Was ist neu

Die Einsamkeit des Bogenschützen

Seniors
Beitritt
08.07.2012
Beiträge
896
Zuletzt bearbeitet:

Die Einsamkeit des Bogenschützen

Sie kamen im Mondlicht, ein großer Wolf folgte ihnen. Es waren zwei Sammler, gut ausgestattet mit dicker, winterfester Kleidung, Rucksäcken, Waffen. Maya lag auf dem gefrorenen Boden hinter einem Wildrosenstrauch und beobachtete die Fremden. Sie hörte bereits das Knirschen ihrer Schritte im Schnee.
Der Wolf hielt inne, hob witternd den Kopf, doch die beiden Männer beachteten ihn nicht. Sie legten ihr Gepäck ab, entsicherten die Gewehre und näherten sich dem Blockhaus.
Maya hatte hier seit Ewigkeiten keine Fremden gesehen. Das Gebiet taugte nicht zum Sammeln, in der Taiga waren hochwertige Ressourcen knapp. Im Umkreis mehrerer Tagesmärsche gab es nur eine Handvoll menschlicher Behausungen, deshalb machten Gangs einen Bogen um die Wälder und terrorisierten lieber die Bewohner der Grenzdistrikte.
Maya schob den Lauf ihrer Flinte durch die Zweige und drückte den Schaft gegen ihre Schulter. Da war es wieder, dieses Gefühl, das sie fürchtete. Dieser Schmerz in der Brust, das Pochen in den Ohren. Sie kannte das verzweifelte Durchrechnen von Alternativen, die Suche nach einem Ausweg: Den Kopf unten halten, den richtigen Moment abpassen, dann losrennen und sich bis zum alten Jack durchschlagen. Es wäre ein Marsch von drei oder vier Stunden. Nein, ausgeschlossen. Sie würden sie hetzen, fangen, vergewaltigen und töten. So lief es hier, und niemanden wunderte das, obwohl es andere Zeiten gegeben hatte. Zeiten, in denen von Gemeinschaft, Solidarität und unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten die Rede gewesen war. Unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten – was die plündernden Banden jetzt darunter verstanden, hatte Maya am eigenen Leib erfahren.
Sie legte den Finger an das Abzugszüngel, kniff das linke Auge zu und zielte. Der Busch, hinter dem sie sich verbarg, mochte sie vor den Blicken der Männer schützen, aber einen Wolf konnte man so nicht täuschen. Das Tier näherte sich schon ihrem Versteck.
Als die im Schnee vergrabene Bärenfalle zuschnappte und mit ihren gezahnten Eisen einem der beiden Männer den Unterschenkel zermalmte, krachte Mayas Gewehr.


»Und was ist das?« Jenny deutete auf den Metallstreifen, der nahe der Pfeilauflage seitlich an den Bogen ihrer Schwester montiert war.
»Das ist der Klicker«, sagte Maya und blinzelte. Die Maisonne stand schon hoch über der Trainingsanlage. Die Flaggen auf den Zielscheiben und längs der Schießbahn schaukelten träge im Wind.
»Aha. Und wozu brauchst du den?«
Maya zog einen Pfeil aus ihrem Köcher, setzte ihn auf die Auflage und schob ihn unter dem Metallstreifen hindurch.
»Der Klicker drückt den Pfeil jetzt gegen den Bogen, siehst du?«
»Hm, und weiter?«
»Wenn ich den Bogen spanne und den Pfeil zurückziehe, rutscht der Klicker über die Spitze und schlägt an.«
»Und wenn es klickt, dann schießt du?«
»Ja, genau in dem Moment.«
Jenny nickte. »Verstehe. Das macht den Schuss präziser.«
»Es hilft, die Bewegung auf den Millimeter genau zu wiederholen. Ein Schütze macht immer wieder das Gleiche.«
Jenny beobachtete, wie ihre Schwester das Endstück des Pfeils in die Sehne klemmte und sich auf den Schuss vorbereitete. Obwohl sie sich nie für die Details dieses Trainings interessiert hatte, gab es da etwas, das sie am Bogenschießen faszinierte. Es war der Moment des Zielens, ein Augenblick, dem eine besondere Magie innewohnte, denn er schien Maya zu verwandeln. All die Schwere fiel dann von ihr ab, all die Melancholie, das ewige Moll ihres düsteren Brütens, und übrig blieb ein einziger leuchtender Gedanke, ein klarer Blick auf das Ziel. So jedenfalls wirkte es auf Jenny, wenn sie - wie jetzt - das Gesicht ihrer Schwester in den Sekunden vor dem Schuss betrachtete.
Mit einem peitschenden Knall schnellte die Sehne nach vorn, und der Pfeil zischte davon. Jenny hörte das dumpfe Klack des Einschlags. Sie hob den Feldstecher und schaute hindurch.
»Neun, oben rechts«, meldete sie.
Maya legte den nächsten Pfeil ein. »Wie läuft's denn so zu Hause?«
Jenny setzte das Glas ab und warf ihrer Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Sie machen sich irre Sorgen. Das weißt du ja wohl«, sagte sie schließlich.
Maya justierte den Sitz ihres Fingerschutzes, ergriff die Sehne und hob den Bogen. »Ich weiß«, erwiderte sie. »Aber es ist mein Leben.«
Das Carbon der Wurfarme ächzte leise, als sie den Bogen spannte. Wieder folgte ein Moment der Bewegungslosigkeit und Stille. Und schließlich, wie ein Seufzen, dieses peitschenartige Geräusch beim Abschuss.
Jenny wandte sich den Zielscheiben zu und schaute durch das Glas. »Neun, Mitte rechts«, sagte sie.
In den vergangenen Monaten hatten die beiden jungen Frauen diese Diskussion so oft geführt, dass es zu dem Thema eigentlich nichts mehr zu sagen gab. Und dennoch konnte Jenny es nicht dabei belassen. »Dein Leben? Das du wegwirfst, aufgibst, wegen dieses verdammten Spiels, wegen dieser kranken Scheiße?«
Mayas Züge wurden hart. Sie machte sich für den nächsten Schuss bereit. »Du kapierst gar nichts, kleine Schwester«, presste sie hervor.
»Da hast du recht«, gab Jenny zurück. »Verstehe ich wirklich nicht, weshalb du von deiner Familie abhaust, dein Studium cancelst, dich nicht mehr bei deinen Freunden meldest. Und um was zu tun?«
Maya schwieg. Sie hob den Bogen und starrte in die Ferne.
»Ich weiß nicht einmal, was du da eigentlich machst», fuhr Jenny fort. »Wie du das Geld verdienst, von dem du immer redest. Du steigst in deinen Anzug, setzt dir den Helm auf oder diese Brille oder was auch immer. Und dann?«
Maya spannte den Bogen. Ihre Augen wurden schmal, und ein feines Zittern ließ ihre Lippen beben.
Jenny beobachtete, wie sich die Pfeilspitze dem Klicker näherte. Nur noch zwei, drei Millimeter, dann würde der dünne Metallstreifen überspringen.
»Ich glaube, du spielst da die Hure.« Ein Moment totaler Stille folgte. Diese Stille verschluckte das Rascheln der Flaggen, selbst das Geräusch des Windes erstarb.
Maya setzte den Bogen ab. Sie starrte ihre Schwester an. Es lag kein Zorn in ihrem Blick, nur Fassungslosigkeit.
»Maya!« Jenny schlug die Hände vor den Mund. »Tut mir leid! Das war Scheiße. Sorry! Ich ...«
Maya zog den Pfeil von der Sehne und steckte ihn zurück in den Köcher. Sie wandte sich um, löste die Bogenschlinge an ihrem Handgelenk.
»Ich habe einfach Angst um dich«, sagte Jenny leise. Tränen standen in ihren Augen. »Wir hören so viel fiesen Mist von dem Spiel!«
Maya stellte den Bogen auf den Bogenständer. »Komm«, sagte sie. »Gehen wir die Pfeile holen.«


In der Blockhütte bewegten sich Schatten an den Wänden. Das Feuer im Kanonenofen knackte, und noch immer hing das Aroma von gebratenem Wolfsfleisch in dem kleinen Raum. Acht Schritte von der Tür bis zum Bett, drei Schritte vom Spind bis zur Werkbank. In der Ecke der Ofen, an der Wand ein Regal - viel mehr gab es hier nicht. Viel mehr brauchte Maya hier nicht.
Sicher, mussten nach einer erfolgreichen Jagd Pelze und Därme zum Trocknen aufgespannt werden, wurde es eng. Dann fehlte es an der nötigen Bewegungsfreiheit, wenn Maya ihre Waffen reinigen oder ihre Kleider flicken wollte. Doch hier in der Taiga konnte kein Mensch ein großes Haus beheizen. Nicht, dass es an Brennmaterial gemangelt hätte. Aber das Sammeln und Zerkleinern von Holz war mühsam, zeitaufwendig und manchmal gefährlich. Bären und Wölfe machten den Menschen in den Wäldern das Leben schwer, und es gab noch andere Kreaturen, vor denen man sich in Acht nehmen musste.
Die Leichen der beiden Sammler hatte Maya fortgeschafft. Sie lagen jetzt ein paar hundert Meter von der Hütte entfernt im Schnee. Bei Tagesanbruch würden die Krähen sie entdecken, ein großes Gezeter veranstalten, und dann würden sich die Tiere des Waldes um die Reste kümmern.
Maya starrte in das Feuer. Sie ließ die Klappe des Ofens gern offen stehen, denn sie liebte es, in die Flammen zu schauen. Als sie vor zwei Jahren begonnen hatte, mit verschiedenen Beheizungstechniken zu experimentieren, war sie auf die Idee gekommen, aus Schrottresten einen Feuerkorb zu konstruieren, der mehr Luft an die Flammen ließ. Es funktionierte hervorragend. Der Ofen entwickelte größere Hitze, das Feuer brannte länger und qualmte nicht mehr so stark.
Waren solche Erfolge ein Grund dafür, dass sie irgendwann angefangen hatte, dieses Leben dem realen vorzuziehen? Und was bedeutete das – Realität? Nichts würde sie jemals davon überzeugen können, dass die Erfahrungen, die sie hier gemacht hatte, nicht real sein sollten. Oder war dieser Gedanke schon Ausdruck eines Wahns?
In diesem Moment zuckte Maya zusammen. Der alte Jack, schoss es durch ihren Kopf. Sie sprang auf, schloss die Ofenklappe und packte hastig ihren Rucksack. Munition, ein Messer, das Erste-Hilfe-Päckchen, etwas Proviant. Sie warf sich den schweren Bärenfellmantel über, schlüpfte in ihre Stiefel, ergriff die Schneeschuhe und ihre Flinte.


Als der Summer des Appartements losging, saß Maya in der Zimmerecke und rauchte. Wer auch immer dort unten vor dem Haus stand, sie hatte nicht die geringste Lust, sich bei ihren Grübeleien stören zu lassen. Doch der Summer wollte einfach nicht verstummen. Fluchend rappelte sich Maya hoch.
»Ja?«
Auf dem Monitor der Kommunikationseinheit erschien das blasse Gesicht eines Mannes, der wie einer dieser verdammten Missionare der Neuen Kirche Norwegens aussah.
»Ich ... Ich möchte mit Ihnen sprechen, es dauert nicht ...«
»Kein Interesse.« Maya hatte die Verbindung unterbrochen und wandte sich um, als der Summer erneut losging.
»Scheiße nochmal, ich hab Ihnen doch gesagt ...«
»Bitte ... Ich bin hier wegen Ihrer Anzeige. Ich habe einen Job für Sie. Zwanzigtausend sind für Sie drin. Lassen Sie uns kurz darüber sprechen.«
Maya hielt inne. Der Typ sah nicht gerade gefährlich aus. Eher traurig und erschöpft.
»Warten Sie im Diner am Ende der Straße auf mich.«
»Okay, vielen ...« Maya hatte sich abgewandt, und das Gesicht des Mannes verschwand vom Monitor.
Der beschissenste Auftrag im Spiel schien immer noch besser, als der Mist, mit dem man sich hier auseinandersetzen musste. Nein. Das stimmte nicht. Die Bilder der vergangenen Nacht tauchten wieder vor ihr auf. Jack. Max. Das Blut im Schnee ... Jenny hatte recht. Es war kranke Scheiße, die da ablief. Wie oft hatte Maya daran gedacht, auszusteigen, aufzuhören, den Anzug und das andere Equipment zu verkaufen. Aber dazu war es nie gekommen, weil es im Grunde nur zwei Dinge in ihrem Leben gab, die ihr wirklich etwas bedeuteten. Und das Spiel so zu spielen, wie sie es tat, war eines dieser Dinge.
Maya ergriff das Springmesser, das auf dem kleinen Tisch neben ihrem Bett lag und ließ es in die Seitentasche ihrer Hose gleiten. Sie warf einen Blick auf das Display ihres Telefons. Kein Anruf. Keine Nachricht. Während sie ihre Doc Martens schnürte, dachte sie daran, dass ihr nach den Jahren des Spielens nur zwei Menschen geblieben waren. Jenny und Forge. Ziemlich armselig. Aber wer zum Teufel legte fest, dass man die Qualität des Lebens an der Anzahl der Freunde zu bemessen hatte. Maya schüttelte den Kopf. All diese Gedanken waren nutzlos. Völlig nutzlos.
Als sie das Diner betrat, wurde ihr bewusst, dass sie seit Ewigkeiten nichts gegessen hatte. Sie erkannte den Mann mit dem traurigen Gesicht sofort und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Also«, sagte sie und zog sich den Aschenbecher heran. »Worum geht´s?«
Der Mann schaute sie aus müden Augen an und sagte leise: »Ich möchte, dass Sie meinen Sohn töten.«


»Aversionstherapie«, wiederholte Forge und streckte sich auf seiner Liege aus. »Was soll'n das sein?«
»Er glaubt, dass sein Sohn das Spiel aufgibt, wenn ich ihn oft genug töte«, erwiderte Maya.
Forge betrachtete die Glut des Joints, den er in seiner Hand hielt. »Stimmt schon, das kann dich ficken, wenn du alles verlierst und wieder bei Null anfängst. Aber wozu gibt es Versicherungen?«
»Die Versicherungen decken jetzt nur noch das Eigentum eines Spielers ab, aber nicht seine Fähigkeiten.«
»What?«
Maya nickte. »Wenn du drauf gehst, kannst du danach nicht mal mehr 'nen Feuer im Wald machen. Du musst alles wieder neu lernen.«
Forge schüttelte den Kopf. »Das ist hart.«
Maya setzte sich rittlings auf den Drehstuhl, der vor Forges Computertisch stand.
»Es ist nicht nur das«, sagte sie. »Seit dem Update Drei Eins, sind die Schmerzen echt schlimm, wenn du 'ne Kugel fängst oder sonstwie gewaltsam stirbst.«
»Fuck«, rief Forge. »Gut, dass ich aufgehört habe, als es noch cool war.« Er inhalierte tief und blies den Rauch unter die Zimmerdecke. »Das solltest du auch tun, Baby.«
»Nenn mich nicht Baby.« Maya rieb sich die Stirn. »Er hat mir schon zweitausend gegeben. Das ist viel mehr, als ich sonst bekomme. Und ich brauche das Geld dringend.«
»Wieso?«
»Naja, wegen des Studiums ...«
»Ich dachte, du hast ein Stipendium.«
»Das ist ja das Problem. Als ich die Uni geschmissen habe, war das ein Vertragsbruch.«
»Und jetzt wollen sie die Kohle zurück?«
Maya nickte, stand auf und ging hinüber zu Forge. Sie hockte sich vor die Liege und streckte den Arm aus. Forge gab ihr den Joint.
»Wie ist der Typ überhaupt auf dich gekommen?«
»Er hat meine Scout-Anzeige gefunden und wollte keine E-Mail schreiben.«
»Und da klingelt er lieber gleich an der Tür. Arsch.«
Maya rauchte und dachte nach. Schließlich sagte sie: »Ich hab ihm erklärt, dass ich Einsteigern helfe, ihnen zeige, wie sie die ersten Tage überleben, wo sie unterkommen können und so. Dass ich kein Killer bin.«
»Und?«
»Er meint, ich wäre die Richtige für den Job, weil ich mich so gut auskenne, viele Tricks draufhabe und so.«
»Naja, trotzdem. Wie willst du den Typen überhaupt finden, also den Sohn?«
»Ich dachte, da könntest du mir helfen.«
Forge richtete sich auf.
»Warte mal, willst du, dass ich dein Tracermodul hacke?«
Maya zuckte die Schultern. »Ich hab ihm klar gemacht, wie schwer es ist, jemanden im Game zu finden und dass man nie wissen kann, wo ein Spieler wieder auftaucht, wenn er stirbt.«
»Und?«
»Und er hat gesagt, ich soll mir was einfallen lassen.«
Forge schüttelte den Kopf. »Maya, das ist echt Scheiße.«
»Hm?«
Forge sprang auf und machte ein paar Schritte durch den Raum.
»Die sperren dich lebenslang, wenn sie dich mit einem gehackten Tracermodul erwischen.«
Maya nickte. »Stimmt. Das muss ich riskieren.«
»Und sie kriegen dich dann auch wegen Betrugs dran. Dann hast du ein richtiges Problem.«
»Nicht, wenn du es gut machst.«


Maya hatte schon einige gehäutete Bären gesehen, aber der Anblick jagte ihr noch immer Schauer über den Rücken. Stets gab es da diese eine Sekunde der Unsicherheit. War das nicht doch ein Mensch? Unglaublich, wie stark der Kadaver eines gehäuteten Bären einer menschlichen Leiche ähnelte.
Der tote Bär, vor dem Maya jetzt stand, war von mehreren Pfeilen und Kugeln getroffen worden. Betrachtete man die Spuren im Schnee, ließ sich der Ablauf der Ereignisse leicht rekonstruieren, denn Maya kannte das Tier.
Einige Jahre zuvor hatte Jack bei seinen Wanderungen durch die Wälder einen ausgemergelten Jungbären aufgestöbert, der unter einem Baumstamm kauerte und jämmerlich schrie. Jack vermutete, dass das Muttertier von Jägern getötet worden war. Er nahm das Bärenjunge an sich, nannte es Max, und dann spielte er seine eigene Version des Grizzly-Adams.
Nun lag Max tot im Schnee, und Jack hing ein paar Meter weiter unter dem Türpfosten seiner Hütte. Die beiden Sammler hatten mitgenommen, was sie brauchen konnten und sich dann auf den Weg nach Westen gemacht. Es bereitete Maya nur wenig Genugtuung, dass sie jetzt Wölfen und Bärenmardern als Fraß dienten.
Dieser Ort wirkte heute noch genauso trostlos wie gestern, aber immerhin schien nun die Sonne durch die Äste der Schwarzfichten und im Gebüsch nahe der Hütte hüpften zwei Grauhäher von Zweig zu Zweig. Mochten sich die Menschen auch gegenseitig zerfleischen, die Natur würde ihren ewigen Rhythmen folgen, die Taiga kannte keine Sentimentalität.
Maya machte sich daran, das robuste Seil durchzuschneiden, an dem sie Jack aufgeknüpft hatten. Heute fand sie die Kraft dazu, gestern war ihr nur der resignierte Rückzug aus dem Spiel geblieben.
Während sie auf einem wackligen Schemel stand und das gefrorene Juteseil Strang für Strang durchtrennte, dachte sie an ihre Aufgabe, an ihre Mission. Sie war nun kein Scout mehr, sondern ein Killer. Es gab nicht wenige Spieler, die sich darauf spezialisiert hatten, Auftragsmorde durchzuführen. In der Regel überlebten sie selbst nicht lange. Für das Töten von Anfängern zahlte niemand Kopfgeld und das Ausschalten von erfahrenen Spielern war schwierig, denn diejenigen, die es zu ein wenig Wohlstand gebracht hatten, ließen sich häufig von Bodyguards schützen. Das mochte auch auf Magnus Rydberg zutreffen, den Mann, der nun ihre Zielperson darstellte.
Jacks toter Körper schlug dumpf auf den Boden. Maya stieg vom Schemel, packte den Leichnam und schleifte ihn hinüber zum Bärenkadaver. Das Holzsammeln würde etwa zwei Stunden dauern, aber sie brachte es nicht übers Herz, Jack und Max den Krähen zu überlassen.
Als sie am Nachmittag vor dem brennenden Scheiterhaufen stand, fühlte sie sich leer und kraftlos. Es war ein Abschied für immer, denn Jack würde nicht zurückkommen. Mehr als einmal hatten sie darüber gesprochen. Jack, der Veteran, war so viele Tode gestorben, hatte so viele Leben gelebt – jetzt war es vorbei.
»Das ist meine letzte Runde, Maya«, pflegte er zu sagen. »Die Taiga gibt mir Frieden. Ich will sehen, wie Max zu einem großen, starken Bären heranwächst, will morgens im Fluss fischen und abends am Feuer sitzen. Alles andere interessiert mich nicht mehr. Falls sie mich erwischen, fange ich nicht wieder von vorn an.«
In der Abenddämmerung kehrte Maya zu ihrem Blockhaus zurück. Es waren ein paar Dinge für die Reise vorzubereiten. Maya würde die Taiga verlassen. Forge hatte ihr Tracermodul umprogrammiert, und so wusste sie, dass sich Magnus im Gebiet von Eysland aufhielt, einem Ballungszentrum, dessen dunkles Herz, die Stadt Baal, zu einem Moloch verkommen war. Dort herrschte die Mafia, und das machte Mayas Mission nicht gerade leichter.
Sie verstaute etwas Proviant in ihrem Rucksack und legte einige Kleidungsstücke zusammen, denn sie konnte hinter der Grenze schwerlich in Rehlederhosen durch die Straßen spazieren. Obwohl die Reise nach Eysland nicht ungefährlich sein würde, machte sich Maya keine großen Sorgen. Im Laufe der letzten Jahre hatte sie in allen Distrikten Unterkünfte gebaut oder erworben. Meist handelte es sich dabei um einfache Jagdhütten, schäbige Appartements oder winzige Zimmer in den Rotlichtvierteln von Hafenstädten. Doch Maya war nicht an Komfort interessiert. Die Unterkünfte erfüllten praktische Zwecke. Sie ermöglichten Maya, überall abtauchen zu können, um Kleider, Ausrüstung und Waffen zu wechseln.
Als sie die Tür der Blockhütte hinter sich schloss, war es bereits tiefe Nacht. Das Silber des Mondlichts lag über der Landschaft, und irgendwo im Dickicht rief ein Steinkauz sein gellendes Gwiju.


