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Die Enge der grenzenlosen Freiheit

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08.08.2002
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Die Enge der grenzenlosen Freiheit

Das kleine Mädchen sitzt auf einem Hügel. Es ist die höchste Erhebung des Augebietes, ein klein wenig höher als der begrünte Damm selbst. Hier hat sie die Übersicht. Ist den Wolken, die in wundervollen Bildern vorbeiziehen, näher. Die Sonne wärmt und sie sieht unter sich, die Kinder auf der großen Wiese miteinander spielen. Sie beobachtet sie eine Weile und aus der Distanz gefällt ihr, was sie sieht. Das Laufen und Schreien, die Lebendigkeit der Kinder. Aber sie gehört nicht dazu. Nicht weil sie abgelehnt wird, im Gegenteil. Oft haben Jungs und Mädchen ihres Alters versucht in ihrer Nähe zu sein. Gerade eben erst hat sie ein Junge gefragt, ob sie nicht mitmachen wolle, beim Ballspiel. Sie lächelt, schüttelt den Kopf und zieht sich noch ein paar Meter weiter aus der Sichtweite der anderen Kinder zurück.

Ihr Haar ist vom Wind ein wenig zerzaust, sie mag es gerne so. So wie sie sich nicht einordnen möchte, so sollen auch ihre Haare frei herumwirbeln dürfen. Eine Sehnsucht spürt sie in sich, die sie mit anderen nicht teilen kann. Mit niemandem spricht sie darüber. Keiner fragt danach. Manchmal, wenn sie Angst hat, dass man ihr diese Freiheit nehmen könnte, wenn sie in der Klasse sitzen muss und nicht träumen darf, dann kann es passieren, dass sie einen Wutanfall bekommt. Wenn sich dann alle abwenden und keiner sich darum kümmert, was sie empfindet in diesen Momenten, dann wird sie wieder still.

So wie jetzt, wo ihr Geist eintaucht in ihr Inneres, umgeben vom Kreislauf der Natur. Die Luft ist angenehm. Sie atmet tief und fühlt sich wohl. Sie macht große Schritte, dann wieder ganz kleine, schaut zurück auf die kurzen Entfernungen die sie dabei zurücklegt. Sie lacht, lässt den Kopf in den Nacken fallen und dreht sich mit geschlossenen Augen im Kreis. Die Sonne findet ihr Gesicht und es strahlt in einem gelborangen Licht. Die Wärme legt sich wie ein beschützender Mantel um ihre kleine Gestalt. Sie legt sich auf die Wiese, die feucht ist vom herbstlichen Tau, breitet weit die Arme aus und blickt entspannt und von seeligmachender Traurigkeit in den Himmel.

Ein roter Drache, von einer langen Schnur gehalten, schlängelt sich über den Horizont. Sie träumt, dass er sie mitnimmt, immmer weiter hinauf, dorthin wo man des Nachts die Sterne zu berühren vermag. Sie schließt die Augen, lässt Bilder entstehen von Menschen in fernen Ländern, die allein unterwegs sind, in der Weite der Wüste oder im Gebirge wo die Sonne in Rosatönen untergeht.

Sie sieht hinter ihren geschlossenen Augenlidern ein wunderschönes Segelboot, das elegant über das Meer segelt. Sie sieht die Klippen an irgendeiner Küste vor sich, wo Wellen sich brechen und das Rauschen des Wassers tief in ihre Seele eindringt. Sie sieht den Adler durch die Luft gleiten und fühlt, wie er, die grenzenlose Freiheit. Immer ist es die Einsamkeit die sie in ihren Wachträumen heranholt, jene Einsamkeit in die sich selbst auch in ihrer Welt zurückzieht.

Die Mutter ruft nach ihr und wendet sich, als sie ihr Kind den Hügel herunterschlendern sieht, wieder ihrer Gesprächspartnerin zu. Das Mädchen weiß, es ist Zeit nach Hause zu gehen, wo der tägliche Streit ihrer Eltern sie wieder einholen wird. Wo die Mutter ihr dazwischen immer wieder sagen wird, wie schrecklich die Männer sind und welch Angst sie vor der Welt da draußen haben muss. Und ihr Vater wird, erheitert vom vielen Bier des Tages, lachen über die Mutter, ihre Ängste der Lächerlichkeit preis geben. Jeder wird versuchen den anderen möglichst oft mit kleinen Stichen zu verletzen, bis die Worte lauter werden und sie sich beschimpfen und das Leben zur Hölle machen.

