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Die ewige Halle
"Seht nach oben!" rief Kuru-Uk, und alle sahen nach oben.
Muuk kannte das Ritual nur zu gut, hatte er es doch in seinen vierzehn Jahren so oft erlebt. Aber dieses Mal war es anders. Dieses Mal war er einer der Wächter, endlich alt genug für diese ehrenvolle Aufgabe. Dieses Mal würde er mit seinen Clanbrüdern in den Kampf ziehen.
"Vor langen Jahren kamen die Götter von den Sternen auf unsere Welt. Sie erfreuten sich sehr an der Schönheit und beschlossen, der Welt Gedanken zu geben. Also ergriffen sie einen Gnal." Damit deutete Kuru-Uk auf das Tier, das über dem Feuer röstete und dessen Fleisch schon zum Teil von den Knochen gezogen war. "Sie ließen den Gnal erkennen, ließen ihn aufrecht stehen. Sie gaben ihm Werkzeug, gaben ihm Kleidung und gaben ihm Sprache", seine Stimme senkte sich, "Und sie gaben ihm Feuer."
Muuk war vollkommen ergriffen von diesem Ritual. In der Vergangenheit empfand er es eher als lästig, aber nun, als Teil der Wächter, begriff er die Erhabenheit der Geschichte seines Volkes. Das Gewesene wurde lebendig und er erkannte, wie eng sie mit der Welt der Götter verbunden waren. "Sie schufen die Orks, uns!"
Früher war er unreif, da kicherte er an der Stelle leise. Er wusste doch, wie kleine Orks entstanden und da waren keine Götter beteiligt. Aber nun, als Erwachsener, begriff er die wahre Bedeutung. Und er begriff auch, warum er hatte warten müssen, bis er vierzehn war. Er musste die Geschichte seines Volkes verstehen, um nach seinem Tod vor die Ahnen treten zu können.
"Die Götter schufen uns für eine große Aufgabe. Die ewige Halle muss gegen jeden Feind, um jeden Preis, verteidigt werden. Blut wird fließen, Tränen vergossen, doch die Tore der Halle bleiben verschlossen."
Das Mantra breitete sich unter den Anwesenden aus.
Die ewige Halle, lange schon hatte Muuk sich gefragt, was das wäre. Die Dorfälteste erklärte ihm, in dieser Halle würden die tapfersten Krieger für alle Zeiten geehrt. Sie wäre tief im Landesinneren gelegen, hinter vielen unüberwindbaren Hindernissen, bewacht von den tapfersten Orks, Trollen, Gedankenmeistern, Schleichspinnen und vielem anderen.
"Viele Jahre des Friedens wurden uns geschenkt. Dann tauchten zum ersten Mal die Schnitter aus den Tiefen unserer Alpträume auf. Sie brachten uns den Tod. Sie säten viel Kummer und Verzweiflung. Doch wir waren stark, und stark sind wir noch immer!", der Anführer sprach immer lauter, fing fast an, zu schreien. Die Aufregung erfasste alle Zuhörer. "Wir werden bestehen und wir werden siegen!" Da brüllten alle Wächter gleichzeitig, dass Muuk zusammenschrak: "ORK! ORK! ORK!"
So war es also, wenn man in den Krieg zog.
Zwei Tage zuvor waren die Lichter der Schnitter wieder gesehen worden, wie sie ihre Bahnen über den Himmel zogen. Das bedeutete, dass alle Völker Ihre Wächter aussandten, um die Eindringlinge zu finden und sie aufzuhalten.
So war Muuk an diesem Morgen zum ersten Mal mit seinen Clanbrüdern, allesamt erfahrene Krieger mit vernarbten Gesichtern und Körpern, in den Krieg gezogen. Der mächtige Kuru-Uk, der angeblich schon über 35 Jahre alt war, führte sie an. Auch sein Gesicht war vom Kampf zerfurcht, eine große Narbe ging vom blinden rechten Auge hinunter zum Hals. Eine andere begann hinter dem linken Ohr und verschwand unter der Rüstung. Muuk war sich sicher, dass dieser alte, ehrenvolle Wächter in die ewige Halle einziehen würde.