Im Café an der Uferpromenade herrschte nur wenig Betrieb. Jenny sah müde aus, aber so wirkte sie nur noch hübscher. Vielleicht war das eine ihrer zahlreichen sonderbaren Gaben; Eigenschaften, die zunächst nicht weiter auffielen, in der Summe jedoch ihre einnehmende Persönlichkeit ausmachten. Schon immer hatte sich Maya ihrer Schwester unterlegen gefühlt. Jenny war schöner, klüger und entschlossener als sie. Wo Jenny lächelnd voranschritt, versank Maya ins Grübeln.
»Wenn du mir wieder ins Gewissen reden willst, dann vergiss es«, sagte Maya. »Bin heute nicht in der Stimmung dafür.«
Jenny winkte ab, rief den Kellner und bestellte sich einen Espresso.
»Muss erst mal wach werden«, sagte sie. »Was willst du? Ich lade dich ein.«
»Ich nehme einen schwarzen Tee.«
Es versetzte Maya einen Stich, als sie bemerkte, wie befriedigt sie Jennys Verfassung zur Kenntnis nahm.
»Was ist los? Siehst schlapp aus.«
Jenny schüttelte ihren blonden Pony, rieb sich die Schläfen und schaute durch die Fenster auf das stahlblaue Wasser der Bucht.
»Hatte gestern mal wieder eine Verabredung.«
»Oh Gott«, erwiderte Maya. »Mann, deine Arierkirche lässt nicht locker, was?«
Jenny zuckte mit den Schultern. »Die NKN schreibt niemandem vor, in wen man sich verlieben soll.«
Maya schüttelte den Kopf. Die angeblich auf heuristischen Methoden beruhende Partnervermittlung der Neuen Kirche Norwegens basierte auf Ideen der Rassentheorie und ihr Ziel bestand darin, die Grundlage einer arischen Religionsgemeinschaft zu schaffen. Jeder, der genau hinschaute, wusste das, aber die NKN war eine mächtige Institution und nutzte all ihre Möglichkeiten, um die öffentliche Meinung zu manipulieren.
»Jenny, du weißt ja, was ich von der ganzen Sache halte.«
»Ja, aber du verstehst das nicht. Du willst ja allein sein. Du bist eine Einzelgängerin.«
»Das bedeutet nicht ...« Der Kellner brachte ihre Getränke.
Maya atmete durch.
»Und wie war dein Date gestern?«
Jenny rührte in ihrem Espresso. »Wir haben uns gut unterhalten, am Anfang.«
Maya spürte ein dumpfes Ziehen in den Eingeweiden. Irgendetwas am Verlauf dieses Gesprächs alarmierte sie.
»Okay, und was ist dann passiert?«
»Naja, Jone ist eigentlich ein netter Typ«, sagte Jenny und nahm einen Schluck.
»Hm, und weiter?«
»Er meinte dann irgendwann, es wäre auch wichtig, dass wir körperlich zusammenpassen und so. Das sollte man lieber gleich am Anfang klären.«
Maya biss die Zähne zusammen.
»Er hat gefragt, ob wir nicht zu ihm gehen sollen«, fuhr Jenny fort. »Schauen, wie es so läuft zwischen uns, also körperlich. Ob die Chemie stimmt.«
»Und du?«
»Ich hab ihm gesagt, dass ich lieber noch etwas warten würde.«
»Aha.« Maya wusste, worauf das Ganze hinauslief. Die NKN war bekannt dafür, dass sie ihre Mitglieder unter Druck setzte.
»Jone sagte dann aber, es wäre wichtig, das gleich zu klären.«
Maya trank von ihrem Tee und betrachtete ihre Schwester. Jennys Lippen zitterten, und in diesem Moment wirkte sie sehr bleich.
»Ich bin dann mit ihm mitgegangen.«
Maya schlug mit der Hand auf den Tisch. Die Tassen klirrten, und einige Gäste sahen sich neugierig um.
»Verdammte Scheiße, Jenny!«
»Du verstehst das nicht«, sagte Jenny wieder. »Ich hatte schon vier Verabredungen. Sie haben mich gefragt, ob es mir wirklich ernst damit ist, Mitglied der Kirche zu sein.«
»Begreifst du das nicht?«, rief Maya. »Siehst du nicht, was da abläuft?«
Jenny presste die Lippen zusammen und starrte auf den Tisch.
»Okay«, sagte Maya und holte Luft. »Ihr seid zu ihm gegangen. Was ist dann passiert?«
»Naja, wir hatten Sex.« Jennys Augen wurden glasig, ihre Nasenflügel bebten.
»Hat er dich gezwungen?«
Jenny schüttelte den Kopf. »Nein, aber ...« Sie streifte einen Ärmel ihrer Bluse hoch.
Maya betrachtete die Blutergüsse. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Ich wollte einfach, dass es diesmal klappt«, sagte Jenny und strich den Ärmel zurück.
»Und dieses Schwein hat sich so richtig ausgetobt«, erwiderte Maya.


Maya setzte den Bogenkoffer ab. Über der Trainingsanlage lösten sich die letzten Schleier des Frühnebels auf, und im Licht der aufgehenden Sonne wirkte die Welt friedlich und rein. Abseits der Schießbahn kreiste ein Bussard. Maya hielt inne und betrachtete sein glänzendes Gefieder. Dieser Morgen versprach Stille, denn die anderen Schützen des Vereins würden nicht vor zehn Uhr erscheinen.
Maya trainierte gern allein. Sie gehörte schon lange nicht mehr zum Wettkampfteam, aber das machte ihr nur wenig aus, denn Medaillen und Pokale bedeuteten ihr nichts. Während andere Schützen der Monotonie des Trainings zu entkommen suchten, zwischen den Passen auf die Displays ihrer PDA's starrten und sich die Ohren zustöpselten, um Musik zu hören, ging Maya ganz in der scheinbaren Ereignisarmut des Übens auf.
»Die Augen auf das Ziel, den Blick nach innen richten«, hatte Aniel Thordal, Mayas Trainer, sie gelehrt, und sie hatte diese Maxime stets als Aufforderung verstanden, bei allem äußeren Tun, das Innere, die Gedanken und Gefühle, im Auge zu behalten. Ungeduld, Angst, Nervosität – solche Emotionen konnten einen Schuss ruinieren. Maya wusste, wie man all das ausblendete, um im Augenblick des Zielens ganz und gar frei zu werden von seelischem Ballast.
Doch diese Freiheit stand in augenfälligem Kontrast zu den periodisch wiederkehrenden depressiven Stimmungen, die ihr von Kindheit an zu schaffen machten. Training und Alltag, das waren zwei lose Enden eines Stranges, die sie einfach nicht miteinander verknüpfen konnte.
Maya steckte die Wurfarme in das Mittelstück ihres Bogens, spannte die Sehne auf, schraubte Visier und Stabilisatoren fest. Sie überprüfte gerade ihre Pfeile, als das Telefon in ihrer Tasche brummte. Forge war dran.
»Hey Maya!«
»So früh wach?«
»Naja, nee. Hab durchgemacht. Und ein bisschen zu deinem Magnus Rydberg recherchiert.«
»Okay.«
»Du musst vorsichtig sein, der Typ macht auf Gangster. Ist ein großer Fisch in Baal.« Forge klang besorgt.
»Ja, danke für die Warnung.«
»An den kommst du nicht so einfach ran, der wird Personenschutz haben.«
»Alles klar.«
»Und der ist selbst auch ziemlich fit.«
Maya dachte nach. »Hast du seine Werte?«
»Bei Nahkampf, Messer und Feuerwaffen sind seine Werte im oberen Bereich.«
»Heißt?«
Maya hörte das Tastenklicken von Forges Computerkeyboard.
»Alle über achtzig Prozent.«
»Ich hab überall mehr als neunzig ...«
Forge seufzte. »Schon klar, Baby, aber du bist allein. Ich sag nur, dass du aufpassen sollst.«
Das Einschießen an der Fünf-Meter-Scheibe diente dazu, das Körperwissen des Schützen zu aktivieren. Es ging nicht ums Zielen, nicht um Windberechnungen oder taktische Kalkulationen, sondern darum, die Knochen, Sehnen und Muskeln daran zu erinnern, wie sich ein guter Schuss anfühlte.
Maya erdete ihren Stand, hob den Bogen und schloss die Augen. Sie spürte den Zug der Sehne an ihren Fingern, spürte, wie ihr Körper die Kraft des 40-Pfund-Bogens aufnahm und in Armen, Rücken und Schultergürtel verteilte. Sie atmete ein, aus und schoss.


Im Dead Alive hämmerten die Bässe. Unzählige Gäste tanzten Körper an Körper in Kunstnebel und Flackerlicht. Magnus Rydberg saß im hinteren Bereich des Clubs, umgeben von einer Entourage aus Freunden, Groupies und Bodyguards. Maya nippte an ihrem Drink und warf einen Blick auf die Uhr. Seit vier Tagen endete jeder Abend auf die gleiche Weise. Sobald Magnus genug Wodka intus hatte, zog er mit seinen Leuten aufs Dach, um sich dort im Pool mit den Mädchen zu amüsieren.
Maya war gut vorbereitet. Sie kannte jeden Treppenaufgang in dem Gebäude, jede Tür, jeden Fahrstuhlschacht. Nachdem sie ihren Drink bezahlt hatte, bahnte sie sich im zuckenden Licht der Stroboskopscheinwerfer den Weg über die Tanzfläche, eilte den Flur der Backstage-Räumlichkeiten entlang und nahm die Feuertreppe, die zu den Appartements führte. Kurz darauf erreichte sie die oberste Etage. Sie klopfte an die Tür, und wie erwartet öffnete einer der Securityleute, die Penthouse und Dach sicherten. Es irritierte Maya einen Moment lang, dass hier kein KI-Charakter Wache schob, sondern ein Mensch - ein Spieler, der sich Rod nannte.
Er musterte Maya, seine rechte Hand ruhte auf dem Pistolenholster.
»Was willst du, Bitch?«
Mayas Blick fiel auf den den schwarzen Kevlarkragen, der sich unter Hemd und Sakko des Sicherheitsmanns hervorschob.
»Magnus hat mich herbestellt«, sagte sie.
Rod verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf und setzte zu einer Erwiderung an, doch Maya presste ihm eine Hand auf den Mund. Die Klinge ihres Jagdmessers bohrte sich in den Unterleib des Mannes, und Maya spürte, wie ein Ruck durch seinen Körper ging. Rod ächzte. Maya zog das Messer aus seinem Körper und stieß noch mal zu, diesmal zwischen die Nackenwirbel, so, als würde sie ein angeschossenes Reh von seinen Qualen erlösen.
»Sorry, Rod«, flüsterte sie und schaute sich um.
Nachdem Maya die Schutzweste angelegt hatte, nahm sie Waffe des Toten, kontrollierte den Ladezustand und das Magazin. Sie zog die beiden Ersatzmagazine aus Rods Gürtelholster und verstaute sie in der Seitentasche ihrer Hose.
Während sie das Sakko des Sicherheitsmanns nach der Schlüsselkarte durchsuchte, bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten. Mit der Annahme dieses Jobs hatte sie eine Grenze überschritten, doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Magnus und seine Leute würden unten im Club jeden Moment den Fahrstuhl betreten und eine Minute später auf der Dachetage erscheinen.
Sie zog die Karte durch den Scanner, durchquerte im Dunkeln das Penthouse und öffnete die Tür zum Balkon. Von hier führte eine geschwungene Treppe zur Dachterrasse, einer dreihundert Quadratmeter großen Spielwiese aus Glas und rotem Marmor mit Pool, Lounge und Sky Bar.
Ein Wachposten stand am Rand des Daches. Er rauchte und ließ seinen Blick über die nächtliche Stadt schweifen, deren beleuchtete Skyline sich hart vom tiefschwarzen Himmel absetzte. Mayas Augen suchten die Terrasse ab. Hier oben gab es eine Menge Deckung – Marmorstelen, Pflanzbehälter aus Granit, einen bombastischen Grill aus Edelstahl. Nützlich, falls es zum Shootout kommen würde und bezeichnend für die Gier nach Luxus, die in Baals Gangsterelite herrschte. Kaum vorstellbar, dass sich Magnus in einem Blockhaus inmitten der Taiga wohlfühlen könnte.
Nach all den Jahren des Spielens verblüffte Maya noch immer die Detailtreue der simulierten Eindrücke. Sie nahm das Rauschen des Windes in ihren Ohren wahr, hörte das Plätschern des Wassers im Pool, roch die brennende Zigarette, ja selbst das Aftershave des Sicherheitsmannes.
Maya schaute hinüber zum Schachtkopf des Fahrstuhls. Das Außentableau neben den Lifttüren zeigte an, dass sich die Kabine bereits in Bewegung gesetzt hatte. Jetzt blieben ihr nur noch Sekunden.
Maya hob die Automatik und umklammerte den Pistolengriff mit beiden Händen. Sie sah den sauber ausrasierten Nacken des Securitymannes und atmete durch.
Als der Lift klingelte, feuerte Maya zwei Mal in die Beine des Wachpostens. Im Herumdrehen sah sie, wie der Mann zusammensackte. Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich - es war Magnus mit seinem Gefolge. Maya ging in die Hocke und verschoss ein halbes Magazin auf die Bodyguards in der ersten Reihe, die bereits ihre Waffen gezogen hatten. Ein paar KI-Callgirls stürzten kreischend aus der Kabine und suchten hinter dem Tresen der Sky Bar Deckung. Magnus packte einen seiner Mafiafreunde. Er hielt ihn als menschliches Schutzschild vor sich, während er seine Waffe hob, um das Feuer zu erwidern. Auch die anderen Männer in der Kabine schossen jetzt wild und ungezielt in Mayas Richtung.
Maya machte einen Satz über einen Cocktailtisch und warf sich auf den Boden. Magnus Leute verteilten sich auf dem Dach. Unzählige Schüsse krachten los, Glas klirrte, Marmorsplitter zischten durch die Luft und das böse Zwitschern von Querschlägern war zu hören. »Flankiert sie, ihr Idioten!«, brüllte Magnus, spurtete hinüber zur Lounge und verschanzte sich hinter dem Granitplateau einer Sitzgruppe.
Maya hätte nicht sagen können, ob die Gefühlsblase, die sich jetzt warm und weich über sie wölbte, ein Aspekt des Gamedesigns darstellte, also etwas ganz und gar Künstliches war oder ob dieser lustvolle Sog, diese Empfindung, empor gehoben zu werden, auch im realen Leben zum Beruf des Killers dazugehörte. Sie spürte den Rückstoß der Pistole in ihren Händen und Armen, sah, wie der Verschluss der Waffe zuckte und dabei eine Hülse nach der anderen seitlich herausschleuderte. Wie im Rausch sprang sie von Deckung zu Deckung. Sie tauchte ab, spähte, feuerte, wechselte das Magazin.
Als sie ihren Stiefel auf Magnus Brust setzte und die Waffe auf sein kreidebleiches Gesicht richtete, atmete sie schwer. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ist nichts Persönliches.«


Das Diner am Ende der Straße erinnerte Maya stets an den Roadtrip quer durch die USA, den ihre Eltern mit Jenny und ihr etwa fünfzehn Jahre zuvor unternommen hatten. Und obwohl ihr bewusst war, dass es dabei auch eine Menge Streitereien und unerfreulicher Erlebnisse gegeben hatte, kamen ihr nun meist die schönen Augenblicke dieser Reise in den Sinn. Das Diner mochte mit seinem Streamline-Design, dem altmodisch-futuristischen Stromlinien-Look des Tresens, der Tische und Bänke im Zentrum der kleinen norwegischen Küstenstadt wie ein Fremdkörper wirken, aber Maya erinnerte es daran, dass sie einmal eine Familie besessen hatte.
Peer Rydberg, Magnus' Vater, saß in einem hinteren Winkel des Restaurants und starrte ins Leere. Er schien aus einem Traum zu erwachen, als sich Maya zu ihm an den Tisch setzte, denn er räusperte sich kurz und brauchte einen Moment, um sich zu sammeln.
»Ich wollte Sie treffen, um Ihnen ein paar Dinge über meinen Sohn zu erzählen«, begann er schließlich. »Ich denke, das könnte Ihnen bei Ihrer ... Arbeit helfen.«
Maya schüttelte den Kopf. »Eigentlich finde ich es besser, wenn ich keine Einzelheiten kenne. Ich habe ihn gestern im Spiel aufgespürt und rausgenommen ...«
»Rausgenommen?«
»Getötet.«
»Ah ... Okay.«
»Er wird jetzt irgendwo in der Spielwelt wieder auftauchen. Ich finde ihn, töte ihn. Keine große Sache. Ich muss nichts über Ihren Sohn wissen.«
Der Kellner trat zu ihnen an den Tisch.
Rydberg bestellte gedankenlos Kaffee für sie beide.
»Ich verstehe«, sagte er dann. »Aber es ist mir wichtig, dass Sie zumindest zwei Dinge erfahren.«
Maya zuckte mit den Schultern. »Okay, aber ich habe nicht viel Zeit. Also ...«
»Ich weiß nicht, was Magnus in dem Spiel treibt«, sagte Rydberg, machte eine Pause und schaute Maya an. Maya wartete einen Moment lang und sagte dann: »Er ist ein Gangster, ein Mafiaboss. Er verdient Geld mit Mord, Erpressung, Drogen, Prostitution.«
Rydberg presste die Lippen zusammen.
»Hey, es ist nur ein Spiel«, sagte Maya, ohne zu wissen, warum sie das tat. »Die Leute toben sich in dieser Phantasiewelt aus. Es entsteht kein realer Schaden.«
»Glauben Sie das wirklich?«, erwiderte Rydberg.
Maya zuckte wieder mit den Schultern.
»Meine Frau und ich sind sehr besorgt«, sagte Rydberg. »Magnus hat sich durch das Spielen verändert. Seine ganze Persönlichkeit ist ... Er ist nicht mehr der Sohn, den wir großgezogen haben.«
Der Kellner brachte den Kaffee. Maya rührte in ihrer Tasse und trank.
»Wir haben noch einen zweiten Sohn, Sören. Er ist ein lieber Junge, vierzehn Jahre alt.« Rydberg nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Sören leidet unter einer angeborenen geistigen Behinderung, und Magnus hat sich immer um seinen Bruder gekümmert.«
Maya hob die Hände. »Hören Sie, ich glaube nicht, dass ich das ...«
»Magnus wird durch das Spiel manipuliert«, sagte Rydberg. »Er vernachlässigt seine Ausbildung, er ignoriert seine Familie, er verbringt Tag und Nacht nur noch in diesem verfluchten Game. Er ist offensichtlich süchtig.«
Maya atmete durch. »Er ist erwachsen oder nicht?«, sagte sie schließlich. »Ich meine, es ist seine Entscheidung. Wenn er sein Leben in dieser virtuellen Welt verbringen will, dann ...«
»Aber nichts davon ist echt!«, sagte Rydberg. »Alles Illusion, Lüge und Täuschung. Den Spielern werden Erfahrungen vorgegaukelt, die sie in Wahrheit gar nicht machen. Es sind Scheinerfahrungen, Phantasien, wie Sie vorhin selbst sagten. Und dabei verpassen die Spieler ihr wirkliches Leben.«
»Ich sehe das ein bisschen anders«, erwiderte Maya. »Das Game stellt den Spieler vor Entscheidungen, die Konsequenzen haben. Ich kann mich dazu entscheiden, als Fischer in der Karibik zu leben, als Forscher in einer Arktisstation, als Nutte in einer Mega-City. Alles meine Wahl, und ich habe die Konsequenzen dafür zu tragen. Wieso sollte das keine reale Erfahrung, keine legitime Investition meiner Lebenszeit sein?«
»Weil die Welt, in der Sie diese Entscheidungen treffen, eine einzige Täuschung darstellt«, erwiderte Rydberg. »Ich möchte nur, dass Sie diese zwei Dinge im Kopf behalten, wenn Sie tun, worum ich Sie gebeten habe. Magnus ist ein guter Junge, der ein gutes Leben in der richtigen Welt verdient hat. Und ich beauftrage Sie nur deshalb, weil ich ihn liebe, und ich will, dass er in die richtige Welt zurückkehrt.«
»Es kann sehr hart für ihn werden, ohne das Game«, wandte Maya ein. »Ist Ihnen das klar?«
Rydberg nickte. »Ja, ich denke, das weiß ich. Aber ich sehe keinen anderen Weg.«


