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Die drei Marketiere

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Die drei Marketiere

Die drei Marketiere

Das Projekt Kick-Off Meeting vom Pitch-Team findet im etwas abgedunkelten Konfi Tokyo statt.
Martin, Consultant bei diesem Pitch, nimmt sich ein Mineralwasser aus der ständig gut sortierten Bar. Es ist erst 10:30 Uhr, und er hat noch über 1,5 Liter Wasser zu trinken, um auf seine 2 Liter zu kommen. Das nimmt er sehr genau.
Claudia, Art Director, schenkt sich einen grünen Tee ein. Der soll ja gesund sein und sie weiß alles darüber.
Bruno, Programmierer, trinkt einen Kaffee, schwarz, tiefschwarz. 10:30 Uhr ist eben noch sehr früh.
Es fehlen noch zwei Personen: Christian, der Projektleiter sämtlicher New Business Aktivitäten in der Agentur. Er leitet natürlich auch diesen Pitch. Christian kommt immer zu spät zu Meetings. Meistens wird er durch wichtige Termine aufgehalten, die anderen Male steckt er im Stau.
Außerdem fehlt Theo, der Creative Director, und damit verantwortlich für die Entwicklung des Konzeptes für diesen Pitch. Aber seine Abwesenheit zu solch einer Zeit, noch dazu an einem Montag, wundert keinen. Auch er steckt wahrscheinlich noch im Stau.

„So, womit fangen wir an?“, fragt Martin in die Runde, „irgendwelche Vorschläge?"
„Du warst doch neulich auf dem Pitch bei diesem Energie-Unternehmen, sag du einfach, wie Ihr da vorgegangen seid“, schlägt Bruno vor.
„Na gut. Also, auf der ersten Folie brauchen wie eine Art Intro, einen Lead-in. Mein Vorschlag: wie fangen erst mal mit einer Folie unserer Stärken an: Strategie, Kommunikation, Integration und Innovation“, fängt Martin an.
„Wer will denn das sehen?“, wirft Claudia ein.
„Damit zeigen wir, dass wir wirklich wissen, worum es dem Kunden geht!“
„So ein Schwachsinn! Wir brauchen ein anständiges Lead-in, eins das wirklich überrascht!“, sagt Claudia
„Und was bitte, deiner Meinung nach?“, fragt Martin, der schon etliche auf seinem Lead-in basierende Präsentationen gehalten hatte und es gar nicht mag, wenn die Kreation mal wieder völlig querschießt.
„Keine Ahnung, irgendwas Spannenderes halt“, Claudia zuckt mit den Schultern.
„Sollten wir zu Anfang vielleicht die Kommunikationsstrategie beleuchten?“, fragt Martin in dem Versuch, Claudia von einem möglicherweise total querschlagenden Lead-in abzulenken.
„Ja, wir brauchen die integrierte Kommunikationsstrategie, also ein Chart, wo die Offline-Medien mit drauf sind“, sagt Bruno.
„Genau! Ein Flow-chart, mit diesen süßen Kästchen und Pfeilen, die den Verlauf der Kommunikation auf so einer Zeitlinie von Links nach Rechts darstellen! Oder Martin? So ein Chart hast du doch in Powerpoint ratz-fatz zurechtgeschubbelt, oder nicht?“, fragt Claudia.
„Na klar, da können wir ja sogar – hhm, warte mal – da könnten wir ja eigentlich auch das Chart aus der Präsentation von neulich nehmen, das Chart mit den targeted Zielgruppen, oder? Da muss man bloß den Namen und das Logo unseres Kunden austauschen.“
„Klasse! Das nehmen wir, das fand ich eh ganz hübsch“, sagt Claudia.

„Und dann brauchen wir noch ein bis zwei Screens von der Website, das ist ganz wichtig. Der Kunde kauft meistens nach dem ersten visuellen Eindruck, oder Claudia, das kannst Du doch bis Freitag machen?“, fragt Bruno.
„Wie, so ganz ohne konkretes Briefing? Wie stellst du dir das denn vor?“
„Also komm, Claudia, du wirst doch noch so ein paar Screens zusammenpixeln können, oder etwa nicht? Das CI ist doch eh schon vorgegeben, alles in Blau-Weiß – das könnte ich ja sogar in Powerpoint zusammenklicken!“, sagt Martin, mittlerweile genervt von den ewigen Querschlägern der Art Directorin.
„Na bitte, wenn du das machen willst! Wirst ja sehen, ob wir den Pitch dann gewinnen, du Dosen-User!“ Ein banaler Einwurf von Seiten der Kreation, Martin erübrigt sich den Kommentar, dass mittlerweile sogar in der Kreation über fünfzig Prozent mit einem PC statt einem Apple arbeiten. Für Web-Design ist ein Apple halt nicht mehr notwendig.
„Na, ich bin mir sicher, du machst da schon was draus, und ein Briefing werde ich dir auch irgendwie zurechttippen, auch wenn du es sowieso nicht lesen wirst“, sagt er grummelnd.