Der dürre Brudu hatte schon den ganzen Tag nervös zum Himmel geblickt und krächzte plötzlich aufgeregt: "Seht, das Zeichen!"
Alle fanden den geraden Streifen knapp über dem Horizont, in dessen Richtung Brudu gestikulierte. Darauf hatten sie gewartet. Auf diesem Streifen ritten die Schnitter zum Boden und Kuru-Uk war gut darin, ihr Ziel einzuschätzen.
"Nehmt Eure Panzer! Nehmt Eure Waffen! Wir ziehen zum blauen Hügel!"
Damit war das Ziel bestimmt. Jeder Ork zog sich noch ein kräftiges Stück Fleisch vom massigen Gnalkörper, dann löschten sie das Feuer und marschierten los.
***
"Regel Nummer eins: Bleibt immer dicht beieinander!" So begann Captain Harper seine Ansprache während des Landeanflugs vor jeder Abenteurergruppe.
"Wenn ihr zu stark verletzt werdet oder nicht mehr könnt oder wollt, dann könnt ihr auf den Abbruch-Knopf schlagen. Damit aktiviert ihr das undurchdringliche Stasis-Feld, das erst auf dem Basisschiff wieder abgeschaltet wird. Das kostet euch 100 Punkte. Solltet ihr sterben, aktiviert sich das Stasis-Feld automatisch. Dann werdet Ihr im Basisschiff wiederbelebt. Am Besten vermeidet Ihr es, zu sterben, denn es ist wirklich übel, glaubt mir. Und", er grinste, "es kostet 200 Punkte."
Jenny war an ihren Platz geschnallt und ertrug den unsanften Abstieg so gelassen sie nur konnte. Dies war für die drei das erste Mal, dass sie an einem dieser Abenteuer teilnahmen. Nur für Captain Harper, genannt Cap, war es Routine. Sie hatten eine erhebliche Summe bezahlt, um dabei sein zu können. Im Fall von Jenny hatten ihre Eltern diesen Trip finanziert und ihr zum 23sten Geburtstag geschenkt. Angeblich kamen die Teilnehmer nach den zwei Monaten erwachsener wieder.
Damit es nicht hieß, sie erkaufe sich Vorteile, entschied sie sich für die Standard-Ausführung des Kampfanzugs. Sie hatte sich sogar ihre langen Haare abschneiden lassen, damit sie unter den Standardhelm passten. Sie wollte ihre Eltern nicht enttäuschen und diese ganze Sache so gut wie möglich hinter sich bringen.
Nach der Trainingsphase während des einwöchigen Hyperflugs zum Ork-Planeten gefiel es ihr eigentlich ganz gut im klimatisierten Kampfanzug: Das Einzige, was sie von ihren drei Trupp-Kameraden unterschied, war die 4 auf ihrem Brustpanzer. Hier war sie endlich nicht mehr nur die Tochter ihrer Eltern. Sie konnte selbst etwas für ihre Anerkennung leisten. Manchmal hoffte sie sogar, die Halle der Ewigen zu erreichen. Das hatten noch nicht viele geschafft, Anfänger noch nie. Vielleicht war sie die erste.
Sie hatte die Vorbereitungen sehr ernst genommen und empfand das Display des Anzugs mittlerweile als übersichtlich. Nur verstand sie nicht ganz, warum bei all der zur Verfügung stehenden Technologie dieser Abstieg so ruppig verlaufen musste. Vermutlich diente das Wackeln und Rumpeln der Dramatik.
Harper fuhr fort: "Das Basisschiff meldet, dass unser Kondensstreifen bemerkt worden ist und eine Gruppe Verteidiger sich auf dem Weg zu unserer Landestelle befindet."