Die Reste einer zerfetzten Flagge hingen schlaff vom Fahnenmast der Radiostation herab. Einen Moment lang war noch das Motorengeräusch des Leichtflugzeugs zu hören, das Maya ein paar Minuten zuvor abgesetzt hatte, dann störte nichts mehr die Stille des Urwalds. Maya untersuchte den schlammigen Boden vor der Hütte. Sie entdeckte die Abdrücke von Wildschweinklauen, aber es gab keine Menschenspuren. Das Tracingmodul zeigte an, dass Magnus in der Nähe war. Doch wo genau?
Maya schaute sich um. Ihr Blick blieb an den schroffen Gesteinsgipfeln zweier Vulkanberge hängen, die in nördlicher Richtung über dem Grün des Dschungels aufragten. Ein erfahrener Spieler würde sicher auf die Idee kommen, von einem erhöhten Standpunkt aus die Lage zu sondieren. Er würde nach auffälligen Landmarken suchen und das Gebiet kartographieren.
Also gut, dachte Maya. Früher oder später wird er hier auftauchen, um auf dem schnellsten Wege nach Baal zurückzukehren. Wahrscheinlich schlägt er sich gerade mit einer Machete durch den Urwald.
In der aus Bilingabrettern gezimmerten Hütte der Radiostation roch es nach feuchtem Holz. Maya legte ihr Gepäck ab und suchte ein wenig leichte Ausrüstung zusammen - Buschmesser und Flinte, etwas Proviant und Munition, Karte und Kompass.
Das Treffen mit Rydberg machte die ganze Sache nicht gerade leichter. Maya stellte sich Magnus vor, wie er mit seinem geistig behinderten Bruder Fußball spielte, und sie schüttelte den Kopf. Der gute Junge, dachte sie. Und hier lässt er die Nutten tanzen und Konkurrenten umlegen. Aber war das wirklich ein Widerspruch?
Gerade, als sie die Trageriemen ihres Tagesrucksacks festzurrte, sprang die Tür der Hütte mit einem Krachen auf. Maya fuhr herum und sah in Magnus schlammverkrustetes Gesicht. Bevor sie auch nur eine Hand gehoben hatte, wurde sie von einem mächtigen Stiefeltritt zu Boden geschleudert. Magnus setzte ihr hinterher und holte mit der Machete aus.
Maya hörte, wie die Klinge durch die Luft zischte und rollte sich zur Seite. Der Rucksack behinderte sie, doch sie schaffte es. Die Machete hieb wuchtig in die Dielen und blieb stecken. Magnus zerrte einen Moment lang vergeblich am Griff, und Maya nutzte die Gelegenheit. Sie sprang auf, packte Magnus und rammte ihr Knie in seinen Unterleib.
Und so, wie sie ein paar Tage zuvor während der Schießerei auf der Dachterrasse in eine Wahrnehmungsblase gerutscht war, die sich weich und schützend um sie schloss, so spürte sie nun erneut diesen eigenartigen Sog, dieses lustvolle Zerfließen, das Rauschen des Kampfes, bei dem ihre Persönlichkeit in den Hintergrund zu treten schien und etwas anderes die Führung übernahm.
Maya hörte das Knirschen von Zähnen und Knochen, als ihr Ellbogen gegen Magnus Unterkiefer schlug. Sie schmeckte das Blut, das Magnus ihr ins Gesicht spuckte, als sie ihn gegen die Hüttenwand stieß und sein Kopf zurückprallte. Und dann gab es da nur noch ein Bild, eine endlose, in Zeitlupe gefilmte Horrorszene, in der sie Magnus mit schweren Tritten bearbeitete, während sich seine Hände zuckend zusammenkrampften, und Maya trat mit ihren Stiefeln zu, wieder und wieder, bis Magnus' Gesicht zu einer schwarzen konturlosen Masse zertrampelt war.
Schließlich endete der Rausch. Maya hielt keuchend inne, und als sie sah, dass sich irgendwo zwischen zersplitterten Knochen und blutigem Fleisch Schaumblasen bildeten, beugte sie sich hinunter und lauschte.
Da war nur ein Gurgeln und Röcheln, aber je länger sie zuhörte, desto deutlicher wurde es: »Was willst du von mir?«
Maya erhob sich, humpelte ein paar Schritte durch den Raum und ergriff ihre Schrotflinte. Sie lud die Waffe durch und richtete sie auf Magnus.
»Wie gesagt. Es ist nichts Persönliches. Komm nicht zurück. Ich finde dich, egal wo du auftauchst, egal wo du dich versteckst.«


Im Verlauf einer Trainingseinheit summierten sich in über einhundert Schüssen mehr als zwei Tonnen Zuggewicht, die Maya mit den drei Fingern, die an der Bogensehne lagen, ohne Schwanken oder Zittern bewältigen musste. Bogenschießen war ein Kraftakt, soviel stand fest. Aber den Kern dieser Anstrengung bildete eine sonderbare Erfahrung totaler Einsamkeit im Moment des Schießens, dem Sekundenbruchteil, der die finale Entscheidung zum Schuss erforderte. War diese Entscheidung getroffen, konnte keine Macht der Welt den Pfeil zurückholen. Von der Spannung der Wurfarme getrieben, schnellte die Bogensehne vorwärts und jagte den Pfeil davon, schleuderte ihn in die Welt, einer Pappscheibe, einem Wildtier oder einem anderen Ziel entgegen, von dem nur die Götter wussten, ob es seine Bestimmung war, im nächsten Augenblick durchbohrt zu werden.
An diesem Tag herrschte eine düstere Stimmung auf dem Trainingsgelände. Ein schmutziggrauer Wolkenschleier verhüllte den Himmel, und feuchtkalte Böen wirbelten über den Schießplatz. Maya absolvierte ihr Programm, aber sie fand keine Freude am Schießen. Mehr als einmal zögerte sie beim Zielen, schoss dann doch und verpatzte. Die Einsamkeit des Bogenschützen, das war die Erfahrung vollständiger Verantwortlichkeit für die Konsequenzen des Handelns. Mochte sich ein Trainer auch hingebungsvoll um einen Schützen kümmern, ihm alles nötige Wissen vermitteln, ihn vorbereiten, unterweisen, drillen - im Augenblick des Schusses war der Schütze auf sich allein gestellt.
Und an manchen Tagen spürte Maya die Schwierigkeiten dieser Herausforderung so deutlich, dass sie all ihre Kraft, all ihren Mut zusammennehmen musste. Es waren Tage wie dieser - Tage, in denen das Universum den Blick auf das Ziel mit einem eiskalten Starren erwiderte.
Maya quälte sich gerade durch die letzte Passe der Trainingseinheit, als ihr Telefon anschlug. Mit einem Gefühl der Erleichterung setzte sie den Bogen ab. Ein paar Minuten Ablenkung, genau das brauchte sie jetzt.
»Hey Baby, habe gerade die Statistiken der letzten zwei Wochen runtergeladen«, sagte Forge.
»Und?«
»Du hast Magnus acht Mal erwischt, aber er wurde zwischendurch auch drei mal von anderen Spielern erledigt.«
»Ja, jetzt lernt er die Hölle des Anfängers kennen«, erwiderte Maya.
»Ist doch irgendwie – karmisch«, sagte Forge. »Leute wie er sind dafür verantwortlich, dass es abwärts geht mit Spiel.«
»Hm.«
»Was ist?«
»Naja, ich denke gerade daran, was das für mein Karma bedeutet«, sagte Maya.
»Hey, der Typ ist ein Arschloch. Mach den Job fertig, und vergiss ihn.«
»Hm.«
»Ich habe übrigens gesehen, dass er in der Taiga aufgetaucht ist.«
Maya hob die Augenbrauen. »Wirklich? Wo genau?«
»Sehr weit nördlich, im Grenzbereich zur arktischen Tundra. In der Gegend gibt es nur ein paar kleine Siedlungen und ein paar Forschungsstationen.«
»Okay, dann schnappe ich ihn mir wieder, bevor er irgendwo ein Flugfeld erreicht.«
»Mach das«, sagte Forge. »Ich wundere mich, dass der noch nicht die Schnauze voll hat.«
»Dauert nicht mehr lange«, sagte Maya und legte auf.


Maya kniete über den bratpfannengroßen Abdrücken der Schneeschuhe, die Magnus zurückgelassen hatte. Sie betrachtete die Schleifspuren, die Kompressionsformen, Fragmente zusammengedrückten und nach hinten geschleuderten Untergrundes. Die Spuren erzählten die Geschichte eines Gewaltmarsches. Hier war kein routinierter Wanderer oder Jäger unterwegs, kein Tundrabewohner, der seine Kräfte einteilte. Hier rannte jemand um sein Leben.
Zwei Stunden später hatte sie Magnus eingeholt. Von einem Hügel herab konnte sie seine Gestalt inmitten der hell schimmernden Landschaft ausmachen, nicht mehr als zweihundert Meter entfernt. Magnus schien schwer angeschlagen, er schleppte sich mühsam durch den Schnee.
Maya legte ihr Gepäck ab. Sie nahm das Gewehr vom Rücken, zog die Handschuhe aus und klappte die Abdeckungen des Zielfernrohrs nach oben. Ein Blick durch das Glas zeigte ihr, dass sie sich Zeit für einen sauberen Schuss lassen konnte. Also entlud sie die Waffe und kauerte sich auf den Boden. Den Lauf des Gewehrs auf dem Rucksack gelagert, visierte sie Magnus an, richtete das Fadenkreuz aus und legte den Finger an den Abzug. Sie drückte das Züngel, bis sie den Widerstand der Mechanik spürte. Sie atmete ein, aus und drückte den Abzug durch. Es klickte.
Scharfschützen nutzten solche Probedurchläufe mit ungeladenen Waffen, um sich in die richtige Verfassung für den perfekten Schuss zu versetzen. Und genau das war es, was Maya jetzt wollte - einen präzisen Treffer, einen sauberen Abschluss dieser ganzen verdrehten Geschichte. Sie lud das Gewehr und richtete es erneut auf Magnus aus. Sie spürte, dass ihr Herz ein wenig schneller schlug.
In diesem Augenblick, sie wusste nicht weshalb, schien ihr das Fadenkreuz über Magnus schwankender Gestalt ein Symbol der Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens zu sein. Zwar verfolgte sie mit diesem Job einen Plan, der sie aus all dem Mist herausführen konnte. Sie war sich sicher, dass sie das Spiel aufgeben würde - erst vor ein paar Tagen hatte sie ihrer Schwester alles darüber erzählt und dieses Gespräch als ungeheure Erleichterung empfunden - aber was bedeuteten solche Entscheidungen? Magnus hatte sicher ebenfalls Pläne, doch das Universum scherte sich einen Dreck darum. Einen Moment lang zögerte Maya, doch dann riss sie sich zusammen, atmete durch und schoss. Sie erhob sich, schulterte das Gewehr und ihr Gepäck. Langsam lief sie den Hügel hinunter.
Die Kugel hatte Magnus' Wirbelsäule zertrümmert, ihn aber nicht getötet. Er lag hilflos im Schnee, spuckte Blut und konnte weder Arme noch Beine bewegen. Maya drehte ihn auf den Rücken und sah ihn an.
»Wann kapierst du es endlich?«, sagte sie schließlich. »Dein Spiel ist zu Ende. Für dich gibt es hier nur noch den Tod.«



Forge blinzelte in die tiefstehende Sonne, deren Glutball schon beinahe die Horizontlinie berührte. Vom Meer wehte ein kühler, salziger Hauch herüber.
»Du solltest öfter mal aus deiner Bude rauskommen«, sagte Jenny an Forge gewandt und lachte. Maya nickte.
Forge zuckte mit den Schultern. Er nahm einen Zug von seiner Zigarette und erwiderte: »Ich komme klar.«
Sie saßen auf einer Bank in der Nähe des Hafens und schauten der Island-Fähre zu, deren Kiel schäumend das graublaue Wasser durchschnitt, während sie sich in westlicher Richtung entfernte.
»Was macht die Kirche, Jenny?«, fragte Maya. »Wie läuft's mit den Männern?«
Jenny wippte einen Moment lang vor und zurück, es wirkte, als suchte sie nach den richtigen Worten.
Forge betrachtete sie belustigt. »Scheint 'ne schwierige Frage zu sein, Jen.«
Jenny schüttelte den Kopf und lächelte. »Nee, eigentlich nicht.«
Maya hob die Augenbrauen. »Also, was ist los?«
»Bin ausgetreten«, sagte Jenny.
»Wow«, erwiderte Forge. »Gratuliere!«
Maya lachte. »Gott sei Dank! Gute Entscheidung, kleine Schwester.«
Jenny nickte. »Ja, dieses letzte Date hat mir die Augen geöffnet, schätze ich.«
»Okay, dann kann ich auch mit einer Neuigkeit rausrücken«, sagte Maya.
Forge und Jenny betrachteten sie erwartungsvoll.
»Ich habe vor ein paar Tagen meinen Game-Account gelöscht und gestern das ganze Equipment verkauft.«
Forge pfiff durch die Zähne und Jenny stieß einen Freudenschrei aus. Sie sprang auf und umarmte ihre Schwester. »Das ist so ... Ich freue mich so sehr, Maya.«
»Und was ist mit Magnus?«, fragte Forge.
»Nach der Arktisgeschichte ist er nicht mehr aufgetaucht«, sagte Maya. »Er war eine Woche lang nicht online. Ich denke, er ist raus.«
»Gut gemacht«, sagte Jenny. »Vielleicht hat ihn das geheilt, und er beschäftigt sich jetzt mit dem richtigen Leben.«
»Und du hast 'ne Menge Kohle verdient und kannst jetzt deinen Studienkredit zurückzahlen«, ergänzte Forge.
Maya nickte. »Stimmt. Und es es gibt noch was Neues. Ich hatte gestern ein Treffen mit ein paar Leuten vom Schützenverband. Sie stellen mich als Jugendtrainerin ein.«
»Hey, super!« Jenny strahlte, und Forge grinste zufrieden.
»Ja, es gibt jetzt nur noch eine letzte Sache«, fuhr Maya fort. »Ich sag dem Vater von Magnus Bescheid.«
»Und wann?«, fragte Jenny.
»Mache ich in den nächsten Tagen.«
»Dann kriegst du nochmal Geld? Ich meine für den Abschluss des Jobs?«, fragte Forge.
Maya schüttelte den Kopf. »Also theoretisch schon, aber ich habe insgesamt fünfzehntausend von ihm bekommen. Es reicht. Ich will die ganze Geschichte jetzt abschließen.« Sie schaute auf das Meer und fügte etwas leiser hinzu: »Die letzten Tage im Game sind mir echt an die Nieren gegangen.«
»Ruf ihn doch gleich an«, schlug Forge vor. »Bring es hinter dich.«
Maya zögerte, doch auch Jenny nickte zustimmend. »Beende die Sache.«
»Okay«, sagte Maya schließlich. »Ich mache es gleich.«
Sie zog ihr Telefon aus der Jackentasche, erhob sich und machte ein paar Schritte in Richtung Strand. Während sie wählte, setzten Jenny und Forge ihre Unterhaltung fort.
»Und wäre es nicht auch für dich Zeit, mal was Neues anzufangen?«, fragte Jenny.
Forge zog an seiner Zigarette. Er schürzte die Lippen und wackelte mit dem Kopf, so müsste er seine Antwort genau abwägen.
»Ich meine, reicht dir das Leben, das du jetzt führst?«, fügte Jenny hinzu. »Tagein, tagaus dieser Computerkram. Ist das alles, was du dir wünschst?«
»Weißt du, ich bin zufrieden«, erwiderte Forge. »Natürlich könnte ich mehr aus meinem Leben machen. Ist schon klar. Aber ich bin nicht unglücklich oder so.«
Jenny warf einen Blick hinüber zu Maya, die - den Rücken zu ihnen gewandt - wie versteinert dastand, während sie telefonierte und auf das Meer zu blicken schien.
»Ja, aber gehört zu einem guten, erfüllten Leben nicht ein bisschen mehr, als nur, nicht unglücklich zu sein?«, sagte Jenny und ließ dabei ihre Schwester nicht aus den Augen.
Forge wollte gerade etwas erwidern, als ein Ruck durch Mayas Körper ging. Einen kurzen Moment lang sah es so aus, als würde sie stürzen, aber dann fing sie sich und setzte sich in den Sand. Noch immer das Telefon in der Hand stützte sie den Kopf in die geballten Fäuste, und ihr Körper schien sich zu verkrampfen.
Jenny und Forge sprangen auf und rannten zu ihr.
»Was ist los?«, rief Jenny. Das Gesicht ihrer Schwester war bleich wie der Tod.
Jenny und Forge setzten sich zu Maya in den Sand und warteten.
»Magnus ist tot«, sagte Maya schließlich. Ihr Stimme zitterte.
»Was?«, sagte Forge. »Wieso? Was ist passiert?«
»Sein Vater sagte, er hatte einen Unfall. Er ist mit über hundert gegen einen Baum gefahren.«
»Fuck«, sagte Forge.
»Keine Bremsspuren«, fügte Maya hinzu und schloss die Augen.
Jenny und Forge starrten Maya an.
Der letzte Schimmer der Sonne färbte das Meer blutrot. Die Island-Fähre war nicht mehr als ein winziger Punkt am Horizont, und es schien, als stünde die ganze Welt still.

 

Aber den Kern dieser Anstrengung bildete eine sonderbare Erfahrung totaler Einsamkeit im Moment des Schießens, dem Sekundenbruchteil, der die finale Entscheidung zum Schuss erforderte. War diese Entscheidung getroffen, konnte keine Macht der Welt den Pfeil zurückholen.

Lieber Achillus,
ich hätte nie geglaubt, dass ich mal einen Text über das Bogenschießen so spannend finden würde. Du hast es fertig gebracht, diese Sportart mit den Entscheidungen deiner Protagonistin so zu verknüpfen, dass man dem Bogen ihrer Entscheidung folgt und mitanschaut, wie sich aus diesem ruhigen, sympathischen, in der Einsamkeit lebenden Spielmenschen, der respektvoll mit Mensch und Tier umgeht, eine harte, grausame Killerin wird, immer noch sympathisch und mitfühlend, aber trotzdem zerstörerisch.
Und irgendwie ist ihr Bogenschießen zu einer Allegorie für ihre Entscheidung geworden. Ganz stark empfindet man das, wenn man die Beobachtungen ihrer Schwester beim Bogentraining mit dem Abschnitt vergleicht, den ich oben zitiert habe. In der Geschichte geht es natürlich um Rydbergs Schicksal, aber auch um das von Maya. Ein wenig oder etwas an ihr ist ebenso durch ihre Entscheidung gestorben.

Du hast ein Händchen für Geschichten, die von Moral und der Verantwortung der Menschen für ihr Tun handeln und du präsentierst das voller Spannung und ohne moralischen Zeigefinger.
Das ist schon große Klasse.

