Die Dunkelelben
Wir befinden uns im dritten Weltalter, im 50. Jahr, am 3. Julitag. Miril, der Hochelb ritt auf seinen Schimmel »Sonnenstrahl« elegant und geschmeidig durch die Sonnenwüste. Er trug sein silbergraues Haar lang und offen, wie es die Art der Elben war. Er war 1,92 Schritte groß und wog 62 Stein. Sein Lebensalter betrug stolze 550 Jahre. Die Elben verfügten über die größte Weisheit und waren die Makellosesstesten aller Wesen auf der Welt. Im Ausnahmefall konnten sie bis zu tausend Jahre alt werden. Doch dies war außergewöhnlich, denn die Zeitspanne ihrer Lebensdauer war mit ihrem Ziel oder Schicksal verknüpft. Sobald ihr Lebenssinn Erfüllung erreicht hatte, verblühte ihre Vitalität innerhalb kürzester Dauer. Ihr Tonfall war sanft und klangvoll. Es ging ein beruhigender und harmonisierender Effekt durch den Laut ihrer Redeweise aus. Die elbische Sprache wurde daraufhin schon als Zauberkunst zur Kenntnis genommen, was aber nicht bestätigt werden konnte. Sie verfügten über eine besondere Weise des zweistimmigen Sanges und waren oft sehr musikbegabt. Eines ihrer Lieblingsinstrumente war die Flöte, die sie meist an einer Halskette trugen.
Mirils goldgesprenkelte, scharfe Augen blickten müde zum Horizont, doch sie konnten niemanden entdecken. Er sehnte sich nach Gesellschaft, denn er hatte sie lange Zeit entbehren müssen. Er trug ein weißes Leinenhemd und darüber einen Kürass, der mit weißen, elbischen Buchstaben verziert war. Diese Rüstung zur Abschirmung des Körpers war ein rustikal physisch geformter Brustpanzer aus schwerwiegendem Stahl, der von zwei Riemen aus Leder gehalten wurde, die sich am Rückgrat überkreuzten. Eine weiße Leinenhose und braune Wildlederstiefel vervollkommneten seine Kleidung. Als Waffe diente ihm ein einfaches Kurzschwert, das an seinem breiten, schwarzen Ledergürtel befestigt war. Miril war ein sogenannter Legendensänger. Seine Bestimmung war es in Liedern und Erzählungen alte Traditionen und Überlieferungen weiterzugeben und diese auch zu sammeln. Miril befand sich auf Wanderschaft zwischen den Sippen, um seinen Sagen- und Liederschatz zu vermehren. Dabei bekam er in einigen Fällen Kontakt mit den Menschen. Er befand sich auf der Reise in die Baumstadt, die am grünen Fluss lag. Miril hatte vor genau 9 Tagen sein Dorf im Gigantenwald verlassen.
Die Sonne brannte unerbittlich heiß auf den Hochelben und sein Ross. Sein Reiseproviant war fast aufgebraucht, sein Wasserschlauch leer und sein Körper war von der langen Reise erschöpft. Glücklicherweise erkannte er jetzt am Horizont sechs Kamele und vier Menschen. Es war eindeutig eine Karawane. »Laufe schnell, Sonnenstrahl«, flüsterte Miril, der Legendensänger dem Schimmel ins Ohr. Dieser reagierte sofort und verfiel in einen rasanten Galopp. Sie passierten eine Kakteen Allee. Sie blühten herrlich violett. In östlicher Richtung erkannten die scharfen Augen des Hochelben eine gigantische 100 Schritt hohe Pyramide. "Welche Geheimnisse und verborgene Schätze wohl in diesem herrlichen Gebilde verborgen liegen?", fragte er sich und konnte voller Neugierde kaum den Blick von ihr nehmen. Die Karawane war noch ungefähr 300 Schritte entfernt und die Sonne war inzwischen bereit sich schlafen zu legen.