Jenny schaute sich um. Der Anzug zeigte ihr die Außenbilder des Shuttles, ihr Körper und die direkte Umgebung waren schemenhaft eingeblendet, damit sie die Orientierung behielt. Sie sah den Wegpunkt über einer markanten, bläulichen Anhöhe schweben, dazu ein paar Informationen zur Umgebung und die Flugroute des Shuttles. Der Hügel war scheinbar die größte Erhebung dieser Gegend. Die Position der Verteidiger sah sie nicht, das hätte die Spannung verdorben.
Als sie nach der Landung ausgestiegen waren, ließen alle die Gesichtsplatte des Panzeranzugs nach oben einziehen, damit sie diese fremde Welt mit ihren eigenen Sinnen erfahren konnten. Sofort fiel Jenny der rote Farbton der Sonne auf. Der ließ die ganze Welt wärmer erscheinen, fast wie in einem immerwährenden Sonnenuntergang. Das Dunkelblau der Pflanzen erfüllte jede sichtbaren Quadratmeter dieser Welt. Sie sah über die weite, hügelige Landschaft. Im Westen ragten Ausläufer eines riesigen Waldes wenige hundert Meter an den Fuß des Hügels heran. In einiger Entfernung im Nordosten war ein großer See zu vermuten, zumindest stiegen dort regelmäßig weiße Punkte von einer spiegelnden Oberfläche auf und sanken an anderer Stelle später wieder hinab.
Der Rest der welligen Landschaft war mit einem Meer von mannshohem Gras gefüllt, das nur von gelegentlichen Baum- und Buschgruppen durchbrochen wurde.
Nach dem Aufschlagen des Lagers machten sich die Trupp-Mitglieder daran, ihre Waffen zu kontrollieren.
Alle hatten die gleiche Ausrüstung: Einen Schild aus Wolframgraphit, extrem hart und sehr leicht. Ein Schwert aus demselben Material mit Quanteneffektschneide, die mit Leichtigkeit alles zerteilte, was ihre Bahn kreuzte. Dazu ein Kampfmesser, das angeblich erst in den höheren Levels wichtig wurde. Nur Cap hatte eine Impulswaffe dabei, für alle Fälle.
Voraussichtlich, so hieß es in der Lagebesprechung, würden sich die Orks im Schutz des Waldes nähern und warten, bis die Sonne niedrig hinter ihnen stand. Dann würden sie sich rasch durch das hohe Grasmeer weiter nähern und zuschlagen.
***
In den Erzählungen der zurückgekehrten Krieger waren alle Kämpfe ehrenvoll, brutal und heldenhaft. Was die alten Krieger immer vergaßen, zu erzählen, waren die stundenlangen Fußmärsche zum Ort des Geschehens. Aber dieser Marsch lag nun hinter ihnen, und so vergaß Muuk seine schmerzenden Füße, die solche schnellen Märsche über viele Meilen nicht gewohnt waren. Er vergaß den geschundenen Rücken, über den ständig die Panzerweste und das Gepäck gerieben hatten. Und auch die Beißfliegen und Fresskäfer, die sich hier im hohen Gras an seinem Blut gütlich taten. All das musste er vergessen oder wenigstens lautlos über sich ergehen lassen, denn sie waren nur noch wenige Schritte vom Schnitter-Lager entfernt.
Kuru-Uk hatte seine Wächter auf die Ostseite des Hügels geführt. Er erkaufte sich einen Überraschungsangriff durch den Verzicht auf die Sonne im Rücken.
Alle Krieger prüften ein letztes Mal den festen Sitz ihrer Ausrüstung. Muuk war stolz auf den Panzer, den ihm seine Mutter angefertigt hatte. Seine Arme und Beine waren von kleinen, auf die Haut geklebten Steinplatten bedeckt. Sein Oberkörper war in eine weite, lange Weste gehüllt, in die weitere, größere Steinplatten eingenäht waren. Auf dem Kopf trug er den Knochenhelm seines Großvaters. Er hatte viele Scharten und war Muuk eigentlich zu groß. Doch seine Mutter hatte einige Lagen Leder hinein geklebt, damit er passte.
