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Die erste Nacht
Eine wahre Geschichte...
"Lucas Müller in den Besucherraum..."
Du bist bunt und wunderschön.
Nicht eine von tausend, die Eine!
Mein Herz schlägt schneller,
ich setz mich zu dir,
dein Duft füllt meine Lungen.
Deine Stimme klingt so wohl,
so vertraut.
Leben strömt in mein Herz. Meine Seele,
verliebt und geborgen.
Bis hin zur Träne und nur noch Träume.
Man könnte annehmen, ich hätte verloren. Ich habe so lange gekämpft. Ich habe dafür gekämpft, ein Leben so zu führen, wie ich es möchte, wie es meinen Vorstellungen entspricht. Doch seit längerer Zeit mache ich mir keine Gedanken mehr über mein Leben und meine Zukunft.
Ich stehe auf, verbringe den Tag, gehe schlafen und stehe wieder auf. Meine Probleme haben mich eingeholt, versperren mir die Sicht. Ich hoffe einfach, dass ich wieder sehen kann, sobald ich raus bin.
Und ich spüre, dass Träume in mir schlummern.
Es war Dienstag, der 13.01.2009. An diesem Tag stellte ich mich der Polizei und bin für 28 Tage in den Knast gegangen. Ich gebe zu, ich hatte eine scheiß Angst. Ich wollte mich schon am Tag zuvor stellen, es ging nicht, ich war nicht bereit. Auch an diesem Tag werde ich zwei Versuche brauchen.
Lea und ich hatten noch einmal eine wunderschöne Nacht miteinander verbracht. Sie verließ am Morgen vor mir das Haus. Ich machte mich fertig, wusch mich, zog mich an, doch vermochte ich es nicht, das Haus zu verlassen. Mein Geist war leer, mein Herz in die Hose gerutscht. Ich wusste, dass ich gehen musste, es blieb mir kein Ausweg. Dennoch war dort eine Kraft, die mich nicht gehen ließ. Ich setzte mich noch einmal vor den Computer und schaute mir ein paar Serien im Netz an. Keine Ahnung, was ich gesehen habe, ich starrte nur auf den Bildschirm. Fühlte mich leer, emotionslos, ohne einen Gedanken an das, was ich sah oder an das, was vor mir lag.
Es gab kein zurück, auch wenn ich es mir gewünscht habe. Meine Familie wusste, dass ich mich stelle, meine Freunde wussten es. Die Entscheidung lag nicht mehr bei mir, die Entscheidung war gefallen. Ich musste mir nur noch die Schuhe anziehen und das Haus verlassen.
Das habe ich getan, so um die Mittagszeit. Bevor Lea nach Hause kommt wollte ich weg sein. Sie sollte mich nicht so schwach sehen.
Ich ging nach draußen, über einige Umwege zur Polizei. Es war ein nasskaltes Wetter, normales Wetter für einen Januartag in Hamburg. Erst jetzt, wo ich die frische Luft spürte, fing mein Kopf an zu arbeiten. Ich war aufgewacht, mein leerer Kopf wurde wieder mit Leben gefüllt. Ich war bereit, beinahe! Ich hatte mich nicht von dir verabschiedet, mein Körper, der hatte es, ja, aber mein Geist, der hatte es nicht. Ich ging an der Polizeiwache vorbei und noch einmal zu dir zurück. Ich wollte dich sehen. Wir haben uns dann noch für eine Stunde ins Bett gelegt. Wir lagen einfach nebeneinander, ohne zu reden. Ein letztes Mal habe ich deine Nähe gespürt und nach einer Stunde sah ich in deine Augen und konnte gehen. Endlich hatte ich wieder zu meiner Stärke gefunden, endlich konnte ich aufrecht meiner Zukunft entgegen gehen.
Auf der Straße haben wir uns geküsst, du bist gefahren und ich, ich bin zur Polizei gegangen.
Es war egal, ob ich mich stellte oder gefasst werden würde. Es war nur eine Geldstrafe. Die Polizisten gingen respektvoll mit mir um und haben bei der offiziellen Festnahme auf Handschellen verzichtet. Ich musste nun das erste Mal, zwanzig weitere Male folgten in den nächsten zwei Tagen, meine Taschen leeren. Daraufhin brachte man mich in einen Warteraum. Dort blieb ich ca. dreißig Minuten. Ich wartete auf einen Streifenwagen, der mich zur Hauptdienststelle kutschieren sollte. Ich muss zugeben, dass ich es sehr spannend fand, was dort alles mit mir passierte. Dann kam der Streifenwagen, natürlich musste ich erneut meine Taschen leeren, mein Rucksack wurde natürlich auch nochmal durchsucht. Nach dieser Prozedur hat man mich in den Wagen gesetzt. Die Autotür wurde noch nicht einmal verriegelt.