Der wunderschöne Sonnenuntergang frohlockte Mirils Herz. Er war am glücklichsten, wenn er sich auf Reisen befand. Unterwegs in fremdartigen Ländern, um viele verschiedene Völker und ihre Geschichten kennenzulernen, ihre Sitten und Lebensweisheiten zu erleben war für Miril die größte Freude. Die letzten Schritte bevor er die Karawane erreichte führten über unwegsames steiniges Gebiet. Doch »Sonnenstrahl« passierte die Stelle ohne Schwierigkeiten. Als Miril nur noch ein paar Schritte von den Menschen entfernt war, erhob er seine wohlklingende Stimme:
„Hey da Fremde, mein Name ist Miril und ich bin ein Legendensänger der Hochelben. Ich reise in die Baumstadt und bin vor 9 Tagen aus dem Gigantenwald aufgebrochen. Ich bin durstig und hungrig. Könnt ihr meinen Wasserschlauch auffüllen und mir zwei Laibe Brot geben?“
Die Karawane blieb stehen, argwöhnisch musterten die vier Händler den Fremdling. So einen wir Miril hatten sie noch nie gesehen. Mit vor Staunen halb geöffneten Mund antwortete ein kleiner Mann mit schwarzem Vollbart ganz in blaue Seide gekleidet und Kapuze: „Was bei den Göttern… Ein Hochelb hier in der Sonnenwüste? Aber gut, wenn ihr zwei Silbermünzen habt will ich Euch Wasser und Brot geben.“ Miril willigte ein, ließ seinen fünf Liter fassenden Wasserschlauch auffüllen und stopfte die zwei Laib Brot in seinen Rucksack. „Ehrenwerte Händler des Menschengeschlechts habt Dank. Die Sonne wird nun bald untergehen, möchtet ihr mit meinesgleichen noch Gesellschaft pflegen?“, fragte Miril die Händler.
„Ja, das ist eine gute Idee. Ihr könntet uns am Lagerfeuer eine schöne Geschichte erzählen. Das würde mich interessieren.“ Die vier Händler errichteten ein Lager aus zwei großen Zelten. Miril half ihnen dabei. Zuletzt entfachten sie ein Lagerfeuer und setzten sich hin. Die Sonne war inzwischen untergegangen und es wurde kälter. Der Händler mit schwarzen Vollbart erhob seine Stimme: „Nun Miril erzähle uns eine spannende Geschichte.“Miril hielt kurz inne und begann dann zu erzählen:
»Auf der Waldlichtung fand eine abscheuliche Kulthandlung statt. Der Vollmond lugte kurz zwischen der dichten Bewölkung hindurch und erleuchtete das Areal des geheimen Treffens dieser schauerlichen Wesen. Der Gigantenwald im Land der Hochelben erschauderte durch die Trommelschläge der Anhängerinnen des gnadenlosen Dämons. Die Dunkelelben waren bekleidet mit pechrabenschwarzer, meisterlich an ihrer schmalen und hoch aufgeschossen Gestalt angepassten Brustpanzer aus merkwürdig leichtem Metall. Ihre Arm- und Beinschienen waren aus dem gleichen Element geschaffen. Diese waren nicht nur als Rüstungsschutz beabsichtigt, sondern konnten auch zum Gefecht benutzt werden. Sie liefen an der Außenkante zu erbarmungslos spitzen Kanten aus, die die mörderische Gewalt einer Dunkelelbenkriegerin nochmals steigerte. Nur dem Äußeren nach konnte man die Dunkelelben als absolut ansehnlich und majestätische Wesenheiten bezeichnen. Ihr Anblick wirkte fremdartig, aufgrund ihrer dunklen, gräulichen Haut und den tiefroten Augen. Diese waren es gewohnt auch in tiefster Finsternis alles wahrzunehmen. Sie konnten sich an Wärmemustern orientieren. Die Augenfarbe der Dunkelleben modifizierte sich, wobei sie jedoch meist mit roten Augen die Welt betraten. Je nach Gefühlsregung verändert sich die Farbe der Augen.
