? Ich? Habe nichts zu tun mit der Fabrik", antwortete er, klappte den Kofferraum zu, stieg ein und fuhr davon.
Dies kommt mir zu abrupt und gewollt vor. Zuerst der bewundernde Blick von Pauline, dann der abweisende Kommentar des Fahrers. Es ist mir ein zu großer Sprung, dass der Erzähler so unvermittelt fragt, es scheint mir sehr gewollt. Aber der Kontrast ist da: die Menschen und die Fabrik.
"Warst du schon einmal dort, Pauline?"
"Nein ... doch. Also nicht in der Fabrik. Ich hab da ein -, zweimal etwas abgegeben, am Tor. Ich mach manchmal so Kuriersachen, weißt du? Wenn man dort anliefert, legt man das Gut in einen Schacht neben das Portal, berührt einen Knopf und geht. Das funktioniert alles vollautomatisch. Ich kenne niemanden, der da ein oder aus ginge."
"Du meinst, dort ist niemand?"
"Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, ich kenne niemanden ..."
Pauline schien seltsam gereizt,
Diese Stimmungsänderung ist nicht nachzuvollziehen.
Aber im Gegensatz zum Taxifahrer war Pauline schon mal da. Als Kurier (welcher Botschaft?)
Und hat die Fabrik als Lockmittel verwendet.
Immerhin hatte sie mich eingeladen, hierherzukommen, sie zu besuchen und dabei am Telefon nicht selten von der Fabrik geredet oder besser: über die Fabrik, so dass ich bei der Anreise im Zug bald häufiger daran dachte, als an sie, Pauline, die alte Freundin aus den Tagen meiner chronisch chaotischen Scheinstudentenzeit.
Die Fabrik als männliches Prinzip des homo faber! Übersetzt in Trivialität: Hey, komm zu mir, dann kriegst du im Keller deine Werkstatt. So fängt frau (manche) Männer.
'Hi, bin schon auf der Fabrik, Du Schnarchnase! Später / P'
Auf der Fabrik? Ich rieb mir die Augen, und las noch einmal:
'Hi, bin schon auf dem Markt, Du Schnarchnase! Später / P'
Warum in aller Welt hatte ich Fabrik, gelesen?
Der Mann geht in die Fabrik, die Frau auf den Markt.
Unwillkürlich betrachtete ich beginnend nur die Dächer der kleinen Stadt, den Kirchturm, der in nahezu ebenbürtiger Höhe nicht weit entfernt zwischen ihnen emporragte. Erst jetzt getraute ich mich, den Blick über das Meer der orangen und gelben Dachziegel zu richten, auf die Fabrik. Es war gut zu erkennen, wie sich ein hellgraues Straßenband gradlinig aus dem Ort hinausschob, bald sich krümmte und bog, den Hügel hinaufwand und oben an der Fabrik vor einem Tor abrupt endete
Beginnend?
Hier ist die Fabrik nicht geheimnisvoll.
'Hi, bin schon auf der Fabrik,
Wieso „auf“ der Fabrik? Was das bedeuten würde, ist kaum zu denken.
Die ganze Anlage wirkte bleiern; aber nicht ihre Ausdehnung schien gewaltig. Eher war es, als lastete die Fabrik gar allzu schwer auf der Erhebung, und man erwartete jederzeit, Zeuge ihres mählichen Einsinkens zu werden.
Die Belastung der Erde durch die Produktion: die ökologische Belastung der Erde. Aber geht die Fabrik unter, nicht die Erde?
"Nein, die Fabrik ist nicht die Stadt. Und die Stadt ist nicht die Fabrik. Ich meinte die Stadt!"
Ist das Wunsch oder Wirklichkeit oder Verdrängung von Pauline (rosarote Brille).
Pauline, was ist mit der Fabrik? Du hattest mir, bevor ich auftauchte, in einem fort davon erzählt. Die Fabrik hier, die Fabrik da. Und jetzt scheint es, als würdest du sie fortwährend hinter deinem Rücken verbergen, wie ein unpassendes, peinlich gewordenes Geschenk?"
Also war die Fabrik nur ein Lockmittel für einen homo faber.
Die Leute sagen, dass dort nahezu alle Prozesse vollautomatisiert ablaufen.
Endlich die Perfektion: Koloraturmaschine in „Der Ignorant und der Wahnsinnige“.
dass die Fabrik sowohl betrieben als auch verwaltet wird von einer selbstständig handelnden, künstlichen Intelligenz.”
Das steht als treffende Beschreibung jeder Bürokratie durch. Organisationstheorie ist Produkt einer künstlichen Intelligenz.
In bauchige Kelche gepferchte Milcheisberge tauchten vor uns auf, und ich betrachtete verzückt Paulines Weg, einen Eiscafé zu vernaschen. Sie gab dem Trinkhalm - wenngleich nur leichten - Vorzug vor dem Löffel und gönnte sich hierzu hin und wieder eine taktische Pause, nicht nur, dem Eis Gelegenheit zu geben, sich zu verflüssigen, sondern auch ihrer Wolllust, sich zu bauschen.
Purer Sex, dachte ich.
Das ist die Gegenwelt zur Fabrik und dies auch:
Der Kuss zur Nacht geriet zum Inferno,
Es liegt hier doch eine Gegenüberstellung der zweckrationalen Berufswelt und der „Liebeswelt“ vor.
Ich habe keine Ahnung, weshalb ich Pauline nach den genauen Ausmaßen des Schachtes der Fabrik fragte, als wir wieder zurück waren.
"Eins-fünfzig mal eins-fünfzig, ungefähr ... warum?", fragte sie - aber da war es bereits zu spät.
Nun ist der Kamin ein Phallussymbol, da mag man sich ausmalen, was das zu bedeuten hat.