Das Telefon klingelt. Martin geht ran, während Claudia und Bruno sich über die neue CD von Thievery Corporation unterhalten, denn die muss man heutzutage einfach gehört haben.
„Das war Theo. Er war nur schwer zu verstehen, war wohl auf der Autobahn. Aber er meinte, er will nicht nur ein paar Screens haben, sondern einen kompletten Clickable-Dummy, quasi eine interaktive Präsentation der Website, in, na ja, Flash oder Director, keine Ahnung, was er genau meinte...“, teilt Martin den anderen mit.
„Wie bitte?“, entrüstet sich Claudia, „nun will er auch noch einen klickbaren Dummy haben? Bis wann? Es ist ja nicht so, als ob ich nicht noch genug andere Projekte auf dem Tisch hätte!“
„Kann das nicht diese süße blonde Azubine machen, wie hieß die noch mal?“, schlägt Bruno vor.
„Eben“, sagt Martin, „es geht hier um’s Delegieren, das musst du als Art Directorin können!“
Claudia verdrehte als Antwort nur die Augen. Solch eine Aussage ausgerechnet von Martin, der selber nicht mal einen einzigen Trainee koordinieren konnte.

Martin wendet sich an Bruno: „Und was ist mit ein paar Charts zu den technischen Voraussetzungen? Sollten wir nicht noch ein paar Empfehlungen zu der technischen Umgebung schreiben?“
„Aber was denn?“, fragt Bruno, „wir wissen doch noch gar nichts über die technische Umgebung! Das kann ja alles sein, Unix, Linux, irgendwelche Datenbanken und Schnittstellen, wie soll ich da eine seriöse Empfehlung abgeben? Und seriös wollen wir bei dem Pitch doch sein, oder nicht?“, setzt Bruno hinzu, trinkt einen weiteren großen Schluck von seinem Kaffee und schaut in die Runde.
„Ja ja, natürlich“, räumt Martin ein, und wünscht sich, dass endlich Christian eintreffen würde. Martin hasst die Rolle des stellvertretenden Projektleiters, da hat man in der Regel nur Ärger mit Kreation und Programmierung. Er sollte doch ursprünglich nur das Strategie-Konzept entwickeln. Und das hat er bereits fast fertig. Die Präsentation, die er neulich bei Kunden aus dem Energie Sektor gehalten hat, kann er fast komplett wiederverwerten.