Sie waren beheimatet in imposanten Höhlensiedlungen tief unter dem Erdboden. Das Hierarchiegefüge war streng organisiert und das Individuum hatte auf Gedeih und Verderb sich einzuordnen. Die weiblichen Dunkelelben nahmen in diesem Kulturkreis die beträchtlichste Rangstufe ein, sie waren die bösen Zaubererinnen und Machthaberinnen über die Höhlensiedlungen. Die männlichen Dunkelelben wurden als geringwertig deklariert und hatten sich den Frauen unterzustellen. Überaus selten gelang es ihnen, bedeutendere Hierarchiestufen zu erklimmen. Die Dunkelelben waren vor allem für ihre mächtigen Streitkräfte berühmt und gefürchtet. Sie waren allesamt clevere Soldaten, denn wer nicht im Waffengefecht trainiert war, konnte nicht einen Tag im hasserfüllten Schattenreich der Dunkelelben überleben. Der Gebrauch von Magie, verzauberter Objekte und Kriegswerkzeuge waren alltäglich. In der Chronik der Dunkelelben ist nachzulesen, dass sie immer wieder einen Pakt mit Schwarzmagiern eingingen. Über die Religion der Dunkelelben war nur selten etwas zu erfahren. Jedoch konnte ich herausfinden, dass die Regentschaft von sieben Hohe Priesterinnen befehligt wurde. Man nannte sie auch die sieben Schwestern. Sie hüteten seit Anbeginn der Aufzeichnungen über die Gemeinschaft und ihre Wünsche. Strategische Entschlüsse wurde nie ohne sie getroffen.Alle sieben Schwestern waren mächtige zauberkundige Wesenheiten. Ein weißer Fleck auf der Landkarte der Geschichte dieses todbringenden Volkes ist und bleibt, ob auch Männer der Magie kundig waren.
Wenigstens in manchen der Höhlensiedlungen war es üblich, dass sich jene, welche nun erwachsen zur Volljährigkeit herangewachsen waren, in einem militärischen Kriegstrupp verbündeten. So trainierten sie die Kriegskunst. Auf der Jagd fielen ihnen nicht nur Tiere zum Opfer, sonder in ihrem dämonischen Blutrausch meuchelten sie ebenso Menschen und Elben.
Einige von ihnen dienten nun als Legionär. In unserer Welt wurde den Dunkelelben nicht selten mit Argwohn, ebenso oft mit ungezügelter Feinschaft gegenübergetreten. Die Dunkelelben ließen ihre unterirdischen Siedlungen nicht gerne ungeschützt zurück. Aber wenn sie ausrückten, dann am wahrscheinlichsten um in die Schlacht zu ziehen.
Der mit verbotener, schwarzer Magie verzauberte Dolch bohrte sich in das Herz des ersten Hochelbens. Eine der Dienerinnen des Dämons ergriff den goldenen Kelch und lies einige Tropfen des roten Lebenssaftes des Hochelben hinein fließen. Mit vor Grauem verzerrtem Gesicht sank dieser nieder und regte sich nicht mehr. Die Magierin der Dunkelelben blickte zufrieden auf den Leichnam und konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.
»Es ist vollbracht. Wir haben nun das Blut von sechs Hochelben gesammelt, meine treuen Dienerinnen des Bösen. Der Dämon kann nun entfesselt werden«, befahl die Magierin der Dunkelelben voller euphorischer Erwartung auf das, was nun kam und niemand mehr aufzuhalten vermochte. Sie gab einem ihrer Diener ein Zeichen ihr den Kelch zu reichen. Sie blickte nochmals auf die sechs Elben des Lichts, die in einer Reihe nebeneinanderlagen in ihren schneeweißen Gewändern.
»Meine Anhängerinnen, ihr treuen Dienerinnen der Dunkelheit, zeichnet das Pentagramm.« Als die neun Dunkelelben ihre Ebenholz schwarze Magier-Stäbe zückten, ging ein Schaudern durch den Gigantenwald der Hochelben, als spüre er die Anwesenheit von schwarzer Magie.
Die Dunkelelben entfesselten ihr Magie, es bildete sich ein hellblaues Kraftfeld in Form eines Pentagramms. Und der grausame, keine Furcht kennende Schrecken war geboren, um die Welt in eine zweite Finsternis zu hüllen ...«
ENDE