Ich hab das total gerne und voller Spannung gelesen, Anmerkungen habe ich im Moment nicht, ich wollte dir einfach mal meinen Leseeindruck schildern. Vielleicht, ich kann und will es nicht versprechen, komme ich noch mal zurück und suche nach Kleinviecherln, viel kann es aber nicht sein, denn etwas wirklich Störende, das fällt mir normalerweise direkt beim Lesen auf.

Eine Anmerkung wollte ich noch zu der Norwegischen Kirche machen. Man kann natürlich überlegen, ob man die in der Geschichte drin haben will oder nicht, ich weiß noch, dass ich auch an der Stelle ins Stocken geriet, aber meine Überlegung ging eigentlich gerade andersrum. Ich fragte mich, ob du nicht sogar noch mehr von der realen Welt schreiben solltest. Denn irgendetwas muss es ja in der Realität geben, was so viele Menschen mit einem derartigen Suchtpotential in dieses Spiel lockt und sie dort behält. Jetzt, wenn ich so darüber nachdenke, gefällt mir die Idee mit dieser Kirche, die den Menschen sogar die allerfreiwilligste Entscehidung, die nämlich, wen man lieben will, vorgibt. Das passt zu dem Thema wie die Faust aufs Auge. Und wenn man (wie du schreibst) weiß, dass diese Kirche einen hohen Einfluss hat, dann ist es kein Wunder, wenn Menschen sich für das Spiel entscheiden, weil sie endlich für sich entscheiden und leben können.

Du hast da wirklich ein sehr vielschichtiges, doppelbödiges Dingelchen hingelegt.
So langsam, Achillus, bist du aus den Autorenkinderschläppchen rausgewachsen und kannst dir die Könnerschuhe mal endgültig überstreifen.

Und ach ja, ich werde diese Geschichte mit Sicherheit empfeheln, muss nur grad mal meine Faulheit überwinden und erst mal Kaffee trinken und einen Empfehlungstext zurechtbosseln.

Bis die Tage und viele Grüße von mir.
Novak

 

Hallo Maxi, vielen Dank für Deinen Kommentar und Dein Lob zum Text.

Ich hatte mir den Wildrosenstrauch recht dicht vorgestellt. Vielleicht sollte ich statt Strauch von einem Busch sprechen. Maya liegt ja flach auf dem Boden etwas abseits der Hütte hinter dem Gesträuch und ich denke, das ist als Sichtschutz schon okay, wenn der Strauch nicht nur aus einer Handvoll dürrer Zweige besteht.

Die Verwendung der Worte Ressourcen und Alternativen sollten – so dachte ich mir das jedenfalls – auf den Kontext einer strategischen Spielweise hinweisen. Maya geht als erfahrene Spielerin ja sehr fokussiert an die Sache. Sie weiß, worauf es ankommt und hat sich die Denkweise einer Überlebenskünstlerin angewöhnt.

Spannend ist, wie Maya sich verändert, wie sie beschließt, selber aufhören zu wollen und gleichzeitig fragt welchen Sinn alles hat.

Ich fand es wichtig, Mayas Transformation zu zeigen. Es ist keine Drehung um 180 Grad, keine vollständige Veränderung des Charakters. Aber die Entscheidung, Magnus im Game so lange zu verfolgen und immer wieder zu töten, bis er das Spiel aufgibt, diese Entscheidung hat Konsequenzen, auch wenn es nur eine virtuelle Realität ist, in der das Ganze abläuft.

Die ganze Nebengeschichte mit der NKN finde ich irgendwie zu viel. Spannend finde ich sie auch nicht.

Ich gebe zu, diesen Seitenstrang kann man kritisieren. Mir war es wichtig zu zeigen, dass es in der Geschichte nicht um eine Gegenüberstellung (Spiel = Sucht/ ungesund/ falsch etc. vs. Realität = alles in Ordnung) geht, dass die Gesellschaft, in der sich so viele Menschen für das Spiel entscheiden wahrscheinlich auch Defizite hat. Religiöse Indoktrination ist nur ein Fingerzeig dafür, dass es mit der Gesellschaft insgesamt auch nicht zum Besten steht. So dachte ich mir das.

Verstanden habe ich ihn erst beim zweiten Lesen und bin am Überlegen ob du Spielesucht mit deinem Text bearbeiten willst.

Spielsucht kann man als Thema da herauslesen. Ich habe mich beim Schreiben aber mehr damit beschäftigt, ob es es einen fundamentalen Unterschied macht, in welchem Kontext wir unsere Entscheidungen treffen. Ab wann wird aus einem harmlosen Spiel etwas, das das Leben des Spielers wirklich beschädigt. Ich habe mich eine Zeitlang mit Gamedesign beschäftigt und kenne mich in der "Szene" ein bisschen aus. Einige Ideen dieser Geschichte stammen von einem Freund, der ebenfalls aktiver Gamer ist.

Mir gefällt die Geschichte. Beim zweiten Lesen sind mir noch viel mehr Interpretationsmöglichkeiten eingefallen. Da ist viel Stoff zum Nachdenken drin.

Das ist ein schönes Kompliment, Maxi. Vielen Dank dafür.

Gruß Achillus


Hallo Novak, freut mich sehr, dass Du meine neue Geschichte kommentiert hast. Vielen Dank dafür!

ich hätte nie geglaubt, dass ich mal einen Text über das Bogenschießen so spannend finden würde. Du hast es fertig gebracht, diese Sportart mit den Entscheidungen deiner Protagonistin so zu verknüpfen, dass man dem Bogen ihrer Entscheidung folgt und mitanschaut, wie sich aus diesem ruhigen, sympathischen, in der Einsamkeit lebenden Spielmenschen, der respektvoll mit Mensch und Tier umgeht, eine harte, grausame Killerin wird, immer noch sympathisch und mitfühlend, aber trotzdem zerstörerisch.

Wunderbar, dann hat meine Idee in Deinem Fall funktioniert. Bogenschießen ist ja eine ziemlich behäbige Sache und äußerlich nicht besonders aufregend. Aus dem Grunde versucht man ja beim Recurve-Bogenschießen seit einiger Zeit auch, die Wettkämpfe spannender zu machen, z.B. in dem die Schützen zu zweit gegeneinander antreten, sich abwechseln, das hat dann so ein bisschen ein Duell-Charakter.

Trotzdem passiert innerlich eine ganze Menge, und ich hatte vor, ein bisschen davon zu zeigen.

Und irgendwie ist ihr Bogenschießen zu einer Allegorie für ihre Entscheidung geworden. Ganz stark empfindet man das, wenn man die Beobachtungen ihrer Schwester beim Bogentraining mit dem Abschnitt vergleicht, den ich oben zitiert habe. In der Geschichte geht es natürlich um Rydbergs Schicksal, aber auch um das von Maya. Ein wenig oder etwas an ihr ist ebenso durch ihre Entscheidung gestorben.

So sehe ich das auch. Maya entscheidet sich dafür, die Killerin zu spielen, aber das macht etwas mit ihr ... Es gibt ja seit vielen Jahren diese Diskussion, ob Killer-Spiele negative Einflüsse auf die Spieler haben, sie verrohen, die Wahrscheinlichkeit destruktiven, gewalttätigen Verhaltens erhöhen. Ich finde diese Diskussion sehr spannend, wenn sie sachlich geführt wird. Das ist allerdings nur selten der Fall.

Du hast ein Händchen für Geschichten, die von Moral und der Verantwortung der Menschen für ihr Tun handeln und du präsentierst das voller Spannung und ohne moralischen Zeigefinger. Das ist schon große Klasse.

Freut mich sehr, dass Du das so siehst. Wir sind in der westlichen, modernen Welt ja gewohnt Ethik bzw. Moral als etwas Menschengemachtes zu begreifen, das mit den Gesetzen des physikalischen Universums grundsätzlich nichts zu tun hat. Dazu existieren aber eben auch andere Vorstellungen, beispielsweise, dass absichtsvolle Destruktivität zu einem Rückprall auf den Verursacher führt, auch wenn die Wirkmechanismen dafür nicht durchschaubar sind. Das Karma-Konzept in seinen verschiedensten Auslegungsformen kommt einem dabei in den Sinn.

Eine Anmerkung wollte ich noch zu der Norwegischen Kirche machen. Man kann natürlich überlegen, ob man die in der Geschichte drin haben will oder nicht, ich weiß noch, dass ich auch an der Stelle ins Stocken geriet, aber meine Überlegung ging eigentlich gerade andersrum. Ich fragte mich, ob du nicht sogar noch mehr von der realen Welt schreiben solltest.

Das habe ich in der Tat auch selbst überlegt. Ich wollte ursprünglich zeigen, dass die Entscheidung von Magnus – sein ganzes Leben im Spiel zu verbringen – nicht die einzige problematische Lebensweise ist. Man kann sich in den Tiefen der virtuellen Realität verfangen, aber ebenso in den Tiefen der "wirklichen" Realität oder dem, was wir dafür halten.

Du hast da wirklich ein sehr vielschichtiges, doppelbödiges Dingelchen hingelegt.
So langsam, Achillus, bist du aus den Autorenkinderschläppchen rausgewachsen und kannst dir die Könnerschuhe mal endgültig überstreifen.

Und ach ja, ich werde diese Geschichte mit Sicherheit empfeheln, muss nur grad mal meine Faulheit überwinden und erst mal Kaffee trinken und einen Empfehlungstext zurechtbosseln.


Danke für das Lob, Novak. Und natürlich freue ich mich auf die Empfehlung!

Gruß aus Berlin
Achillus

 

Hi Achillus,

du schreibst ja immer so schöne, ausgereift formulierte und aufgebaute Texte, das weißt du natürlich selbst, aber ich lasse trotzdem mal fallen, dass mir das aufgefallen ist.

Gleich den Einstieg, also ausgerechnet den Abschnitt, der den ersten Eindruck in der Textilste hergibt, finde ich allerdings nicht hundertprozentig gelungen:

Sie kamen im Mondlicht, ein großer Wolf folgte ihnen. Es waren zwei Sammler, gut ausgestattet mit dicker, winterfester Kleidung, Rucksäcken, Waffen.
Erst das Personalpronomen "sie", dann die Aufklärung: "zwei Sammler". Mich stört so etwas meistens, das wirkt auf mich manieriert: Warum hinter dem Berg halten damit, wer "sie" sind? Es ist für den Text natürlich wichtig, Spannung zu erzeugen, aber das macht auf diese Art jeder, in meinen Ohren klingt das schon lange nicht mehr gut. Was spricht gegen die schlichte Variante: "Zwei Sammler kamen im Mondlicht, ausgestattet usw. Ein großer Wolf folgte ihnen."? Wenn dann zu den zweien und dem Wolf gleich darauf Maya hinzukommt, muss man viel weniger sortieren und fragt sich nicht ungeduldig, wer die nun wieder ist, sondern hat die Zeit übrig, sie kennenzulernen.

Sie kannte das verzweifelte Durchrechnen von Alternativen, die Suche nach einem Ausweg
"Durchrechnen" ist schon bemerkt worden als unpassend für die Umgebung, find ich an sich auch. Vor allem zweifle ich aber daran, ob die Aktion am richten Platz ist. Ich würde schätzen, sie ist an der Stelle mit dem Durchrechnen fertig. Bin mir aber nicht sicher ...

aber einen Wolf konnte man so nicht täuschen. Das Tier näherte sich schon ihrem Versteck.
Den Wolf kann ich nicht so richtig deuten, gehört der zu den Sammlern oder läuft der nur so rum?

»Und wenn es klickt, dann schießt du?«
»Ja, genau in dem Moment.«
Ich finde den Dialog gut zu lesen, das ist bei solchen technischen Sachen schon mal nicht schlecht. Das hängt sicher damit zusammen, dass ich den Eindruck habe, ich kapiere ganz gut, was da beschrieben wird, ist ziemlich eingängig. Nur an der zitierten Stelle hakt's: Warum schnippt die Spitze nicht weg, wenn der Klicker drüber ist? Sicht muss es deshalb genau der Moment sein, kann ich mir ungefähr vorstellen, aber so ganz hab ich's nicht vor Augen.

Das macht den Schuss präziser.«
Würde mir einen Tick besser gefallen, wenn Maya das sagen würde, schließlich ist sie die Expertin, da darf sie ruhig noch mal sicher gehen, dass Jenny das wirklich verstanden hat. Aus Jennys Mund klingt mir das eher für den Leser gesagt.

Er nahm das Bärenjunge an sich, nannte es Max, und dann spielte er seine eigene Version des Grizzly-Adams.
In dem Spiel sind also einige Spieler als Tiere unterwegs? Warum nicht. Hat aber ein bisschen gedauert (Check und Gegenchek und so), bis ich mir sicher gewesen bin. (Was bedeutet "Grizzly-Adam"?)

»Hatte gestern mal wieder eine Verabredung.«
»Oh Gott«, erwiderte Maya. »Mann, deine Arierkirche lässt nicht locker, was?«
Für sich genommen hab ich für die Episode mit Jenny etwas übrig, das ist eine Geschichte wert, wie diese merkwürdige Kirche ihre Fangarme ausstreckt usw. Aber als Teil dieser Geschichte überzeugt mich der Schnörkel nicht. Reizvoll finde ich es durchaus noch, dass auch Jenny ihre Probleme hat und nicht diejenige ist, die alles im Griff hat. Beide Schwestern haben Licht und Schatten, viel besser als wenn eine schwarz und die andere weiß ist. Trotzdem: Hier passt mir das nicht, wenn, dann müsste das länger sein, mit mehr Zeit für Jenny. Solange ich Jenny dabei nicht von innen kennenlerne, würde mir nichts fehlen, wenn die Episode gestrichen wäre. Nur dafür, dass Jenny eine dunkle Seite zeigt, ist mir das letztlich zu wenig.
Obendrein finde ich den entsprechenden Dialog ausnahmsweise ziemlich platt. Geht mir zu schnell, das prallt an mir ab.

Was hier beginnt:

Die Reste einer zerfetzten Flagge hingen schlaff vom Fahnenmast der Radiostation herab.
Dürfte für meine Geschmack dagegen viel schneller gehen. Ich habe den Eindruck, ich kenne die Spielewelt jetzt, ich weiß auch, dass insbesondere die Tötungsaktionen darin voll realistisch dargestellt werden. Nochmal haarklein erzählt brauche ich das nicht, da kommt für mich letztlich nichts Neues mehr.


War diese Entscheidung getroffen, konnte keine Macht der Welt den Pfeil zurückholen.
Da geht mir doch glatt ein Licht auf, Zen und Bogenschießen macht plötzlich mehr Sinn, als nur den, dass es konzentriert aussieht. Jedenfalls passt mir die Idee, vielleicht versteh ich's auch falsch, trotzdem herzlichen Dank für den Anstoß.

So, jetzt werd ich grad vom Bildschirm weggedrängelt, im Großen und Ganzen war das auch das Wichtigste. Schöne Sache insgesamt. An Magnus' Tod am Schluss hab ich noch zu grübeln, inwiefern ich das gut finde und inwiefern mir das eventuell zu dick aufgetragen ist. Vielleicht hörst du dazu nochmal was von mir.

Besten Gruß
erdbberschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Erdbbeerschorsch, vielen Dank für's Lesen und Kommentieren.

Was spricht gegen die schlichte Variante: Zwei Sammler kamen im Mondlicht, ausgestattet usw. Ein großer Wolf folgte ihnen.

Ich hatte mir über das sie kamen im Mondlicht eigentlich keine so großen Gedanken gemacht, sondern fand den Satz als Einleitung kurz und knackig. Wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass das manieriert klingen könnte. Jetzt, wo Du es erwähnst, kommen mir Zweifel. Normalerweise kann ich mich auf mein Sprachgefühl ganz gut verlassen, aber hier bin ich mir nicht mehr ganz sicher. Deine Variante würde jedenfalls funktionieren. Werde ich wahrscheinlich so übernehmen. Ich muss es nur ein bisschen sacken lassen und will auch noch hören, was andere dazu sagen.

"Durchrechnen" ist schon bemerkt worden als unpassend für die Umgebung, find ich an sich auch. Vor allem zweifle ich aber daran, ob die Aktion am richten Platz ist. Ich würde schätzen, sie ist an der Stelle mit dem Durchrechnen fertig. Bin mir aber nicht sicher ...

Ich stelle es mir so vor, dass Maya von den beiden Sammlern überrascht wird. Vielleicht kommt sie selbst gerade von einer Jagd zurück, vielleicht schichtet sie Brennholz vor der Hütte, um die Abendstunden zu nutzen, vielleicht sitzt sie einfach vor dem Haus, um die Natur und den Mond zu genießen. Sie versteckt sich und sie wägt ihre Optionen ab.

Das Game ist ja so etwas wie eine Simulation, ein Open World Survival Game würde man das nennen. Und in solchen Spielen sind strategische Kalkulationen wichtig: Wie lange reichen meine Vorräte, wie viel Energie verliere ich bei diesem Marsch, kann ich dieses Tier mit einer Kugel töten, wie schwer sie diese Kleidungsstücke im Verhältnis zu ihrem Wärmebonus.

Mit anderen Worten: Der Spieler lernt, rein emotionale Reaktionen zugunsten strategischer Entscheidungen zu unterdrücken. Er rechnet seine Chancen durch, wägt ab. Trotzdem sind solche Momente der Entscheidungsfindung häufig schmerzhaft, denn auch gute Spieler haben Instinkte, die mit dem Durchrechnen von Alternativen in Konflikt stehen können. Das ist der Hintergrund für die Verwendung von Begriffen wie Ressourcen oder eben Durchrechnen.

Den Wolf kann ich nicht so richtig deuten, gehört der zu den Sammlern oder läuft der nur so rum?

Seit einiger Zeit taucht in Survivalspielen immer häufiger die Option auf, wilde Tiere zu zähmen, um sie als Verbündete und als Erweiterung der eigenen Fähigkeiten zu nutzen. Das wollte ich mit dem Wolf und dem Bären aufgreifen.

Ich finde den Dialog gut zu lesen, das ist bei solchen technischen Sachen schon mal nicht schlecht. Das hängt sicher damit zusammen, dass ich den Eindruck habe, ich kapiere ganz gut, was da beschrieben wird, ist ziemlich eingängig. Nur an der zitierten Stelle hakt's: Warum schnippt die Spitze nicht weg, wenn der Klicker drüber ist? Sicht muss es deshalb genau der Moment sein, kann ich mir ungefähr vorstellen, aber so ganz hab ich's nicht vor Augen.

Ja, kann ich mir vorstellen, dass das nicht so ganz leicht zu durchschauen ist. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob der Leser das vor sich sieht: Die Spitze des Pfeils nähert sich beim Auszug, dem Spannen des Bogens, immer mehr dem Bogen. Der Klicker ist am Bogen montiert und der Pfeil wird zwischen Bogen und Klicker durchgezogen (siehe HIER).

Wenn der Pfeil weit genug gezogen wird, hat der Klicker keinen Halt mehr und schnippt, klickt gegen den Bogen. In diesem Moment schießt der Schütze.

In dem Spiel sind also einige Spieler als Tiere unterwegs? Warum nicht. Hat aber ein bisschen gedauert (Check und Gegenchek und so), bis ich mir sicher gewesen bin. (Was bedeutet "Grizzly-Adam"?)

Nein, die Tiere in diesem Spiel sind NPC´s (Non-Player Character). Sie stellen künstliche Intelligenzen dar und "handeln" entsprechend ihrer jeweiligen Programmierung. Man könnte sie als interaktive Umgebungselemente auffassen.

Grizzly Adams ist eine Roman-, Film- und TV-Figur aus den USA, die in Deutschland in der Serie Der Mann in den Bergen bekannt wurde und lose auf dem Leben von James Capen Adams basiert. Die Story im Film handelt von einem Zivilisationsflüchter, der in einem Blockhaus in den Bergen lebt, sich mit einem Grizzly-Bären anfreundet und viele Abenteuer in der Wildnis erlebt.

Für sich genommen hab ich für die Episode mit Jenny etwas übrig, das ist eine Geschichte wert, wie diese merkwürdige Kirche ihre Fangarme ausstreckt usw. Aber als Teil dieser Geschichte überzeugt mich der Schnörkel nicht. Reizvoll finde ich es durchaus noch, dass auch Jenny ihre Probleme hat und nicht diejenige ist, die alles im Griff hat. Beide Schwestern haben Licht und Schatten, viel besser als wenn eine schwarz und die andere weiß ist. Trotzdem: Hier passt mir das nicht, wenn, dann müsste das länger sein, mit mehr Zeit für Jenny. Solange ich Jenny dabei nicht von innen kennenlerne, würde mir nichts fehlen, wenn die Episode gestrichen wäre. Nur dafür, dass Jenny eine dunkle Seite zeigt, ist mir das letztlich zu wenig. Obendrein finde ich den entsprechenden Dialog ausnahmsweise ziemlich platt. Geht mir zu schnell, das prallt an mir ab.