Und keiner wird das Mädchen fragen was sie fühlt in diesen Tagen ihrer Kindheit. Wie schön wird es dann sein, sich an das Fenster zu setzen, die Ohren zu verschließen und auf Rückzug zu gehen in sich selbst, in eine Welt fern von dieser.
Manche kommen ihr Leben lang nicht mehr zurück.

 

Guten Abend schnee.eule,

eine wunderschön sensibel geschriebene, einfülsame Geschichte über ein Mädchen, das im Rückzug aus dem tatsächlichen Leben, von existenten Personen die Freiheit findet, die es im real live nicht bekommen kann. Eine traurige Geschichte, wenn sich ein Kind schon in eine Phantasiewelt zurückziehen, von der Umwelt disatnzieren muss, um leben zu können...

Ein kleiner Fehler hat sich, glaub ich, eingeschlichen:

Das kleine Mädchen sitzt auf einem Hügel. Es ist die höchste Erhebung des Augebietes, ein klein wenig höher als der begrünte Damm selbst. Hier hat sie die Übersicht. (Müsste, glaube ich heißen: Hier hat es (das Mädchen) die Übersicht)

:)

Liebe Grüße, Anne

 

Liebe Maus!

Vielen Dank für den Hinweis, hast recht und wird ausgebessert.

Dass du mitempfinden konntest in welcher Realitätsflucht sich dieses Kind bereits befindet, freut mich, denn dies sollte diese Geschichte erzählen.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hallo schnee.eule!

Eine gute Geschichte. Am Beginn hat mir vor allem folgender Satz gefallen:

Aber sie gehört nicht dazu. Nicht weil sie abgelehnt wird, im Gegenteil.
Das ist interessant. Das regt zum Weiterlesen an und man möchte den Grund für den freiwilligen Rückzug wissen. Dann werden in sehr schöner Sprache und mit großer Sensibilität die Gedanken des Mädchens beschrieben. Folgender Satz hat mir besonders gefallen:
Sie sieht die Klippen an irgendeiner Küste vor sich, wo Wellen sich brechen und das Rauschen des Wassers tief in ihre Seele eindringt.
Einfach schön. :-)
Nicht so gut gefallen hat mir der letzte Satz.
Manche kommen ihr Leben lang nicht mehr zurück.
Der ist für meinen Geschmack irgendwie überflüssig und zerstört ein bisschen den guten Eindruck der Geschichte, weil er auf mich irgendwie belehrend wirkt.
Nichtsdestotrotz, ein schöner Text. :-)

klara

 

Servus Klara!

Es ist sehr schön, wenn dich außer dem Gesamteindruck der Geschichte, einzelne Stellen besonders berühren konnten.

Der letzte Satz wäre tatsächlich nicht notwendig, fügte sich beim Schreiben aber fast reflexartig ein und verlangte nach seinem Recht gehört zu werden.

Wenngleich es mir leid tut, wenn er belehrend wirkt. Denn das war nicht bezweckt, es war eher ein Aufseufzen, die Erkenntnis, dass mancher aus dieser Zuflucht ein Leben lang keinen Weg mehr herausfindet.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Ach mensch, das ist mal wieder total toll zu lesen, was du da abgeliefert hast. Du reichst eine tolle Bewerbungsunterlage nach der anderen ein. Ja...lass mich diesen Satz ruhig mal ein wenig sachlich schreiben. Natürlich habe ich an meine story gedacht, ich, schon nach den ersten Sätzen. Ich denke,

...das ehrt dich und mich...

Ja, der Hübel, auf dem können auch Erwachsene sitzen.
Mal wieder eine der Story, bei denen ich nicht wissen muss, wie der Autor (die Autorin) heisst. Ich erkenne es inzwischen, aber ich wiederhole mich da.

Liebe grüsse Stefan

sehr schön

 

Hallo, schnee.eule!

Da ist sie wieder, diese Dir eigene leise Melancholie. Diese Sehnsucht nach Freiheit, die Du so ausdrucksstark vermittelst, läßt mich trocken schlucken. Wie schön wäre das, könnte man fliegen. Weit weg von allem Bedrückenden, von Zwängen und von Schmerzendem.

Den letzten Satz finde ich sehr wichtig. Zeigt er doch die Gefahr auf, die ein Rückzug in sich selbst bedeuten kann. Ich würde ihn stehen lassen.


Liebe Grüße
Antonia

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Stefan !