So furchterregend wie die anderen sah er als Kleinster zwar nicht aus, aber er gefiel sich als Krieger ganz gut. Die prächtigste Rüstung hatte natürlich Kuru-Uk. Den Schädel eines Pru-Laufvogels, eines der gefürchtetsten Raubtiere, hatte er sich passgenau ausgehöhlt. Über seinen steinbedeckten Armen und Beinen trug er eine feste Lederrüstung, die über und über mit Zaubersymbolen bedeckt war. An Ellenbogen und Handgelenken standen fingerlange Nadeln eines Stachel-Fraa ab, die im gegnerischen Fleisch zersplittern sollten. Auf dem Rücken waren große, knöcherne Platten befestigt, die einander überlappten.
Metall war sehr wertvoll, deshalb bestanden nur einige der Waffen aus dem begehrten Stoff. Denn bittere Erfahrung hatte sie gelehrt, dass nur die härtesten Metalle den Rüstungen der Schnitter etwas anhaben konnten und das auch nur an wenigen Stellen. Jeder Wächter hatte mehrere lange, dünne, dreieckig geschmiedete Stoßeisen dabei. Dazu einen großen Steinhammer, Netze, Schleudern, Klebstoff und allerhand anderes Kriegswerkzeug.
Die Schnitter wirkten unachtsam. Das gab den Orks Zuversicht, den Kampf für sich zu entscheiden.
***
Jenny fand es wirklich sehr schön hier: die weiten Landschaften, das blaue, rauschende Gras, der erdige Duft. Faserige Wolken zogen durch die Stratosphäre. Gern hätte sie den See erkundet, aber sie durften das Lager nicht verlassen. Der Kampf würde noch auf sich warten lassen, so genoss sie einfach den Wind auf ihrem Gesicht.
BAM! Schmerz explodierte in ihrem gesamten Kopf. Sie hatte den Stein nicht kommen sehen, den der beste Werfer der Orks ihr entgegengeschleudert hatte. Der Anzug hatte ihn registriert, aber zu spät. Der faustgroße Stein zertrümmerte mit Leichtigkeit ihre Nase und einen Teil des linken Wangenknochens. Sie brach sofort zusammen und hörte nur noch, wie in Watte gepackt, den Funk eines Kameraden: "Aua! Scheiße, der Tee", als alle Anzüge schlagartig die Gesichtplatten schlossen.
Sofort leitete ihr Anzug Schmerzmittel in Jennys Blut, um sie einsatzfähig zu halten.
Alle Anzüge umrahmten in ihren Displays die sichtbaren Orks und machten taktische Vorschläge. Die Menschen zogen hastig ihre Schwerter. Sie nahmen die Schilde hoch und stellten sich in Dreiecksformation um Jenny herum. Die kam gerade rechtzeitig zu sich, um mehr als ein Dutzend bellende und kreischende Orks auf sich zu rennen zu sehen.
***
Muuk war noch ganz fasziniert von dem weichen, flachen Gesicht mit der ungesunden Hautfarbe. Er hatte sich schon gedacht, dass Schnitter unter ihren Helmen hässlich sein mussten, aber dies übertraf seine Vorstellungen. Dann schlug der Stein ein, den Draach in einem mächtigen Wurf über 12 Meter Entfernung genau in den offenen Helm dieses Schnitters geschleudert hatte. Rotes Blut spritzte in alle Richtungen und der Stein fiel herunter - ebenfalls mit diesem seltsam roten Blut verschmiert.
Dann griffen sie an. Ihre Kampfschreie erfüllten die Luft, die Rüstungen klapperten und sie brachten die Entfernung in wenigen Sekunden hinter sich. Draach blieb zurück, um noch ein paar Klebebeutel zu platzieren. Er zielte auf die Schultern, damit der Klebstoff in die Ritzen der Gelenke eindrang und dort aushärtete. Dann folgte er seinen Waffenbrüdern.
Die Schnitter hatten ihre gefürchteten Klingen gezogen, von deren Schneide ein unheilvoll violetter Schein ausging. Diese Waffen sahen sehr gefährlich aus.