Als stünde ich vor dem leeren Grab der Hoffnung.
Klingt gut, der Satz. Ist die Hoffnung wie Christus auferstanden und das Grab deshalb leer?
Ich kann sagen, dass ich irgendwann in den Schacht geschlüpft bin und den Knopf neben dem Lieferantenschacht gedrückt habe. Es ist keineswegs so, dass ich mich daran erinnere, nein.
Aber ich bin nicht in der Lage, mir irgendetwas anderes vorzustellen.
Er hat also doch sein Männlichkeitsziel erreicht.
Es gibt gute Gründe, dass es eine weise Entscheidung gewesen wäre, nicht an diesen Ort zu reisen; und nicht wenige gute Gründe, die den Zug hätten veranlassen können, einfach durchzufahren, den sich bereits auf dem Weg befindlichen Irrtum so zu korrigieren; wer weiß schon, wohin der Reise?
Mir geht es nicht gut, Kälte, Leere - nein, das wären mir jetzt noch traute Schwestern zur Seite mit Körben von zu Fühlendem. Aber hier ist nichts, nur Irrtum, nur -
"Komm! Steig ein! Schnell!"
"Pauline?"
Pauline hatte die Beifahrertür aufgestoßen. Ich stieg in den Wagen.
"Du hast ein Auto?"
"Ich hab 's mir von einer Freundin geliehen. Mach die Tür zu, wir müssen ... du musst hier weg!"
Und schon jagte Pauline die gewundene Hügelstraße hinunter. Kurve um Kurve in atemloser Raserei. Gerade verschwand die Spitze des Kirchturms hinter dem Horizont vor uns.
"Pauline!"
"Hatte ich es dir nicht gesagt? Es täuscht ...!", lachte sie und raste der nächsten Kurve entgegen.
Die nackte Verzweiflung des geschädigten Ichs löst Pauline mit einem Auto, zu dem die Fabrik Zulieferungsprodukte (Sekundärbausteine) geliefert hatte, fährt um die Kurve, sie kratzt sozusagen die Kurve. Beim ersten Lesen war ich schon angetan, endlich wieder Rätselhaftes zu lesen zu bekommen. Das ist dir gelungen.
Zu schnell ist die Erzählung, zu wenig wird auf die Fabrik und ihre Rätselhaftigkei hingeführt. Zu wenig erfahre ich von dem Ich. Mir scheint, du hast den Stoff für eine längere Geschichte zu sehr gekürzt.
Aber ich muss nicht recht haben.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Der Leser will Orientierung und Aufklärung, sagt man so. Die Wünsche des Lesers wären die Eckpfeiler des Erzählers, meinen manche. Rätselhaftes, das nicht aufgelöst wird, soll den Leser verstimmen, hört man.
So kannst du dir vorstellen, was der Leser zu deiner Fabrik sagt.
Die Fabrik ist eine Projektionsfläche, schreibst du. Welcher Film läuft dort ab? Nur ich, immer nur ich? Und die Aussagen über die Fabrik?

Guten Tag, Wilhem, ja, der Leser ist schon ein wunderliches Geschöpf; oder sollte es erlaubt sein, ihn des lästigen Schmarotzertums zu bezichtigen, als ewig Unzufriedenen, der zwischen den Zeilen der Schreibenden herumgeistert, ohne Not, noch nicht einmal befähigt, seinen Müll hernach einzusammeln? Nein, naturalmente nicht; der Leser als solcher ist der Leser als solcher, von der Leserin als solche ganz zu schweigen, das täglich Brot des- und derjenigen, der und die ihre Schubladen lüften.Mit all den Zetteln darin. Diesen sonderbaren Sedimenten eines Geistes, der nichtruhig zu stellen zu sein scheint. Der Schreibende ist schon ein wunderliches Geschöpf ...

