Was ist neu

Die endliche und die unendliche Überarbeitung

Seniors
Beitritt
03.04.2003
Beiträge
1.343

Die endliche und die unendliche Überarbeitung

Titel frei nach Freud, Aufhänger des Threads ist dieses hier:

Geschrieben von sim
Ich gehöre ja auch eher zu den langsam arbeitenden Feilern und bin selten wirklich überzeugt. Nur daran würde auch die hundertste Überarbeitung dann nichts mehr ändern.
Interessante Sache. Warum eigentlich nicht?
Ich hatte vor längerer Zeit mal dieses Phänomen, daß ich einen Text wieder und wieder überarbeitet habe und jedesmal, wenn ich ihn eine Woche lang liegen ließ und wieder draufschaute, fand ich neue Macken, die unbedingt überarbeitet werden mußten.
Ganz ist das immer noch nicht weg, aber es ist deutlich weniger geworden, seitdem ich einigermaßen regelmäßig schreibe.
Gerade habe ich mir noch mal meinen "Flugteufel" durchgelesen und ca. 12 Stellen gefunden, die ich so nicht stehen lassen kann. Vor vier Jahren wären es 120 gewesen.
Was ist der Grund dafür?
Wenn man etwas überarbeitet, dann tauscht man in dem Augenblick doch schwächere Formulierungen gegen bessere. Wieso bin ich oder du dann später nicht damit zufrieden? Und wieso erst später und nicht sofort?
Wäre es Weiterentwicklung, deren Einfluß arc sicher korrekt beschrieben hat, wäre das aber eine sehr rasante Weiterentwicklung.
Sicher, es gibt den Begriff der Distanz zum eigenen Text, der dann im Moment Null ist, aber was bedeutet das eigentlich?
Ich habe im Flugteufel z.B. gefunden, daß eine Prot. zweimal in nur wenigen Zeilen Abstand einen "spitzen Schrei" ausstößt. Unschöne Wiederholung. Wieso ist mir das bisher nie aufgefallen? Und da ein Satz mit einer völlig verknoteten Satzstellung. War ich besoffen, als ich ihn geschrieben habe?

Mir passiert es aber auch gelegentlich, daß ich mich mit dem Charakter einer Figur oder dem Plot verzettele.
Zur Zeit hänge ich in einem praktisch fertigen Roman an einer Stelle, die eigentlich nebensächlich ist, und dennoch kriege ich sie nicht geregelt. Ich hatte eine Prot., die von zu Hause auszieht. Das hat aber eigentlich nicht so recht zur Situation und ihrem Charakter gepaßt, ich habe es daher umgedreht: Die Prot. wird wegen ihrer schlechter schulischen Leistungen von ihrem Vater in ein Internat gesteckt. Das ist jetzt viel besser so, zwingt mich aber, darüber zu schreiben, was sie dort erlebt, und das will ich eigentlich gar nicht.

Ich schweife ab.

Die Frage, die ich mir und euch in diesem Thread stelle: Wieso kriegen wir in der Regel nicht hin, etwas so zu schreiben, daß es glatt ist, bzw. warum kriegen wir das nicht wenigstens in der ersten Überarbeitung hin. Wir wissen doch eigentlich, was wir wollen, oder? Warum machen wir das dann nicht einfach? Anders als beim Spielen eines Instrumentes müssen wir schließlich nicht "live performen", sondern können uns jeden Buchstaben einzeln überlegen.

r

 

Ich antworte dir mal recht flott, da du dich ja auch auf mich beziehst.
Bei mir liegt es weniger an der Qualität meiner Texte, sondern an meinem tiefen Misstrauen mir gegenüber.
Ich kann mir selten zugestehen, etwas gutes geschaffen zu haben.
Oft ist es die Qual der Wahl, die verunsichert, denn es gibt eben nicht nur eine gute, sondern mehrere gute und mehrere schlechte Möglichkeiten. Und selbst dann wenn die letzte unschöne Wiederholung eliminiert ist, kann ich zwar für meine Geschichten streiten, sie sogar in Schutz nehmen, und mich bei Kritik gekränkt fühlen, wie jeder andere auch, aber in mir gebe ich jedem Kritiker recht.
Wenn ich etwas nach einem Jahr noch mal lese, dann ist es Weiterentwicklung, die mir bei der einen oder anderen Szene eventuell Bauchgrummeln macht, wenn ich aber nach einer Woche etwas bemerke, dann war es zuvor lediglich Betriebsblindheit.
Gerade wir beide hatten das ja bei einer Geschichte schon mal, dass sie für dich rund war, obwohl ich noch zweifelte. ;)