Das Telefon im Konfi klingelt erneut. Bruno steht auf und nimmt das Gespräch entgegen. Er telefoniert eine zeitlang, während sich Martin und Claudia über das „Lobsters“ in der Weltenburgstrasse unterhalten. Das ist momentan das beste Restaurant in der Stadt, man muss einfach mal da gewesen sein.
„Das war Christian. Hat gefragt, ob wir morgen schon rehearsen können, da er ab Donnerstag auf dem internationalen Boardmeeting in Malaga sein will“, teilt Bruno den anderen mit.
„Wahrscheinlich, weil Donnerstag abend schon die erste Party in Malaga ist“. Claudia sieht auch schon etwas genervt aus.
„Wahrscheinlich. Naja, jedenfalls will Christian noch ein bis zwei Balken- oder Kuchen-Charts haben, irgendwelche Statistiken über die Nutzerschaft halt. Haben wir da irgendwas?“
„Welche Folien meint er genau?“, fragt Martin
„Keine Ahnung, wusste nicht, dass es verschiedene gibt.“
„Scheisse, na ja egal. Was ich auf alle Fälle habe, sind Folien zur Demographie, 20-39 jährige mit überdurchschnittlicher Bildung und extrem hohem Haushaltsnettoeinkommen, der übliche Scheiß. Habe ich in jeglicher Form da. Also: Kuchen- oder Balken-Chart, was kommt besser?“, fragt Martin in Richtung Claudia.
„Mir ist es eigentlich egal, ist beides hässlich. Aber sorg dafür, dass die Charts auch in Blau-Weiß sind, so wie das CI der Firma, sonst passt das später nicht zu meinen Website-Entwürfen!“, sagt Claudia.
„Und was machen wir mit der Unternehmenspräsentation? Christian will noch die Charts über unsere Firma, das internationale Netzwerk, die Niederlassungen in Deutschland, die Umsatzzahlen“ ,fragt Bruno.
„Ach, das machen wir, wie vorhin besprochen, an den Anfang“, sagt Martin.
„Aber Christian will es am Schluss haben“, entgegnet Bruno.
„Und wo bleibt der verdammte Spannungsbogen, wenn wir mit unseren Mitarbeiter- und Umsatzzahlen die Präsentation einfach so ausdieseln lassen?“ Martin verliert langsam die Geduld. So würden sie nie fertig werden. Da fällt ihm noch etwas anderes ein.
„Ach ja, ein Chart müssen wir unbedingt noch hineinbringen. Ein Chart, das unseren Ansatz der integrierten strategischen und innovativen Kommunikation verdeutlicht!“ ereifert sich Martin
„Stimmt, integrierte Kommunikation ist hier wichtig!“ Bruno haut demonstrativ auf den Tisch.
„Ich weiß, welches Chart wir noch unbedingt brauchen“, Martins senkt seine Stimme, Bruno’s Ausbruch ignorierend, und flüstert fast, die Spannung steigernd: „Ihr kennt doch die Folie, die die gesamten Abläufe der strategischen integrierten Kommunikation auf einer Folie animiert darstellt? Die Anzeigenkampagne inklusive einer Online-Kampagne im gleichen Look&Feel, alles auf ein und dieselbe dynamische Landingpage verweisend, die CRM Mailings aus den gewonnenen Nutzerdaten, das Drive-to-Web der Mailings wiederum auf die Landingpage, das Lead Management in- and out-of-the-web, und dazugehörig die beyond the Web Customer-Response-Aktionen, die Consideration-Nachfass-Aktionen sowie die personalisierte Zielgruppenansprache über alle Kanäle, ganz im Sinne der Individualisierung auf Basis von Permission Marketing – kurz: Die Master-Folie?“
„Die Master-Folie!“ raunt Bruno,
„Oh, die Master-Folie, natürlich“, flüstert Claudia, fast andächtig.
„Das präsentieren wir ganz zum Schluss – und basta“ jetzt haut Martin demonstrativ auf den Tisch – ein wenig lauter als Bruno, nur aus Prinzip. „Und dann der Abspann: Unser Logo. Und ich sage an der Stelle dann nur noch: ‚Das alles können wir für Sie tun – wenn Sie uns engagieren!’
„Klasse! Super!“ ruft Bruno
„Wow, eine Master-Folie“, ruft Claudia, obwohl sie die Folie noch nie gesehen hat.

„Sag mal Martin, hat Christian eigentlich noch ein wenig mehr darüber gesagt, was der Kunde sich von diesem Meeting verspricht, was die Ziele der Präsentation sein sollen?“ fragt Claudia.
Martin schaut sie etwas verwirrt an.
„Was meinst du denn jetzt? Wir haben doch ein super Präsentationskonzept erarbeitet, oder nicht? Kommt ihr beiden, lasst uns anfangen“ Martin ist mittlerweile hochmotiviert, „Claudia, brief du die süße Azubine, dass die dir den Dummy zusammenpixelt, ich zeige meinem Trainee kurz, aus welchen Präsentationen er sich die Folien ziehen kann, die wir für den Pitch brauchen, und du, Bruno, schreibst uns alle Server-Betriebssysteme auf, die es gibt, sowie eine kurze Erklärung, warum wir aufgrund dieser Anzahl der möglichen Betriebssysteme keine seriöse Erklärung zur Technik abgeben können. Dann haben wir’s, oder? Und jetzt lasst uns ins Lobsters gehen. Schließlich gibt es ein großzügiges Pitch-Honorar.“

[ 27.05.2002, 22:07: Beitrag editiert von: philipp ]

 

Hallo Philipp,

ich bin sehr gespannt, wie die anderen Kritiker es einschätzen, aber für meine Begriffe ist das keine Satire, allenfalls eine kleine Spöttelei und zwar dadurch ausgelöst, dass du die leider in vielen Firmen stattfindende Situation detailgetreu beschreibst. Du beschreibst sie allerdings sehr gut.
Genau so, wie du es darstellst, läuft es ja leider täglich in den Meetings ab, so ätzend abgehoben, dämlich unverständlich und wie Teile des Beamtentums sich selbst genügend.
Du beschreibst und das wiederum machst du sehr gut, den Stoff aus dem die Konkurse (Insolvenzen) sind. Da sitzen sich die Damen und Herren "Wichtig" den Hintern breit und labern sich durch's Alphabet bis die Firma pleite ist.
Und, diese Bemerkung sei mir noch dazu erlaubt, am Ende stehen sie dann da und ziehen achselzuckend die Schultern hoch und halten sich aus der Verantwortung fein säuberlich raus, weil es ja immer noch einen gibt, auf den man zeigen kann, der noch ein bißchen mehr zu entscheiden hatte als man selbst.