Mir scheint, du seist ein wenig ungehalten, Wilhelm, da verlockt man dich in surreale Gefilde, nach denen Dir ja der Hut steht, und rennt schnell weg, im schwinden noch 'Projektion, Projektion!' rufend, was in deinen Ohren nach April, April widerhallt?

Mein Geschwafel von der Projektionsfläche, die ich hier geschaffen habe, ist ja mir selber auch höchst verdächtig, und wer genauer hinliest, der wird hoffendlich bemerken, dass ich sie, kaum als solche bezeichnet, auch schon wieder einkassiere. Zurückrudern, nennt man so etwas, sehet, dort ist "Land in Sicht", hier findet ihr doch Orientierung, was wollt ihr denn noch?
Du schreibst:

Die Wünsche des Lesers wären die Eckpfeiler des Erzählers, meinen manche.

Was ist also das rechte Maß? Du ahnst, ein solches existiert nicht. Oder vielmehr, es befindet sich irgendwo zwischen einem dem Leser hingehaltenen leeren Blatt Papier und einer toterzählen, oder - weniger dramatisch- auserzählten Geschichte. Irgendwo dazwischen. Natürlich sind mir die Wünsche des Lesers - schnuppe, schon seinet wegen, ich bin ja kein Erfüllungsgehilfe, kein Priester, ich bin mein eigenes Eckpfeilerchen - so klein bin ich nämlich!

Welcher Film läuft dort ab? Nur ich, immer nur ich? Und die Aussagen über die Fabrik?

fragst du. Hättest ja auch sonstwas auf den Hügel stellen können, einen Baum,eine Telefonzelle, einen 2001-artigen Monolithen, irgendwas, wäre vllt eine mögliche Anschlußfrage gewesen.
Eine Fabrik ist ein Universelles. Was symbolisiert sie?
Sie ist eine Stätte der Produktion, sie ist ein Fanal menschlicher Macht, auch der Hybris, viele empfinden sie als in ihrer Dimension und Funktionsweise bedrohlich, undurchschaubar, als ein potentiell Unkontrollierbares usf.. Unabhängig davon, was genau in ihr sich ereignet, und erst recht, wenn sie exponiert und unerklärt daherkommt, entfaltet sie für mein Gefühl eine Wirkung, weswegen ich mich dafür entschied. Bewußt habe ich also darauf verzichtet, hier Konkreter zu werden. Das mag dem Leser Hungergefühle erzeugen.
Es ist nicht meine Absicht solche zu erzeugen, ich will, im Gegenteil: inspirieren! - andererseits bin ich auch nicht dafür da, Leser zu füttern. Sie würden bloß dick.
Wer, wie du, wenn ich dich recht verstanden habe, mit einem unbefriedigenden Gefühl aus der Geschichte geht, gibt mir wichtige Hinweise, das erwähnte Maß betreffend, welches sich zwar nicht am Leser orientiert, mir aber hilft mein eigenes Maß beurteilen zu können.

Zu schnell ist die Erzählung, zu wenig wird auf die Fabrik und ihre Rätselhaftigkeit hingeführt. Zu wenig erfahre ich von dem Ich. Mir scheint, du hast den Stoff für eine längere Geschichte zu sehr gekürzt.

Die Geschichte ist keine Kurzfassung eines ausgedehnteren Projektes, und was du an ihr als abrupt, zu wenig entwickelt, verkürzt o. dgl. kritisierst, ist mir auch nicht entgangen, so dass ich diese Kritik als Bestätigung in dem oben angeprochenen Sinne gern und dankbar aufgenommen habe.
Novak fragte sinngemäß, was denn den Prot prädestiniere, die Fabrik aufzusuchen. Wieso also dieses ich eine solche Grenzerfahrung dort erfahre. Das wüsstest du ja auch gern. Nun, die Frage ist berechtigt, du hast es ja auch angemerkt, und meine Antwort für Novak war halbherzig genug, Neugier, Schicksal, ein ziehender Zwang. Das Nicht-Erklären ist auch kein universelles Stilmittel. Auch, wenn ich dem leeren Blatt Papier traditionell näher stehe und es mich verlockt, hier mit dem Verweis auf den "sarkastischen Affen" zu hantieren, werde ich dennoch mal in mich gehen; in der Selbsterkenntnis ist auch immer Luft 'nach oben'.
Noch ein Hinweis, nein zwei: Dass Pauline (und ja nur sie) die Fabrik als "Schloss" bezeichnet, ist natürlich eine offensichtliche Verklärung ihrer ambivalenten Empfindung hinsichtlich des Phänomens. Andererseits (neben der Verfranzelung) auch ein Hinweis auf das Hermetische, Verschlossene.
Der andere Hinweis (Hinweis bitte nicht mißverstehen als Rätselhilfe) ist der Zug - der Prot reist mit diesem in den Ort, er verwendet das Bild in seiner Fabrikerfahrung, als Sinnbild einer Fremdbestimmung, die Gleise als Zwangsfügung, als regulierender Gegenspieler der Freiheit