Zu deinem Plotproblem erlaube ich mir den Vorschlag, dass der Vater sie nicht ins Internat schickt, sondern einfach vor die Tür setzt. Dann müsstest du nicht beschreiben, was sie im Internat erlebt, sie könnte gezwungenermaßen ausziehen und erstmal in einer WG unterkommen. Das halte ich angesichts der Tatsache, dass ich einige Jugendliche kenne, denen das so gegangen ist, nicht mal für unwahrscheinlich.

Lieben Gruß, sim

 

Ich bin beim Überarbeiten der Geschichte immer noch in der ursprünglichen Denkstruktur drin, weshalb es mir oft schwer fällt, große Veränderungen, z.B. komplexe Umstellungen, vorzunehmen.

 

Nun denn, seine Texte immer wieder zu überarbeiten ist wichtig... schließlich müssen solche, von dir bemerkten stilistischen Fehler verbessert werden. Außerdem lernt der Schreiberling in dem Fall sich einzuschätzen... warum du derzeit immer weniger findest liegt vielleicht an der eigenen schriftstellerischen Verbesserung... wenn man Fehler in alten Texten entdeckt, behälst du sie im Gedächtnis und so passieren sie dir kein zweites Mal...

Ich schätze meist meine Geschichten erst ein, bevor ich sie veröffentliche und kritisiere an ihnen herum, verbessere sie und erst, wenn ich wirklich alles entfernt habe, was überflüssig war, wird sie gepostet. Dies mag zum Teil auch an meinem eher selbstkritischen, selbstreflektiernden Naturell liegen...

 

Ich überarbeite meine Geschichten so lange, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin.
Vorher wird aber auch nix veröffentlicht.
Danach werden nur noch gravierende Fehler korrigiert, Fehler, die es immer gibt und von eifrigen Lesern immer entdeckt werden :rolleyes:
Danach ist die Story für mich erledigt, denn das weitere Beschäftigen mit alten Geschichten würde mich daran hindern, neue Geschichten zu schreiben.
Ich glaube Stephen King war es, der gesagt hat: Irgendwann muss man seine Kinder auch gehen lassen können.

 

Ich verbringe viel Zeit mit der Überarbeitung meiner Geschichten, oft überarbeite ich sie auch mehrmals. Meist, um Formulierungen zu verbessern, manchmal aber auch, um inhaltliche Fehler, etc. auszubügeln. Selbstzweifel könnte ein weiterer Grund sein.

Nach der Rohfassung bearbeite ich meist die Details nach, lese den Text immer wieder durch – und jedes Mal finde ich neue Fehler.
Irgendwann ist die Geschichte dann aber mal soweit, dass ich sie bei kg.de poste.

Wodurch andere wieder neue Fehler finden – und schon geht es weiter mit der Überarbeitung. Bei einer meiner Geschichten hab ich vier Versionen gepostet, bevor die Endfassung fertig war. Lohnte sich aber. Insgesamt hab ich zwei Monate an dieser Geschichte geschrieben.

Irgendwann muss aber mal Schluss sein mit der Überarbeitung – befasst man sich ständig und zu intensiv mit einem Text, fehlt einem irgendwann der nötige Abstand und der Überblick, um sich noch objektiv mit der Geschichte befassen zu können. Am besten, man lässt dann wohl einige Zeit verstreichen ehe man sich dem Text erneut zuwendet.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Bei mir ist es so, dass ich bei allem, was länger als ein paar Zeilen ist, oft nicht für alle Stellen sofort die perfekte Formulierung im Kopf habe.

Oder ich habe einen Text fast perfekt im Kopf, vergesse aber während der Niederschrift die Hälfte, so dass ich später nachbessern muss.