An der Hauptdienststelle angekommen ließ die Spannung allerdings abrupt nach und schlug in Langeweile um. Ein Gefühl, das ich in den nächsten Tagen noch häufiger erleben durfte. Dort musste ich nun alles abgeben. Gürtel, Schuhe, Handy, Schlüssel, Rucksack, Tabak. Zuletzt zog ich blank, damit ich auch nichts verstecke.
Nun saß ich da, in einer kleinen kalten 5m² Zelle. Irgendwann, so hieß es, kommt der Gefangenentransport, der mich in die U-Haft bringt. Eine Matratze wäre schön gewesen. Es gab aber nur eine Holzbank, auf der ich mich niederlassen konnte. Ich wusste nicht, wann ich abgeholt werden würde und so langsam nach zwei, drei Stunden in der Zelle hatte ich mit meinem Hunger zu kämpfen. Es gab kein Brot, nur einen Becher Wasser. Nach sechs Stunden ging die Zellentür auf. Ich bekam meine Schuhe wieder, der Transporter war da.
Ein kleiner Bus ohne Fenster, zwei Bänke an den Seiten und ein Käfig, in dem jemand saß.Da saß ich nun, mein erster Kontakt zu Häftlingen. Auf den Bänken saßen drei Männer, mit mir vier. Ein Junkie, ein älterer Türke, der ebenfalls wegen einer Geldstrafe saß, ein schweigsamer Russe und ich. In dem Transporter verlor ich die totale Orientierung. Der ältere Türke sagte ziemlich passend, dass die Polizisten fuhren als hätten sie Kartoffeln geladen. Es stimmte, wir wurden ziemlich durchgereicht. Wir konnten uns auf unserer Bank, die einer Parkbank ähnelte, nicht anschnallen. Auf der Fahrt verlor ich das Gefühl für Zeit. Ich kann nicht mehr sagen, ob wir zehn Minuten oder eine Stunde gefahren sind. Das Ziel war: U-Haft Dammtor. Dort angekommen war ich der Erste, der aufstehen sollte. Man brachte mich in einen Vorraum und machte Fotos von mir. Ich bin ehrlich, die Mauern von Dammtor von innen zu sehen war hart. Außerdem war ich ziemlich durch den Wind. Ich wußte nicht, wo ich war, ich wußte nicht, dass ich in U-Haft saß. Und so dachte ich; scheiße, hier bin ich jetzt also. Das ist Knast.
Zum Glück ging es am nächsten Tag nach Glasmoor, aber so weit bin ich noch nicht.
Nachdem man Fotos von mir gemacht hatte, führte man mich in einen Aufenthaltsraum. Dort war es dreckig, es stank nach Urin und anderen Dingen. Eine Toilette stand im Raum. Die Bänke und Tische waren festgeschraubt. Überall waren Daten eingraviert und auch die Wände, voller Daten. 12.12.2002- 18.07.2005, 14.03.2001- 21.03.2008... .Sprüche in allen Sprachen und Schriften. Wenn man solche Daten liest, weiß, dass dahinter wahre Menschen stecken, lebendige wahre Geschichten, dann ist das angsteinflößend und man ist dankbar, dass man selbst nur 28 Tage hat.
Mitten in der Nacht kam ich in meine Zelle, meine Zelle für diese Nacht. Es war ein sechs- Mann Saal. Jeweils drei Etagenbetten und wieder eine Toilette im Raum. Es lagen schon zwei Mann auf dem Saal, einer von ihnen Marco, mit ihm sollte ich noch viel Zeit verbringen, denn wir kamen beide am nächsten Tag nach Glasmoor. Ich nahm das obere Bett, direkt rechts neben der Tür. Der Typ unter mir war gerade mal 17 Jahre alt und hatte für sein Alter schon eine Menge Erfahrung mit Vorstrafen, Bewährung, Knast. „Hast du mal Feuer?“, fragte er. Ich hatte keins, wie denn auch? Ein Laken, eine alte Tagesdecke, kein Kopfkissen, so bezog ich mein Bett und legte mich hin. Geschlafen habe ich nicht. Ich versuchte es. Ohne Erfolg. Ich glaube, dass niemand in der ersten Nacht schlafen kann. Zu stark sind die Empfindungen und Eindrücke, zu heftig das Erlebte und irgendwie ist alles nicht real. Plötzlich eingesperrt, nicht frei, entmündigt. Immer wieder die Frage, „wie ist es soweit gekommen?“.