als übe jemand billigen Zwang aus, mich zu verleiten, das alles aufzuschreiben.

Pauline und die Tatsache der zuglosen Erlösung des Prot (und ihrer selbst?) per Automobil über Kurven konterkarieren den 'Zugzwang'.
Vielen Dank, Wilhelm, für Deine wie stets sehr hilfreichen Anmerkungen
7miles

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo 7miles,

der Taxifahrer schüttelt den Kopf und haut den Kofferraum zu, als befände sich das Geheimnis (ich nenne das jetzt einfach mal so) darin und niemand dürfe lange genug hineinschauen, wie in den Schacht, der eins-fünfzig mal eins-fünfzig misst, und fast wie der Abgrund von Nietzsche dreinschaut, die liebe Pauline spricht ständig über die Fabrik, sagt aber nichts, das Verlesen im Bad, der Spiegel, die falsche Reflektion zur morgendliche Stunde, alles geheimnisvolle Andeutungen, die freilich Spannung aufbauen, ein thronendes Spannungstürmchen, aber was mich am meisten – sagen wir – bewegt hat, war: auch der Erzähler erzählt am Ende nichts über das Geheimnis. Das ist schon fies irgendwie.

Ein paar Anmerkungen:

"Dort!", sie deutete in die Ferne. "Sieht sie nicht wie ein Schloss aus? Sie thront, findest du nicht, dass sie thront?"
Ich finde, das ist ein sehr gut gewähltes Verb. Hört man selten in diesem Zusammenhang.

Ich hab da ein -, zweimal etwas abgegeben, am Tor.
Das Leerzeichen vor dem Bindestrich braucht es nicht.

die alte Freundin aus den Tagen meiner chronisch chaotischen Scheinstudentenzeit
Ist irgendwie arg Klischee. Das dramatisierende „chronisch“ und dann noch das Wort „Scheinstudentenzeit.“ Hat mir nicht so gefallen.

Als wäre diese ein heißer Brei, dessen Hitze nur zu bannen war, in dem man ihn mit möglichst vielen, nichtssagenden Worten befächerte.
Du verleihst dem Ausdruck „Um den heißen Brei reden.“ eine neue Bedeutung, machst daraus einen heißen Brei, um den man nicht herumredet, nein, wenn man außen vorbei spricht, bleibt er heiße Brei ja heiß, du befächerst ihn mit Worten, damit er auskühlt.

und Pauline klappte mir gähnend das Gästesofa aus.
Hat mir gut gefallen, die Kombination aus „klappen“ und „gähnen“.

Dann küssten wir uns zur Nacht wie Freunde; und doch, trog mich nicht alles, so war dieser Kuss keiner, der die Küssenden trennen wollte - es war ein Kuss, nicht zwei.
Wortwahl: „trog mich nicht alles“ – „wenn mich nicht alles täuschte“ …
Ich steh ja voll auf solche Kussbeschreibungen, trotzdem finde ich das ein bisschen unklar. Sprachlich hier: Den Satz könnte man mit „Zur Nacht“ beginnen und das „Dann“ rausschmeißen. Den Widerspruch verstehe ich nicht ganz, weil: Warum trennt ein Kuss die Küssenden?

Ehe ich mich bettete, trat ich noch einmal ans Fenster und schaute in die Nacht. Paulines Wohnung befand sich im Dachgeschoss des mehrstöckigen, mittelalterlichen Hauses, und so ging der Blick weithin über den Ort, dessen viele warm-gelbe Leuchtpunkte mich in eine heimelige Geborgenheit tunkten, bestärkt durch die sie umfassende Dunkelheit. Dort, fernab, jenseits aller Lichter, waren die Konturen des Hügels mit der Fabrik darauf zu erahnen - als Schatten vor nächtlicher Schwärze.
Die liebevolle und anschauliche, fast romantisierende Beschreibung hat mir gut gefallen, aber beim fett markierten hast du es für mein Befinden überstrapaziert. Vielleicht hilft dort eine einfache Umstellung.