Die tatsächliche Macht der Klingen sah Muuk, als Brudu seinen Sturm nicht rechtzeitig abbremste. Er rannte zu weit vor und der Schnitter mit der 2 auf der Brust fuhr mit seiner Klinge in Hüfthöhe entlang. Von einem zerreißenden, knatternden Geräusch begleitet, glitt sie einfach durch das harte Leder, durch die Stein- und Knochenpanzerung, durch die Haut, durch seine Organe und Knochen und zerteilte den Ork ohne sichtbare Kraftanstrengung in der Mitte. Sein schwarzes Blut und Teile seiner Organe platzten aus der Wunde und überzogen alles in der Nähe mit dunklen, schweren Tropfen und Gewebefetzen. Als Brudus Körper zerteilt auf dem Boden lag, konnte der scheinbar selbst nicht glauben, was grad geschehen war und der Schnitter offensichtlich auch nicht. Statt noch einmal zuzuschlagen wich er erschrocken ein Stück zurück und stolperte über seinen am Boden hockenden Kameraden. Er stürzte zwar nicht, Brudu konnte die Situation jedoch nutzen, um mit einer großen Kraftanstrengung sein hakenbewehrtes Netz über den Feind zu werfen, kurz bevor der immer noch hockende Schnitter 4 sein Schwert in Brudus Kopf stieß und ihn aufriss.
Die anderen Orks bekamen das Seil des Netzes zu fassen, sie rissen Nummer 2 aus der Gruppe heraus und rannten in Richtung Gras, den Feind hinter sich her ziehend. Die anderen setzten ihnen sofort nach, um ihren Kameraden zu retten. Bereits im Lauf rammte Kuru-Uk eines seiner Eisen in das Oberschenkelgelenk des Schnitters, um die Panzerung auszuhebeln. Wenig passierte, aber die anderen machten es ihm nach. Der Gezogene wehrte sich nach Kräften, aber seine Arme waren im Netz verfangen, das Schwert hatte er verloren und viel mehr als mit den Beinen strampeln konnte er nicht. Einige Orks hielten die anderen Schnitter auf Abstand, damit ihre Kameraden ihr blutiges Werk vollenden konnten. Im vollen Lauf stießen Muuk und die anderen Krieger mit ihren Eisen und Hämmern immer wieder in dasselbe Gelenk, bis es einen Spalt weit nachgab. Darauf hatte Kuru-Uk nur gewartet und schob blitzartig ein flaches, scharf geschliffenes Eisen eine Elle tief hinein und sofort wieder heraus. Ein Strahl des ekelhaften, roten Blutes folgte dem Eisen und sprühte Muuk direkt ins Gesicht. Das heiße Blut benetzte ihn und der metallische, süße Geschmack dreht ihm fast den Magen um.
Ein Ork hielt das verletzte Bein vom Körper ab, damit sich die Wunde nicht schließen konnte. Die anderen schlugen im Laufen auf das andere Gelenk ein, bis auch dieses nachgab. Das Sprühen des Blutes ebbte zu einem Pumpen ab und schließlich versiegte es ganz. Als der Schnitter aufhörte, zu strampeln, ließen sie ab und als schließlich seine Panzerung grün schimmerte, gab Kuru-Uk das Zeichen, ihn liegen zu lassen. Er wusste, dass dieses Leuchten den Tod anzeigte. Nun hatten sie nur noch drei Gegner und einer davon war schon angeschlagen.
Die Orks liefen noch ein gutes Stück weiter und sammelten sich dann. Die Schnitter würden durch ihren toten Kameraden aufgehalten werden.
