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Die erste Bürgerpflicht
Die erste Bürgerpflicht
"Ist er tot?" fragte eine ältere, etwas dicklichere Frau.
"Nein, Ich glaube er bewegt sich noch!" gab ein grosser muskelbepackter Rentner zur Antwort.
"Er blutet aber sehr stark!"bemerkte eine blonde, stark geschminckte Mutter, die nervös versuchte ihrem etwa zehnjährigen Sohn die Augen zu zuhalten.
"Ich habe immer gesagt, dass diese Skateboards Mordinstrumente sind," meinte der kleine, barhäuptige Taxifahrer und zog gemütlich an seiner Zigarette.
"Stimmt!" gab ihm der Rentner recht. "Unsere Stadt hat Unmengen für solche Bahnen und halpe Pfeiffen ausgegeben. Aber diese Rabauken müssen ja auf den Strassen rumgurken!"
"Unserer Jugend geht es einfach zu gut, zu unserer Zeit, hätte es das nicht gegeben!" zur Bekräftigung ihrer Worte setzte die dicklichere Frau eine strenge Miene und zeigte dem am Boden liegenden Jungen den Zeigefinger.
"Wo ist eigentlich der Fahrer?" wollte ein Radfahrer wissen, der auf seiner Maschine saß und an seinem Sturzhelm herumbastelte.
"Ach der sitzt immer noch am Steuer und glotzt Löcher in die Luft!"antwortete der Rentner.
"Der könnte auch mal aussteigen und dem Jungen helfen, " schimpfte die Mutter. "Schlieslich hat er ihn umgefahren!"
"Wie kann man nur so gewissenlos sein?" bemerkte die ältere Frau. "Da sieht man es mal wieder! Typisch Mann!"
"Darf ich mal durch?" fragte ein junger Mann mit dunklen Haaren und bahnte sich mit grosser Muskelkraft einen Weg durch die kritisch beobachtende Gruppe.
"Ja nun hören sie mal!" fuhr der Taxifahrer den Mann an. "Bleiben sie gefälligst hinten, wir waren schlieslich zu erst da!"
"Ich will dem Jungen doch nur helfen!" antwortete der Dunkelhaarige und bekam auf diese Bemerkung ein ziemlich spöttisches Lächeln zugeworfen.
"So, sie wollen helfen, dann zeigen sie doch mal, was sie können!"
Ohne den Taxifahrer noch eines Blickes zu würdigen eilte der Mann zu den am Boden liegenden Jungen und betrachtete die Verletzungen.
"Das sieht gar nicht gut aus!" sagte er leise und mit etwas lauterer Stimme wandte er sich den Betrachtern zu. "Bis wann wird der Notarzt hier sein?"
Als er nur ratlose Blcke und Achselzucken entdeckte, fragte er etwas lauter. "Was hat die Rettungsleitstelle den gesagt?"
Wieder bekam er keine Antwort!
"Ja seit ihr denn alle verrückt?" Schrie er nun aus voller Lunge! "Der Junge hat wahrscheinlich einen Schädelbasisbruch , es könnte in jeder Minute mit ihm vorbei sein und sie rufen nicht mal den Notarzt?"
"Ach was, Schädelbasisbruch, dass ich nicht lache!" rief der Rentner hervor. "Das ist nur eine kleine Platzwunde, nicht mehr! Da braucht man doch keinen Notarzt!"
Doch dieses etwas dürftige Argument hörte der Mann bereits nicht mehr. Er hatte sein Handy am Ohr und redete mit einem Polizeibeamten.
"So, In etwa fünf Minuten ist der Rettungswagen hier!" sagte er nach dem er das mobile Telefon hat verschwinden lassen und kniete sich wieder vor den Jungen.
"Da ist es kein Wunder, das unsere Krankenkassenbeiträge in den Himmel steigen, wenn man wegen einer kleinen Schramme gleich den Rettungswagen ruft!" sagte der Taxifahrer und steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel. Doch bevor er sie anzünden konnte, stand eine junge blonde Frau neben ihm und riss sie ihm von den Lippen.
"Sie werden doch nicht rauchen wollen, wenn ein bewusstloser Mensch am Boden liegt, sie Rüpel!"schrie sie ihn an und eilte zu den Mann, der an dem Verletzten die Erste-Hilfe-Massnahmen ausübte.
Der Taxifahrer stand wie angewurzelt da und konnte soviel Unverschämtheit nicht fassen.
"Was erlauben sie sich eigentlich?" schrie er wütend die Frau an. "Sind sie noch ganz dicht?"
Doch der jungen Damen schien diese Beleidigungen nicht zu stöhren. Sie sah dem Mann zu, wie er die Atmung kontrollierte und den kleinen Körper vorsichtig in die stabile Seitenlage brachte.
"Kann ich ihnen irgendwie helfen?" fragte sie ihn.
"Nein, mir nicht!" antwortete der Mann, sich nicht von seiner Arbeit abwendend. "Aber den Fahrer des Unfallautos bestimmt. Ich glaube er hat einen Schock!"
