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Die Experten
Lambert wischte sich mit dem Hemdsärmel über den Mund, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, mit der Zungenspitze den Bierschaum abzulecken. Er lehnte sich zurück, sah seine beiden Zechkumpanen bedeutungsschwer an, und gab dann überlegen von sich: „Ihr solltet in der Zeitung nicht nur lesen, warum Preußen Münster wieder einmal verloren hat... Ein gebildeter Mensch interessiert sich auch für die anderen Nachrichten.“
Seitdem er mit seiner kleinen Wurstfabrik Konkurs angemeldet hatte, weil er in den gekochten Hinterschinken zuviel Salzwasser gespritzt hatte, um das Verkaufsgewicht zu erhöhen, außerdem die Lebensmittelkontrolle das Sägemehl in der Original Westfälischen Leberwurst entdeckte, verfügte Lambert über sehr viel Freizeit.
„Und was bedeutet es für uns, dass die Bundesbank ihre Filiale in Münster schließt?“ wollte Ludger wissen. Er hatte hinsichtlich seiner Freizeit ein ähnliches Privileg wie Lambert. Man hatte ihm hervorragende Handwerkskunst in seinem Beruf als Kaminbauer bescheinigt, bis zu jenem Tag, als ein Fachwerkhaus bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, nur weil er einen alten Eichenbalken direkt über der Feuerstelle eingebaut hatte. Die eine Million Schadenersatz, die er immer noch nicht beglichen hatte, bekümmerte ihn allerdings weniger.
Lambert sah ihn fast mitleidig an.
„Überlege doch einmal. So eine Bundesbankfiliale hat viel Geld. Und wenn die umziehen, dann...?“
In Ludgers Augen blitzte es auf: „Dann zieht auch das Geld um.“
„Richtig! Und einen dieser Transporte schnappen wir uns.“
„Gut“, stimmte Ludger mit Begeisterung ein, um gleich darauf die Mundwinkel fallen zu lassen und ratlos zu fragen: „Aber wie?“
„Aha!“ staunte der Dritte in der Runde. Servatius war ein tüchtiger Malermeister gewesen, bis ihn eine außergewöhnliche Geschäftsidee ins Abseits gestellt hatte. Es gab eine Zeit, in der begeisterten sich die Kids für Modellautos, die abhängig von der Temperatur die Farbe wechselten, indem man die Spielzeuge in den Kühlschank legte, sie dort dunkel wurden, und beim anschließenden Aufwärmen in der warmen Kinderhand ihre Farbe ins Helle wechselte. Damals hatte Servatius den zündenden Gedanken, dass dieser Gag auch bei den großen Autobesitzern gut ankommen würde. Auf der eingekauften Farbe sitzt er noch heute. Lackiert hat er indessen kein einziges Fahrzeug.
„Ich habe da eine Idee...“, begann Lambert, und die drei steckten ihre Köpfe zusammen.
Es war gut drei Wochen später. Servatius hatte gearbeitet wie lange nicht mehr. Das gestohlene Auto hatte er in mühsamer Handarbeit mit seinen eingelagerten Lacken bearbeitet. In den Mittagsstunden stand es in herrlichem Rot auf dem schmuddeligen Hinterhof, während es in den kühlen Nachstunden die Farbe ins Violette hin veränderte.
Jetzt war der große Tag gekommen. In Ludgers stillgelegter Wurstfabrik wurde das Kühlhaus reaktiviert und über Nacht das Auto dort eingeschlossen. Am frühen Morgen gab es zwar einige technische Probleme, weil sie zuerst die zugefrorene Tür nicht aufbekamen, anschließend das Auto nicht anspringen wollte. Aber diese kleinen Dinge sollten für die wahren Experten keine unüberwindbaren Hindernisse darstellen.