Ich verstehe Deine Einwände. Über diesen Seitenstrang habe ich mir einige Gedanken gemacht. Ich würde Dir zustimmen, wenn es in der Passage nur um Jenny ginge. Es geht aber noch um zwei weitere Dinge: Erstens wollte ich ein Schlaglicht auf die Gesellschaft werfen, in der die Geschichte spielt. Zweitens wollte ich andeuten, dass es verschiedene Formen von Eskapismus gibt. Das Game ist nicht die einzige Variante problematischer Pseudorealitäten.

Was hier beginnt ... Dürfte für meine Geschmack dagegen viel schneller gehen. Ich habe den Eindruck, ich kenne die Spielewelt jetzt, ich weiß auch, dass insbesondere die Tötungsaktionen darin voll realistisch dargestellt werden. Nochmal haarklein erzählt brauche ich das nicht, da kommt für mich letztlich nichts Neues mehr.

Naja, der Abschnitt an der Radiostation ist ja nicht sehr lang. Ich stand vor der Aufgabe, den Prozess des Immer-Wieder-Tötens zu zeigen, und es war mir von Anfang an klar, dass ich das nicht 10 mal wiederholen kann. Also habe ich mir drei Szenen rausgesucht, die auch immer kürzer werden. Es geht aber noch um etwas anderes. Die zweite Tötungsaktion ist in gewisser Hinsicht bezeichnend für Mayas Veränderungen. Sie wird überrascht, was ihre brutale Reaktion ein wenig verständlicher macht. Auf der anderen Seite ist es auch irgendwie traurig, zu sehen, wie hart und emotionslos sie vorgeht.

War diese Entscheidung getroffen, konnte keine Macht der Welt den Pfeil zurückholen ... Da geht mir doch glatt ein Licht auf, Zen und Bogenschießen macht plötzlich mehr Sinn, als nur den, dass es konzentriert aussieht. Jedenfalls passt mir die Idee, vielleicht versteh ich's auch falsch, trotzdem herzlichen Dank für den Anstoß.

Ich denke schon, dass Bogenschießen ganz allgemein eine Menge mit Zen-Idealen zu tun hat. Es geht um Klarheit, Fokussierung, Entscheidungswillen, Spannung und Entspannung. Im Zen-Bogenschießen (Kyūdō) kommen aber noch ein paar Dinge dazu, die das moderne, wettkampfmäßige Bogenschießen nicht kennt. Da wäre zum einen der Umstand, dass man beim Kyūdō keine Zielvorrichtung/ Visier nutzt und somit mehr intuitiv an die Sache herangeht. Außerdem streben viele Kyūdōka danach, eine Haltung reiner Absichtslosigkeit zu erlangen, etwas, das im Zen und den Kampfkünsten Japans Mushin (Leerer Geist) genannt wird.

An Magnus' Tod am Schluss hab ich noch zu grübeln, inwiefern ich das gut finde und inwiefern mir das eventuell zu dick aufgetragen ist. Vielleicht hörst du dazu nochmal was von mir.

Die Katastrophe am Schluss war mir wichtig, um zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Spiel und Realität im Grunde lediglich ein Konstrukt darstellt. Wenn wir spielen, "wissen" viele Bereiche unseres Gehirns nicht, dass wir spielen. Insofern sind kategorische Trennungen mit Vorsicht zu genießen. Beim Spielen verändert sich unserer Bewusstsein und deshalb verändert sich auch unsere Persönlichkeit. Ich glaube beispielsweise nicht, dass wir uns in Spielen grausam und unfair verhalten können, ohne dass das unserem Geist schadet. Was wiederum nicht bedeutet, dass ich etwas gegen Shooter hätte. Spiele haben ihre eigene Logik, ihre eigene spezielle Ethik, wenn man so will. Es ist ein Unterschied, ob man tötet, um in einem Shooter zu überleben und im Kampf zu siegen oder um sich an Gewalt zu erfreuen.

Vielen Dank für Deine Hinweise, Erdbbeerschorsch!
Gruß Achillus


Hallo Manlio, vielen Dank fürs Lesen und Deine Zeit.

Was soll dieser Wolf? Wäre ein von den Sammlern mitgeführter Jagdhund nicht sinnvoller? Für mich erschließt sich nicht, ob der Wolf von den Sammlern zur Witterung eingesetzt wird. Ich bin verwirrt, nicht gebannt.
Und, um spitzfindig zu sein, verstehe ich nicht ganz, weshalb eine passionierte Bogenschützin zum Gewehr greift. Du verpasst für mein Empfinden hier die Gelegenheit, Maya sofort "in ihrem Element" zu zeigen.

Wie bereits gegenüber Schorch beschrieben, greift meine Geschichte einen Trend in Computerspielen auf. Wildtiere sind nicht mehr einfach nur Statisten, sondern können von Spielern gezähmt und als Erweiterung persönlicher Fähigkeiten genutzt werden. Ein Wolf könnte mehr leisten als ein Spürhund. Er könnte jagen, kämpfen, verteidigen, verborgene Ressourcen entdecken usw.

Natürlich kam mir anfangs die Idee, Maya sowohl "draußen" als auch "drinnen" als Bogenschützin zu zeigen. Bei einigem Nachdenken war mir das aber zu simpel. Es ging mir ja nicht um die technischen Fähigkeiten eines Bogenschützen, sondern um die geistigen Aspekte dieser Disziplin.

Der einzige Gewinn der Szene mit Jenny ist für mich, dass ich jetzt weiß, dass Maya in einem Spiel agiert. Ansonsten zu breit, irgendwie auch zu rührselig.

Die Szene schafft den Hintergrund von Mayas sozialer Situation (Eltern, Freunde, Uni). Sie beschreibt einen Konflikt zwischen Maya und Jenny, aber auch die Art der Beziehung der beiden Schwestern. Sie wirft ein Schlaglicht auf das Thema Präzision beim Bogenschießen, ein Punkt, der für das Verständnis von Mayas geistigem Leben, ihrer fokussierten Schützenmentalität von Bedeutung ist. Die Szene ist auch wichtig, um anzuzeigen, wie das Spiel in der Gesellschaft wahrgenommen wird, nämlich als "kranke Scheiße". Und von Rührseligkeit haben wir beide offenbar verschiedene Vorstellungen.

Sehr löblich, dass du uns Mayas Gedanken näher bringst, aber ich find's nicht sonderlich spannend. Ich würde diesen Zwiespalt in ihr lieber erspüren.

Ein Punkt dieses Absatzes war, dass der Leser erfährt, dass Maya schon mehrmals daran gedacht hat, ihre Ausrüstung zu verkaufen, das Spiel beenden wollte. Dieser Fakt schien mir wichtig, weil ich den langfristigen Trend ihrer Veränderung zeigen wollte. Und weil man so einen Satz nicht einfach hinschreiben kann, sondern irgendwie einbetten muss, wurde dieser Absatz daraus.

Ich weiß nicht, dieser Forge ist auch sehr dick aufgetragen. Dies nur als Randbemerkung; was ich eigentlich sagen wollte: "Cool" passt hier denke ich nicht gut. In der verqueren Logik des Fans müsste das Spiel doch cooler werden, wenn die Tötungsszenen realistischer werden?

Also ich kenne ja nun einige Gamer-Persönlichkeiten. Wenn ich die mit dem Forge vergleiche, dann wirkt er eher zurückhaltend auf mich. Und ein Game-Fan ist nicht zwangsläufig jemand, der mehr Gewaltdetailtreue in einem Spiel als cool empfindet. Was wünschen wir uns von einem Spiel, von einer virtuellen Realität? Dass wir Abenteuer erleben, dass es Nervenkitzel gibt, dass wir mit Aufgaben konfrontiert werden und erfolgreich Lösungsstrategien entwickeln können. Forge gehört jedenfalls zu dieser Kategorie von Spielern.

Wünschen wir uns reale Schmerzen, wenn wir im Game getötet oder verletzt werden? Oder wollen wir gern wissen/sehen, dass andere Spieler Schmerzen leiden, wenn wir sie virtuell töten? Forge würde das nicht so sehen.

Hier kommt die Geschichte endlich in die Gänge. Diese Szene ist gut! (Außer, dass Maya schon wieder keinen Bogen benutzt ) Dennoch reicht die sich aufbauende Dramatik nicht, um mich dabei zu halten. Denn ich weiß ja, der Typ wird irgendwo wieder auftauchen.

Die Szene, die Dir gefällt, ist eine Action-Szene. Ich habe am Schreiben und Lesen solcher Szenen auch viel Spaß, aber ich sehe das als Salz in der Suppe. Spannung und Drama findet für nur im Kontext mit dem Innenleben der Protagonisten statt.

Für mich müsstest du die Geschichte deutlich straffen und deine Idee noch härter in den Kopf hämmern. Denn dass Computerspiele aus der Realität rausreißen, ist jetzt nicht so neu als Message.

Stimmt, ist nicht neu, diese Message. Aber darum ging es in dieser Geschichte auch nicht.

Gruß Achillus

 

Hola Großer Meister,

das ist ein Opus, keine Kurzgeschichte. Toll! Fängt mit dem Titel schon an – da muss man einfach weiterlesen. Eine bessere Titel-Wahl hättest Du nicht treffen können.
Auf mich wirkt Dein Schreibstil jetzt perfekt, er vermittelt Reife und Selbstsicherheit des Autors. ‚Extrarund’ wird die Sache durch das pralle Thema, das lässt ohnehin keine unnötige Deko zu.
Wie oft wird ein Text durch Unnötiges verhunzt, weil der Autor zeigen will, dass er’s drauf hat. Nur an dieser Stelle scheint der Fachmann mit Dir durchgegangen:

»Das ist der Klicker«, sagte Maya
... und dann kommt eine längere Erklärung der Funktion.
Ich als Laie will die Geschichte, nicht die technischen Details, so interessant sie auch sein mögen. Dazu kommt für mein Lesegefühl fast eine Entzauberung dieses archaischen Sports, hätte nicht gedacht, dass hier mit ‚Tricks’ gearbeitet wird;).
Noch eine Kleinigkeit:
... Zeiten, in denen von Gemeinschaft, Solidarität und unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten die Rede gewesen war.
Bei ‚unbegrenzt’ – in dieser Kargheit – stocke ich ein bisschen.
... über sie wölbte, ein Aspekt des Gamedesigns darstellte, ...
... mit seinem Streamline-Design, dem altmodisch-futuristischen Stromlinien-Look des Tresens, ...
Eigentlich ist hier mein „Kommentar“ zu Ende. Zum Inhalt, zur Handlung etwas zu sagen, fühle ich mich leider außerstande. Das ist so komplex und vielschichtig. Der Text hat ja auch eine starke philosophische Seite; betreibt Gesellschaftskritik (eher Gesellschaftsbeschreibung?) ebenso. Wir leben im Zeitalter der Süchte, in unseren Regionen ist der ‚normale Lebenskampf’ von der Tagesordnung.
Jedenfalls ist ‚Spannung’ goldrichtig. Beweis: Ich habe gebannt bis zum letzten Wort am Text geklebt. Kurz vor Schluss sah es nach Happy End aus, aber dann klingelte das Telefon ...

Achillus, ich habe eine Scheu vor großen Worten, aber diese Geschichte ist bislang die beeindruckenste seit meiner Anwesenheit im Forum. Ich finde das großartig, wie Du Deinen Text gestaltest – mit welcher Sorgfalt, auch Recherche und Aufbau – ganz zu schweigen von der Aktualität des Themas.
Das konnte nur zu einer Empfehlung führen. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!

José
PS: Über die Vieldeutigkeit des Wortes ‚Spiel’ werde ich mir noch viele Gedanken machen, das grenzt ja in Teilen auch an ‚Glauben’. Nur über Wahrheit und Wirklichkeit will ich nicht nachdenken, da könnte ich glatt das bisschen Restverstand verlieren:shy:.

 

Hallo José,

vielen Dank für Deinen Kommentar und das Lob zur Geschichte! Hab mich sehr gefreut, von Dir zu lesen.

Was diese Stelle mit dem Klicker betrifft, da werde ich sicher noch mal in mich gehen und dieses Detail wahrscheinlich entfernen.

Ich als Laie will die Geschichte, nicht die technischen Details, so interessant sie auch sein mögen. Dazu kommt für mein Lesegefühl fast eine Entzauberung dieses archaischen Sports, hätte nicht gedacht, dass hier mit ‚Tricks’ gearbeitet wird.

Ich kann das verstehen, zu viel Kleinkram verschleiert die Story möglicherweise, insbesondere, wenn man das von außen schwer nachvollziehen kann, so wie es Schorch gegangen ist.

Was die Entzauberung anbelangt, da ist es so, dass die Verbände definieren, welches Equipment bei Wettkämpfen eingesetzt werden darf. Und wie im Hochleistungssport üblich gehen dann die Sportler an die Grenzen des Machbaren. Bei den Recurve-Bogenschützen wirst Du keinen Wettkampfsportler im oberen Bereich finden, der ohne Visier, Klicker oder Stabilisatoren schießt. Bei den Compound-Bogenschützen geht das sogar noch weiter. Die schießen mit Lupe (achtfache Vergrößerung), Lochvisier in der Sehne und manchmal sogar Wasserwage (um die Ausrichtung des Bogens zu kontrollieren). Das sieht man dann auch an den Ergebnissen, die Compound-Bogenschützen treffen noch präziser als die Recurve-Schützen.

Die von Dir genannten Formulierungsschwächen schaue ich mir noch mal genauer an. Vielen Dank für diese Hinweise.

Der Text hat ja auch eine starke philosophische Seite; betreibt Gesellschaftskritik (eher Gesellschaftsbeschreibung?) ebenso. Wir leben im Zeitalter der Süchte, in unseren Regionen ist der ‚normale Lebenskampf’ von der Tagesordnung.

Ja, die Idee war, ein bisschen über die Verantwortung für unser Handeln zu reflektieren. Das Thema treibt mich seit längerer Zeit um, und am Beispiel des Bogenschießens kann man das gut verdeutlichen.

Achillus, ich habe eine Scheu vor großen Worten, aber diese Geschichte ist bislang die beeindruckenste seit meiner Anwesenheit im Forum. Ich finde das großartig, wie Du Deinen Text gestaltest – mit welcher Sorgfalt, auch Recherche und Aufbau – ganz zu schweigen von der Aktualität des Themas. Das konnte nur zu einer Empfehlung führen. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!

Das ist ein großes Lob, José, vielen Dank dafür!

Grüße aus der sonnigen Hauptstadt
Achillus

 

Hej Achillus,

es ist sehr schön, wieder eine Geschichte von dir zu lesen. Seltsamerweise denke ich seit Wochen darüber nach, dass es mehr Protagonisten geben müsste wie "Katniss", die sich in den Hungergames behaupten muss, mutig und tapfer, sozial und eigenständig, dies das. Und dann kommst du. ;)

Für mich ist ein total neues Bild, virtuelle Spiele und reale Welt zu mischen und schon alleine deswegen fasziniert mich deine Geschichte. Selbstverständlich befolgst du deine Ratschläge selbst und baust sie ganz ruhig und systematisch auf, so dass ich mich entspannt auf die Handlung und Nebenstränge einlassen kann. Einzig, dass ich es seltsam empfinde, dass niemand, der verletzt oder getötet wird, Schmerzen empfindet oder versorgt wird, aber das ist wohl unerheblich. Es ist schon eine Leistung, diese Geschichte so zu verfassen, das selbst Nicht-Gamer (Zuseher) zumindest eine Ahnung haben, wovon die Rede ist, z.B. wenn gleich zum Anfang die Rede von Sammlern ist, Ressourcen und Destrikten.

Maya schob den Lauf ihrer Flinte durch die Zweige und drückte den Schaft gegen ihre Schulter

Hier und auch in allen anderen Situationen, in denen sie nicht Bogen schießt, bin ich enttäuscht, denn es hätte mir sehr gefallen, wenn dieses Bild, inklusive aller zugehöriger Bilder und Eigenschaften, ausschließlich Maya zugeordnet wären und so ihren Charakter zunehmend gefestigt hätte.

Aber es ist mein Leben.«

Mayas Charakter würde für mich ohne diesen Trotz gut auskommen, besser zu ihrem Moll und der Melancholie passen.

Ich habe einfach Angst um dich«, sagte Jenny leise. Tränen standen in ihren Augen. »Wir hören so viel fiesen Mist von dem Spiel!«

Mir Unwissender ist nicht ganz klar, wie dieses ihr und wir kommuniziert, also wie die reale Welt und die Mayas immer wieder aufeinandertreffen können.

Nichts würde sie jemals davon überzeugen können, dass die Erfahrungen, die sie hier gemacht hatte, nicht real sein sollten

Dieser Gedanke taucht ja später noch einmal im Gespräch auf und lässt sich nicht klären, oder?

Als der Summer des Appartements losging, saß Maya in der Zimmerecke und rauchte.

Leider ist mir nicht klar, wie sie wann im Apartment lebt und ob das dann real oder gamewelt ist.

Auf dem Monitor der Kommunikationseinheit erschien das blasse Gesicht eines Mannes, der wie einer dieser verdammten Missionare der Neuen Kirche Norwegens aussah.

Nett, dass du es nebenbei verortest. Norwegen passt gut, finde ich.

Es war kranke Scheiße, die da ablief. Wie oft hatte Maya daran gedacht, auszusteigen, aufzuhören, den Anzug und das andere Equipment zu verkaufen.

Wieso muss der Verkauf erwähnt werden? Ist das relevant für eine Beendigung des Spiels?

Aber wozu gibt es Versicherungen?«

Komisch, dass Forge das nicht weiß.

Seit dem Update Drei Eins, sind die Schmerzen echt schlimm, wenn du 'ne Kugel fängst oder sonstwie gewaltsam stirbst.«

Okay, das hatte ich wohl beim ersten Lesen ignoriert. :shy:

Die sperren dich lebenslang, wenn sie dich mit einem gehackten Tracermodul erwischen.«
Maya nickte. »Stimmt. Das muss ich riskieren.«
»Und sie kriegen dich dann auch wegen Betrugs dran. Dann hast du ein richtiges Problem.«
»Nicht, wenn du es gut machst.«

Zeigt gut den Charakter.

Mochten sich die Menschen auch gegenseitig zerfleischen, die Natur würde ihren ewigen Rhythmen folgen, die Taiga kannte keine Sentimentalität.

Das ist ein tröstlicher Gedanke.

Jacks toter Körper schlug dumpf auf den Boden. Maya stieg vom Schemel, packte den Leichnam und schleifte ihn hinüber zum Bärenkadaver. Das Holzsammeln würde etwa zwei Stunden dauern, aber sie brachte es nicht übers Herz, Jack und Max den Krähen zu überlassen.

Schon tough von Maya.

Falls sie mich erwischen, fange ich nicht wieder von vorn an.«

Kann man das entscheiden? Leben oder immer totsein?

Jenny sah müde aus, aber so wirkte sie nur noch hübscher.

Das liest man auch nicht alle Tage. ;)

Maya schüttelte den Kopf. Die angeblich auf heuristischen Methoden beruhende Partnervermittlung der Neuen Kirche Norwegens basierte auf Ideen der Rassentheorie und ihr Ziel bestand darin, die Grundlage einer arischen Religionsgemeinschaft zu schaffen. Jeder, der genau hinschaute, wusste das, aber die NKN war eine mächtige Institution und nutzte all ihre Möglichkeiten, um die öffentliche Meinung zu manipulieren.
»Jenny, du weißt ja, was ich von der ganzen Sache halte.«

Ist das der Grund, weswegen Maya aus der realen Welt flieht? Oder warum wird das erwähnt?

Es ging nicht ums Zielen, nicht um Windberechnungen oder taktische Kalkulationen, sondern darum, die Knochen, Sehnen und Muskeln daran zu erinnern, wie sich ein guter Schuss anfühlte.

Das ist schön und wahr. Maya lernt eben auch, ihrem Körper mit allen Sinnen zu vertrauen.

Sie atmete ein, aus und schoss.

Ich mag diese Stellen. Sie sind meditativ.