Muuk hatte endlich wieder Zeit, nachzudenken: Brudu trug einen viel besseren Panzer als er und ist einfach in der Mitte zerschnitten worden. Er fühlte sich plötzlich nackt mit seinem Panzer, der mit so viel Mühe und Hingabe hergestellt worden ist. Und der ihn doch im Stich lassen würde. Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte er, wie die nackte Angst sein Herz zu zerquetschen drohte. Er hatte gesehen, mit welcher Leichtigkeit der Schnitter den Tod gebracht und wie der sich selbst über diese Leichtigkeit erschrocken hatte. Das schockierte ihn eigentlich noch mehr, als der Tod seines Clanmitgliedes. Sie hatten es offensichtlich mit Anfängern zu tun, die trotzdem so tödlich waren, wie er es sich nie vorstellen mochte.
***
Die Nase pumpte den Schmerz noch immer in Wellen durch ihren gesamten Körper, die Anstrengung verstärkte ihn noch. Aber dank der Medikamente war es auszuhalten. Noch stärkere Mittel hätten Jennys Scharfsinn und die Reflexe eingeschränkt, so musste sie vorerst mit dem brennenden und pochenden Schmerz leben.
Als sie bei Nummer 2 ankamen, wurde Jenny vom Anblick übel. Sie konnte den Brechreiz unterdrücken, aber nicht den Blick abwenden. Die Orks waren längst durch das Gras verschwunden. Ihr Kamerad war von einem grünen Leuchten umgeben, seine Beine standen weit vom Körper ab und der ganze Boden war vom Blut aus der Aorta im Oberschenkel getränkt. Schon während der Verfolgung durch das Gras hatten sie das Blut an den Halmen kleben sehen und ahnten Böses.
Wegen des Stasisfeldes konnten sie ihn nicht bewegen, daher markierte Cap den Körper mit einer Funkboje, damit er von einer Drohne zum Basisschiff gebracht werden konnte.
"Herhören! Unser Status", ließ sich der Captain über Funk hören.
"Wir sind zu dritt und die sind wenigstens fünfzehn. Sie haben uns überrascht, daher dieses Fiasko. Aber sie werden uns nicht noch einmal überraschen. Wenn wir zusammenstehen, können wir sie immer noch überwinden. Oder wir haben die Option, abzubrechen. Das kostet jeden von euch 100 Punkte. Die lassen sich aber später wieder ausgleichen."
Jenny blickte auf das Schlachtfeld und traf ihre Entscheidung.
***
Als Jenny im Basisschiff unter der Dusche stand, war sie froh, dass sie abgebrochen hatten. Es war keine Schande: viele Teams brachen den ersten Einsatz ab.
Sie war stolz auf ihre Reaktion im Kampf. Trotz der Verletzung und des Durcheinanders war sie diejenige, die dem Ork ein Ende gesetzt hatte. Wenn sich deswegen das schlechte Gewissen meldete, dann sagte sie sich: "Wir gaben ihnen Kultur und Denken. Wir haben sie geschaffen, also können wir sie auch wieder auslöschen. Ohne das Spiel wären sie gar nicht da." Meistens funktionierte das.
Ihre Nase und das Jochbein waren gleich nach der Rückkehr vom Autodoc gerichtet und die Knochen verklebt worden. Die Haut war ersetzt und Nanobots reparierten das zerquetschte Fleisch. Wange und Nase zeigten nur noch eine deutlich sichtbare Rötung, die aber auch bald verschwinden würde.
Nummer 2 war von einer Drohne abgeholt worden und befand sich noch in Behandlung. Der Autodoc gab an, dass er noch drei Tage zur vollen Einsatzfähigkeit brauchte. Erst dann konnten sie sich an das zweite Level wagen. Dann ging es zur großen Mauer, die sie überwinden mussten. Dort würden schlagkräftigere Orks mit ausgefeilteren Waffen warten als im Einstiegslevel. Dafür hatten sie ein paar zusätzliche technische Spielereien dabei. Dort könnte sie mit der gewonnenen Erfahrung die verlorenen Punkte wieder wettmachen. Ein Teil in ihr freute sich darauf, vielleicht würde sie sogar tatsächlich die Halle der Ewigen erreichen, wo sie sich im Highscore dieses Abenteuers eintragen könnte.
Ihre Eltern würden stolz auf sie sein.