Schließlich schlurfte ich ins Badezimmer. Dort hing ein Zettel am Spiegel. Wie klassisch, dachte ich und las:
Hängt der Zettel nicht klassischerweise am Kühlschrank oder einer Tür? Vielleicht ist das auch eine andere Form der Klassik? Eine Erfahrung aus Studienzeiten?

Ein unbestimmter Drang nötigte mich gleichsam, dem Bild der vergangenen Nacht das des neuen Tages hinzuzufügen.

Es thront!
Wie sicher und bestimmt du mit diesem starken Verb umgehst. Ich mag das, wenn man einem Autor anmerkt: Genau das Wort muss dort stehen. Ich könnte dir sagen, dass das Wort da überhaupt nicht hingehört, und du würdest nur lächeln und sagen ja, ja. Gefällt mir.

Sie sagte das in immer noch fröhlichem, gut gelauntem Ton, doch mir war, als schrumpfte ihre Wolke zusehens dahin.
Stark! (zusehends)

wie ein unpassendes, peinlich gewordenes Geschenk?
Der Vergleich hat mir auch gefallen. Nur das „in einem fort“ und „fortwährend“, auch die Wiederholung, fand ich nicht elegant gelöst.

Eigentlich schien niemand viel zu wissen und seltsamerweise reduzierten sich die Informationen über die Fabrik eher, als dass sie sich zu etwas verdichteten, je mehr ich danach fragte, und bald schwand mein Interesse nach und nach, als wickle mich etwas in einen Kokon, verstehst du?
Braucht es das so zwei Mal?

Maschinenbauteile für Maschinen, die Maschinen bauen, die Maschinen bauen - was weiß ich, so etwas halt; es gibt nicht nur dies eine Schloss auf der Welt.
Fast lyrisch verdichtet … Ich würde trotzdem „dieses eine Schloss“ schreiben.

“Ich denke, sie weisen sie an, sie treffen Entscheidungen, dort in ihrer Fabrik. Angeblich ... aber egal, lass uns lieber jetzt bummeln gehen, was meinst du?"
Stellt man die Worte um, liest es sich flüssiger, finde ich. „lass uns jetzt lieber bummeln gehen …“

"Wenn du dein Abgebrochenes zu Ende bringst, bummle ich doppelt, sonst gar nicht."
Finde ich zu umständlich. Warum nicht einfach: „Wenn du den letzten Satz zu Ende bringst, …“

und balzte um Pauline herum wie eine verknallte Samenzelle ums hüpfende Ei.
Der Vergleich ist zwar niedlich, aber schwachsinnig. Da bleibt keine Zeit zum Balzen, das Ei ist schon längst gesprungen und es ist kein Verknalltsein, sondern bloße chemische Reize.

und landeten endlich in Paulines Lieblingscafé, welches sichZum Schwanenglück benannte.
nannte?

"Ich glaube, da ist noch Luft nach oben, was das Schwanenglück anbelangt", sauergurkte ich, das dümpelnde Paar im Blick.
„sauergurkte“ – das würde ich nie schreiben, aber ich mag es!

Der Kuss zur Nacht geriet zum Inferno, und wir verschmolzen weit jenseits jeder Dreiviertelklappcouch, sanken dahin, Touristen im Chaos des Urknalls, zwei taumelnde Sterne der Nacht - und die Zeiten feierten ewige Wiedergeburt.
Okay, das ist heftig. Ich weiß nicht, ich mochte ja die Kussszene am Anfang, weil sie fast sachlich ist, sehr präzise, aber doch aussagekräftig, das hier ist eine der wenigen Stellen, an denen mir als Leser die Sprache abhaut und ich nicht hinterherkomme, das ist schlicht too much für mich: „Chaos der Urknalls“, „taumelnde Sterne der Nacht“, „Zeiten feierten ewige Wiedergeburt“

Ich erinnere mich, dass sie wuchs, desto näher ich ihr kam. Oder war es, dass ich schrumpfte?
Vielleicht geschmeidiger: „Oder schrumpfte ich?“
Der Zug gleitet durchs Land, und ich sitze in diesem Zug, und ich rieche nach Pauline.
Diese Szene fand ich eigenartig, weil bei einer Zugfahrt freilich solche Gedanken kommen können, aber ich hätte die Fabrik nicht so weit entfernt geschätzt, als dass man zwischen Ein- und Aussteigen sich solchen Gedanken hingeben hätte können. Warum ich das denke? Hier:
Es war gut zu erkennen, wie sich ein hellgraues Straßenband gradlinig aus dem Ort hinausschob, bald sich krümmte und bog, den Hügel hinaufwand und oben an der Fabrik vor einem Tor abrupt endete.
Also für mich eine Unstimmigkeit. Oder ein kleines Missverständnis. Er sitzt im Zug und fährt aus der Stadt und erinnert sich in diesem Sitzen an den Gang zur Fabrik?

Ein mit einer scharfen Klinge ins Dasein, ins Allsein geschlitzter Spalt
Fand ich super! Aber insgesamt weiß ich nicht recht, was ich von dem Absatz halten soll. Das ist ja ein totaler Ausbruch, also nicht nur perspektivisch und inhaltlich, sondern auch sprachlich, da schlägst du ja ganze Alleen von Purzelbäumen. (*geklaut von Heinz Erhardt) Und man weiß nicht: Fällt der Ich-Erzähler jetzt in den Schacht, purzelt er vom Hügel herab, oder stürzt er in eine tiefere Dimension seiner Existenz.

Zur Sprache:

Am nächsten Morgen zeigte sich die Kehrseite der Dreiviertelcouchpension, mir schmerzten sämtliche Knochen, und es bedurfte einiger halbschläfriger Gymnastikeinlagen, dem Gefühl zu entrinnen, ich würde von einem launischen Skelett bewohnt.
Der Satz zeigt schön, was du mit der Sprache machst in deiner Erzählung. Neologismen, wie „Dreiviertelcouchpension“, verleihen dem Text die Note der Einzigartigkeit, also, sprachliche Kreativität thront in deinem Text, wie die Fabrik auf ihrem Hügel, dann aber auch die akribische Präzisierung von Dingen und Handlungen, zugleich aber eine Fülle an starken Adjektiven und Verben und an starken, sich weit aus dem Fenster lehnenden Vergleichen. Das ist ein Text, der keinesfalls auf seine Sprache verzichtet, und obwohl er von Anfang an eine Vollausstattung erfährt, setzt du im letzten Kapitel noch eines drauf. Ich lese oft Texte hier, die ähnlich großzügig mit Sprachgewalt umgehen, aber meistens wirkt das unnötig dramatisch oder effekthascherisch, aber du findest da irgendwie eine gute Balance, es ist schon sehr voll alles, aber ich würde sagen, das ist noch im Rahmen, du wirfst nicht um dich damit, sondern zielst sehr genau. So am Rande des Überstrapazierens hat mir das gefallen. Der Bruch, und ich würde sagen, es ist ein Bruch, im letzten Kapitel, ist überdeutlich. Er stört mich nicht, aber er es kommt zu einer Verwirrung von Inhalt und Sprache und ja, einige Vorredner haben es schon angemerkt, die meisten Leser wünschen sich dann Aufklärung, irgendeine Richtung – ich gehöre dazu.

Ich denke, da stecken schon versteckte Hinweise noch drin, aber das muss ich mir noch einmal anschauen. So wie das Geheimnisvolle angekündigt wird, im Text dann auch da ist, aber der Leser trotzdem nichts davon mitbekommt, das ist schon klug gemacht.

Ich möchte noch ein Wort zu der Beziehung zu Pauline etwas sagen. Als Gegengewicht zum Geheimnisvollen, das Greifbare und Küssbare, zum Ungreifbaren und Unnahbaren, finde ich gelungen eingesetzt und auch notwendig. Das Hin- und Her ist liebevoll gezeichnet, auch subtile Andeutungen, dass der Ich-Erzähler bspw. angereist ist mit dem Gedanken, dass da mehr passieren könnte, als ein Dorfbesuch, finde ich gut: eine verlockende Aussicht auf die folgenden Tage. Er lässt sich auch ablenken von ihr, nur der Höhepunkt, den ich auch bei den Anmerkungen weiter oben schon bemängelt habe, fand ich schief.

Novaks Einwand bezüglich der Frage, warum genau er da jetzt die Kraft hat zur Fabrik zu gehen, beantworte ich mir folgendermaßen: Alle waren schon in der Fabrik. Er ist nur einer von vielen.

Bis auf einige Abstriche, die mit dem gefährliche Balancieren mit der kraftvollen und ausufernden Sprache einhergehen und das große Fragezeichen, das sich durch das Ende zieht, wie die Straße hinauf zum Hügel, wo die Fabrik steht, - beides Dinge, die uneingeschränkt zum Text gehören und ihn ausmachen - habe ich das gern gelesen.

Beste Grüße
markus.


EDIT: Achja, und eine absolute Buchempfehlung: John Burnside - Glister.

