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Die Erde dreht sich und ich drehe mich mit.
Durch das offene Fenster zwitschern die Vögel in das Zimmer. Man kann die Nachbarskinder hören, die auf dem Hof Fußball spielen. Die Gardinen wehen im leichten Sommerwind und im Zimmer riecht es nach Sonne. Nach Sonnenschein. Nach Wetter bei dem man mit seinen Freunden im Freibad liegen sollte. Oder in einer Eisdiele einen kühlen Milchshake schlürfen. So warm war es dieses Jahr noch nicht gewesen, es ist der erste richtig warme Tag. Die festen Winterschuhe sollten nun also endgültig gegen die Flipflops ausgetauscht sein. Der gestrickte Pullover von Oma gegen das kurzärmlige T-Shirt.
Absolute Freiheit. Unbegrenzt. Über mir nur in unendlicher Entfernung der Sternenhimmel. Die Erde dreht sich und ich drehe mich mit. Die Erde dreht sich und ich drehe mich mit. Eine Sternschnuppe. Wo ist eigentlich Felix? Ich kann meinen Kopf nicht bewegen. Felix? Bist du noch da? Siehst du die Freiheit? Siehst du die Sterne? Wenn ich die Augen schließe sind sie immer noch da. Ist das nicht unglaublich? Felix? Hörst du mich? Felix ich möchte bei den Sternen sein. Mit dir, hörst du, nur mit dir Felix.
Ihre Mutter steht in der Küche. Auf dem Herd die Töpfe in denen sie das Mittagessen zubereitet. Leonies kleine Schwester spielt auf dem Küchenboden mit ihrer Puppe. So eine Puppe hatte Leonie auch gehabt. Braune lange Haare, die die Mutter zu zwei Zöpfen flechten konnte.
Es riecht lecker in der Küche. Leonies Mutter schaut auf die große Uhr über dem Küchenregal. Zwanzig nach Zwölf.
Der Bass ist so laut. Ich kann euch alle nicht hören. Ich will sowieso zu den Sternen. Am besten jetzt. Und ein Bier hätte ich gerne. Oder zwei. Eine Tüte könnte ich auch noch vertragen.
„Alles klar bei dir, Leo?“
Ja, bei mir ist alles in Ordnung. Hast du noch was zu rauchen?
Ich schaue Felix zu. Er holt das Gras aus seiner linken Pullitasche. Den Tabak und die Papes aus der rechten. Er sieht so gut aus. Ich muss ihn küssen.
Ich liebe dich, Felix.
„Ich dich auch.“
Er fängt an zu bauen.
„Lass uns verschwinden!“
Ja, lass uns verschwinden.
Die Bilder an den Wänden sind aus Kindertagen. Die meisten jedenfalls. Sie zeigen die kleine behütete Familie. Mama, Papa, Leonie und Kati. Und Jolly natürlich, den kleinen verzogenen Pudel den Leonie und Kati zu Weihnachten bekommen hatten.
Bilder vom Urlaub in Kroatien. Leonie und Kati am Strand.
Und die Bilder, die sie in der Schule gemacht hatten. Von dem Schulfotografen. Leonie in der ersten Klasse, Leonie in der zweiten Klasse, Leonie in der dritten Klasse. Auf dem aus der vierten Klasse fehlen Leonie beide Schneidezähne. Nächste Woche ist wieder ein Termin beim Schulfotografen, denkt der Vater, wie schnell doch die Zeit vergeht!
„Essen ist gleich fertig!“, hört er seine Frau aus der Küche rufen, „Guckst du, ob Leo inzwischen wach ist?“
Es wird immer heller. Ich kann schon die ersten Sonnenstrahlen sehen glaube ich.
„Ich bin völlig stoned, Leo.“
Ich auch. Guck dich mal an. Guck mal deine Augen an.
„Kann ich bei dir schlafen?“
Ich will noch nicht schlafen. Lass uns feiern gehen. Ist das da vorne nicht Robin?