Maya hätte nicht sagen können, ob die Gefühlsblase, die sich jetzt warm und weich über sie wölbte, ein Aspekt des Gamedesigns darstellte, also etwas ganz und gar Künstliches war oder ob dieser lustvolle Sog, diese Empfindung, empor gehoben zu werden, auch im realen Leben zum Beruf des Killers dazugehörte.

Gut, dass du mich daran erinnerst.

Das Diner mochte mit seinem Streamline-Design, dem altmodisch-futuristischen Stromlinien-Look des Tresens, der Tische und Bänke im Zentrum der kleinen norwegischen Küstenstadt wie ein Fremdkörper wirken, aber Maya erinnerte es daran, dass sie einmal eine Familie besessen hatte.

Das ist schon eine gute Idee, eine Verbindung aufzubauen zwischen ihrem Leben und dem des Magnus. Und dass ihr auch die Position einer Familie bewusst macht.

Rydberg bestellte gedankenlos Kaffee für sie beide.

Du zeigst mir ziemlich gut seine Hilflosigkeit.

Die Einsamkeit des Bogenschützen, das war die Erfahrung vollständiger Verantwortlichkeit für die Konsequenzen des Handelns.

Nice.

Naja, ich denke gerade daran, was das für mein Karma bedeutet«, sagte Maya.

Schön auch, dass du das Karma in diese meditative Sportart einbringst. Das rundet auch Mayas Figur, also ihren Charakter.

Es war ein Vergnügen, in deine virtuelle Schneelandschaft zu tauchen und Maya in ihrer äußeren und inneren Welt zu folgen. Es war eine lange Geschichte und dennoch hätte ich mir noch mehr Persönliches über Maya gewünscht. So richtig kam nicht heraus, was sie in das Spiel trieb. Heraus vielleicht schon eher.

Du hast dir viel Zeit gelassen und ich habe seine detailgenaue Sicht genossen.

Vielen Dank für diese Geschichte, die ja immer öfter immer mehr Teil der Gesellschaft ist. In vielen Facetten und Auswirkungen.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Lieber Achillus ,
ich habe die Geschichte durch die Empfehlungen gefunden und kann nur sagen, dass sie mich bewegt hat, was vielen Kurzgeschichten nicht gelingt. Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass das Thema "Spiel" für mich ein ziemlich großes ist. Ich habe auch in einige Kommentare reingelesen und kann mich dem allgemeinen Grundtenor nur anschließen, dass das Thema Computerspiele und ihre Einflüsse auf den Menschen, bzw. die Frage: "Was ist Realität, was gehört dazu und was nicht?" eine bedeutende ist.

Allerdings will ich noch ein wenig die Perspektive verschieben. Da ich viel in der "Szene" der Gamer, und allem was sich darum orientiert, unterwegs bin, gestaltet sich das Thema einer tatsächlich erlebbaren, virtuellen "Realität" noch um einiges intensiver, als vielleicht für diejenigen Betrachter, die zum Großteil ganz real leben. Fraglos "flüchten" sich einige Gamer ins Spielgeschehen, aber die Faszination tatsächlichen Erlebens ergibt sich aus meiner Sicht tatsächlich erst im Gefühl, genauer noch im Schmerz. Hier finde ich auch den Übergang zwischen Spiel und Realität am deutlichsten, bzw. die Verschmelzung wenn man so will. Das was körperlich weh tut, und zwar sehr, ist auch sehr real. Dabei stellt sich allein schon die Frage des "simulierten" Schmerzes. Geht das überhaupt? Wenn ich mich stoße, dann simulieren meine Nerven auch elektrische Impulse, die mein Gehirn dann als Gefahrensituation interpretiert.

Genau diese Körperlichkeit stellst du sehr gut dar und das mit wenigen, präzisen Worten, das hat mich fasziniert. Die andere Seite ist freilich nach wie vor die Freiheit im Spiel, was derzeitig die Rollenspiele oder Survivalspiele derart hyped. Man kann halt machen was man will, sein wer man will und muss nie damit rechnen für seine Eskapaden irgendwann im Knast zu landen oder tatsächlich zu sterben. Zuhause kann man dann wieder der liebende Familienmensch sein, um das Bespiel mal auf die Spitze zu treiben.

Als letztes gibt es zu dem Thema noch zwei Animes die sehr gefeiert wurden und sich entsprechend schnell auch unter den "Gamern" verbreitet haben. Das ist einmal "Sword Art Online", oder einfach SAO. Eine Version die deutlich mehr zum Nachdenken über eine virtuelle Realität anregt ist "Log Horizon". Beides sehr zu empfehlen, wenn dich das Thema an sich interessiert. Ist und bleibt natürlich Anime, ist ja nicht jedermans Sache.

Also alles in allem großes Lob für die Geschichte und schön, dass die Thematik damit auch so deutlich im Forum angekommen ist.

Viele Grüße,
Nightfeather

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maria,

vielen Dank für Deinen Kommentar.

Doch am Anfang, als du sie online gestellt hast, hat mich der erste Absatz, vor allem der erste Satz abgeschreckt:

Schorch hat den ersten Satz ebenfalls bemängelt. Ich bin nicht ganz sicher, weshalb Du ihn nicht magst, aber ich denke ich habe eine Lösung des Problems. Ich finde den Satz nach wie vor vom Sprachlichen her stimmig, aber ich sehe auch eine Schwäche:

Sie kamen im Mondlicht, ein großer Wolf folgte ihnen. Es waren zwei Sammler, gut ausgestattet mit dicker, winterfester Kleidung, Rucksäcken, Waffen. Maya lag auf dem gefrorenen Boden hinter einem Wildrosenstrauch und beobachtete die Fremden. Sie hörte bereits das Knirschen ihrer Schritte im Schnee.

Wenn man fordert, der erste Satz soll möglichst anschaulich sein, dann meint man ja, dass der Leser sofort ein Bild vor Augen haben sollte. Bei mir ist das auch so, aber ich weiß als Autor eben auch wer sie sind, wenn es heißt Sie kamen im Mondlicht. Der Leser weiß das nicht, für ihn könnten sie alles mögliche sein: Wanderer, Jäger, Tiere, Außerirdische ...

Meine Lösung ist jetzt ganz einfach. Ich stelle die Sätze um:

Es waren zwei Sammler, gut ausgestattet mit dicker, winterfester Kleidung, Rucksäcken, Waffen. Sie kamen im Mondlicht, ein großer Wolf folgte ihnen. Maya lag auf dem gefrorenen Boden hinter einem Wildrosenstrauch und beobachtete die Fremden. Sie hörte bereits das Knirschen ihrer Schritte im Schnee.

Es ist so. Der Anfang ist nicht wirklich einladend. Ich habe mir gedacht, es spielt in irgendeiner Zeit wo man Schwerter als Kontaktmittel verwendet hat. Aber dann reden die beiden ziemlich gegenwärtig, mit canceln und Studium, so dass das Bild vom Anfang in die Brüche geht. Ich finde den Anfang nicht gut, mir gefällt er nicht, erst als du dich auf die beiden Mädel konzentrierst, erst da kommt die Geschichte langsam in Fahrt.

Ich weiß Deine Abneigung gegen den ersten Abschnitt nicht so richtig zu deuten. Angenommen, es würde sich im Laufe der Geschichte bestätigen, dass die Story in einer Schwerter-Zeit spielt, wäre der Anfang dann besser? Ich sehe nicht, weshalb ein Abschnitt, der im Kontrast zum Anfang steht, die Geschichte schwächt.

Als Leser würde ich diesen Widerspruch registrieren und mich fragen, wie das zusammenpasst. Das ist ein Mittel von vielen anderen, mit denen man Spannung beim Leser erzeugen kann. Er will wissen, wie sich die Widersprüche aufklären.

Ich weiß nicht. Für mich ist die ganze Magie verschwunden, als ich merkte, dass es sich um ein Computerspiel handelt :/

Ich denke, dass dieser Punkt die Frage berührt, wie wir als Leser reagieren, wenn wir auf Fiktion innerhalb der Fiktion treffen. Das kann natürlich problematisch sein, denn wozu sollte ich mich über die Geschehnisse in einer Geschichte aufregen, wenn ich weiß, dass diese Geschehnisse innerhalb der Geschichte nur in einem fiktiven Rahmen stattfinden, sagen wir in einem Computerspiel, einem Film, einem Buch.

Mir war schon klar, dass einige Leser abwinken würden – wo ist das Drama, wenn alles nur in einem Spiel stattfindet? Deshalb habe ich versucht, die Zusammenhänge zwischen erlebter Spielwelt und Realwelt so zu gestalten, dass man als Leser mehr und mehr den Eindruck bekommt, die Trennung zwischen real und virtuell sei letztlich ein Konstrukt.

Tatsächlich wissen wir heute aus der neurobiologischen Forschung, dass alles, was wir als Realität erleben, letztlich eine Simulation unseres Wahrnehmungs- und Erkenntnissystems darstellt. Wir nehmen Realität niemals unmittelbar wahr, sondern stets über ein neuronales Korrelat. Die Farben die wir sehen, die Temperaturen, die wir fühlen, Härte oder Weichheit von Objekten – all diese Eigenschaften existieren nicht objektiv. Sie werden von jeder wahrnehmenden Spezies entsprechend ihrer speziellen Seinsweise konstruiert. Eine Fledermaus erlebt die Welt anders als ein Mensch. Doch ihre Wahrnehmung ist genau so korrekt, wie die menschliche. Das heißt, die Welt existiert nicht objektiv.

Unter anderem aus diesem Grunde bewerten Psychologen heute auch die Erfahrungen eines Computerspielers anders, als beispielsweise vor zwanzig Jahren. Es gibt immer mehr Stimmen, die virtuelle Realitäten als legitime Erlebnishorizonte auffassen, nicht mehr einfach nur als sinnlose Spielereien und Zeitverschwendung.

Der Wolf am Anfang, dessen Sinn ich nicht verstanden habe, verliert sofort an Bedeutung, als mir bewusst wurde, dass es ein Spiel ist.

Das ist eine Behauptung, der ich widersprechen würde. Weshalb sollte die Erfahrung, innerhalb einer Simulation einem Wolf zu begegnen an Sinn verlieren? Es ist doch immer die Frage, wie diese Simulation strukturiert ist. Piloten lernen in Simulationen, wie man ein Flugzeug fliegt. Weshalb sollte man nicht auch andere Fähigkeiten entwickeln können und sogar grundlegende menschliche Erfahrungen in Simulationen kennen lernen?

Die Unterteilung in echt und virtuell ist aus philosophischer und naturwissenschaftlicher Perspektive nicht sehr tragfähig.

Ich habe schon einige Male gehört, wie ein Vater jemanden bezahlt hat, damit er den Spielcharakter seines Sohnes tötete. Ich dachte nur, so ein Idiot, und hier in deiner Geschichte ist er auch einer. Einer, den man versteht, einer, der einem Leid tut.

Das ist neu für mich. Ich habe das bislang nicht in Filmen oder Büchern gesehen/ gelesen. Kannst Du Dich erinnern, wo Du von dieser Idee schon mal gehört hast? Mich würden Ähnlichkeiten zu meiner Geschichte interessieren. Und was ist so idiotisch daran? Ich sehe den Vater in meiner Geschichte nicht als Idioten. Er weiß, dass er außerhalb des Kreises stehen muss, der Druck auf seinen Sohn ausübt, deshalb engagiert er eine Fremde. Er geht davon aus, dass sein Sohn das Spiel aufgibt, wenn dort eine bestimmte Frustrationsgrenze überschritten wird. Und diese Annahme ist durchaus nachvollziehbar. Wir wissen aus den Erkenntnissen des Gamedesigns, dass Spiele mit hohem Frustrationspotenzial viele Spieler abschrecken.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie man dieses Spiel bedient, bei der man die Schmerzen mitempfinden kann und so weiter.

Das ist sicher ein bisschen speziell. Wenn man kein Gamer ist, braucht man wahrscheinlich eine Menge Phantasie, um sich das vorstellen zu können. Es gibt heute bereits VR-Brillen, die jede Bewegung des Kopfes in die Perspektive des Spiels übernehmen. Es gibt Kameramodule, die die Bewegungen des Spielers aufzeichnen und auf die Spielfigur im Game übertragen.

Ich habe vor einigen Wochen von Thomas Metzinger Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst gelesen. Er beschreibt darin faszinierende Erkenntnisse aus den Bereichen Neurologie und Psychologie, die zeigen, wie schnell sich unser Selbst mit einem Schein-Körper, einem Avatar identifizieren kann. Dieser Mechanismus könnte auch in Spielen wirksam sein. Und Schmerzen sind letztlich elektrische Signale. Ich denke, es ist durchaus im Bereich des Möglichen, Schmerzempfindungen "künstlich" auszulösen.

trotzdem habe ich am Schluss ein mulmiges Gefühl gehabt und es kam mir auch so vor, als hättest du den letzten Teil in Kurzfassung zu einem Ende gebracht, damit die Geschichte eben nicht zu lang ist.

Ich habe bei dieser Geschichte zum ersten Mal den Abschluss sehr früh geschrieben. Obwohl die letzte Szene immer wieder überarbeitet wurde, stand sie nach etwa der Hälfte der Schreibzeit fest, also etwa nach 25 Stunden. Mir kam es so vor, dass das der Geschichte gut getan hat, weil die Story jetzt ziemlich konsequent auf das brutale Ende zusteuert.

Maria, vielen Dank für's Lesen und Deine Hinweise.

Gruß Achillus


Hallo Kanji,

schön, dass Du reingeschaut, gelesen und kommentiert hast. Vielen Dank dafür.

Für mich ist ein total neues Bild, virtuelle Spiele und reale Welt zu mischen und schon alleine deswegen fasziniert mich deine Geschichte. Selbstverständlich befolgst du deine Ratschläge selbst und baust sie ganz ruhig und systematisch auf, so dass ich mich entspannt auf die Handlung und Nebenstränge einlassen kann.

Super, dass es für Dich funktioniert hat. Ich weiß, dass ich künftig neben der Entwicklung der Story noch mehr Spannungselemente hineinbringen kann. Es gibt ja so einige Mittel, die bewirken, dass der Leser unruhig wird und denkt: Oh mein Gott, wie soll das bloß enden!

Bislang habe ich aber vom Handwerklichen her viel damit zu tun, eine kohärente fiktionale Welt aufzubauen und lasse der Story mehr oder weniger freien Raum für die Entfaltung. Um noch mehr Spannung zu erzeugen, müsste ich gravierender eingreifen, und so weit bin ich bislang nicht. Deshalb kommen meine Geschichten auch meist etwas ruhiger daher, denke ich.

Es ist schon eine Leistung, diese Geschichte so zu verfassen, das selbst Nicht-Gamer (Zuseher) zumindest eine Ahnung haben, wovon die Rede ist, z.B. wenn gleich zum Anfang die Rede von Sammlern ist, Ressourcen und Destrikten.

Das war eine meiner größeren Sorgen. Ich kann ja nicht voraussetzen, dass jeder Leser Erfahrungen in dem Bereich hat. Deshalb habe ich auch eine Menge Gamersprache (Looten, Grinden, Leveln, Skillen) raus gelassen.

Hier und auch in allen anderen Situationen, in denen sie nicht Bogen schießt, bin ich enttäuscht, denn es hätte mir sehr gefallen, wenn dieses Bild, inklusive aller zugehöriger Bilder und Eigenschaften, ausschließlich Maya zugeordnet wären und so ihren Charakter zunehmend gefestigt hätte.

Ich kann Dich verstehen. Das Bild des Bogenschützen hat etwas Romantisches und wirkt irgendwie ästhetischer, gesünder und ethischer als das eines Pistolen- und Flintenschützen. Das ist ein bisschen paradox, denn eine Pistole oder eine Flinte kann man als Verteidigungswaffe einsetzen. Ein Bogen ist hingegen eine reine Angriffswaffe, außer man ist Legolas und schießt mit dem Bogen so schnell und präzise wie mit einer Pistole.

In der Story ging es mir ja eher um die innere Haltung des Bogenschützen, deshalb habe ich Maya im Game effizientere Waffen nutzen lassen.

Mir Unwissender ist nicht ganz klar, wie dieses ihr und wir kommuniziert, also wie die reale Welt und die Mayas immer wieder aufeinandertreffen können.

Ich habe mir vorgestellt, dass das Game in der Öffentlichkeit ein bestimmtes (schlechtes) Image hat. Wir haben heute ein bestimmtes Bild vor Augen, wenn wir von Spielen wie Counter Strike oder Doom hören.

Nichts würde sie jemals davon überzeugen können, dass die Erfahrungen, die sie hier gemacht hatte, nicht real sein sollten ...

Dieser Gedanke taucht ja später noch einmal im Gespräch auf und lässt sich nicht klären, oder?


Das ist letztlich eine philosophische Frage, denke ich. Die Erfahrungen als solche sind real, aber sie wurden in einer virtuellen Umgebung gemacht, was ihre Bedeutung für die Real-Welt einschränkt, denke ich. Jemand, der in einem Computerspiel lernt, ohne zivilisatorische Hilfsmittel ein Feuer zu machen, entwickelt sich innerhalb des Spiels weiter. Doch hat das auch für die Real-Welt irgendeinen Nutzen?

Als der Summer des Appartements losging, saß Maya in der Zimmerecke und rauchte.

Leider ist mir nicht klar, wie sie wann im Apartment lebt und ob das dann real oder gamewelt ist.


Wenn ich den Abschnitt jetzt lese, verstehe ich, wieso Du da ins Zweifeln kommst. Ich hatte es aber so angelegt, dass diese Szene in der realen Welt spielt.

Es war kranke Scheiße, die da ablief. Wie oft hatte Maya daran gedacht, auszusteigen, aufzuhören, den Anzug und das andere Equipment zu verkaufen.

Wieso muss der Verkauf erwähnt werden? Ist das relevant für eine Beendigung des Spiels?


Relevant ist es nur, weil es unterstreicht, dass der Entschluss das Game aufzugeben endgültig ist.

Aber wozu gibt es Versicherungen?
Komisch, dass Forge das nicht weiß.

Das war eine rhetorische Frage in dem Sinne: Dazu gibt es schließlich Versicherungen.

Falls sie mich erwischen, fange ich nicht wieder von vorn an.

Kann man das entscheiden? Leben oder immer totsein?


Jack würde das Spiel aufgeben, also nicht mehr wiederkommen, wenn er im Game getötet würde.

Maya schüttelte den Kopf. Die angeblich auf heuristischen Methoden beruhende Partnervermittlung der Neuen Kirche Norwegens basierte auf Ideen der Rassentheorie und ihr Ziel bestand darin, die Grundlage einer arischen Religionsgemeinschaft zu schaffen. Jeder, der genau hinschaute, wusste das, aber die NKN war eine mächtige Institution und nutzte all ihre Möglichkeiten, um die öffentliche Meinung zu manipulieren.
»Jenny, du weißt ja, was ich von der ganzen Sache halte.«

Ist das der Grund, weswegen Maya aus der realen Welt flieht? Oder warum wird das erwähnt?


Dieser Seitenstrang hat indirekt mit Mayas Flucht in das Spiel zu tun. Ich wollte ein Schlaglicht auf die Gesellschaft werfen, in der die Geschichte spielt. Maya sieht am Beispiel ihrer Schwester, dass es "draußen" genauso verdreht zugeht wie innerhalb des Spiels.

Es war ein Vergnügen, in deine virtuelle Schneelandschaft zu tauchen und Maya in ihrer äußeren und inneren Welt zu folgen. Es war eine lange Geschichte und dennoch hätte ich mir noch mehr Persönliches über Maya gewünscht. So richtig kam nicht heraus, was sie in das Spiel trieb. Heraus vielleicht schon eher.

Ja, das ist sicher ein Punkt. Mir ist das erst jetzt klargeworden, aber ich sehe es nur als kleinere Schwäche an. In der Geschichte wird angedeutet, dass die Erfolge innerhalb der Spielwelt ein Grund sind, weshalb Maya das Game spielt. Das kann für einen introvertierten Charakter durchaus eine Motivation sein.

Du hast dir viel Zeit gelassen und ich habe seine detailgenaue Sicht genossen.

Vielen Dank für diese Geschichte, die ja immer öfter immer mehr Teil der Gesellschaft ist. In vielen Facetten und Auswirkungen.


Danke für Dein Lob und Deine Hinweise, Kanji!

Gruß Achillus

Nightfeather, danke auch Dir, ich schreibe Dir morgen. Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Nightfeather,

vielen Dank für Deine Hinweise zu meiner Geschichte. Schön, einen Kommentar von einem Gamer zu hören.