 

Der Bruch, und ich würde sagen, es ist ein Bruch, im letzten Kapitel, ist überdeutlich. Er stört mich nicht, aber er es kommt zu einer Verwirrung von Inhalt und Sprache und ja, einige Vorredner haben es schon angemerkt, die meisten Leser wünschen sich dann Aufklärung, irgendeine Richtung – ich gehöre dazu.

schreibst du einerseits - Hallo Markus! -, und dann:

Ich denke, da stecken schon versteckte Hinweise noch drin, aber das muss ich mir noch einmal anschauen. So wie das Geheimnisvolle angekündigt wird, im Text dann auch da ist, aber der Leser trotzdem nichts davon mitbekommt, das ist schon klug gemacht.

Ich erinnere mich noch, als ich damals unterm Baum oder an Geburtstagen Geschenke bekommen habe. Ich habe die immer, ehe ich sie auspackte, befummelt. Hart war cool, weich war scheiße (Socken od. so) - aber am Interessantesten waren die gemischten, deren Konsitenzzustand sich dazwischen befand. In der Fabrik werden also weder Socken noch Legosteine hergestellt (-;.


die alte Freundin aus den Tagen meiner chronisch chaotischen Scheinstudentenzeit
Ist irgendwie arg Klischee. Das dramatisierende „chronisch“ und dann noch das Wort „Scheinstudentenzeit.“ Hat mir nicht so gefallen.

Stimmt. Das ist nicht sehr gelungen. Ich denke zwar nicht, das der Satz die Geschichte beschädigt; er transportiert ja auch Information zu den Hintergründen der Beziehung der beiden. Aber Plattitüde ist Plattitüde, und ich werde das ersetzen...


Als wäre diese ein heißer Brei, dessen Hitze nur zu bannen war, in dem man ihn mit möglichst vielen, nichtssagenden Worten befächerte.
Du verleihst dem Ausdruck „Um den heißen Brei reden.“ eine neue Bedeutung, machst daraus einen heißen Brei, um den man nicht herumredet, nein, wenn man außen vorbei spricht, bleibt er heiße Brei ja heiß, du befächerst ihn mit Worten, damit er auskühlt.

Ja, der Brei. Novak mochte schon ihren Löffen nicht reintunken. Du äußerst ja keine Meinung dazu, und ich denke zugegebenermaßen zur Zeit um den heißen Brei herum. Ich weiß nicht einmal genau, weshalb ich das bekannte Sprichwort modifizierte. Es klingt irgendwie nach Brennstäbe kühlen...


Dann küssten wir uns zur Nacht wie Freunde; und doch, trog mich nicht alles, so war dieser Kuss keiner, der die Küssenden trennen wollte - es war ein Kuss, nicht zwei.
Wortwahl: „trog mich nicht alles“ – „wenn mich nicht alles täuschte“ …
Ich steh ja voll auf solche Kussbeschreibungen, trotzdem finde ich das ein bisschen unklar. Sprachlich hier: Den Satz könnte man mit „Zur Nacht“ beginnen und das „Dann“ rausschmeißen. Den Widerspruch verstehe ich nicht ganz, weil: Warum trennt ein Kuss die Küssenden?

Die Wortwahl (trog) scheint mir hier okaj. Der Beginn mit "zur Nacht" anstatt mit "Dann" - überlegenswert.
Was den Kuss und sein Trennendes anbelangt, so wollte ich hier mit der Bemerkung

es war ein Kuss, nicht zwei.

zum Ausdruck bringen, dass es sich nicht um einen Abschiedskuss (jeder küsst für sich) sondern um einen Kuss handelt, der (also) verschmelzendes Verlangen der sich Küssenden in sich birgt. Puhh.


Ehe ich mich bettete, trat ich noch einmal ans Fenster und schaute in die Nacht. Paulines Wohnung befand sich im Dachgeschoss des mehrstöckigen, mittelalterlichen Hauses, und so ging der Blick weithin über den Ort, dessen viele warm-gelbe Leuchtpunkte mich in eine heimelige Geborgenheit tunkten, bestärkt durch die sie umfassende Dunkelheit. Dort, fernab, jenseits aller Lichter, waren die Konturen des Hügels mit der Fabrik darauf zu erahnen - als Schatten vor nächtlicher Schwärze.
Die liebevolle und anschauliche, fast romantisierende Beschreibung hat mir gut gefallen, aber beim fett markierten hast du es für mein Befinden überstrapaziert. Vielleicht hilft dort eine einfache Umstellung.