Obwohl es mitten im Sommer war, saßen sie mit blau gefrorenen Lippen und Rollkragenpullovern in ihrem tiefschwarz glänzenden Auto. Ein bisschen gewundert hatten sich die anderen Autofahrer schon, dass bei diesem Fahrzeug ständig die Scheiben beschlugen.
Auf die Minute genau fuhren sie um die Ecke, als der Geldtransporter durch die schmale Toreinfahrt auf den Hof der Bundesbankfiliale einbog.
Sie stellten sich mit ihrem Wagen in die Durchfahrt und blockierten auf diese Weise den Rückweg des gepanzerten Fahrzeuges.
Mit Sorgenfalten blickte Lambert auf den Lack ihres Fluchtwagens, der schon an einigen Stellen in ein dunkles Violett übergangen war.
Währenddessen hatte Ludger, der Ofenbauer, ein paar Gegenstände aus dem Kofferraum entnommen und mitten in der Durchfahrt aufgebaut.
Es dauerte nicht lange, bis sie hörten, wie der Geldtransporter im Innenhof sein Motor anließ und Sekunden später in die blockierte Toreinfahrt einbog.
Es bedurfte keiner weiteren Drohgebärde, keiner besonderen Aufforderung. Nicht einmal ein Zeichen mussten sie geben. Die beiden Fahrer des Geldtransporters hielten freiwillig an, öffneten die Türen, stiegen aus und ergaben sich. Die von Ludger aus alten Ofenrohren und anderen Ersatzteilen zusammengebaute Attrappe einer Artilleriekanone machte ohne weitere Worte hinreichend Eindruck auf die Bewacher.
Geschwind luden die drei Experten die große blecherne Geldkiste vom Werttransporter in ihr Fahrzeug um. Lambert trieb dabei seine Kumpanen zu höchster Eile an, denn er beobachte, wie sich das violette Fahrzeug ganz langsam ins Dunkelrot verfärbte.
Sie richteten die Attrappe direkt auf die beiden Bankleute, legten ihnen ans Herz, sich ja nicht zu bewegen, und unterstrichen ihre Drohung dadurch, dass Ludger noch einmal mit einem rostigen Nagel, den er verdeckt in der Handinnenfläche trug, über das missbrauchte Ofenrohr ratschte. Das schaurige Geräusch beeindruckte die beiden Bewacher merklich.
Dann sprangen die drei Experten in ihr Auto und brausten davon.
Sie waren noch auf dem Weg in ihre Fluchtburg, als sie die ersten Meldungen im Radio hörten. Dort wurde von einem dreisten Überfall auf den Bundesbanktransporter berichtet, auch davon, dass die drei Ganoven mit einem schwarz-violetten Fahrzeug geflüchtet wären.
Lambert bemühte sich, seinen Instinkt zu unterdrücken, und mit Vollgas davon zu brausen. Ja, er nickte aus seinem dunkelroten Auto sogar freundlich der älteren Dame auf der Nebenspur zu. Der moderne Großstadtverkehr bringt es nun einmal mit sich, dass man von Ampel zu Ampel im Pulk unterwegs ist und immer wieder auf die gleichen Autos um sich herum trifft. Doch anscheinend bemerkte niemand, dass am Stadtrand mitten unter ihnen ein leuchtend rotes Auto fuhr.
Endlich bogen sie auf das abgelegte Grundstück ein, das Lambert sein zuhause nannte, und stellten das Auto in der nicht einsehbaren Remise hinter dem Haus unter.
Mit vereinten Kräften trugen sie die schwere Blechkiste ins Haus, verdunkelten die Vorhänge, und öffneten das Behältnis.
Sie konnten sich gratulieren. Ihr genialer Plan war gelungen. Eine ganze Kiste voll Geld, sauber mit Banderolen versehen. Gebrauchte Scheine, in unterschiedlicher Stückelung. Wie man es sich besser gar nicht wünschen konnte.
Eine unübersehbare Menge guter, alter D-Mark-Scheine..