Da ich viel in der "Szene" der Gamer, und allem was sich darum orientiert, unterwegs bin, gestaltet sich das Thema einer tatsächlich erlebbaren, virtuellen "Realität" noch um einiges intensiver, als vielleicht für diejenigen Betrachter, die zum Großteil ganz real leben.

Ich denke, das ist der Punkt, wo sich an dieser Geschichte die Geister scheiden. Maria hat ja gut zusammengefasst, weshalb die Geschehnisse der Story für sie an Bedeutung verlieren, sobald klar wurde, dass es hier um virtuelle Realitäten geht. Viele Menschen fassen virtuelle Realitäten als sinnlose Phantasien, als reine Zeitverschwendung auf.

Gamer verbringen hingegen einen großen Teil ihrer Lebenszeit innerhalb dieser Schein-Realitäten, nicht selten sogar den größten Teil ihrer Wachzeit. Für einige von ihnen sind die Spielwelten realer als die Wirklichkeit.

Fraglos "flüchten" sich einige Gamer ins Spielgeschehen, aber die Faszination tatsächlichen Erlebens ergibt sich aus meiner Sicht tatsächlich erst im Gefühl, genauer noch im Schmerz. Hier finde ich auch den Übergang zwischen Spiel und Realität am deutlichsten, bzw. die Verschmelzung wenn man so will.

Das sehe ich ähnlich. Lust und Schmerz sind evolutionär bedingt die bedeutsamsten Empfindungen aller hoch entwickelten Lebensformen. Sie dienen der Verhaltenssteuerung und wirken wie Befehle: Alles, was Lust bereitet suchen wir. Alles, was Schmerz bereitet meiden wir. Es ist ja bereits ziemlich gut möglich, künstlich Lust zu erzeugen. Das gilt nicht nur für Pornographie und erotische Phantasien, sondern ist auch ein fester Bestandteil des Gamedesigns.

Ein Spielentwickler bietet dem Gamer Erfolgserlebnisse, die unglaublich lustvoll sein können. Das sieht man schon in den simpelsten Spielen wie Moorhuhn oder Angry Birds. Je komplexer die Herausforderungen, desto lustvoller die Erfolgserfahrungen.

Und Lust steht im Kontrast zum Schmerz. Ich dachte mir, dass der Sog des Spiels in dieser Geschichte noch intensiver wird, wenn die Gamer echte Schmerzen riskieren und anderen Spielern echte Schmerzen zufügen können. Das ist ethisch natürlich fragwürdig, aber ich denke, es würde eine bestimmte Personengruppe ansprechen.

Das was körperlich weh tut, und zwar sehr, ist auch sehr real. Dabei stellt sich allein schon die Frage des "simulierten" Schmerzes. Geht das überhaupt? Wenn ich mich stoße, dann simulieren meine Nerven auch elektrische Impulse, die mein Gehirn dann als Gefahrensituation interpretiert.

Ja, interessanter Punkt. Schmerzen basieren letztlich auf der Übertragung elektrischer Impulse und deren Interpretation durch das Nervensystem/ Gehirn. Es ist bekannt, dass Amputationspatienten manchmal Schmerzen in Körperteilen empfinden, die sie gar nicht mehr besitzen. Das bedeutet für mich, dass Schmerzen simuliert werden können, zumindest theoretisch. Wie das praktisch aussieht, weiß ich nicht.

Genau diese Körperlichkeit stellst du sehr gut dar und das mit wenigen, präzisen Worten, das hat mich fasziniert.

Freut mich sehr. Danke für das Lob!

Die andere Seite ist freilich nach wie vor die Freiheit im Spiel, was derzeitig die Rollenspiele oder Survivalspiele derart hyped. Man kann halt machen was man will, sein wer man will und muss nie damit rechnen für seine Eskapaden irgendwann im Knast zu landen oder tatsächlich zu sterben. Zuhause kann man dann wieder der liebende Familienmensch sein, um das Bespiel mal auf die Spitze zu treiben.

Ja, Spiele wie GTA leben von diesem Angebot an den Gamer, mal ein Gangster zu sein oder in Skyrim mimt man den Krieger bzw. den Zauberer usw. Ich denke, es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, andere Rollen auszuprobieren, alternative Lebenskonzepte zumindest testweise zu erfahren. Und genau wie Du sagst, kann man sich dann austoben ohne Strafen oder bleibende Verletzungen zu riskieren.

Trotzdem riskiert man etwas. Es geht nicht nur um Lebenszeit, die man statt zu spielen in "reale" Projekte investieren könnte. Es geht auch um die Frage, was das Gehirn eigentlich lernt, wenn man es mit Informationen aus einem Gangsterspiel füttert, indem man beispielsweise einen Gegner foltern muss, um ihn zum "Singen" zu bringen. (Das war ja beim letzten GTA der Fall.)

Als letztes gibt es zu dem Thema noch zwei Animes die sehr gefeiert wurden und sich entsprechend schnell auch unter den "Gamern" verbreitet haben. Das ist einmal "Sword Art Online", oder einfach SAO. Eine Version die deutlich mehr zum Nachdenken über eine virtuelle Realität anregt ist "Log Horizon". Beides sehr zu empfehlen, wenn dich das Thema an sich interessiert. Ist und bleibt natürlich Anime, ist ja nicht jedermans Sache.

Vielen Dank für den Tipp. Werde ich auf jeden Fall reinschauen.

Also alles in allem großes Lob für die Geschichte und schön, dass die Thematik damit auch so deutlich im Forum angekommen ist.

Danke, Nightfeather!

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,
eine tolle Geschichte, die Spannung und Tiefgang miteinander verbindet. Die archaisch ist und gleichzeitig modern, die in einer genauen Balance zwischen den Ebenen virtuell und real hin- und herpendelt. Die neben den sensationellen Effekten oder eher mit ihnen die brandaktuelle Frage danach stellt, ob und welchen Wert eine virtuelle Daseinsform besitzt. Das wird ja momentan viel debattiert und völlig unterschiedlich bewertet, wobei das eigentliche Problem ja wohl die Gleichzeitigkeit ist, die Schizophrenie, die man aushalten muss, um diese Welten zusammenzubringen. Und es muss ja nicht mal ein Game sein. Ganz bescheidene Kommunikationsformen können einen ja heute auch schon mühelos aus der Realität schleudern. Wenn man das Zweiweltenmodell der Romantik Welt-Gegenwelt heranzieht, dann ist es fast erschreckend, wie sich mit dem Hereinbruch der virtuellen Realität eine ziemlich alte Idee in einem Medium vervollkommnet, das unromantisch zu sein scheint. Dabei ist es deren Umsetzung in Vollendung, mit den Konsequenzen, die auch schon die Romantiker geplagt haben. Als genialen Zug empfinde ich die genau rhythmisierte Handlungsreduktion oder eher Verinnerlichung im Bogentraining. Viel hat mich an "Zen in der Kunst des Bogenschießens" erinnert. Die Passagen sind sprachlich, wie ich finde, gekonnt gemacht.
Einzig die Episode über Jennys Missbrauch habe ich nicht ganz einordnen können. Am Anfang dachte ich auch, dass mich die technischen Ausdrücke stören und manche zu erklärende Passagen zu Beginn. Aber die sind wohl der Kürze und der Dichte geschuldet. Und das hat sich auch schnell gelegt. Bei Jenny geht es wohl um eine weitere Variante, wie Leben geht und um eine andere Irritation damit. Und das bietet natürlich ein ganz schönes Schlusstableau. Aber in der Mitte schien es mir als loser Faden.
Was mir also besonders gefällt, ist, neben der sprachlichen Souveränität, die Verbindung von hochaktueller Problemstellung mit cooler Unterhaltung. Das könnte ja auch ganz billig spektakulär sein und so eine l'art pour l'art-Brutalität auspacken, eine Fingerübung halt. Aber das ist es für mich nicht. Sondern eben eine gekonnte Erzählung, die unterschiedliche Ebenen mit Tiefgang darstellt.
Herzlich
rieger

 

Hi Achillus,

ich komm nochmal kurz um die Ecke.

Das Game ist ja so etwas wie eine Simulation, ein Open World Survival Game würde man das nennen. Und in solchen Spielen sind strategische Kalkulationen wichtig ... Mit anderen Worten: Der Spieler lernt, rein emotionale Reaktionen zugunsten strategischer Entscheidungen zu unterdrücken.
Macht Sinn, ich nehme den Punkt zurück.

Wenn der Pfeil weit genug gezogen wird, hat der Klicker keinen Halt mehr und schnippt, klickt gegen den Bogen. In diesem Moment schießt der Schütze.
Ja, schon klar. Wenn ich mir jetzt aber vorstelle, statt dem Klicker würde ich meinen Finger nehmen (und der Anschaulichkeit halber kräftig drücken), dann würde der Pfeil wahrscheinlich von Bogen wegspringen, sobald der Finger über die Spitze gerutscht ist, oder? Das ist der Teil, den ich dann dem Mechanismus nicht nachvollziehen kann.

Grizzly Adams ist eine Roman-, Film- und TV-Figur
Aha, ja gut. Das ist die Sorte Insider, die mich zuverlässig verfehlen.

Dann hake ich auch hier nochmal ein:

Ich würde Dir zustimmen, wenn es in der Passage nur um Jenny ginge. Es geht aber noch um zwei weitere Dinge: Erstens wollte ich ein Schlaglicht auf die Gesellschaft werfen, in der die Geschichte spielt. Zweitens wollte ich andeuten, dass es verschiedene Formen von Eskapismus gibt. Das Game ist nicht die einzige Variante problematischer Pseudorealitäten.
Eben, deswegen fand ich die Idee mit Jenny für sich genommen auch gut. Nur eben zu kurz und in der Kürze für meinen Geschmack zu platt. Die Intention ist für meinen Geschmack zu deutlich, nicht zu wenig deutlich. Ich kann mir das sogar so knapp vorstellen,a her dann eher als Andeutung, nicht ganz so mit dem Holzhammer.

Ich denke schon, dass Bogenschießen ganz allgemein eine Menge mit Zen-Idealen zu tun hat.
Ich hab mich da ein bisschen kurz gefasst und will auch da nochmal einhaken, weil ich den Zusammenhang von Zen und Bogenschießen nicht abkanzeln wollte. Ich meinte eher so: Die meisten von dir genannten Eigenschaften liegen mehr oder weniger auf der Hand. Der Aspekt der Entscheidung war mir aber neu: Sobald man schießt, kann man den Pfeil nicht mehr zurücknehmen. Man muss mit der Entscheidung leben. Es nützt nichts, sich ihr entgegen zu stellen, nachdem man die Aktion ausgeführt hat. Selbst wenn die Entscheidung gut und durchdacht war, kann ein unvorhergesehenes Ereignis (eine Böe usw.) eine schlechte Folge bringen. Usw. Wie gesagt: Kann sein, dass ich da etwas überinterpretiere, aber mir scheint das zu passen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maria,

schön, dass Du noch einmal reinschaust. Du schreibst, dass Du häufig spielst. Okay. Ich hatte das aus Deinem Beitrag nicht rausgelesen. Vielleicht hätte ich die Geschichte mit dem Stichwort Science Fiction versehen sollen, denn für mich war klar, dass das Ganze in einer Zukunft (oder alternativen Zeitlinie) spielt, in der die Video-Spieltechnologie weit fortgeschritten ist.

Vielen Dank für Deinen Hinweis zu den Verhältnissen in Südkorea. Das wusste ich nicht, aber ich kann es mir gut vorstellen. Es gibt dort und in anderen asiatischen Länden direkt "Jugendkollektive", die sich auf das Grinden von spielinternen Währungen spezialisieren und das dann zu Echt-Geld umwandeln.

Ich dachte, der Wolf hätte eine größere Bedeutung, wenn du ihn gleich am Anfang erwähnst, und ich war darauf vorbereitet, ihn wieder anzutreffen.

Also der Wolf landet ja in der Bratpfanne:

In der Blockhütte bewegten sich Schatten an den Wänden. Das Feuer im Kanonenofen knackte, und noch immer hing das Aroma von gebratenem Wolfsfleisch in dem kleinen Raum.

Ich gebe aber zu, dass dieser Hinweis ziemlich versteckt und vage ausgefallen ist. Maya hat die beiden Grinder getötet und von der Hütte weggeschleift, um sie den Tieren des Waldes zum Fraß vorzuwerfen. Den Wolf, der mit den beiden Sammlern kam, hat sie geschossen, später ausgenommen und gebraten. Wie gesagt, die Ressourcen sind knapp in der Taiga :)

Ich will nicht über etwas lange nachdenken müssen, ich will nur mit der Geschichte mitfließen und nebenbei nachdenken, so im Hintergrund halt, während ich weiterlese.

Das verstehe ich. Im Grunde sind wir uns da sehr ähnlich. Wenn ich zum Beispiel einen Lynch-Film sehe, beispielsweise Inland Empire, und ich verstehe dreißig Minuten lang nicht, worum es geht, dann werde ich unruhig. Bei meiner Geschichte hatte ich aber gehofft, dass es eindeutiger wäre, wie die Dinge liegen. Es ist immer so ein Balancespiel, die Story nicht zu simpel und andersherum nicht zu verwickelt zu gestalten.

Danach kommt der Szenenwechsel und als ich den beiden Mädels zuhörte, die über das Studium redeten (vor allem das Wort cancelt), da zerbrach für mich der Anfang total und das hat mich aus der Geschichte geworfen, weil ich die Ritterzeitjägerin nicht mit den beiden modernen Teenies verbinden konnte.

Ja, da dachte ich eben, dass es klar wird, wie die Szenen zwischen realer und virtueller Welt hin- und herspringen.

Was mich auch irritiert hat: Es ist ein Spiel und jemand baut eine Funktion ein, damit man eine Figur im Spiel vergewaltigen kann? Einvernehmlichen Sex gibt es in Spielen schon, da habe ich gewisse Erfahrungen sammeln können (nie wieder!), aber eine Vergewaltigung? Das ist schon extrem.

Eine interessante Frage. Es existieren ja bereits Spiele, in denen man mit anderen Usern/ Gamern Sex haben kann, genau wie Du schreibst. Es gibt ebenfalls Spiele, in denen man andere Spieler oder NPC's töten, verletzen, foltern kann. Und es gibt auch Spiele, in denen man NPC's (männlich oder weiblich) sexuell misshandeln und vergewaltigen kann. (Das ist bislang so eine Hentai-lastige Nische, meist recht billige Flash-Spiele, aber es gibt tausender solche Games.)

Die Frage, warum in den aufwendigeren Spielen bisher keine Vergewaltigungen anderer Spieler/ User möglich sind, hängt meiner Ansicht mit einem Image-Problem zusammen, das die Developer oder Publisher solcher Spiele dann hätten. Außerdem würden diese Games wahrscheinlich auf dem Index landen. In der Summe lässt sich damit nicht das Geld machen, das die Spiele in der Produktion kosten.

Das ist die eine Seite. Die andere ist, ob es Gamer gibt, die das aktiv und passiv machen wollen würden. Und da denke ich, dass es solche Gamer definitiv gibt, und zwar nicht zu knapp. Sexuelle Rollenspiele, das wäre sicher ein Markt, wenn es nicht zu sehr gegen gewisse Etikette/ ethische Normen verstoßen würde.

Virtuelle Realität hin und her, aber das ist einfach übertrieben. Das heißt auch, dass man im Spiel jemanden foltern bzw. verstümmeln kann und wenn der Spieler auch noch Schmerzen empfindet, ist das noch extremer. Na, so ein Spiel würde man nicht lange auf dem Markt lassen. Ja, das Töten ist auch schlimm, unbestreitbar, aber das geht meistens ganz kurz. Klick, boom, tot. Aber vergewaltigen und verstümmeln das kann man Stundenlang und wenn das Opfer dann um den Tot bettelt … nein, sorry, aber das ist zu übertrieben. Ein Wort macht das zu extrem.

Es ist nur übertrieben, wenn Du heutige Maßstäbe anlegst. Ich habe aber an künftige Entwicklungen gedacht, und ich gehe nicht davon aus, dass die Spiele der Zukunft harmloser werden.

Du jedoch platzt sofort in dem Spiel hinein, baust (das wiederhole ich gerne) eine tolle Atmosphäre auf und dann haust du den Leser wieder aus diesem heraus und da verliert diese Atmosphäre des Spiels deutlich an Kraft, weil es mich enttäuschte zu erfahren, dass das alles nicht echt war.

Ja, das kann ich nachvollziehen. Ich kenne auch Beispiele, bei denen mich so ein krasser Wechsel gestört hat.

Doch später, wenn du den Leser wieder in das Spiel drückst, da beginnt es wieder an Kraft zu gewinnen und vor allem die Szene im Hotel oder Bar, die war echt geil. Das will ich loswerden.

Vielen Dank, schön zu hören, Maria!

Gruß aus dem verregneten Berlin
Achillus


Hallo Rieger,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Habe mich sehr gefreut, von Dir zu lesen. Du hast einen speziellen Blick auf die Geschichte und es macht Spaß, Deine Gedanken zu der Story zu hören.

eine tolle Geschichte, die Spannung und Tiefgang miteinander verbindet. Die archaisch ist und gleichzeitig modern, die in einer genauen Balance zwischen den Ebenen virtuell und real hin- und herpendelt.

Ich denke, das ist es, was ich grundsätzlich in der Literatur, aber auch sonst suche. Ich frage mich, wo unsere Verbindungen zu den Wurzeln des Menschseins liegen. Das bürgerliche Leben ist eben die moderne, zeit-bedingte Form unserer Existenz, aber das Ausfüllen der Steuererklärung und der tägliche Gang zu Büro, Fabrik, Uni kann doch nicht alles sein. Wohin sind denn die Krieger, die Jäger, die Spurenleser verschwunden? Wo verstecken sich die ursprünglichen Formen des Zwischenmenschlichen und wo sind die traditionellen Kulturtechniken, die den Menschen mit dem Universum verbinden.

... Die neben den sensationellen Effekten oder eher mit ihnen die brandaktuelle Frage danach stellt, ob und welchen Wert eine virtuelle Daseinsform besitzt. Das wird ja momentan viel debattiert und völlig unterschiedlich bewertet, wobei das eigentliche Problem ja wohl die Gleichzeitigkeit ist, die Schizophrenie, die man aushalten muss, um diese Welten zusammenzubringen.

Das sehe ich auch so. Virtuelle Welten erlauben einerseits Rückwärtsbewegungen, Fluchtreaktionen die auf Dauer bestimmt einigen Schaden anrichten können. Andererseits bieten sie aber auch die Möglichkeiten etwas zumindest gedanklich zu tun, das in der heutigen Welt kaum noch Platz hat. Der natürliche Mensch (großes Wort mit vager Bedeutung) ist ein Jäger und Krieger, davon bin ich überzeugt. Problematisch ist aber, dass dieser Aspekt der menschlichen Natur gesellschaftlich kaum noch verwertbar ist. Wir brauchen heute keine Krieger und Jäger mehr, sondern Menschen, die die langfristigen Konsequenzen ihres Handelns nicht nur erkennen können, sondern auch dementsprechend handeln. Das ist ein großes Thema.

Als genialen Zug empfinde ich die genau rhythmisierte Handlungsreduktion oder eher Verinnerlichung im Bogentraining. Viel hat mich an "Zen in der Kunst des Bogenschießens" erinnert.

Schorch hat diesen Punkt schon angesprochen, und das ist natürlich nicht von der Hand zu weisen. Ich habe Herrigel ein paar mal gelesen. Das ist schon sehr gut.

Einzig die Episode über Jennys Missbrauch habe ich nicht ganz einordnen können. Am Anfang dachte ich auch, dass mich die technischen Ausdrücke stören und manche zu erklärende Passagen zu Beginn. Aber die sind wohl der Kürze und der Dichte geschuldet. Und das hat sich auch schnell gelegt. Bei Jenny geht es wohl um eine weitere Variante, wie Leben geht und um eine andere Irritation damit. Und das bietet natürlich ein ganz schönes Schlusstableau. Aber in der Mitte schien es mir als loser Faden.

Ich war mir bewusst, dass dieser berechtigte Einwand kommen würde, als ich die Geschichte schrieb. Wahrscheinlich könnte man den nur dann entkräften, wenn man die Story um Jenny ein bisschen ausbaut.

Was mir also besonders gefällt, ist, neben der sprachlichen Souveränität, die Verbindung von hochaktueller Problemstellung mit cooler Unterhaltung. Das könnte ja auch ganz billig spektakulär sein und so eine l'art pour l'art-Brutalität auspacken, eine Fingerübung halt. Aber das ist es für mich nicht. Sondern eben eine gekonnte Erzählung, die unterschiedliche Ebenen mit Tiefgang darstellt.