Schön, dass Dir diese Passage gefällt, finde sie selbst auch recht gelungen. (Hatte allerdings mehrfach beim Anlesen ein Ehebett vor Augen...). Die von dir angefettete Position habe ich bereits verändert, sie beinhaltete vormals das, wie Novak zu recht bemängelte, unpassend technisch wirkende Verb intensiviert statt bestärkt. Ich finds so eigentlich vertretbar, es weist auf den fast inselartigen Charakter des Städchens gegenüber der Welt drumherum hin, und draußen der Hügel ...


Eigentlich schien niemand viel zu wissen und seltsamerweise reduzierten sich die Informationen über die Fabrik eher, als dass sie sich zu etwas verdichteten, je mehr ich danach fragte, und bald schwand mein Interesse nach und nach, als wickle mich etwas in einen Kokon, verstehst du?
Braucht es das so zwei Mal?

Keine Frage, die. Braucht es nicht!

“Ich denke, sie weisen sie an, sie treffen Entscheidungen, dort in ihrer Fabrik. Angeblich ... aber egal, lass uns lieber jetzt bummeln gehen, was meinst du?"
Stellt man die Worte um, liest es sich flüssiger, finde ich. „lass uns jetzt lieber bummeln gehen …“

Hier hast du schon wieder recht...

"Wenn du dein Abgebrochenes zu Ende bringst, bummle ich doppelt, sonst gar nicht."
Finde ich zu umständlich. Warum nicht einfach: „Wenn du den letzten Satz zu Ende bringst, …“

Hier auch, korrigiere in "Wenn du deinen Satz zu Ende bringst". Merci. Wir nähern uns dem Urknall, zuvor:

und balzte um Pauline herum wie eine verknallte Samenzelle ums hüpfende Ei.
Der Vergleich ist zwar niedlich, aber schwachsinnig. Da bleibt keine Zeit zum Balzen, das Ei ist schon längst gesprungen und es ist kein Verknalltsein, sondern bloße chemische Reize.

Die zuvor stattgefunden habende Ausschüttung 'Fröhlicher Hormone' muss den Protagonisten dieser Kurzgeschichte wohl veranlasst haben, derartig unlogische, biologistische und .. ja, schwachsinnige Vergleiche zu ziehen. Ich kann mich Deiner Ansicht nur anschliessen.


Der Kuss zur Nacht geriet zum Inferno, und wir verschmolzen weit jenseits jeder Dreiviertelklappcouch, sanken dahin, Touristen im Chaos des Urknalls, zwei tanzende Sterne der Nacht - und die Zeiten feierten ewige Wiedergeburt.
Okay, das ist heftig. Ich weiß nicht, ich mochte ja die Kussszene am Anfang, weil sie fast sachlich ist, sehr präzise, aber doch aussagekräftig, das hier ist eine der wenigen Stellen, an denen mir als Leser die Sprache abhaut und ich nicht hinterherkomme, das ist schlicht too much für mich: „Chaos der Urknalls“, „taumelnde Sterne der Nacht“, „Zeiten feierten ewige Wiedergeburt“

Die Sexszene! Haut mich glatt um, dass Du der erste bist, der sich hier kritisierend umtut. Ich bin hier ins sprachlich Bombastische geteufelt, übrigens eine Zeile aus dem Zarathustra verwurstend ("Hast du noch genug Chaos in dir..."). Schlüsselszene!

Diese Szene fand ich eigenartig, weil bei einer Zugfahrt freilich solche Gedanken kommen können, aber ich hätte die Fabrik nicht so weit entfernt geschätzt, als dass man zwischen Ein- und Aussteigen sich solchen Gedanken hingeben hätte können. Warum ich das denke? Hier:
Es war gut zu erkennen, wie sich ein hellgraues Straßenband gradlinig aus dem Ort hinausschob, bald sich krümmte und bog, den Hügel hinaufwand und oben an der Fabrik vor einem Tor abrupt endete.
Also für mich eine Unstimmigkeit. Oder ein kleines Missverständnis. Er sitzt im Zug und fährt aus der Stadt und erinnert sich in diesem Sitzen an den Gang zur Fabrik?

Die Zugfahrt (jetzt ja plötzlich im Präsens) ist eine irreale Vorstellung des Protagonisten, er hatte offensichtlich zu einem Zeitpunkt das empfundene Erlebnis, die Szenerie per Zug wieder zu verlassen. Das diese Zugfahrt nie stattfand, wird aber kurz darauf ersichtlich (Er beschreibt sie als Täuschung).

Ich bin hier auf Deine Kritikpunkte eingegangen. Dass Dir die Geschichte - mit Abstrichen - gefallen hat freut mich sehr; Deine lobenden Worte über meinen Sprachstil machen mich ziemlich verlegen. Vielen Dank dafür und Deinen ausführlichen Besuch, Markus!
7miles

 

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