Insoweit betrachte ich deinen Text als hochgradig gesellschaftskritisch und gelungen. Er bringt keinen großen Spaß beim Lesen, weil du den Leuten supergenau auf's trockene elendigleblose Maul geschaut hast und genau das wiedergibst, was die da rauspullen. Aber das mein ich nicht im Mindesten negativ, denn nur so kannst du diese Wichtigtuerstimmung konsequent herstellen und mich als Leser an diesem Meeting teilhaben lassen und an der Hoffnungslosigkeit dieses erbärmlichen Zustandes, der sich da vor meinen Augen abspielt.

Für mich handelt es sich um eine sehr gelungene Geschichte, die so spröde sein muß, um ihren Zeitgeist entfalten zu können. Der Text gehört für mich eher in den Bereich Gesellschaft. :thumbsup:

Eine Satire müßte sich dagegen von dem wirklichen Geschehen durch eine gehörige Portion Sachverhaltsverfremdung abheben, wegbewegen, ohne das zu kritisierende Ziel aus den Augen zu verlieren.

Gruß lakita

 

Hallo Ihr beiden, und vielen Dank für Euer Feedback.

Mir war von vornherein klar, dass dieser Text eine sehr kleine Zielgruppe haben wird, aber ich wollte ihn dennoch posten.

Ob dieser Text Satire, Gesellschaftskritik oder einfach nur Alltag ist, wusste ich auch nicht so genau, hab ihn halt erstmal hier gepostet. In der Summe ist der Text sicherlich überzogen, allerdings habe ich jede Situation einzeln schon mal erlebt.

Ich kenne bisher nur eine Branche, die Multimediabranche, die sich per se in der New Economy tummelt, auch wenn viele Kunden zur Old Economy gehören.
Und was da manchmal abgeht, glaubt kein Mensch. An vielen Tagen habe ich das Gefühl, dass die ganze Branche eine einzige "Satire" ist!

gruss,
philipp.

 

hallo philipp,

hat leider etwas gedauert, aber jetzt endlich meine Kritik.
Ob es eine Satire ist, wage ich nicht ganz zu beurteilen. Ich fürchte auch, daß es zu realistisch ist, und nicht genügend überzeichnet, um eine S. zu sein. Das tut dem Text aber keinen Abbruch.
Ich habe zwar keinerlei Ahnung von diesem Metier, aber ich kann mir lebhaft vorstellen, wie ein Haufen frisch aufgepusteter Möchtegern-Etwas miteinander klärt, wie wichtig sie nun sind und gerne wären.
Man muß eben krampfhaft dazugehören, muß mitreden können, und wenn man es nicht kann, dann muß man das gut verstecken ( was ist eine Masterfolie? ein Haufen Chaos? nach der Beschreibung kann ich mir nur vorstellen, daß niemand durch so ein Ding mehr durchblickt... aber ich weiß natürlich genauestens über Sinn und Zweck und Aussehen und alles mögliche Bescheid - Ehrensache! ) :D

war jedenfalls sehr amüsant - schön kritisch beobachtet!

Lieben Gruß,
Frauke

[ 19-05-2002, 12:53: Beitrag editiert von: arc en ciel ]

 

Hallo Frauke,

vielen Dank für Dein Feedback, und vielen Dank auch für die Korrekturen, die Du mir geschickt hast! Nun muss ich nur noch eine ruhige Minute finden, um diese Korrekturen umzusetzen...
Die Master-Folie ist in der Tat sehr kompliziert und unübersichtlich. Da steigen sogar "Experten" kaum durch...

gruss,
philipp.

 

sehr kompliziert und unübersichtlich. Da steigen sogar "Experten" kaum durch...
na, dann versteh ich den Sinn und Zweck dieser Folie vollkommen! macht wirklich Sinn, eine herzustellen! :D

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hi philipp

Jawoll, hier in Gesellschaft isse richtig. Gefällt mir.

Aus der Perspektive Gesellschaft wirkt das ständige "Neudeutsch" schon wieder satirisch. Aber wenn man es recht bedenkt, ist es heute wirklich so, dass man ohne Englisch nicht auskommt. Sogar In der Werbung, wo in der Regel der Otto-Normal-Verbraucher angesprochen werden soll gibt es Spots, die, trotz viel Text, ohne ein deutsches Wort auskommen.

So long
querkopp

 

gibt es Spots, die, trotz viel Text, ohne ein deutsches Wort auskommen.
das sagt doch jetzt alles darüber, wie sehr wir uns sselbst auf das Englische stüzen, auch, wenn's gar nicht nötig wäre... :D

 

for sure, darling!
aber jetzt mal wieder Deutsch, und vor allem back to the story!

Frauke

 

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