Jaja, da liegst du gar nicht so daneben, "uns" zu Ehren. Ich malte vor ein paar Wochen ein Bild von einem kleinen Mädchen das ein wenig verloren im Regen auf einer Brücke steht. Und dann las ich von dem Mädchen in deiner Geschichte und in meiner Phantasie sah sie aus wie das Mädchen auf dem Bild. Es blickte nicht nur diesen verwundeten Mann an, seltsam vertraut, sondern auch mich und erzählte mir eine Geschichte ....

Ich freue mich immer sehr über deine lieben Kritiken.
Einen herzlichen Gruß an dich - Eva

Liebe Antonia!

Deine Worte zeigen mir, dass du dich sehr gut einfühlst in das Erleben dieses Mädchens. Denn du hast die Sehnsucht nach der Freiheit erkannt, spürst die Melancholie. Aber dir ist auch die Gefahr nicht verborgen geblieben, die in diesem Distanzverhalten zum tatsächlichen Leben steckt.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

hallo schnee-eule

ja, so wie es alle sagen - wieder schreibst du eine sehr, sehr schöne geschichte, die melancholie zum greifen nah..sehr schöner stil..mit dem du schreibst..ich fühle immer mit..

aber man möchte auf dieser seite ja auch noch mehr feedback - *smile* - meine meinung: so wie in dieser geschichte..so habe ich auch beispielsweise bei "indien" gedacht: ich hätte mir mehr inhalt in dieser stimmung gewünscht.. das mädchen sitzt auf dem berg, es sucht die träumerein und einsamkeit, und schuld, so sagst du uns am schluß sind eltern. der inhaltliche faden ist also sehr kurz.

deshalb fragt man sich dann auch: warum will sie denn nicht mit den kindern spielen - das könnte doch noch schöner sein als im traumland, das lächeln von menschen - mal anders als zuhause..woher diese(!) abneigung..und woher kennt sie als kleines mädchen in dieser traurigen welt, all die schönen bilder von bergen, küsten, segelbooten etc.?

vielleicht kann in der geschichte mehr passieren - der wutanfall in der schule - er kann doch in zwei, drei absätzen "erzählen", was du in zwei sätzen erklärst..vielleicht träumt sie sich auch zurück in die zeit, als noch alles schön war - als sie mit den eltern am meer, auf segelbooten war..es gibt bestimmt tausend ideen für mehr inhalt..

wenn das zusammenkommt - die schöne melancholie in worten und stil und dazu noch ein ausführlicher handlungsstrang..hat man sicher ein meisterwerk vor sich..*smile*

liebe grüße, streicher

 

Hallo schnee.eule,

wieder eine sensible, gut dargestellte Geschichte von Dir. Die Erwähnung des Wutanfalls sehe ich als gekonnten `Fleck´ auf dem Bild, daß Du von dem Mädchen zeichnest. Es ist halt nicht nur eine sanfte Träumerin. Warum sie freundliche Annäherung nicht begrüßt, ist mir nicht ganz klar geworden. Nach den familiären Erfahrungen müßte sie Freundlichkeiten doch begrüßen.
Besonders gefallen hat mir, daß die Protagonistin zu erahnen scheint, was die Mutter ihr antut, falls sie die von der Mutter angeheizten Ängste übernimmt.
Noch ein Vorschlag: „... unter sich, w i e die Kinder ...“ (oder ohne Komma und ohne `wie´).

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Servus Streicher!

Deine Worte haben mich tief berührt.
Dieses kleine Mädchen flieht in ein Gedankenmeer und lässt dort weiße Boote segeln.
Wo sind die Bilder her? Von Büchern, Gemälden vielleicht? Sie hat in ihrer Phantasie Menschen vor Augen die einsam durch Länder wandern, weil ihr das vertraut und angenehm scheint. Sie verschließt sich, geht auf Distanz trotzdem sie von anderen gesucht wird. Sie verliert sich in Stimmungen und Sehnsüchten.

Aber vielleicht fängt das Kind gerade jetzt diesen, deinen geworfenen Ball auf - um mitzuspielen, dem Spiel mehr Inhalt zu geben, wer weiß?

Ich danke dir sehr für dein feedback.
Lieben Gruß an dich - Eva

 

Servus Siegbert!

Die Wut, der Fleck auf dem Bild der Träumerin. Das drückt es wirklich sehr schön aus was ich sagen wollte. Das freundliche Annähern von anderen Menschen erwidert sie ja - mit einem Lächeln. Sie freut sich, dass sie gemocht, gesucht wird. Aber es ist schwer für sie eine Lebensstrategie an- und auszuschalten. Also lächelt sie und geht innerlich auf Distanz.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

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