Robin? Hey! Was machst du denn hier?
Ist das lustig. Robin auf der Straße. Felix auf der Straße. Ich auf der Straße. Vielleicht hat Robin ja noch was zum Kiffen. Oder sonst was. Man kann ja mal anfragen. Ist das lustig. Die Erde dreht sich und ich drehe mich mit. Und Felix auch. Und Robin auch. Und Lisa.
Wo ist eigentlich Lisa?
„Keine Ahnung…Seid ihr stoned?“
Felix nickt. Ich auch.
„Ich hab noch Pillen am Start.“
„Cool.“
Ihr Vater kommt in die Küche. Seine Frau und seine jüngste Tochter warten schon auf ihn.
„Leo ist gar nicht da“, sagt er und setzt sich an den gedeckten Tisch.
„Dann hat sie wahrscheinlich bei Felix geschlafen …“, mutmaßt die Mutter während sie das Essen auf die Teller verteilt.
„Wahrscheinlich, ja.“
Felix? Felix, wo bist du? Ich kann nicht mehr! Wo bist du? Hörst du mich? Lass mich nicht alleine. Wo bin ich überhaupt. Felix? Ich will nach hause. Ich muss kotzen, Felix bitte. Felix ich schaffe es nicht alleine. Scheiße. Mir ist schlecht. Ich sehe nichts. Bin ich immer noch auf dieser scheiß Party? Oder auf dem Dach? Felix? Das ist nicht lustig. Ich habe Angst. Wirklich. Was machst du da? Fass mich nicht an. Ich will ein Bier. Felix, gib mir was zum runter kommen. Hast du noch nen Jonny? Pink. Rot. Orange. Weiß. Gelb. Blitz und Donner. Pink wird grün. Rot wird Blau. Orange wird… Felix, hilf mir, bitte. Schwarz. Hör auf!
Es klingelt an der Türe, als ihr Vater sich gerade Nachschlag genommen hat. Zweimal klingelt es.
Ich brauch dringend was zum runter kommen. Ist hier nicht irgendwer, der mir helfen kann? Verfickte scheiße. Bitte. Bitte, bitte, bitte! Wo ist Robin mit seinen scheiß Pillen. Und wo ist Felix? Felix, ich will nach hause. Mama, bitte hol mich doch ab. Scheiße, scheiße, scheiße! Wo bin ich hier? Ich will nach Hause. Ich gehe jetzt. Wirklich. Bleibst du noch hier, Felix?
„Mach kein Scheiß!“
Mach kein Scheiß. Mach kein Scheiß. Mach kein Scheiß. Ich kann dich gar nicht sehen. Blau. Orange. Gelb. Lila. Rot. Lichter. Farben. Wo ist die Musik?
Felix?
Mach kein Scheiß! Mach kein Scheiß! Mach kein Scheiß!
„Wer kann denn das jetzt sein?“
„Wahrscheinlich hat Leo ihren Schlüssel vergessen …“
Die Mutter steht vom Küchentisch auf, wischt sich mit der Serviette über den Mund.
Mach kein Scheiß. Felix. Lichter. Farben. Geil! Alles dreht sich. Die Erde. Und ich. Ich drehe mich und die Erde dreht sich mit mir. Alles vibriert. Geil. Felix, geil! Spürst du das? Auf was für nem Trip bist du denn? Was fürn Trip… was fürn Trip…Trip. Trip. Trop. Trop.
Haha, Felix. Lichter. Die kommen näher, Felix, immer und immer näher.
„Leonie!“
Ich liebe dich, Felix.
„Leonie!“
Zwei Männer in grün. Der eine groß und dünn, der andere klein und dick. So wie man es sich vorstellt oder im Fernseher sieht.
„Sind Sie die Mutter von Leonie Spieke?“, fragt der große dünne.
Die Mutter nickt. Ängstlich.
„Ihre Tochter wurde heute Morgen von einem Auto erfasst. Sie war sofort tot, der Notarzt konnte nichts mehr tun…“