Oder - und das kommt bei mir am häufigsten vor - ich habe eine gute Idee, die jedoch noch nicht vollständig ist. Dann "fülle" ich die Leerstellen drum rum mit Provisorien, die ich zu einem späteren Zeitpunkt dann noch mal in Angriff nehme. Ich will dann erst mal eine Rohfassung fertig kriegen, auch wenn ich genau weiß, dass nicht alles daran perfekt ist. Für mich ist Überarbeiten mittlerweile so natürlich wie atmen - ich könnte gar nicht mehr anders schreiben, glaube ich. Es gibt nur wenige Texte, die mehr oder weniger in ihrer Urfassung rausgingen (Korrekturlesen zähl ich mal nicht mit) und mit denen ich nach wie vor zufrieden bin (konkret nur zwei, die hier zu lesen sind).

Ich denke, dass es wohl vielen so gehen dürfte. Wer von uns hat schon die Fähigkeit und die Zeit(!), auch nur einen 30-Seiten-Text in aller Ruhe in einem Stück fehlerfrei und mit ausschließlich perfekten Formulierungen niederzutippen. Einmal Telefon, einmal pinkeln müssen, schon ist man aus dem Rhythmus... geht zumindest mir so. ;)

Ein Grund könnte vielleicht folgender sein: Das menschliche Gehirn ist eine ziemlich komplexe Sache mit einer unbegreiflichen Dynamik. Was uns jetzt noch eine gute Idee scheint, kann in zwei Stunden schon wieder der größte Mist sein - weil unser Verstand (oder auch Gefühl - ganz wichtig!) plötzlich anders bewertet. Das können sprachliche Details sein, aber auch ganze Grundideen/Plots etc.

Heute morgen in der Bahn hatte ich noch eine Idee, die ich total klasse fand - mittlerweile frag ich mich schon, ob sie es überhaupt wert ist, dass ich eine Rohfassung tippe... so schnell kann das gehen. :D

Schreiben ist auf jeden Fall ein sehr seltsamer Prozess finde ich - aber das Überarbeiten finde ich wie gesagt schon mehr oder weniger vollkommen natürlich. Weil eine Geschichte i.d.R. Entwicklung bedeutet - auch in ihrer Entstehung. Dynamik, Pfade, Trial and Error... *Stichworte rumschmeiß* :D

 

Hallo zusammen!

Habe durch einen WInk diesen Thead entdeckt und ich habe gerade in einer meiner letzten E-Mails genau diese Frage gestellt.

Dazu möchte ich folgendes sagen: Seit über zwei Jahren arbeite ich nun an einem größeren Projekt, daß sich nun endlich seinem Ende nähert. Vergleiche ich aber die ersten Kapitel mit dem, was ich heute so hinschreibe, so sind das doch zwei Welten für sich.

Ich glaube, je länger man sich mit der Schreiberei beschäftigt, desto sicherer wird man auch damit. Schreiben ist ein Handwerk, daß erst erlernt werden will. Deshalb kommt es vor, daß man eine Geschichte, je öffters man sie liest, trotzdem noch als verbesserungswürdig empfindet, weil man sich selbst eben auch immer weiter verbessert.

Liebe Grüße
Anja

 

Ich denke, das hat einen ganz einfach Grund:

Bei der ersten Version schreibt man meistens aus einem Geistesblitz heraus, man setzt sich einfach hin und bringt seine Gedanken zu Papier. Man wird praktisch dazu gedrängt, die Leidenschaft packt einen. Zumindest ist es bei mir so.

Nur ist das, was man im ersten "Rausch" zustande bringt, nicht immer gut, oder _so_ gut, wie man es schreiben würde, würde man darüber nachdenken. Aber das ist ja nicht schlecht. Würde man von Anfang an haargenau jedes Wort überdenken, bevor man es niederschreibt, würde das den Schreibfluss hindern. Womöglich würde man die Lust dran verlieren und gar nicht weiterschrieben.

Überarbeitungen lassen sich daher nicht vermeiden. Obwohl ich mich manchmal selbst frage: "war das, was ich als allererstes niedergeschrieben habe, nicht vielleicht doch besser und origineller, weil es noch nicht von meinem inneren Kritiker begutachtet worden ist?".

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom