Mitglied
- Beitritt
- 16.05.2016
- Beiträge
- 5
Die eigene Vorstellung
1
M. geht raus, vor die Tür und schließt sie. Es regnet heftig und es stürmt, aber es ist nicht dunkel. Mit einer Flasche Wein unter dem Arm bewegt sich M. zum Auto, wird nass, schließt das Auto auf, setzt sich rein, legt die Flasche auf den Beifahrersitz und schaut auf die Haustür. Die Zündung muss getätigt werden, der Rückwärtsgang eingelegt werden, danach der Scheibenwischer, bis dann schließlich gefahren wird.
2
Wofür steht dieses M.? Ist es ein Mann oder eine Frau?
Was haben sie denn gedacht? M.? Haben sie sich eine Frau vorgestellt, im Auto, mit der Weinflasche. Oder ein Mann? Welches Geschlecht sind sie selbst? Gehen sie von ihrem Geschlecht aus, denken sie also nur von sich aus, sind sie dann eher egozentrisch oder haben sie ein Problem mit dem anderen Geschlecht. Oder stellen sie sich gar das andere Geschlecht von? Hat das dann was mit Sexualität zu tun? Sind sind deshalb anzüglich, oder gerade nicht weil sie mit beiden Geschlechter verbunden sind. Gedanklich.
Aber zurück zur Frage was sie gedacht haben, als sie über M. lasen. Ist es nur von ihnen abhängig, oder auch von den Worten, die gebraucht wurden. Nehmen wir an die Handlung ist klar, die Beschreibung nur nicht, obwohl wir wohl auch darauf schauen müssten. Also: Hätte ich andere Worte benutzt, um das Gleiche zu beschreiben, hätte das, bei einigen eine Geschlechtsänderung bei M. hervorgerufen? Müssen wir also den Sprachgebrauch untersuchen und uns neue Worte ausdenken?
3
Geht es der Welt eigentlich so gut, oder so schlecht?
4
Nun, M. Ist eine sie und Sie heißt Maria. Sie ist schön und sitzt in ihrem Auto.
5
Maria ist also schön, aber warum? Was denken sie jetzt über mich, den Autor? Natürlich gibt es den Autoren gar nicht, nur das lyrische Ich bei Gedichten, oder den Ich-Erzähler bei Prosa, aber wer sind diese Menschen die alles das Gelesene gedacht haben? Was sagt es über mich aus, dass Maria schön ist, oder verfolge ich damit einen Plan, die Geschichte in eine bestimmte Bahn zu lenken? Wusste ich eigentlich schon, als ich das erste Mal M. Schrieb, ob es ein Mann oder eine Frau werden würde? Natürlich wusste ich es! Vielleicht. Wissen könnt ihr es nie, aber ist das denn nicht auch egal.
6
Ich will hier also einen Kreis malen und irgendwo eine kleine Zacke am Kreis hinterlassen. Schaffen werde ich das vielleicht nicht.
7
Maria fährt also los. Verlässt die Einfahrt, kommt von Spielstraße über Nebenstraße, auf Hauptstraße, bis sie eine kleine Einkaufsstraße erreicht, wo sich Laden an Laden drängen, die Straßenlaternen schon an sind, obwohl es noch nicht dunkel ist, sie ihr Auto abstellt und aussteigt. Der Wein bleibt im Auto.
Einmal hatte sie – es war nicht lange her, auch in diesem Sommer - eine Weinflasche unter dem Arm ein kleinen Zeitschriftenladen betreten, um eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Sie hätte die Flasche damals auch im Auto lassen können, denn wie heute, war sie auch da mit dem Auto unterwegs, aber sie hatte sie mitgenommen. Vielleicht instiktiv, vielleicht weil sie dachte sie wäre gleich schon da, aber das gezwungene Lächeln, des Verkäufers und ihr Gedanke, dass sie jetzt aus Instinkt den Alkohol mitschleppte, hatte sie so beeinflusst, dass sie am Abend kaum etwas tank – eher nur ein Anstandsglas – und, dass sie irgendwie nie eine fröhliche Stimmung aufbringen konnte, wodurch sie traurig nach Hause fuhr.
Sie war eigentlich keine Raucherin, aber damals dachte sie sich einfach ja. Sie hatte Lust auf rauchen. Nur konnte sie dieser Lust nicht nachkommen an jenem Abend. Es ergab sich keine entsprechende Gelegenheit.
Als Maria nun aus ihrem Auto ausstieg, während Sonne und Straßenlaternen der Straße einen eigentümliches Licht, eine Mischung aus natürlich und künstlich, gaben, sah sie die dunkelgrüne Flasche auf dem Beifahrersitz liegen und erinnerte sich an jene Geschichte am Anfang des Sommers, die den Abend auf so unversehene Weise verändert hatte.
Sie bekam Lust. Lust auf eine Zigarette.
Bestimmt war die Flasche Wein jedoch höchstens der Anlass, nicht die Ursache für diese Lust gewesen. Dies war viel mehr das zusammenspielen aller Sinne, das eigentümliche Licht, das zeigt, dass das Ende des Tages gekommen ist, der Geruch nach alten Autos mit kämpfenden Motoren sowie die stehende warme Luft des Sommers nach einen schnellen heftigen Schauer auf der Haut und das Geräusch vom Feierabendverkehr, der sie nicht betraf. Vielleicht zu beschrieben mit dem Gefühl von Unabhängigkeit, Müdigkeit und Vorfreude, obwohl das überhaupt nicht das war was Maria fühlte. Zumindest nicht wie sie diese fühlen würde, aber es passt wohl am besten um zu beschrieben, was bewirkte, dass sie dies Lust bekam. Denn Lust war bei ihr die Manifestation aller Sinne, der Zusammenschluss von allem, auch von, und dies war unabdingbar, die Fröhlichkeit am eigenen Sein. Nie könnte sie Lust empfinden ohne ihr, dieses bestimmte, Gefühl, was bedeutete, dass alles Grundlegende im Reinen war. Auch die Lust am Essen konnte dann nicht aufkommen, wobei auch hier, wie für jeder ihrer Gelüste, auch andere Ursachen (das Zusammenspiel der Sinne) und ein Anlass ( eine Erinnerung oder ein Bewusstsein) zusammenkommen musste.
8
Das Wort Lust und Gelüste sind leider ein wenig Negativ konnotiert, was jedoch überhaupt nicht der Bedeutung entspricht die bei Marie zutrifft. Es kursiert der Gedanke der Lust im rein männliche Sinne, weil diese viel einfach, kürzer und primitiver ist. Meist ist dafür nur ein Anlass nötig, der dann die Ursache mit einschließt, worauf dann das Stillen der Lust folgt. Auch das Stillen der Lust ist bei Maria nicht möglich, weshalb ich auch nicht so nennen kann, sondern es lieber nachkommen, oder auch ausleben nennen möchte, denn das trifft es wesentlich besser. Außerdem ist Lust überwiegend mit Sexualität verbunden, doch auch das ist bei Maria nicht der Fall. Sexualität ist bei ihr ein Teil von Lust, sowie Sexualität auch ein Teil vom Leben ist, aber kein besonders Großer. Bei beidem nicht. Natürlich kann ich nur für M. sprechen, dazu weiß ich überhaupt zu wenig, dennoch bezweifel ich, dass das überhaupt zu verallgemeinern ist, denn wenn man die Popularität begutachtet, kann man das bezweifeln. Muss man das bezweifeln.
Lust haben und Lust insgesamt passt kaum zum männlichen Geschlecht. Viel mehr wollen. Wollen ist viel härt, klarer, zwingenden, Ziel gerichteter und verlangender. Wohingegen Lust haben, ungezwungener, verspielter, spontaner und nicht zwingend ist. Lust haben ist da doch eher etwas weibliches, sanftes.
9
Wenn Paradies und Utopie im geistigen Sinne nicht zum Menschen gehört, unerreichbar und vielleicht auch gar nicht belebbar für Menschen (Adam und Eva waren damit auch keine Menschen), also unmenschlich ist, und die Welt – diese schlechte Welt – offenkundig menschlich, dann ist das weibliche Geschlecht, unmenschlicher als das Männliche. Wenn ich mir vorstelle, dass die Welt auf eine unbestimmte Weise, sagen wir hier durch verschiedene Diktaturen, fest in weiblicher Hand wäre, so wären wir um einiges Nähe am Paradies. Auch wenn das vielleicht für den Menschen lebensnotwendige Gleichgewicht von Gut und Böse, dann ins wanken geraten würde, waren wir näher am Paradies. Die Diktatur wäre dabei auch keinesfalls ein Rückschritt, weg von der Demokratie, da die Demokratie doch etwas zu tiefst menschliches ist, eine menschliche Erfindung, einzig um das Gleichgewicht zu halten. Diktatur kann dabei nur unmenschlich sein. Im geistigen Sinne (das Paradies) oder aber im realen Sinne (die Hölle).
10
Maria steigt aus ihrem Wagen aus. Nur das Portmonee nimmt sie mit, alles andere kann im Auto blieben. Sie geht auf dem neuen schönen, wie sie denkt, Weg, nur die Ladenzeilen sehen sehr hässlich aus. Aber die Hässlichkeit gibt dem Anblick etwas beruhigendes. Ein kleiner dänischer Möbelladen zieht an ihr vorbei, darauf folgt eine Schlosserei, ein Ein-Euro-Laden, bevor sie durch die offene Tür in den Buchladen tritt.
Jener ist klein und ohne Auswahl. Es ist viel mehr ein Schalter, an welchem man Bücher bestellen und später abholen kann. Die spärliche Auswahl an vorhandenen Büchern ist reine Dekoration. Man könnte sie auch aussparen, einen Unterschied am täglichen Geschäftsvorgang würde es kaum machen, nur das Ambiente, die Atmosphäre, wenn auch nur halb authentisch, wäre gänzlich verschwunden.
Sie geht direkt zum Tresen, denn sie hat schon bestellt und will nur abholen. Der Verkäufer schaut sie lieb und freundlich an. Ein sehr authentisches Lächeln entsteht auf seinem Gesicht, anders als der Laden. "Hallo, wie war noch gleich der Name? Ich weiß, dass sie etwas bestellt hatten, aber der Name ist mir entfallen."
11
Pass auf, denke ich. Fast wärst du zum Vergewaltiger geworden, denke ich. Wie hätte die ganze Geschichte enden können, denke ich.