Ohne ein Wort zu sagen, stand sie auf und eilte zu den Fahrer. Dort angekommen versuchte sie mit ihm zu sprechen, befühlte seine Stirn und machte sich auf die Suche nach den Pulsschlag.
"Kalter Schweiss und wahnsinnig schneller Puls. Er hat einen ausgemachten Schock!" Nach diesen Worten, die sie an den anderen Ersthelfer gerichtet hatte, wandte sie sich den Betrachtern zu. "Kann mir vieleicht mal jemand helfen! Ich muss den Mann aus dem Auto holen!"
"Bin ich verrückt?" entgegnete der Rentner. "Am Schluss mach ich noch was falsch und der Mann zeigt mich dann an!"
"Und ich darf nicht schwer heben, ich habs an den Bandscheiben!" antwortete der Taxifahrer der immer noch wütend auf die junge Frau war.
Schlieslich erhob sich der Ersthelfer und ging auf das Auto zu.
"Gehen sie bitte zu den Jungen, ich mach das schon!"
Sie warf ihm einen dankenden Blick zu und eilte zu den Bewusstlosen. Der Mann griff in den Wagen schob den rechten Arm unter die rechte Schulter des Schockpatienten und wiederholte die Prozedur auf der Linken Seite. Dann drehte er vorschtig den Körper des Verletzten zu sich, so das der Rücken des Fahrers an der Brust des Mannes war und zog ihn ruckartig aus den Wagen. Langsam lies er den unbeweglichen Körper zu Boden sinken hob die Füsse des Verletzten an und legte sie auf die Türschwelle des Autos. Als nächstes griff er in den Font des Wagens und holte ein Kissen hervor, dass er vorsichtig unter den Kopf, des am Boden liegenden schob.
"Wenn der Mann nicht schon vorher verletzt war, dann ist er es jetzt mit Sicherheit!" sagte der Rentner und stupste den Taxifahrer, der immer noch der jungen Frau einige bitterböse Blicke zu warf, grinsend in die Seite.
"So grob wie der, geht man auch nicht mit Menschen um!" sagte die ältere Frau und schüttelte den Kopf.
In der Zwischenzeit hatte der Ersthelfer wieder den Jungen und die hübsche Frau erreicht, kontrollierte abermals den Puls und die Atmug des Bewusstlosen und sah auf die Uhr.
"Jetzt wird es aber höchste Zeit, dass der Rettungsdienst bald kommt. Ich weiss nämlich nicht, wie lange sein Zustand noch so stabil bleibt."
In diesem Moment ertönten aus beiden Fahrtrichtungen Sirenen und kurze Zeit später bremsten auch schon zwei Sanitätsfahrzeuge und ein Polizeiwagen neben dem Unfallort. Die Polizisten bahnten sich grob und mit Einsatz der Ellenbogen ihren Weg durch die Betrachtergruppe und schob sie dann mit ebensoviel Brutalität einige Meter zur Seite. Das hatte natürlich zur Folge, dass sich einige der Menschen in dem Pulk bedrängt fühlten und lautstark zu schimpfen begannen. Der muskelbepackte Rentner drohte einem der Polizisten sogar mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, wenn er es nicht unterlassen würde ihn wie ein Stück Vieh zu behandeln.
In der Zwischenzeit hatte der Notarzt den verletzten Jungen erreicht, bedankte sich kurz bei den beiden Ersthelfern und machte sich an die Arbeit. Die junge Frau und der Mann erhoben sich und wandten sich nun, einem der Polizisten zu, der sie mit Bleistift und Block bewaffnet empfing. Das Gespräch lief so ruhig ab, das keiner in der Betrachtergruppe etwas verstehen konnte.
"Na klar, jetzt müssen sich diese Zwei auch noch vor der Polizei wichtig machen obwohl sie doch gar nicht gesehen haben, wie der Unfall geschehen war!" schnaubte der Taxifahrer wütend und war erst wieder glücklich, als der Polizist von den beiden Ersthelfern ablies und auf die Betrachtergruppe zu ging.
"Guten Tag!" sagte er mit einer Höflichkeit, die er kurz vorher vermissen lies. "Ich habe gerade gehört, dass sie hier den Unfallsverlauf gesehen haben und würde deshalb gerne ihre Personalien aufschreiben, falls wir sie zu einer Zeugenbefragung einladen müssten."
Jetzt wurde ein jeder in der Betrachtergruppe plötzlich hilfsbereit und bot sofort seine Hilfe bei der Klärung des Falles an.
Bereits zwanzig Minuten später, war der Unfallort wieder frei und nur die kleine Blutlache am Boden zeigte, dass hier vor kurzem etwas Schreckliches geschehen sein musste.
Vier Wochen später trafen sich der muskelbepackte Rentner, die ältere, dickliche Frau, der Taxifahrer und die stark geschminkte Mutter wieder. Natürlich hatten sie dieses Mal auch genügend Grund zu schimpfen. Denn ein jeder von ihnen wurde wegen unterlassener Hilfeleistung zu ein Bussgeld im Wert von zweitausend DM verklagt.
"Und das alles wegen eines kleinen Kratzers!" schrie der Rentner und die anderen Drei stimmten ihm zu!