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Die Fabel von der Meinung
Vor gar nicht allzu langer Zeit strotzte diese Welt vor Meinungen. Da gab es große und kleine, dicke und dünne, lilafarbene, honiggelbe, babyblaue und kunterbunte. Manche waren rund, manche eckig, viele einfach nur gerade und manche schlängelten sich dermaßen durch Raum und Zeit, daß einem richtig schwindlig wurde, wenn man sie gerade gefaßt hatte – Sie kennen das sicherlich zur Genüge.
Das war auch ein wichtiges Merkmal aller Meinungen: so unterschiedlich sie waren, eines hatten sie alle gemeinsam, sie waren gefaßt. "Nun," werden Sie sagen, "das ist ja nicht wirklich was Neues!" Und da muß ich Ihnen recht geben. Was wir nicht alle schon für Meinungen gefaßt haben, sonder Zahl und jeglicher Couleur! Ganz zu schweigen von jenen, mit denen wir völlig unschuldig befaßt, fast möchte man sagen: konfrontiert werden – um das häßliche Wort "niedergeknüppelt" zu vermeiden.
Aber ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt! Es gab da nämlich eine Ausnahme: eine kleine, im Grunde unauffällige Meinung! Das heißt, so unauffällig war sie gar nicht, sie unterschied sich nämlich in einem entscheidenden Punkt von allen anderen Meinungen: sie war nicht gefaßt!
Unfaßbar! Da war eine vorgefertigte Meinung und keiner wollte sie! Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Bei näherem Hinblicken war die Ursache dafür natürlich klar: die kleine, im Grunde unauffällige, vorgefertigte, aber ungefaßte Meinung hatte einen Makel. Es ist ja nun nicht so, daß ein Mangel an Meinungen geherrscht hatte, aber nachdem ja jeder zu seiner Hauptmeinung gerne noch ein paar Neben- und Sicherheitsmeinungen bereit hatte, gingen auch merkwürdige Meinungen weg, wie die warmen Semmeln. Doppelt erstaunlich war es daher, daß gerade die kleine etc. etc. Meinung übrig blieb.
Doppelt erstaunlich natürlich nur für jene, die die Natur des Makels nicht kannten. Der war in der Tat bemerkenswert. Er bestand nämlich darin, daß sich die kleine Meinung (ich lasse jetzt ihre anderen Attribute einfach weg. Wir wissen ja, wovon wir reden.) stets orthogonal zur Realität verhielt. Das klingt jetzt vielleicht nicht wahnsinnig schrecklich: "Herr Doktor, meine Meinung ist ein wenig orthogonal!" – "Keine Sorge, da gibt's recht wirksame Zäpfchen …" möglicherweise könnte man mit so einer Meinung sogar gewisse Erfolge feiern. In der Partei der Blauäugigen* zum Beispiel, oder in jener der Orangenhäutigen**. Aber sonst war man mit so einer Meinung natürlich nicht besonders glücklich. Ihr Makel führte nämlich dazu, daß sich die Meinung umso weiter – rechtwinkelig – von der Realität entfernte, je weiter sich diese entwickelte. Und umgekehrt gab's natürlich das selbe Desaster. (Daher kommt übrigens der Ausspruch: "Das ist so falsch, daß nicht einmal das Gegenteil wahr ist". Wenn dem nämlich so wäre, könnte man ja mitsamt seiner Meinung einfach umdrehen und – bei entsprechendem Tempo – die Realität einholen. Auch umgekehrte Fälle wurden schon kolportiert. Mit einer orthogonalen Meinung hingegen ist man praktisch aufgeschmissen.)
Alles in allem war die kleine Meinung natürlich auch kreuzunglücklich: wer will denn schon so abgelehnt werden? Noch dazu als einzige? Und schließlich: was konnte sie denn dafür? Und außerdem: zur Realität sagt keiner was, da traut sich keiner, da sind's still, die Oberg'scheiten! Und überhaupt!
Und so beschloß die kleine Meinung, abzuhauen …
Und sie haute gründlich ab. Total. Einfach weg.
Das konnte doch nicht sein! Eine Meinung, die abhaut? Wie standen da die anderen Meinungen da? Und so begann die größte Suchaktion nach einer Meinung, die die Menschheit je gesehen hatte – abgesehen natürlich von jener der Schwarzfüßigen*** für ihren Chef, die nun schon 6 Jahre dauert und deren Ende noch nicht abzusehen ist. Da wurde kein Aufwand gescheut – Ehrensache – alle schwärmten aus, soweit und solange sie abkömmlich waren, schließlich mußte das Leben ja weiter gehen … nichts … wie vom Erdboden verschluckt … Verzweiflung machte sich breit, Erschöpfung …
Doch da! Eine Lichtgestalt betritt die Szene!
Stark.
Schön.
Willens.
Der Verzweiflung.
Ein Ende.
Zu bereiten.
Punkt.
.
"Schorsch Doppel-Weh Busch!" geht das Raunen durch die Meinungen und ihre Fasser und ihr Schaudern ist kein wohliges …
Mitleid mit der kleinen Meinung kommt auf. Vergebens ...
Entdeckt ...
Gejagt ...
Gefaßt.
Und wenn sie nicht gestorben sind, wird die kleine, orthogonal von der Realität abstehende Meinung, daß er den sinnlos angezettelten Irak-Krieg gewinnen kann, immer noch von Schorsch Doppel-Weh Busch gefaßt, da kein anderer sie fassen will und Schorsch Doppel-Weh Busch bei seinen Meinungen sehr katholisch ist: "bis daß der Tod uns scheidet …"
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Österreichspezifika:
* die Blauäugigen - steht für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), deren Farbe blau ist; bis vor kurzem von Jörg Haider geführt, bevor er sich und andere als BZÖ abgespalten hat;
** die Orangenhäutigen - steht für das BZÖ Jörg Haiders (ich möchte mir einfach nicht merken, wie diese Partei in Langfassung heißt), deren Farbe orange ist;
*** die Schwarzfüßigen - steht für die Österreichische Volkspartei (ÖVP) von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der sich dadurch auszeichnet, daß er zu keinem Thema Stellung bezieht.