Die erste Bahn
Die erste Bahn
Ich benutze immer die Treppen, wenn ich runter muss. Mit schnellen Schritten stolper‘ ich schon fast runter, berühre jede Stufe nur einmal, halte mich nicht am dreckigen Gerüst fest. Rechtzeitig erwische ich sie und steige mit einem Sprung ein, der Knopf blinkt und die Tür schließt sich. Ich schaue mich leise keuchend nach einem Sitzplatz um und entscheide mich dann doch zu stehen. Neben mir steht eine etwas exzentrisch aussehende, junge Frau. Sie hält sich ebenfalls nicht am Gerüst fest, wahrscheinlich aus demselben Grund wie ich. Sie trägt ein Buch mit sich und hält es genau so, dass ich den Titel erkennen kann „Beckmann: Expressionismus“, außerdem ist sie komplett in schwarz gekleidet und ziemlich blass. Ich lächle sie an, sie rümpft die Nase und schaut zur Seite, zieht ihre Augenbrauen hoch und gibt einen Luft stoß von sich, wovon ihr Kopf ein wenig nach hinten und dann wieder zurück fällt.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich zur Beerdigung eines Arbeitskollegen gegangen bin. Dort gab es diese leckeren Schokokugeln, ich hab mich natürlich nicht getraut nach dem Rezept zu fragen. Dort gab es auch jede Menge schwarz gekleidete Menschen. Wie sie da standen und mit gesenktem Blick auf das Grab schauten und so taten als würde ihnen jemand fehlen, der sich ausschließlich für sich interessierte hatte. Seine Mutter war auch dagewesen. Während der Pfarrer irgendwelche Gebete von sich gab, starrte sie auf das Grab und hatte sich gerade an irgendetwas erinnert, das konnte man ihr vom Gesicht ablesen. Sie schüttelte den Kopf, schwenkte ihren Blick nach rechts und neigte den Kopf ganz wenig nach hinten, dann fiel er wieder nach vorne und sie nickte. Nur zwanzig Minuten später schob ich mir genüsslich eine von den Schokokugeln in den Mund. Eine Schande, dass ich nicht nach dem Rezept gefragt habe.
Ich beachte das in schwarz gekleidete Fräulein nicht weiter und lasse meinen Blick weiter wandern. Eine Durchsage, die Bahn hält, der Knopf blinkt, die Tür öffnet sich, ein älterer Mann mit Fahrrad steigt ein. Ich frage mich, was für ein Wetter wir haben und wieso jemand mit Fahrrad Bahn fährt. Ich begutachte Das Rad, alles in Ordnung. Ich denke nicht weiter darüber nach und laufe drei, vier sitze weiter weg von dem Typen mit dem quietsch grünen Rad. Jetzt stehe ich richtig. Ein paar Jugendliche unterhalten sich von der Party, von der sie gerade kommen. Noch angeheitert berichten sie, wie gut der Dj ist und, dass sie unbedingt das nächste Mal wieder dabei sein müssen. Einer von denen ist wohl etwas zu gut drauf. Er grölt irgendetwas Unverständliches und bewegt seine Arme auf und ab. Als das Mädchen, das neben ihm sitzt merkt, dass ich ihn anschaue, wird sie rot im Gesicht und legt ihre Hand auf seinen Schenkel. Dann lächelt sie und flüstert dem Jungen was zu, kurz darauf schaut er mich an. Wir lachen.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit meiner Freundin vom Feiern gekommen bin. Wir sind danach immer mit der ersten Bahn gegen vier nachhause gefahren und haben uns über die Menschen lustig gemacht. Doch, man trifft echt witzige Gestalten! Penner, Dealer, Leute, die vom Feiern kommen, Leute, die noch feiern gehen, Omas, Opas, Bäcker, Leute vom Flughafen, die ganze Palette. Am meisten aufgeregt, haben wir uns über den Typen, der uns ernsthaft nach den Fahrscheinen gefragt hat. Wir schauten ihn nur verdutzt an und fingen dann an zu lachen. Nach wenigen Sekunden merkten wir, dass er es ernst meinte. Die Tür öffnete sich, ich nahm meine Freundin bei der Hand und wir rannten. Wir hörten hinter uns noch schallendes Gelächter, ich bin mir bis heute nicht sicher, ob das wirklich ein Fahrkartenkontrolleur war.
Eine Durchsage, die Bahn hält, das grüne Fahrrad fällt um, hier muss ich raus. Der Knopf blinkt, ich drücke drauf und winke den immer noch lauten Jugendlichen. Ich benutze immer die Rolltreppe, wenn ich hoch muss.