Das freut mich sehr, Rieger. Vielen Dank!

Gruß Achillus


Hey Erdbeerschorsch, danke, dass Du Dich noch mal meldest.

Ja, schon klar. Wenn ich mir jetzt aber vorstelle, statt dem Klicker würde ich meinen Finger nehmen (und der Anschaulichkeit halber kräftig drücken), dann würde der Pfeil wahrscheinlich von Bogen wegspringen, sobald der Finger über die Spitze gerutscht ist, oder? Das ist der Teil, den ich dann dem Mechanismus nicht nachvollziehen kann.

Dazu muss man sich vorstellen, dass der Klicker nur ein sehr dünner Metallstreifen ist. Der übt kaum Druck auf den Pfeil aus. Vielleicht habe ich mich da missverständlich ausgedrückt. Ich tendiere jetzt dazu, die ganze Passage dieser Klicker-Erklärung rauszunehmen, wie auch schon José empfohlen hat. Vielleicht ist das zu viel technischer Kleinkram.

Ich neige dazu, meine Geschichten mit technischen Details zu überladen. Das kommt von einer persönlichen Macke. Wenn ich eine Geschichte lese, in der der Autor den Bedeutungsunterschied von "Maschinenpistole" und "Sturmgewehr" nicht versteht, Pistole und Revolver verwechselt, Halfter statt Holster sagt, dann lege ich die Story zur Seite. Ich denke, dass in den technischen Details, die ja eigentlich nur eine äußere Form des dahinterstehenden Prinzips sind, trotzdem so etwas wie Wahrheit steckt.

Für meine Orkus-Geschichte habe ich stundenlang recherchiert, um mir ein wenig über den Aufbau von Unterwasserstationen anzulesen. Ich wollte, dass das Ganze zumindest ansatzweise realistisch ist.

Deshalb habe ich mit Laser-Schwertern so meine Probleme und möchte generell ganz gern wissen, wie Dinge, Berufe und Fähigkeiten funktionieren. Ich verstehe aber, wenn das den Lesern meiner Geschichte zu viel ist. Im Grunde ist es nebensächlich, wie so ein Bogen nun genau aufgebaut ist. Für die Story hat es kaum Bedeutung.

Eben, deswegen fand ich die Idee mit Jenny für sich genommen auch gut. Nur eben zu kurz und in der Kürze für meinen Geschmack zu platt. Die Intention ist für meinen Geschmack zu deutlich, nicht zu wenig deutlich. Ich kann mir das sogar so knapp vorstellen,a her dann eher als Andeutung, nicht ganz so mit dem Holzhammer.

Aha, okay. Gut, dass Du das noch mal angesprochen hast. Ja mittlerweile denke ich auch, dass man Jenny ausbauen müsste, um diesen Seitenstrang besser zu integrieren.

Ich hab mich da ein bisschen kurz gefasst und will auch da nochmal einhaken, weil ich den Zusammenhang von Zen und Bogenschießen nicht abkanzeln wollte. Ich meinte eher so: Die meisten von dir genannten Eigenschaften liegen mehr oder weniger auf der Hand. Der Aspekt der Entscheidung war mir aber neu: Sobald man schießt, kann man den Pfeil nicht mehr zurücknehmen. Man muss mit der Entscheidung leben. Es nützt nichts, sich ihr entgegen zu stellen, nachdem man die Aktion ausgeführt hat. Selbst wenn die Entscheidung gut und durchdacht war, kann ein unvorhergesehenes Ereignis (eine Böe usw.) eine schlechte Folge bringen. Usw. Wie gesagt: Kann sein, dass ich da etwas überinterpretiere, aber mir scheint das zu passen.

Dieser Entscheidungsaspekt ist tatsächlich ein elementarer Zug von allen Schieß-Disziplinen. Noch dramatischer ist das beim Umgang mit Feuerwaffen. Ein großer Teil meines Trainings mit Pistole, Sturmgewehr oder Flinte befasst sich mit Sicherheitsprinzipien. Es gehört enorme Konzentration dazu, nicht versehentlich mit der Laufmündung einen Trainingskameraden oder den eigenen Fuß zu überstreichen. Geht eine Waffe los, dann kann das tödlich enden. Sich dieser Konsequenz bewusst zu werden, ist ein erstaunlich schwieriger Prozess.

Im Umgang mit Waffen lernen wir, wie achtlos wir Tag für Tag eigentlich handeln. Das hat natürlich Gründe. Wenn ich am Spülbecken stehe und meine Tee-Schale säubere, besteht nicht die Gefahr, dass ich jemandem ins Knie schieße. Aber es bleibt die Frage, ob wir tatsächlich irgendwann achtsam und konzentriert handeln können, wenn wir sonst nur so vor uns hinträumen.

Interessant ist auch Deine Überlegung, was das Eintreten unvorhergesehener Ereignisse betrifft. Das ist ebenfalls ein bedeutsames Thema für mich. Auch eine gut geplante und konzentriert ausgeführte Handlung kann furchtbar daneben gehen. Das ist etwas, das man sich immer wieder klar machen muss, wenn man von der Allmacht des menschlichen Schaffens träumt. Unser Platz im Universum ist nicht im Olymp. Ich glaube, es hat etwas mit Reifung zu tun, die Grenzen der Kontrolle klar zu sehen.

Vielen Dank für Deinen Nachtrag, Schorch!

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

Du hast eine richtig geile Geschichte geschrieben.

Dieses Wort fand ich aber unpassend:

Cancelst
Ich dachte, canceln ist etwas was man eher zaum Beispiel bei einem Date macht aber nicht bei einem Studium.

Sonst fand ich die Geschichte sehr gelungen: wunderbare Atmosphäre, liebenswprdige Figuren, Spannung und ein tlller Plottwist. Du hast all diese Dinge gut eingebaut.

Stellen, die mir gefallen haben:

Maya lag auf dem gefrorenen Boden hinter einem Wildrosenstrauch
Symbol für Wildheit :D

Und dieses Schwein hat sich so richtig ausgetobt
Toll, wie hier die Empörung klar wird.

Symbol für das dekadente Verhalten vom Jungen. Im Kontrast dazu sehen wir ihn ein paar Szenen später mitten im Eis als eine verzweifelte Person. Top!

Liebste Grüße,
alexei

 

Hey Manlio,

Ein Kommentar wie der meinige ist offensichtlich hoffnungslos unterqualifiziert, ich beleuchte lediglich 1, 2 Aspekte von so vielen, die in deiner Geschichte stecken.

Das sehe ich nicht so. Grundsätzlich ist mir erst einmal jede Kritik willkommen, auch wenn Negativmeinungen natürlich nicht so schmecken, wie positive Kommentare. Trotzdem ist es wichtig, auch Ansichten zu hören, den den eigenen Text für ungenügend halten. Ich muss mir dann überlegen, welche Anteile solcher Negativmeinungen in meinen Augen berechtigt sind.

für mich entsteht die Verbindung zwischen den Sammlern und dem Wolf nicht richtig. Zunächst denke ich sogar, der Wolf wolle die Sammler verfolgen, jagen. Das verhindert, dass mich die Szene richtig hineinzieht in die Story.

Ich verstehe diesen Einwand und ich halte das auch für berechtigt. Beim Schreiben hatte ich mir vorgestellt, es würde klar werden, dass der Wolf und die Sammler zusammengehören, spätesten bei dem Satz:

Der Busch, hinter dem sie sich verbarg, mochte sie vor den Blicken der Männer schützen, aber einen Wolf konnte man so nicht täuschen. Das Tier näherte sich schon ihrem Versteck.

Vielleicht muss ich den Abschnitt noch mal genauer unter die Lupe nehmen.

Ja, du bringst hier eine Menge unter, das will ich nicht bestreiten. Vielleicht sehe ich die Szene auch zu negativ. Aber auch beim erneuten Lesen scheint mir, dass sie die Geschichte ausbremst. Und Mayas Schützenmentalität, ließe sie sich nicht eleganter darstellen, wenn du sie bereits in die erste Szene eingebaut hättest?

Auch diesen Vorwurf muss ich gelten lassen. Die Dynamik der Story wird sicher durch solche Passagen ausgebremst. Aber das ist ein Problem, bei dem ich an meine handwerklichen Grenzen stoße – wenn ich die Story hart vorantreibe, mich nicht ablenken lasse, bin ich gezwungen, die Figurenhintergründe und ihre Konflikte en passant mitzuliefern. Das ist aber sehr schwierig. Aus diesem Grunde mache ich kleine Abschweifungen, die Hintergrundmaterial liefern sollen. Ich denke, in Zukunft werde ich immer besser werden, das alles mehr mit einander zu verbinden, aber im Moment stoße ich da an meine Fähigkeitsgrenzen.

Gruß Achillus


Hallo Alexei,

vielen Dank für's Lesen und Deinen Kommentar.

Ich dachte, canceln ist etwas was man eher zaum Beispiel bei einem Date macht aber nicht bei einem Studium.

Grundsätzlich bin auch kein großer Fan von all den neuen englischstämmigen Wörtern in der deutschen Umgangssprache. Wir canceln, chillen, grooven, voten, liken, ownen – grässlich. Aber hier schien es mir richtig, um den Kontrast zur archaischen Spielwelt anzuzeigen. Und canceln bedeutet eben auch kündigen oder abbrechen. Da passt also schon, denke ich.

Sonst fand ich die Geschichte sehr gelungen: wunderbare Atmosphäre, liebenswprdige Figuren, Spannung und ein tlller Plottwist. Du hast all diese Dinge gut eingebaut.

Vielen Dank für das Lob, freut mich sehr, dass Dir die Geschichte gefallen hat.

Gruß Achillus

 

Hallo Bea, vielen Dank für Deinen Kommentar.

Das ist der totale Erklärbärdialog eines Autoren, der sein Wissen übers Bogenschießen zum Besten geben will und wenn ich so etwas im zweiten Absatz lese, sträuben sich mir alle Nackenhaare. Rieger hat das eleganter formuliert: er spricht von erklärenden Absätzen am Anfang oder so ähnl.

Über diesen Klicker-Abschnitt habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht. Ich werde den wahrscheinlich rausnehmen, vor allem, weil ich nicht sicher bin, ob man diese Details als Laie nachvollziehen kann. Ich würde es gern anschaulicher machen, aber das ist gar nicht so leicht.

Dazu kommt, dass du im 2. Absatz (also das erste Mal in der realen Welt) Maya aus Jenny´s Perspektive charakterisierst. Kann man machen, klar, aber wenn der erste Absatz eine virtuelle Welt darstellt und der zweite aus der personalen Perspektive der Schwester (Jenny beobachtete, ... wie Maya sich verwandelte), verhindert dieser Aufbau, mich deiner Hauptfigur zu nähern. Es liegt nicht daran, WIE sie ist, sondern, WIE du sie mir nahe bringst (Perspektive. Später erzählst du nicht mehr personal).

Ich sehe nicht, weshalb Jenny's Perspektive eine Annäherung an Maya verhindern sollte. Ich habe diese Perspektive nur zu Beginn gewählt um das Verhältnis der beiden Schwestern aus beiden Richtungen ein wenig zu beleuchten. Im Anschluss kommt ja dann primär Maya's Perspektive.

Zu Beginn des 3. Absatzes lese ich von einem Duft, der im Raum hängt. Kann man bei einem Spiel Gerüche wahrnehmen, fragte ich mich. Ich bin kein Spieler, aber glauben mag ich das nicht und es irritiert mich, weil ich unsicher bin, wo ich bzw. Maya sich befindet.

Es gab ja im Text die Hinweise auf Anzug und Helm als Spielequipment. Das sollte anzeigen, dass wir es hier mit Zukunftstechnologie zu tun haben, in der sicher auch Gerüche simuliert werden können.

Die Wechsel zwischen den Welten, die wie Filmschnitte aufeinanderfolgen, geht mir zu schnell und zu abrupt. Kaum habe ich mich auf das Geschehen eingelassen, da passiert ja auch einiges, gibt es einen Cut und Zack ... nächste Szene. Eben bin ich noch bei "die Schneeschuhe und ihre Flinte" (Ende 3. Absatz) und dann auf einmal in einem Appartment (Anfang 4. Absatz). In einem 90-Min. Film würde das aufgrund der Länge nach einem längeren Intro (!) in die virtuelle Welt funktionieren, für mich passt das jedoch in einer KG nicht, zumindest behindert es stark meinen Lesefluss und mein Lesevergnügen.

Ich versuche da eine Balance zwischen der Kürze der Story und dem Umfang des Inhalts zu entwickeln. Das bedeutet eben auch, dass ich die Szenen auf ihre Schlüsselmomente hin zurecht kürze. Sicher könnte man das in einem Roman ausführlicher behandeln, aber in einer KG habe dafür nicht den Raum. Die Frage ist nun, ob man es dann ganz lassen sollte. Werden die Szenen so knapp, dass sich der Leser nicht mehr hineinfinden kann? Ich denke das nicht.

Bei deiner weiblichen Hauptfigur werde ich das Gefühl einfach nicht los, dass du eine starke Heldin zeigen willst (weil weibliche Heldinnen nun mal angesagt sind), aber ständig sehe ich einen Mann in ihr oder einen Mann dahinter. Warum hat deine Maya bloß so überhaupt nichts weibliches? Ich glaube, es würde der Figur gut tun, wenn sie nicht ausschließlich aus männlicher Kraftmeierei (Kampf, Jagd, Tod etc.) bestehen würde oder du gleich einen Mann nimmst.

Ich kenne junge Frauen, die darunter leiden, dass man ihnen ständig vorwirft, sie sollten sich doch mal ein bisschen mehr wie eine Frau verhalten und ihr jungenhaftes Temperament korrigieren. Ich habe kein Problem mit Mädchen oder Frauen, die tough sind. Und wenn Du die Fähigkeiten des Kämpfens und Jagens als männliche Kraftmeierei betrachtest, trennen uns sowieso Welten.

Weil ich am Anfang aus den genannten Gründen nicht in deine Geschichte fand, habe ich den Rest nur überflogen. Eigentlich schade, denn ich bin sicher bzw. lese aus den Kommentaren, dass sich ein aktuelles Thema darin verbirgt und ich finde es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

Nein, ich glaube, das war die richtige Entscheidung. Wenn Dich der Anfang so sehr gestört hat, wozu dann weitermachen?

So, nun hoffe ich, du nimmst mir meine deutlichen Worte nicht übel, aber ich gehe davon aus, dass ein Autor, der auf so hohem Niveau schreibt und kommentiert, sie nachvollziehen, im besten Fall vielleicht sogar davon profitieren kann.

Ich nehm Dir nichts übel. Ich profitiere in jedem Fall von Deinen Hinweisen. Vielen Dank dafür.

Gruß Achillus

 

Hey Bea,

Du hast ja geschrieben:

Weil ich am Anfang aus den genannten Gründen nicht in deine Geschichte fand, habe ich den Rest nur überflogen.

Aus diesem Grunde kannst Du sicher nachvollziehen, dass es für mich nicht viel Sinn macht, mit Dir eine vertiefte Diskussion über Bedeutung und Kontext der Story zu führen. Wenn Du bei meiner nächsten Geschichte mehr Spaß hast und Dir die Zeit für gründliches Lesen nehmen möchtest, bin ich auch gern bereit, mich ausführlicher mit Dir auszutauschen.

Gruß Achillus

 

Hallo Bea, ich habe Dir eine PM geschrieben. Ist ein bisschen offtopic. Gruß Achillus

Hey Bas,

vielen Dank für Deine Anmerkungen zu meiner Geschichte.

Neben der allzeit präsenten Spannung machte den größten Reiz deiner Geschichte für mich der Sprung zwischen den Welten aus. Da gibt es die Ebene, in der das Spiel stattfindet, die so gar nicht real ist, aber trotzdem verdammt echt wirkt. Und dann die ganz normale Welt, mit Versicherungen und Joints und Alltagsproblemen und was halt sonst noch so dazugehört. Diese beide Ebenen fließen ganz natürlich ineinander, das hast du brilliant umgesetzt.

Danke für das Lob. Mir ging es beim Schreiben, so wie Dir beim Lesen. Dieser Wechsel zwischen den Welten, das ist etwas, das mich gedanklich sehr fasziniert und stimuliert. Es wirft auch die Frage nach der wahren Natur, der wahren Persönlichkeit eines Menschen auf. Wenn Maya im Spiel ist, ist das dann die eigentliche, echte Person oder ein reines Phantasie-Selbst oder ein Teilbereich der Psyche?

Aus buddhistischer Perspektive (der Karma-Gedanke wird ja in der Geschichte aufgegriffen) ist es ohnehin so, dass wir Menschen nicht das abgeschlossene, konstante Ich bzw. Selbst besitzen, das wir normalerweise an oder in uns vermuten. Ein Teil unseres Selbst ist stets auch unsere Umgebung, das eigentlich Nicht-Persönliche ...

Ich hätte viel zu sagen zu deiner Geschichte, zum Beispiel, dass sie sich - trotz ihrer Abwegigkeit - in vielerlei Hinsicht auf unsere Gesellschaft übertragen lässt, dass deine Charaktere, besonders die starke Maya, sehr schön gezeichnet sind, der Plot bis zum grandios bewegenden Ende sehr fein durchdacht ist, da gibt es keine überflüssigen Passagen, und was weiß ich nicht noch alles, aber ich belasse es für heute bei einem dicken Lob und einem großen Dank, dass du dir diese Geschichte ausgedacht, sie so akribisch umgesetzt hast und jetzt mit uns teilst.

Freut mich sehr, dass das so für Dich funktioniert. Ich denke auch, dass ein Teil dieser Story so ähnlich bereits heute stattfindet. Viele Menschen begeben sich in Alternativ-Welten, vielleicht um dem Alltag zu entfliehen, vielleicht um andere, befriedigende Erfahrungen zu machen, vielleicht um etwas Neues zu erleben.

Ich finde es sehr schwierig, mir ein Urteil darüber zu bilden, ob das schädlich oder nützlich für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft ist. In jedem Fall wird diese Tendenz zunehmen, denke ich, denn die Technologien werden fortschrittlicher. Auf der Spieleplattform Steam, die Millionen von Spielern nutzen, gibt es jetzt immer mehr Games, die die VR-Brillen-Technologie nutzen. In absehbarer Zeit werden sicher auch Drucksensoren und Geruchsimulatoren auftauchen. Ich gehe davon aus, dass wir langfristig auf eine Technologie zusteuern, die die Menschen komplett in virtuelle Welten transferiert. Ob das eine Wunsch- oder eine Horrorvision ist, weiß ich nicht zu sagen.

Vielen Dank auch für Deine Korrekturhinweise. Werde ich alle prüfen.

Ich kann es nicht aus eigener Erfahrung berichten, meine aber schon oft gehört zu haben, dass es im Urwald alles andere als still ist.

Ich bin ein großer Fan von Naturdokumentationen und habe den Eindruck, dass es in tropischen Dschungeln nie wirklich still ist. Aber ich werde das noch mal checken.

Gruß Achillus

 

Lieber Achillus,

eigentlich habe ich mich ja zurückgezogen, aber zu Deiner Geschichte möchte ich dann doch noch eine Kleinigkeit loswerden.

Gelesen habe ich sie schon vor einiger Zeit und ich kommentiere quasi aus der Erinnerung (auf textliche Hinweise verzichte ich, da das Meiste schon von meinen Vorkommentatoren genannte wurde, insbesondere der Hinweis auf die ersten Sätze, die stärker sein könnten. Nur auf das doppelte "dabei" möchte ich noch hinweisen: sah, wie der Verschluss der Waffe zuckte und dabei dabei eine Hülse nach der anderen seitlich herausschleuderte. ).

Es kam einige Kritik, die sich auf die Detailverliebtheit bezieht - Stickwort "Klicker" - mich hat das nicht gestört, sondern ich habe es als Information aufgenommen und mich gefreut, dass der Autor weiß, worüber er schreibt (ist ja oftmals nicht so).

Mein "Problem" mit Deinem Text ist ein ganz anderes. Ich finde Deinen Plot zu "groß" für eine Kurzgeschichte. Die Idee finde ich super, sie ist auch handwerklich sehr gut umgesetzt. Die Geschichte liest sich toll, sie ist rund, hat Konflikt, Spannung usw. Aber am Ende dachte ich mir: Ach Achillus, mach's doch länger, mach doch mehr draus, erzähl noch parallel die Geschichte von Magnus detaillierter und schon lese ich auch gerne 300 Seiten und mehr davon (und da passt dann auch eine Seite über den Klicker).

Gruß
Geschichtenwerker

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom